Nordrhein-Westfalen für Steuergerechtigkeit! Steuerkriminalität bekämpfen – Steuergerechtigkeit herstellen – gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

I. Ausgangslage

Steuerhinterziehung und die Nutzung von Steuerschlupflöchern verursachen Mindereinnahmen in Milliardenhöhe bei Bund, Ländern und Kommunen. Außerdem führt eine ungerechte Verteilung der Steuerlasten zu einer immer weiter sinkenden Akzeptanz des Steuersystems.
Europa gehen nach Schätzungen des Tax Justice Network jährlich etwa 1,5 Billionen US Dollar durch Steuerbetrug verloren. Die Deutsche Steuergewerkschaft schätzt den Schaden durch Steuerhinterziehung für Deutschland auf jährlich 30 Millarden Euro, das Tax Justice Network geht sogar von dem Zehnfachen aus.
Dabei werden diese Mittel dringend gebraucht: für nachhaltige Zukunftsinvestitionen in Bildung, Kommunen und Infrastruktur, zur Bekämpfung von Armut, im Kampf für Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit sowie um unsere natürlichen Ressourcen und Lebensgrundlagen zu schützen. Steuereinnahmen, die der Gesellschaft so entgehen, reißen Lücken in die allgemeine Daseinsvorsorge – bei der Modernisierung unserer Schulen, beim Bau von Kindertageseinrichtungen und bei der Sanierung von Straßen und Brücken. Sie fehlen für die Einstellung von Lehrkräften und bei der Finanzierung von Schulsozialarbeit, für die Entwicklung eines sozialen Arbeitsmarktes, der Langzeitarbeitslosigkeit wirksam bekämpft, bei der Integration der zu uns geflüchteten Menschen und für Investitionen, die helfen den Klimawandel und Ressourcenverbrauch zu stoppen. Außerdem muss unbedingt die Finanzsituation der Kommunen verbessert werden. Darüber hinaus kann der Kampf gegen Steuerbetrug und Steuerumgehung ein wichtiger Beitrag zum Abbau der Verschuldung von Bund, Ländern und Kommunen sein.
Die Vermögensverteilung in Deutschland wird immer ungerechter, so werden große Vermögen und große Erbschaften im OECD-Vergleich unterdurchschnittlich besteuert. Auf der anderen Seite werden mittlere und insbesondere kleine Einkommen durch steigende und nicht progressiv gestaltete Sozialabgaben übermäßig belastet. Dies gilt umso mehr, als dass der Anteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zur Finanzierung staatlicher und gesellschaftlicher Aufgaben unmittelbar vom Arbeitslohn abgeführt wird, während insbesondere Menschen mit sehr hohen Kapitaleinnahmen, international agierende Konzerne und Banken steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten ausnutzen können. Dadurch wird der Wettbewerb um die besten Modelle zur Steuerumgehung und -flucht befördert. Hier ist eine Parallelgesellschaft entstanden, in der internationale Konzerne und besonders Vermögende von staatlichen Leistungen profitieren, sich aber einem angemessen Finanzierungsbeitrag für das Gemeinwesen entziehen. Die Enthüllungen um die Beihilfe von Banken bei Steuerhinterziehung und um die aggressive Steuergestaltung von Konzernen wie Amazon, Google, Starbucks und Apple, zeigen dieses Vorgehen.

II. Der Landtag stellt daher fest:

Der Kampf für mehr Steuergerechtigkeit muss höchste Priorität der Finanzpolitik haben und darf nicht nur aus Anlass aktueller Steuerskandale beschworen werden. Deswegen steht in Nordrhein-Westfalen das Thema fortwährend auf der Agenda der Landesregierung. Sie hat es geschafft, das Thema Steuergerechtigkeit in den Fokus einer breiten Öffentlichkeit zu rücken. Mit zahlreichen erfolgreichen Maßnahmen und Initiativen hat das Land NRW schon jetzt einen wichtigen Beitrag für mehr Steuergerechtigkeit geleistet.
