Nordrhein-Westfalen braucht einen Antisemitismusbeauftragten

Antrag der Fraktionen von GRÜNEN, CDU, SPD und FDP

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

I.         Ausgangslage

Der Landtag verurteilt aufs Schärfste jegliche Form von Antisemitismus. Antisemitismus ist ein Angriff auf unsere demokratische, weltoffene und tolerante Gesellschaft. Für antisemitisches, rassistisches, extremistisches, radikales und antidemokratisches Gedankengut ist in unserem Land kein Platz. Die Bekämpfung von Antisemitismus ist schon alleine aus unserem Grundverständnis vom friedlichen Zusammenleben aller Religionen geboten, aber auch in der historischen Verantwortung Deutschlands gegenüber dem Judentum und dem Staat Israel verwurzelt.
Die Polizei verzeichnete im letzten Jahr in Nordrhein-Westfalen 324 antisemitische Straftaten. Das ist eine Steigerung um 9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Statistik kann aber nicht die gesamte Tragweite des Antisemitismus abbilden, da nicht alle antisemitischen Taten – aus unterschiedlichen Gründen – verzeichnet sind. Jeder einzelne Akt von Antisemitismus in unserem Land ist einer zu viel. Jeder einzelne muss Konsequenzen haben. Kein Angehöriger der jüdischen Glaubensgemeinschaft darf in unserem Land Angst haben, seinen Glauben öffentlich zu zeigen oder zu praktizieren. Im demokratischen, freiheitlichen und friedlichen Deutschland müssen alle Menschen gleich welchen Glaubens frei und sicher leben können.
Antisemitismus ist nicht nur in einer bestimmten Bevölkerungsgruppe zu finden, sondern tritt in allen Bereichen unserer Gesellschaft zu Tage. Er zeigt sich in unserem Land in vielerlei Gestalt: Öffentliche Feste entfallen, jüdische Kinder werden in der Schule gemobbt, israelische Fahnen in der Öffentlichkeit verbrannt, Schmähungen an Hauswände gesprüht, jüdische Friedhöfe geschändet, Hassnachrichten in den Sozialen Netzwerken verbreitet, menschenverachtende Songs geschrieben und verbreitet. Dies sind Ereignisse und Entwicklungen, die uns mit großer Sorgen erfüllen. Wir müssen und werden dagegen aktiv und konsequent mit allen rechtsstaatlichen Mitteln vorgehen und ihnen als Zivilgesellschaft entgegentreten.
Antisemitische Einstellungen drücken sich durch alltägliche Diskriminierungen von Jüdinnen und Juden aus. Zudem tritt neben dem Antisemitismus aus dem rechtsextremen Spektrum in den letzten Jahren immer deutlicher auch ein Antisemitismus zu Tage, der sich aus dem Nahost-Konflikt speist. Unter dem Vorwand der Israelkritik werden bestehende Tabus gebrochen und Hemmschwellen für antisemitische Taten gesenkt. Diese Spirale gilt es nachhaltig zu durchbrechen. Der Landtag bekennt sich dazu, dem Antisemitismus in all seinen Erscheinungsformen intensiv entgegenzutreten.
Daraus leitet sich ein Auftrag an Politik und Gesellschaft ab, dem Problem grundlegend zu begegnen. Aufklärung, Prävention und politische Bildung müssen alle Teile unserer Gesellschaft erreichen, ob neu zugewandert oder bereits hier ansässig. Zum einen sollen sie Nichtwissen und Vorurteile abbauen. Zum anderen sollen sie die Bürgergesellschaft befähigen, antisemitisches, menschenverachtendes und antidemokratisches Gedankengut zu erkennen und abzuwehren.
Zwar spielen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen nach wie vor eine wichtige Rolle in der pädagogischen Vermittlung der NS-Vergangenheit, doch bedarf es zusätzlicher, aktualisierter Formen, um die Erinnerung an die Shoa auch für zukünftige Generationen wach und erlebbar zu halten. Neben der politischen Bildung muss deshalb auch die Erinnerungskultur gestärkt werden. Die Erinnerungskultur leistet zum Beispiel durch Schulveranstaltungen in den 21 Gedenkstätten und Erinnerungsorten in Nordrhein-Westfalen einen wichtigen Beitrag zur pädagogischen Vermittlung und der Auseinandersetzung mit heutigen Formen des Antisemitismus.
Schule ist ein zentraler Präventionsort. Demokratiebildung sollte in jeder Schule gelebt werden. Es gilt, die Stärkung vom Verständnis für Demokratie und Rechtsstaat, gesellschaftlichen Zusammenhalt, Toleranz und Respekt im Schulalltag zu verankern. Lehrerinnen und Lehrer gilt es bei ihrer wichtigen Aufgabe der Demokratievermittlung sowie in der Auseinandersetzung mit Rassismus und Antisemitismus zu unterstützen.
Wir sind dankbar, dass sich in Nordrhein-Westfalen wieder ein lebendiges jüdisches Gemeindeleben entfaltet hat. Das Land unterstützt die jüdischen Gemeinden bei ihrer Arbeit. Das Judentum ist genauso wie die hier lebenden Jüdinnen und Juden gehören zu Deutschland und Nordrhein-Westfalen. Antisemitismus ist ein Angriff auf unsere freiheitlich demokratisch Grundordnung und unsere offene Gesellschaft, der alle angeht und entschlossen und entschieden bekämpft werden muss. Zivilgesellschaft, Bund, Länder und Kommunen stehen hier gemeinsam in der Verantwortung.
Neben dem Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung wurden bisher in RheinlandPfalz, Bayern und in Baden-Württemberg Beauftragte eingesetzt. Wir sprechen uns dafür aus, auch für Nordrhein-Westfalen einen Antisemitismusbeauftragten zu berufen.

II.       Beschlussfassung

Der Landtag beauftragt die Landesregierung, zeitnah einen Antisemitismusbeauftragten für Nordrhein-Westfalen zu berufen. Er soll unter anderem präventive Maßnahmen der Antisemitismusbekämpfung koordinieren und Ansprechpartner für Opfer von antisemitischen Taten sein. Er legt dem Landtag jährlich einen Bericht über seine Arbeit vor und empfiehlt in diesem Maßnahmen zur Bekämpfung des Antisemitismus in unserem Land.