Nordrhein-Westfälische Schweinehaltung neu gestalten – Bäuerinnen und Bauern auf ihrem Weg zu einer artgerechten Tierhaltung unterstützen!

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

I. Umbau der landwirtschaftlichen Tierhaltung

Unter den Bedingungen der heutigen Intensivtierhaltung leiden in erster Linie die Tiere, aber auch unser Ökosystem wird stark belastet. Diese Zustände in der heutigen Tierhaltung werden in der Gesellschaft mehrheitlich abgelehnt, daher gilt es, die Tierhaltung neu zu gestalten und den Umbau hin zu einer artgerechten und zukunftsfähigen Haltung einzuleiten.
Aber auch für die Landwirtschaft ist die immer weitere Intensivierung der Tierhaltung keine Erfolgsstory. Die Anzahl der Schweinehalter ist laut Statistischem Bundesamt allein zwischen 2013 und 2016 – also in nur drei Jahren – deutschlandweit um 18 Prozent gesunken. Während die großen Massenställe weiter wachsen, stehen insbesondere die kleinen und mittleren Betriebe immer häufiger vor der Aufgabe ihrer Betriebe. Denn sie sind am Markt insbesondere durch gestaffelte Bonuszahlungen beim Tierverkauf und beim Zukauf von Futter durch Mengenrabatte benachteiligt. Allerdings braucht es diese Betriebe für den Aufbau einer artgerechten Tierhaltung. Daher gilt es diese Betriebe beim Umbau zu einer artgerechten Tierhaltung besonders zu unterstützen, damit sie konkurrenzfähig bleiben und den Anschluss nicht verlieren.
Die Frage der Tierhaltung ist mittlerweile ein wichtiges Qualitätskriterium tierischer Produkte und wird für die Kaufentscheidung der Verbraucherinnen und Verbraucher immer entscheidender. Sie legen verstärkt Wert darauf, dass Tieren mehr Platz geboten wird, diese sich beschäftigen können sowie möglichst nach draußen kommen und dass Praktiken, wie das Enthornen bei Rindern oder das Schwänzekupieren bei Schweinen, zukünftig unterbleiben.
Die Sauenhaltung und die Schweinemast haben in Nordrhein-Westfalen eine lange Tradition und gelangen in dieser Diskussion immer wieder verstärkt in den Fokus. Dabei ist der gesellschaftliche Rückhalt für diesen landwirtschaftlichen Betriebszweig eindeutig rückläufig. Weitreichende Veränderungen der Schweinehaltung sind deshalb zwingend erforderlich, wenn die Akzeptanz für die landwirtschaftliche Tierhaltung wieder hergestellt und das Ansehen der gesamten Landwirtschaft erhalten werden soll.
Neben dem gesellschaftlichen Wunsch nach einer artgerechteren Haltung unserer Nutztiere, erfordern aber auch die rechtlichen Rahmenbedingungen Veränderungen der Haltungsbedingungen. So sind zootechnische Eingriffe als routinemäßige Praxis seit Jahren seitens der Europäischen Union durch die Richtlinie 2008/120/EG verboten und auch das deutsche Tierschutzgesetz erlaubt solche Eingriffe grundsätzlich nur ausnahmsweise in Einzelfällen. Leider sind diese Ausnahmen zur gängigen Praxis geworden.
Der Umbau der landwirtschaftlichen Tierhaltung hin zu einer am Tierwohl orientierten artgerechten Haltung, ist in Deutschland notwendig, gesellschaftlich beschlossen und von Expertinnen und Experten empfohlen. Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik beim BMEL hat in seinem vielbeachteten Gutachten "Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung" vom März 2015 die Herausforderungen bei diesem Umbau sowie mögliche Lösungswege beschrieben. Die hier aufgeführten Leitlinien für eine zukunftsfähige und gesellschaftlich akzeptierte Tierhaltung zeigen auf, dass ein Umbau der Tierhaltung möglich ist und wie er gestaltet werden kann.
Die von der Branche initiierte Initiative „Tierwohl“ hat die grundsätzliche Bereitschaft zur Weiterentwicklung der Tierhalterinnen und Tierhalter aufgezeigt, der notwendige systematische Umbau der Schweinehaltung lässt sich allerdings auf diesem Weg alleine nicht erreichen. Gleiches gilt für das freiwillige, staatliche Tierwohl-Label, das zu Beginn dieses Jahres vorgestellt wurde. Davon sind keine entscheidenden Impulse für eine Trendwende zu einer zukunftsfähigen Tierhaltung zu erwarten.
Ein konsequenter Umbau der Nutztierhaltung benötigt ausreichend Zeit, eine gute Vorbereitung und Planung und vor allem eine ausreichende finanzielle Unterstützung. Nur dann ist es möglich, eine artgerechte Tierhaltung in Nordrhein-Westfalen und Deutschland auf den Weg zu bringen.

