NRW braucht eine klare und transparente Strategie für das Kurzschuljahr in der Pandemie!

Antrag der GRÜNEN im Landtag

  1. Ausgangslage

Entgegen mancher Hoffnungen und entgegen der von der Landesregierung geschürten Erwartung ist das Schuljahr 2020/2021 kein auch nur annähernd normales Schuljahr.

Die Landesregierung hat die Lage zu lange in verharmlosender Weise heruntergespielt. Die Darstellung der Schulen als „sichere Orte“ durch Ministerin Gebauer in der Zeit am 21.10.2020 widersprach schon zum damaligen Zeitpunkt wissenschaftlichen Erkenntnissen. Auch wenn der Krankheitsverlauf einer Covid-19-Infektion bei jungen Menschen milder ist als bei älteren, so sind infizierte Kinder und Jugendliche Überträger, selbst wenn sie symptomfrei sind.

Präsenzunterricht für Schülerinnen und Schüler zu ermöglichen, ist ein richtiges und wichtiges Ziel. Genau deshalb haben Schulen und Kommunen Konzepte entwickelt, die Infektionsschutz und Bildungsgerechtigkeit besser in Einklang bringen, um so auch auf lange Sicht mehr Präsenzunterricht zu ermöglichen. Das Schulministerium hat dem immer wieder einen Riegel vorgeschoben. Wechselunterricht, der ermöglicht hätte, dass alle Schülerinnen und Schüler am Präsenzunterricht auf Dauer teilhaben, wurde nur dort in bürokratischen Verfahren ermöglicht, wo die Infektionszahlen jenseits des Richtwerts von 200 Infektionen lagen. Damit wurden einerseits die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts völlig ignoriert, andererseits der präventive Ansatz verneint.

Es mussten Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte an einer Schule in erhöhtem Maß erkranken, bevor den Schulen erlaubt wurde, Alternativen anzuwenden. Prävention wurde untersagt. Die durch eine solche Politik mit verursachten Ad-hoc-Quarantänen stellen Familien vor große Herausforderungen und bedeuten das Gegenteil der vielbeschworenen Bildungsgerechtigkeit.

Dabei wurde von Elternverbänden, Schulleitungsvertretungen und Lehrerverbänden immer wieder gefordert,

  • dass die Landesregierung Pläne für differenzierte Szenarien entwickelt, u.a.
  • dass zusätzliches Personal, zum Beispiel Lehramtsstudierende, für die Unterstützung der Lehrkräfte gewonnen wird;
  • dass zusätzliche räumliche Kapazitäten erschlossen werden, um kleinere Lerngruppen zu ermöglichen.

All das hat die Landesregierung brüsk abgelehnt. Fördermittel stünden zur Verfügung, denn für die Ferienprogramme wurden Fördermittel zur Verfügung gestellt (über 70 Mio.), die aufgrund der mangelhaften Vorbereitung und untauglichen Administration kaum abgerufen wurden.

Nun steht die Landesregierung vor einem Scherbenhaufen ihrer Politik. Der Versuch, das Mantra des absoluten Präsenzunterrichts aufrechtzuerhalten, ist angesichts der Infektionszahlen gescheitert. Weiterhin sollen gemäß des halbherzigen Stufenplans der Schulministerin nur schulscharfe Alternativen nach Antrag möglich sein. Angesichts der Lage, dass in allen kreisfreien Städten und Kreisen in NRW die Infektionszahlen weit jenseits des Richtwerts von 25 Infektionen liegen, stellt sich die Frage, wie die Schulverwaltung mögliche Anträge der 5500 Schulen bearbeiten will.

Auch wenn die Infektionslage landesweit unter den Wert von 200 Infektionen pro 100000 Einwohnerinnen und Einwohner sinkt, muss die Einsicht reifen, dass es nicht einfach „normalen“ Unterricht geben wird. Niemand weiß, wie sich die Infektionslage entwickelt. Zudem ist die Rolle von Kindern und Jugendlichen im Infektionsgeschehen nicht zu vernachlässigen. Die Corona-Mutation B.1.1.7 bringt zusätzlich eine neue Gefährdungslage durch eine höhere Ansteckungsgefahr.

Die Bilanz des laufenden Schuljahrs macht deutlich: Die Schülerinnen und Schüler des Schuljahrs 2020/2021 haben sehr unterschiedliche Lernausgangslagen- und Bedingungen, sie haben viel Unterricht nachzuholen. Die Schulträger, die Schulen, die Lehrkräfte, Eltern und nicht zuletzt die Schülerinnen und Schüler erwarten jetzt eine Antwort darauf, wie es im faktischen Kurzschuljahr weitergeht.

Es geht um die Frage der Unterrichtsorganisation, Formate der Leistungserbringung und – Bewertung sowie der erweiterten personellen Unterstützung und der Prüfungen und Abschlüsse.