Konkret wurden
das untragbare Steuerabkommen mit der Schweiz verhindert und so eine Amnestie für Steuerhinterzieher abgewendet, die ihre Gewinne in der Schweiz verstecken,
Steuer-CDs erworben, die Steuerflüchtlinge enttarnt und damit 2,3 Milliarden Euro Mehreinnahmen für die öffentlichen Haushalte generiert haben,
der Druck auf Steuerbetrüger so stark erhöht, dass die Anzahl der Selbstanzeigen erheblich gestiegen ist,
Steuerbetrug durch sogenannte Cum-Ex-Geschäfte aufgedeckt und verfolgt,
zur Verschärfung der Regelung für straffreie Selbstanzeigen beigetragen, um den Freikauf von Strafen für Steuerhinterziehung zu erschweren,
die Steuerfahndung zum Beispiel durch eine verstärkte Zusammenarbeit mit dem LKA („SG-EOKS“) gestärkt,
eine Debatte über Steuerumgehung zum Beispiel durch Lizenzmodelle angestoßen,
die erbschaftsteuerliche Begünstigung sogenannter Cash-GmbHs verhindert, die allein der Steuerumgehung dienen,
durchgesetzt, dass die Steuerumgehung beim Umwandlungssteuerrecht (sog. Porsche-Deal) verhindert wird,
die Betriebsprüfung technisch und personell gestärkt,
die internationale Zusammenarbeit in erheblichem Maße verbessert, u.a. durch Lieferung von Daten mit Hinweis auf Steuerhinterziehung an mehr als zwanzig Staaten,
der Steuerbetrug bei Registrierkassen mit einem Volumen von bis zu 10 Milliarden Euro jährlich öffentlich gemacht und damit die Bundesregierung zur Vorlage eines Gesetzentwurfes bewegt.
Damit wurden wichtige Beiträge für mehr Steuerehrlichkeit und mehr Steuergerechtigkeit geleistet. Notwendig sind aber vor allem Maßnahmen und konsequente Schritte auf europäischer und Bundesebene.
Steuerhinterziehung und aggressive Steuergestaltung durch multinationale Unternehmen sind globale Probleme, die es mit internationalen Standards und Kooperationen sowie mit ergänzenden nationalen Regeln zu bekämpfen gilt. Steueroasen inner- und außerhalb der EU müssen gleichermaßen ausgetrocknet und auf allen Ebenen ein Steuerdumpingwettbewerb verhindert werden. Auch auf nationaler Ebene dürfen keine Steueroasen entstehen, weder durch fehlende Betriebsprüfungen, noch durch Gewinnverlagerungen zur Reduzierung der Gewerbesteuer.
Der Bundfinanzminister muss sich auf europäischer Ebene endlich stärker für die Bekämpfung der Steuerhinterziehung einsetzen und nicht wie bei der Einführung eines Transparenzregisters und beim Whistleblower-Schutz als Bremser auftreten. Er darf sich nicht hinter dem Scheitern europäischer Lösungen verstecken, sondern muss in solchen Fällen endlich nationale Maßnahmen umsetzen und mit gutem Beispiel vorangehen.
Dies gilt auch für die Schaffung von mehr Transparenz über Vermögen und Gewinnverschiebungen. Sie ist ein wichtiger Faktor zur Schaffung von Steuergerechtigkeit: Steuerhinterziehung wird erschwert, wenn öffentlich bekannt ist wem Briefkastenfirmen gehören, wenn auch über Steuerstrafsachen öffentlich verhandelt wird, und wenn die Steuerbehörden frühzeitig über neue Modelle zur Steuergestaltung informiert werden müssen. Es ist unzumutbar und ungerecht, dass lohnsteuerpflichtige Beschäftigte im Zweifel jede Fahrt zur Arbeitsstätte belegen müssen, Konzerne indes ihre Steuerlast so verschieben, dass am Ende keine Zuordnung mehr möglich ist.
Entscheidend für mehr Steuergerechtigkeit ist auch eine gerechte Verteilung der Steuerlasten. Starke Schultern müssen – auch und gerade bei der Finanzierung gesellschaftlicher Aufgaben – mehr leisten als schwache. Zurzeit gibt es eine gegenteilige Entwicklung. Deshalb sehen wir erheblichen Handlungsbedarf, um die gerechte Finanzierung notwendiger Zukunftsinvestitionen sicherzustellen.
Eine gerechte Lastenverteilung muss alle einbeziehen und alle Einkommensarten erfassen. Der Kompromiss bei der Erbschaftsteuer ist deshalb für uns zwar eine Verbesserung gegenüber früheren Gesetzesvorschlägen, aber nicht abschließend zufriedenstellend. Gerade diese Steuer kann das immer weiter wachsende Ungleichgewicht innerhalb der Gesellschaft, bei richtiger Ausgestaltung, zumindest abmildern. Erben an sich ist keine Leistung.
