NRW setzt ein Zeichen für Solidarität und Menschlichkeit angesichts des Krieges im Nahen Osten

Gemeinsamer Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und Grünen im Landtag

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

I. Ausgangslage

Am 14. Mai 1948 wurde mit der Unabhängigkeitserklärung der Staat Israel gegründet oder vielmehr – wie es der ehemalige Bundespräsident Johannes Rau im Jahr 2000 vor der Knes­set formulierte – „nach 2000 Jahren wiedergeboren“ mit dem Ziel „den Juden in der Welt, vor allem aber den Überlebenden der Shoah“ Zuflucht zu bieten. 76 Jahre später, ist dieses Grün­dungsversprechen des Staates Israel in akuter Gefahr.

Der grausame terroristische Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 mit 1.200 Toten und den dabei verübten schwersten Menschenrechtsverletzungen markiert den schlimmsten Angriff auf Jüdinnen und Juden seit der Shoah. Er hat in Israel ein nationales Trauma ausge­löst, das dadurch verstärkt wird, dass sich nach wie vor über 100 israelische Geiseln in den Händen der terroristischen Hamas befinden. Die Geiseln müssen umgehend freigelassen wer­den. Hinzu kommt die akute Bedrohung durch den Iran, der mit seinem direkten Angriff auf Israel in der Nacht vom 13. auf den 14. April 2024 eine neue Eskalationsstufe gezündet und die ohnehin schon volatile Sicherheitslage in der Region erneut verschärft hat.

Die Menschen in Israel haben das Recht, in Frieden und Freiheit zu leben. Der demokratische Staat Israel hat das völkerrechtlich verbriefte Recht, sich gegen die terroristische Aggression der Hamas und ihrer Unterstützer zu verteidigen. Dabei gilt es weiterhin gemäß dem humani­tären Völkerrecht sicherzustellen, dass die Zivilbevölkerung sowie Mitarbeiterinnen und Mitar­beiter von Hilfsorganisationen nicht zu Schaden kommen. Die Brutalität und der antisemitische Terror der Hamas gegen die Menschen in Israel müssen als die Ursache der kriegerischen Auseinandersetzung benannt werden. Der Angriff richtet sich konkret gegen das Existenzrecht Israels.

Das Existenzrecht und die Sicherheit Israels sind deutsche Staatsräson, sie sind für uns nicht verhandelbar. Das ergibt sich aus der historischen Verantwortung Deutschlands sowie aus den gemeinsam geteilten demokratischen Werten. Nordrhein-Westfalen steht fest an der Seite Israels und der israelischen Bevölkerung.

Der Krieg im Nahen Osten hat auch sehr deutliche Auswirkungen auf Nordrhein-Westfalen. Der massive Anstieg antisemitischer Straftaten seit dem 7. Oktober 2023 in Nordrhein-West­falen ist erschreckend. Die demokratischen Fraktionen im Landtag Nordrhein-Westfalen treten jeder Form von Antisemitismus entschieden entgegen. Wir stehen klar an der Seite der jüdi­schen Gemeinden und schützen das jüdische Leben in Nordrhein-Westfalen.

Unsere Beziehung zu Israel ist von einer klaren Haltung zum Existenzrecht Israels sowie einer langjährigen Freundschaft zum Staat Israel und seinen Menschen geprägt. Der Terror der Ha-mas hat uns erschüttert, wir gedenken der vielen Opfer, in Gedanken sind wir bei den Geiseln und ihren Angehörigen. Zugleich besorgt uns die humanitäre Lage in Gaza, die nach Angaben des Auswärtigen Amtes katastrophal ist. Von dem Krieg sind die vulnerabelsten Gruppen, also Kinder und ältere Menschen, massiv betroffen. Die Zerstörung der zivilen – einschließlich sa­nitärer und medizinischer – Infrastruktur, die Schließung der Grenzen und die immense Zahl von 1,7 Millionen Binnenvertriebenen auf einem Gebiet, das etwa der Größe der Stadt Mün­chen entspricht, lassen nur erahnen, unter welchen Umständen die Menschen in Gaza derzeit überleben müssen. Die humanitäre Lage in Gaza, die Situation und Versorgung der Zivilbe­völkerung müssen stärker in den Blick genommen werden. Israel ist aufgefordert, sicheren und ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung in Gaza zu ermöglichen. Der Landtag NRW schließt sich den Forderungen nach einer Verbesserung der humanitären Situation für die Menschen im Gazastreifen an. Darauf zielen auch die aktuellen Verhandlun­gen in Bezug auf eine humanitäre Feuerpause bei gleichzeitiger Freilassung der Geiseln.

Nordrhein-Westfalen möchte über Appelle und Bekenntnisse hinaus einen Beitrag für Frieden und Stabilität in der Region leisten und sichert den zivilen Opfern des Konflikts Hilfe und der Zivilgesellschaft Unterstützung beim Wiederaufbau zu. Wir bieten unseren Beitrag zum Aus­tausch und zur Versöhnung der Menschen in Israel und Gaza an.

Das Land NRW hat eine lange Tradition der Zusammenarbeit und des Austauschs sowohl mit der israelischen als auch der palästinensischen Zivilgesellschaft, die Kultur, Wirtschaft, Schu­len und Universitäten umfasst.