Wir brauchen dringend eine Flexibilisierung der starren Prüfungsverläufe und -Zeiten und ein Aussetzen der zentralen Verfahren in diesem Schuljahr. Bei den Lösungen muss bis hinein in das Schuljahr 2021/22 gedacht werden. Es geht darum, den Druck für Schülerinnen und Schüler aber auch für die Lehrkräfte und Schulen aus dem System zu nehmen und die Qualität der Abschlüsse zu erhalten.

Gespräche für Vereinbarungen mit den Hochschulen bzgl. eines vermehrten Studienbeginns im Sommersemester und eines Ausbildungsbeginns zum 1.2.22 mit den Sozialpartnern sind unverzüglich aufzunehmen.

Für die Schülerinnen und Schüler der Grundschule ist denkbar, dass analog zur flexiblen Eingangsstufe eine flexible Grundschulausgangsstufe eingerichtet wird. Neben der Aufarbeitung von Lerndefiziten wird so Zeit zur Pflege der psychosozialen Gesundheit von Kindern und Zeit zum Forschen und Entdecken, für musikalische, ästhetische, eine umfassende kulturelle Bildung gegeben – gerade auch an außerschulischen Lernorten.

Wir brauchen insgesamt ein Konzept der individuellen Lernzeit, um auf die unterschiedlichen Bedingungen und Bedarfe eingehen zu können. Ungleiches ungleich behandeln und kein Erstarren ein Schulpolitik im Gleichschritt für alle muss leitendes Prinzip sein.

Ein längeres Verbleiben in den Schulstufen muss ermöglicht werden.

Für die weiterführenden Schulen brauchen wir eine deutliche Flexibilisierung bei den Prüfungen. Das Zentralabitur 2021 ist illusorisch. Der Aufgabenpool des Zentralabiturs muss ausgesetzt werden und im Gegenzug die Schulen unterstützt werden, wieder eigene Abituraufgaben zu erstellen. Das gleiche gilt für den Mittleren Bildungsabschluss. Flexibilität brauchen wir auch bei der Frage der Prüfungszeiten. Sie müssen bausteinmäßig über das Schuljahr hinweg ermöglicht werden. Das bedeutet auch eine deutliche organisatorische Entlastung für die Schulen.

Und schließlich brauchen wir eine Flexibilisierung bei den Versetzungsregeln. Es kann nicht sein, dass Schülerinnen und Schüler, die coronabedingt, das Schuljahr nicht wie geplant absolvieren können, bei einer freiwilligen Wiederholung mit Verweis auf die Verweildauer daran gehindert werden.

Die Schülerinnen und Schüler am Gymnasium müssen die Möglichkeit erhalten vom Bildungsgang G8 auf den Bildungsgang G9 zu wechseln, damit es nicht zwangsweise zu einem Quasi-G7-Bildungsgang kommt. Niemand hat ahnen können, welche Herausforderungen Corona für den Bildungsgang am Gymnasium bedeutet. Dass die Landesregierung bislang hierzu keine Angebote macht ist ein sträfliches Ignorieren der besonderen Lage an Gymnasien.

  1. Der Landtag stellt fest:

Die Schulen in NRW und die Schulträger benötigen dringend verbindliche, rechtlich klare Grundlagen für das weitere Schuljahr 2020/2021 und bis in das Schuljahr 2021/2022 reichende Regelungen zum Absolvieren von Prüfungen. Das beinhaltet auch einen wissenschaftsbasierten Stufenplan für den Schulbetrieb wie ihn die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts vorsehen. Schulen benötigen umfängliche personelle Unterstützung für den Unterricht in kleinen Lerngruppen, Zutrauen in die Eigenverantwortung und genügend Flexibilität. Die Schülerinnen und Schüler brauchen klare und verlässliche Perspektiven für die Fortsetzung ihrer Bildungslaufbahn und ihres Bildungsabschlusses.

  • Der Landtag fordert die Landesregierung auf, ein Gesamtkonzept mit folgenden Eckpunkten vorzulegen:
  1. Einen wissenschaftsbasierten Stufenplan auf der Basis der RKI-Empfehlungen für Präsenz- und Wechselunterricht bei unterschiedlichen Infektionszahlen,
  2. eine Flexibilität bei der Frage der Verweildauer in der Grundschule mit der Ermöglichung individueller Lernzeiten in einer Schulausgangsphase,
  3. Flexibilisierung bei den Prüfungsbedingungen beim Abitur und dem Mittleren Schulabschluss,
  4. ein Programm für verlässliche zusätzliche Lernunterstützung z. B. durch Studierende,
  5. Hinweise für die Erschließung zusätzlicher Räume im schulischen Umfeld für den Unterricht.