Die Steuer- und Abgabenbelastung, insbesondere für höhere Einkommen, ist in den letzten Jahrzehnten gesunken. Betrug die Durschnittsteuerbelastung für ein zu versteuerndes Einkommen von 120.000 Euro 1999 noch mehr als 43 Prozent, so sank dieser Satz 2016 auf 35 Prozent. Gleichzeitig wurden Steuern, wie die Vermögensteuer, abgeschafft bzw. Steuersätze verringert. Zahlreiche gesellschaftliche Aufgaben sind durch die Sozialversicherungen und damit vor allem von Beiträgen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer finanziert worden. Auch die Benachteiligung kleiner und mittlerer Unternehmen, die ihre Steuern ordnungsgemäß zahlen, gegenüber Großkonzernen, die sich durch Tricksereien dieser Pflicht entziehen, muss beendet werden. Wenn Apple über Jahre eine effektive Steuerlast von 0,005 Prozent hat, schadet dies insbesondere auch dem Mittelstand und sorgt für deutlich weniger Akzeptanz des Steuersystems.
Vor diesem Hintergrund ist ein populistischer Wettlauf um Steuerentlastungsversprechen vor Wahlen gefährlich, insbesondere weil die Vorschläge aus Union und FDP hauptsächlich große Einkommen entlasten. Stattdessen muss es um eine echte Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen gehen, ohne die finanzielle Handlungsfähigkeit der Kommunen, Länder und des Bundes zu gefährden. Haushalts- und Steuerpolitik müssen gemeinsam betrachtet werden. Für uns gilt weiterhin der Dreiklang aus intelligentem Sparen, vorsorgendem Investieren und der Sicherung der Einnahmenbasis. Die enormen gesellschaftlichen Herausforderungen verlangen nach einer gestaltenden Haushalts- und Finanzpolitik. Nur so werden die Anforderungen der Schuldenbremse erfüllt, ohne notwendige gesellschaftliche Aufgaben zu vernachlässigen und auf Zukunftsinvestitionen zu verzichten.
Notwendig sind dazu auf allen staatlichen Ebenen:
Die konsequente Verfolgung aller Formen von Steuerhinterziehung
Die konsequente Bekämpfung von Steuerdumping und Steuerumgehung durch die Schließung von Steuerschlupflöchern und die Austrocknung von Steueroasen.
Die konsequente Umsetzung einer gerechten Verteilung der Steuer- und Abgabenlasten.

III. Der Landtag beschließt:

Die Landesregierung wird aufgefordert:
Die Initiative für ein Unternehmensstrafrecht weiterzuführen
Den Gesetzentwurf zur Sanktionierung von Banken durch Lizenzentzug trotz ablehnender Haltung der Bundesregierung weiter zu unterstützen.
Zu prüfen und ggf. Gesetzentwürfe einzubringen, mit denen
Informanten, sog. Whistleblower, welche Hinweise auf Steuerbetrug geben, besser geschützt werden,
Mögliche Lücken im Strafrecht im Hinblick auf Geldwäsche und Schwarzgeld geschlossen werden.
Auf Basis des Vorstoßes des NRW-Finanzministers einen Gesetzentwurf zu erarbeiten oder zu unterstützen, um sog. Share Deals zu verhindern, mit denen die Grunderwerbsteuer umgangen wird. Dazu soll, wie von NRW vorgeschlagen, die Beteiligungsschwelle für steuerfreie Übertragungen abgesenkt werden.
Den Referentenentwurf der Bundesregierung zur Unterbindung von Verschiebungen durch Lizenzmodelle bei der Körperschafts- und Gewerbesteuer, welcher nach einem Entschließungsantrag im Bundesrat durch Nordrhein-Westfalen im Dezember vorgelegt wurde, kritisch zu begleiten, so dass Gewinn auch national dort besteuert wird, wo er erwirtschaftet wurde.
Sich auf Bundesebene für eine effektive Bekämpfung von Geldwäsche einzusetzen und darauf hinzuwirken, dass die Geldwäscherichtlinie der EU-Kommission konsequent umgesetzt wird.
Die Entwürfe für ein country-by-country reporting, welches die Steuerzahlungen von Konzernen und Firmen nach Ländern und Höhe aufschlüsselt, aktiv zu unterstützen, so dass Konzerne in Zukunft diese Daten auch öffentlich vorlegen müssen.
