Nichtstun ist keine Option: Landesregierung muss aus ihrem Winterschlaf erwachen und endlich ein Altschulden-Konzept vorlegen

Antrag der GRÜNEN im Landtag

Mehrdad Mostofizadeh

I.       Ausgangslage
Seit Jahren wird in Nordrhein-Westfalen diskutiert, was nach dem Auslaufen des Stärkungspakt Stadtfinanzen, der 2011 von der damaligen rot-grünen Landesregierung auf den Weg gebracht wurde, folgen soll, um die Kommunen bei der Bewältigung ihrer immer noch viel zu hohen Schuldenlast zu unterstützen. Denn trotz der enormen finanziellen Mittel aus dem Stärkungspakt, den das Land trotz damals deutlich schlechterer finanzieller Rahmenbedingungen als heute zur Verfügung stellte, kommt der Schuldenabbau speziell mit Blick auf die Kassenkredite nur langsam voran: die kurzfristigen Liquiditätskredite der nordrhein-westfälischen Kommunen belaufen sich noch immer auf 22,6 Milliarden Euro (Stand: 2018).
Obgleich das Jahr 2019 unter dem Eindruck einer intensiven Debatte über die Lösung der Altschuldenproblematik und vieler Ankündigungen und Zusagen stand, ist es für die Kommunen ein verschenktes Jahr gewesen. So berichtete die Rheinische Post Ende 2018, die zuständige NRW-Kommunalministerin habe eine „kommunale Kredithilfe“ des Landes angekündigt, „ohne dass es zu einer Vergemeinschaftung kommunaler Schulden kommt“ (https://rp-online.de/nrw/landespolitik/spd-gruene-und-fdp-fordern-einen-kommunalen- altschuldenfonds_aid-34677205). Weiter wurde berichtet: „In ihrem Ministerium heißt es, mit konkreten Vorschlägen sei Anfang 2019 zu rechnen“. Bekanntermaßen haben diese Pläne nie das Licht der Öffentlichkeit erblickt. Stattdessen wird in regelmäßigen Abständen immer wieder erklärt, man habe die Wichtigkeit und Dringlichkeit des Themas zwar erkannt – Ministerpräsident Laschet bezeichnete die Altschulden im September gegenüber der Süddeutschen Zeitung sogar als größtes Problem der hochverschuldeten Kommunen in NRW (Süddeutsche Zeitung: „Armin Laschet im Interview: „‘Eine Sanierung West ist längst überfällig’“, 13.09.2019, https://www.sueddeutsche.de/politik/laschet-interview-1.4598376.) – in der Sache tut sich aber nichts.
Dabei ist es mittlerweile unstrittig, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen hohen Soziallasten, deren Ursache in politischen Beschlüssen des Landes und des Bundes liegen, und extrem hoher Kommunalverschuldung gibt. Die langjährige und unproduktive Schulddebatte, wonach arme Kommunen doch aufgrund verschwenderischen Handelns selbst an ihrer Lage schuld seien, ist mittlerweile auch außerhalb NRWs nicht mehr mehrheitsfähig. Die Gefahr eines weiteren Auseinanderdriftens der Lebensverhältnisse, wenn die Verschuldung und ihre Ursachen nicht bekämpft werden, wurde jüngst noch einmal von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young beschrieben, die im Oktober vergangenen Jahres ihre Kommunenstudie 2019 veröffentlichte:
„Junge, gut ausgebildete Bürger wandern ab, zurück bleiben häufig ältere und weniger gut ausgebildete Personen, die auf staatliche Transferleistungen angewiesen sind. Steigende Sozialausgaben bei sinkenden Einnahmen sind die Folge. Und wenn dann Steuern erhöht und kommunale Leistungen abgebaut werden, sinkt die Attraktivität weiter – diese Städte fallen gegenüber finanzstarken Kommunen weiter zurück. Es gilt, diesen Teufelskreis endlich zu durchbrechen und auch finanzschwachen Städten eine Perspektive und Handlungsoptionen zu geben“. (https://www.ey.com/de_de/news/2019/10/sieben-von-zehn-deutschen-kommunen-wollen-steuern- und-gebuehren-erhoehen)
Das Schwarze Peter-Spiel zwischen Bund und Ländern verhindert aktuell eine Lösung und sorgt somit dafür, dass die Kommunen mit ihren Problemen allein gelassen werden. Der Bund signalisiert seine grundsätzliche Bereitschaft unter der Voraussetzung eines nationalen Konsenses. Und Nordrhein-Westfalen als das Bundesland, dessen Kommunen am meisten von einer solchen Regelung profitieren würden, zögert und verweist seinerseits auf den Bund, obwohl mittlerweile eine Reihe an unterschiedlichen Modellen für einen landesseitigen Altschuldenfonds vorliegen, die eine konkrete Ausgestaltung eines solchen Entschuldungs- Programms in einem überschaubaren Zeitraum realistisch aufzeigen. Die schwarz-gelbe Landesregierung hat also keine Gründe mehr für ihre Tatenlosigkeit.
Die Landesregierung wird daher aufgefordert sofort zu handeln und einen Altschuldenfonds als Sondervermögen des Landes einzurichten und mit entsprechenden Landesmitteln auszustatten, mit dem eine Tilgung der Kassenkredite in einem Zeitraum von 30 Jahren möglich wird.
Ein weiteres Hinauszögern einer Lösung wäre ein fatales Signal an die Kommunen, an Investoren und auch an die Bürgerinnen und Bürger. Der daraus resultierende Vertrauensverlust bei weiterer Tatenlosigkeit könnte langfristig schlimmere Folgen haben als die befürchtete Zinswende.

II.      Der Landtag stellt fest:

Nie zuvor war die Gelegenheit zur Lösung der Altschuldenproblematik so gut wie aktuell: historisch niedrige Zinssätze, ein aufgrund der hervorragenden Steuereinnahmen ausgeglichener Landeshaushalt mit Milliarden-Überschüssen, das zeitlich absehbare Freiwerden der Mittel aus dem Stärkungspakt Stadtfinanzen und eine insgesamt erhöhte Sensibilisierung für das Thema auf allen politischen Ebenen. Deshalb braucht es jetzt ein beherztes Handeln der Landesregierung und ein eigenes Konzept, um die Städte und Gemeinden von ihren Schulden zu befreien und ihnen damit endlich wieder ihre Handlungsfreiheit zurückzugeben. Das Vertrauen in das Funktionieren unseres Staates beginnt vor Ort und dort sind auch die Anzeichen am stärksten spürbar, wenn diese Funktionsfähigkeit nicht mehr gegeben ist. Lebendige Kommunen sind die Herzkammer der Demokratie.

III.    Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

–        umgehend ein Altschuldenfonds-Gesetz vorzulegen, mit dem ein Sondervermögen Altschuldenfonds eingerichtet wird, um eine vollständige Befreiung der Kommunen von den sogenannten unechten Kassenkrediten innerhalb der nächsten dreißig Jahre zu ermöglichen.
–        zur Finanzierung dieses Fonds die frei werdenden Mittel aus dem Stärkungspakt Stadtfinanzen in den neu eingerichteten Altschuldenfonds zu überführen.