II. Umweltfreundliche Tierhaltung und Verbraucherschutz stärken

Die Auswirkungen der industriellen Intensivtierhaltung stellen eine enorme Belastung für unsere Umwelt und die menschliche Gesundheit dar. Insbesondere gilt es, den hohen Einsatz von Medikamenten in der Tierzucht sowie regional zu hohe Nitratwerte im Grundwasser deutlich zu reduzieren.
Zudem leiden Tiere, wenn sie ihre artspezifischen Verhaltensweisen nicht ausleben können. Verhaltensstörungen sind ein immer wieder auftretendes Problem der industriellen Schweinehaltung. Sie werden vorrangig durch mangelhafte Beschäftigung, z.B. durch fehlendes Beschäftigungsmaterial (Heu/Stroh), zu warme Temperaturen und Mangel an Frischluft- und Abkühlungsmöglichkeiten, zu hohe Belegdichte, nicht artgerechte Fütterung, Atemwegserkrankungen und direkter Stress, z.B. durch Umgruppierung, hervorgerufen. Unterschiedlich strukturierte Stallungen, mehr Platz, Auslauf, Frischluft und Beschäftigung sind ein entscheidender Schritt, die Haltungsbedingungen so zu verbessern, dass aggressives Verhalten reduziert und unter anderem das Kupieren der Schweineschwänze überflüssig wird. Denn nicht die Tiere müssen dem Stall angepasst werden, sondern die Haltungsform muss den Bedürfnissen der Tiere entsprechen.
Mit Blick auf die derzeit nicht gelöste Problematik des Kastenstandes gilt es, auch in der Sauenhaltung den Bedürfnissen der Sauen nach deutlich mehr Bewegungsfreiheit nachzukommen. Das sogenannte „Dänische Modell“, wonach eine Sau mindestens 80 Prozent ihrer Lebenszeit vollkommen frei bewegen können muss – also weder im Kastenstand noch im Abferkelstand steht – sollte auch in Deutschland als Leitbild dienen. Darüber hinaus müssen weitere Forschungsmaßnahmen helfen, die landwirtschaftliche Tierhaltung insgesamt weiter zu verbessern und den Bedürfnissen der Tiere gerecht zu werden.
Um den Weg in eine zukunftsfähige Tierhaltung zu schaffen, brauchen insbesondere die kleineren Betriebe eine wirkungsvolle Unterstützung. Tierschutz, soziale Standards und umweltverträgliche Produktion müssen auf den Märkten belohnt werden. Die Stärkung dieser Betriebe erleichtert es auch, dem Wunsch der Verbraucherinnen und Verbraucher nach regionalen Lebensmitteln aus einer bäuerlichen Landwirtschaft zu entsprechen. Um die Tierhaltung auch am Produkt deutlich erkennbar zu machen, brauchen wir deshalb eine verpflichtende Kennzeichnung der Haltungsform.

III. Der Landtag stellt fest:

Die Intensivtierhaltung und die gesellschaftliche Erwartungen an eine artgerechte Tierhaltung stehen derzeit nicht im notwendigen Einklang miteinander.
Die zukünftige Tierhaltung muss sich zukünftig an den Bedürfnissen der Tiere ausrichten anstatt die Tiere u.a. durch zootechnische Eingriffe (Enthornen, Kupieren) an die Haltungssysteme anzupassen.
Um langfristig die Akzeptanz der landwirtschaftlichen Tierhaltung und das Ansehen der Landwirtschaft insgesamt zu verbessern, sind daher tiefgreifende Veränderungen notwendig.
Um weitere Strukturbrüche in der Landwirtschaft zu vermeiden, sind insbesondere kleine und mittlere Landwirtschaftsbetriebe bei der Umstellung hin zu einer artgerechten Tierhaltung zu unterstützen.

IV. Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

sich auf Bundesebene für die Entwicklung einer ambitionierte nationale Nutztierstrategie einzusetzen;
sich dafür einzusetzen, dass die Mittel der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union (GAP) entsprechend dem Vorschlag des WBA-Gutachtens für den Umbau der landwirtschaftlichen Tierhaltung genutzt werden;
ein Umbauprogramm im Rahmen des Agrarförderprogramms für eine tiergerechte Schweinehaltung, insbesondere für kleinere Betriebe, aufzustellen;
sich für europaweit einheitliche Haltungsstandards in der Schweinehaltung einzusetzen, um Abwanderungsprozessen ins Ausland vorzubeugen;
gemeinsam mit der Bundesebene und den anderen Bundesländern, die Umsetzung des „Magdeburger Urteils“ zur Haltung von Sauen im Kastenstand zum Wohl der Sauen einheitlich und zügig zu gestalten, um Planungssicherheit für die Bäuerinnen und Bauern zu gewährleisten;
sich auf Bundesebene für eine klare und verpflichtende Kennzeichnung der Haltungsbedingungen von tierischen Produkten analog der bewährten Eierkennzeichnung einzusetzen;
konsequente Maßnahmen zur weiteren Reduzierung des Medikamenteneinsatzes in der Tierzucht zu erlassen;
die Ausstattung der Kreisveterinärbehörden für eine bessere Beratung und ausreichende Kontrolle der landwirtschaftlichen Tierhaltungen in Nordrhein-Westfalen sicher zu stellen;
sich für eine Erleichterung der Baugenehmigungen für Mobilställe, Außenklimaställe und Ausläufe einzusetzen.