Die personelle Ausstattung auf Landesebene zur Bekämpfung von Geldwäsche weiter zu verbessern. Die zehn zusätzlichen Stellen, welche durch Haushaltsanträge der Koalitionsfraktionen eingerichtet wurden, sind ein erster richtiger und wichtiger Schritt hierzu.
Sich auf Bundesebene für Mindeststandards bei Betriebsprüfungen einzusetzen, welche sich an NRW orientieren.
Sich auf Bundesebene weiterhin dafür einzusetzen, dass die Steuermehreinnahmen, welche durch verstärkte Betriebsprüfungen eingenommen werden können, den Ländern zu Gute kommen, die diese Betriebsprüfungen durchführen.
Weiterhin den Druck auf Steuerhinterzieher auch durch den Kauf von Datenträgern mit Finanzdaten aufrecht zu erhalten und die internationale Kooperation von NRW mit anderen Staaten bei der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und aggressiver Steuergestaltung fortzusetzen.
Die Ressourcen der Finanzverwaltung zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung weiter zu stärken und hierzu:
die Ausbildungskapazitäten in der Finanzverwaltung weiterhin voll auszuschöpfen, um sicherzustellen, dass freiwerdende Stellen dort wiederbesetzt werden können,
die Ansprache und Gewinnung von Nachwuchskräften weiter zu verbessern,
dem Haushalts- und Finanzausschuss ein Konzept zur Erweiterung der Ausbildungskapazitäten vorzulegen,
darzustellen, in welchem Rahmen Tarifbeschäftigte zur Unterstützung der Finanzverwaltung eingesetzt werden können und dabei auf die Erfahrungen bei der ELStAM-Umsetzung zurückzugreifen,
im Rahmen der Umsetzung der Ergebnisse aus dem Lenkungskreis „Finanzverwaltung der Zukunft“ die Betriebsprüfungen weiter zu stärken und für ggf. notwendige zusätzliche Stellen die Refinanzierung durch Mehreinnahmen darzustellen,
die technische Ausstattung und Automation in der Finanzverwaltung weiter zu verbessern,
die guten Erfahrungen der Ermittlungsgruppe aus Steuerfahndung und Landeskriminalamt zu nutzen, um ggf. weitere organisatorische Maßnahmen für eine bessere Bekämpfung der Steuerkriminalität zu treffen.
Steuerpolitische Überlegungen zur gerechteren Verteilung der Steuerlasten in Deutschland mit den vorliegenden Elementen zu entwickeln bzw. diese zu prüfen und sich auf Bundesebene für deren Umsetzung einzusetzen. Dieses Paket sollte u.a. umfassen:
Die tatsächliche Entlastung kleinerer und mittlerer Einkommen, von Familien und Alleinerziehenden. Hierbei sollte geprüft werden,
wie der Steuertarif gerechter und moderner gestaltet werden kann, damit genau diese Zielgruppe entlastet wird.
wie Besteuerungsmodi, wie das Ehegattensplitting, abgeschafft werden können, die andere Formen des Zusammenlebens gegenüber dem klassisch konservativen Familienmodell benachteiligen. Es ist ein Modell notwendig, das vor allem Kinder und ihre Bedarfe in den Mittelpunkt stellt. Dabei ist durch Übergangsfristen zu gewährleisten, dass für bisherige Regelungen Bestandschutz gilt.
Eine Gegenfinanzierung für Steuermindereinnahmen, etwa durch den konsequenten Kampf gegen Steuerhinterziehung und –vermeidung.
Die Novellierung der Kapitalertragsteuer, um die Bevorzugung von Kapital gegenüber Arbeitseinkommen zu beenden und Einkünfte aus Kapitalvermögen nicht weiter pauschal zu besteuern, sondern wieder dem persönlichen Steuersatz zu unterwerfen.
Die Prüfung, wie große Vermögen, etwa durch die Wiedereinführung einer nachvollziehbaren und verfassungsfesten Vermögensteuer, stärker an der Finanzierung gesellschaftlicher Aufgaben beteiligt werden können, ohne den Bestand von Unternehmen zu gefährden.
Sich auf Bundesebene weiterhin dafür stark zu machen, ungerechtfertigte und/oder unökologische Steuerprivilegien wie die Begünstigungen von Hotelleistungen bei der Umsatzsteuer („Mövenpick-Steuer“) abzubauen.
Sich auf Bundesebene weiter für die Einführung einer internationalen Finanztransaktionsteuer auf Finanz- und Börsengeschäfte einzusetzen.