Das Auslandsbüro des Landes NRW in Tel Aviv hat 2020 seine Arbeit aufgenommen und soll als Begegnungsort für Wirtschaft, Kultur, Zivilgesellschaft und Forschung dienen. Auch Aus­tauschprojekte laufen über das Büro und ebenso das Wiederaufbauprojekt „Schalom – Chaveruth: Solidaritätspartnerschaften NRW-Israel“, das neue Optionen für die Anbahnung und Umsetzung von Partnerschaften zwischen Kommunen in NRW und israelischen Kommu­nen in der Umgebung des Gazastreifens schafft. Damit hat NRW in Israel eine wichtige An­laufstelle und ein Netzwerk, das es für seine Arbeit vor Ort nutzen kann.

Mehrere nordrhein-westfälische Hochschulen bieten in Zusammenarbeit mit der Landesregie­rung auch Stipendienplätze für Studierende und Forschende aus Israel, den palästinensischen Autonomiegebieten und Jordanien an. Diese Austausch- und Studienprogramme sind eine herausragende Möglichkeit, jüngeren Generationen von Israelis, Palästinenserinnen und Pa­lästinensern und künftigen Entscheidungsträgerinnen und -trägern eine andere, auf Koopera­tion ausgerichtete Perspektive des Zusammenlebens und -arbeitens zu eröffnen.

Kulturschaffende finden beispielsweise im Rahmen des East-Western Divan Orchestra Wege, Israelis und Palästinenserinnen und Palästinensern zusammenzubringen. Und auch die in NRW lebenden Menschen mit israelischen und palästinensischen Wurzeln, insbesondere be­reits in Kultur, Zivilgesellschaft, Bildung, Wissenschaft und/oder Wirtschaft aktive Personen, können zentrale, transnational wirkende Akteurinnen und Akteure im Friedensprozess werden.

Insbesondere Hochschulen sowie der Kulturbetrieb, aber auch jeder andere Bereich, sind zu­gleich gefordert, sich klar von israelbezogenem Antisemitismus und jeder anderen Form des Antisemitismus zu distanzieren und für Räume zu sorgen, an denen Jüdinnen und Juden sich ohne Sorge vor Diskriminierung und antisemitischen Angriffen aufhalten, arbeiten und wirken können.

Um seelische und körperliche Verletzungen zu behandeln, wäre es begrüßenswert, wenn per­spektivisch nach Möglichkeit verletzte Kinder aus dem Gazastreifen in nordrhein-westfälischen Krankenhäusern behandelt werden können.

Beschlussfassung
Der Landtag stellt fest:

  • Das Land Nordrhein-Westfalen steht solidarisch an der Seite der israelischen Bevölke­rung: Die Sicherheit und Existenz des Staates Israel sind unverbrüchlicher Teil deutscher Staatsräson. In einer verhandelten Zwei-Staaten-Lösung wird weiterhin die beste Chance für eine tragfähige Friedenslösung gesehen.
  • Die mehr als 100 israelischen Geiseln der Hamas müssen umgehend freigelassen wer­den.
  • Israel muss einen sicheren und ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe für die Zivil­bevölkerung in Gaza ermöglichen. Angriffe auf die Zivilbevölkerung sowie auf Hilfsorga­nisationen und ihre Mitarbeitenden in Gaza sind inakzeptabel.
  • Nordrhein-Westfalen hat eine historisch enge Verbindung zum Staat Israel und den Men­schen in Israel, pflegt diese Verbindung intensiv durch ein eigenes Büro in Tel Aviv und fördert strukturell den Austausch in den Bereichen Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Dieses Engagement wollen wir weiter ausbauen und insbesondere den Wiederaufbau unterstützen.
  • Das Land Nordrhein-Westfalen bietet seine Ressourcen und Kompetenzen im Bereich medizinischer Notfallversorgung, Wiederaufbau, Wirtschaftsförderung und Infrastruktur­maßnahmen an, um nach einem Ende der Militäroperation einen Wiederaufbau in Gaza zu unterstützen.

Der Landtag beauftragt die Landesregierung,

  • sich an der Seite der Bundesregierung um eine friedvolle Perspektive für den Nahen Osten zu bemühen.
  • ihren Beitrag zur Verbesserung der humanitären Lage in Gaza zu leisten.
  • die Hilfsaktion des Friedensdorfes International in Oberhausen zur medizinischen Be­handlung von schwerstverletzten Kindern aus Gaza weiterhin zu begleiten, zu unterstüt­zen und zu fördern.
  • Städtepartnerschaften zwischen israelischen, palästinensischen und nordrhein-westfäli­schen Städten verstärkt zu unterstützen und zu fördern.
  • Projekte und Initiativen, die aus NRW heraus in den unterschiedlichsten Bereichen der Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft für Versöhnung und friedliche Per­spektiven in der Region Nahost arbeiten, gezielt und noch stärker zu unterstützen.
  • das Auslandsbüro des Landes NRW in Tel Aviv vor diesem Hintergrund noch mehr als Kompetenzzentrum für Austauschformate auszubauen, durch die Akteurinnen und Ak­teure der Wirtschaft, der Kultur, der Bildung, der Justiz, der Wissenschaft und der Zivil­gesellschaft, insbesondere aus der Mitte der israelischen und palästinensischen Gesell­schaft, Raum und Zeit für gemeinsame positive Erfahrungen machen.
  • in NRW eine Plattform zu bieten, um alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen – wie beispielsweise die IHKen – zusammenzubringen, um konkrete Hilfen, Unterstützung und Perspektiven zu erarbeiten.
  • eine alle zwei Jahre stattfindende internationale Jugendbegegnung zu initiieren und zu unterstützen, an der deutsche, israelische und palästinensische Jugendliche sowie junge Erwachsene teilnehmen.