Neonazi-Zentrum am Kentroper Weg in Hamm (Westf.)

Kleine Anfrage von Verena Schäffer

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

Wie die Antwort auf meine Kleine Anfrage vom 20.02.2019 ergab, verfügt die rechtsextreme Szene in NRW über zehn Immobilien, die dauerhaft für Veranstaltungen genutzt werden können (vgl. Drs. 17/5473). Eine der wichtigsten Immobilien existiert seit 2012 in Hamm (Westfälischer Anzeiger vom 18.11.2012, online: https://www.wa.de/hamm/rechte-hamm-bleibt-aktiv-werrieser- szene-eroeffnet-club-kreisverband-die-rechte-gegruendet-2622499.html). Wenige Monate nach dem Verbot der „Kameradschaft Hamm“ und der damit einhergehenden Schließung ihrer Räumlichkeiten („Nationales Zentrum“) an der Werler Straße wurde durch eine Einzelperson eine ehemalige Gaststätte im Kentroper Weg 18 angemietet. Diese Räumlichkeiten firmieren im Szenejargon unter „Zuchthaus“. Auf T-Shirts und Aufklebern wird das „Zuchthaus“ als „local racist pub“ bezeichnet.
Fungierte zuerst eine Gruppe namens „Fraternitas Germania“ als Betreiberin der Räumlichkeiten, so wies die „Antifa Hamm“ in lokalen Medien bereits im Februar 2013 daraufhin, dass die Neonazis der verbotenen „Kameradschaft Hamm“ das „Zuchthaus“ regelmäßig frequentierten (Westfälischer Anzeiger vom 28.02.2013, online: https://www.wa.de/hamm/nationales-zentrum-kentroper-weg- 2775235.html). Mittlerweile scheinen die Räumlichkeiten fest in der Hand der Mitglieder des Hammer Kreisverbands von „Die Rechte“ zu sein, deren Führungspersonal sich weitgehend aus den Mitgliedern der verbotenen Kameradschaften in NRW rekrutierte. In den vergangenen Jahren fanden dort zahlreiche neonazistische Veranstaltungen statt. So referierte  beispielsweise  im  April  2017  der  bekannte  Neonazi-Anführer Dieter R. im „Zuchthaus“ (Westfälischer Anzeiger vom 21,04.2017, online: https://www.wa.de/hamm/hamm-mitte-ort370531/polizei-stadt- hamm-pruefen-verbot-konzert-vortrag-rechten-treff-8192158.html). Besondere Bedeutung hat die Immobilie aber als Veranstaltungsort für rechtsextreme Musikveranstaltungen gewonnen. Nach Angaben des Rechtsextremismus- Experten Jan Raabe fanden in den Räumlichkeiten im Kentroper Weg seitdem mindestens 25 Konzerte  und  Liederabende statt (Jan Raabe: Raum für Rechtsrock, in: Der Rechte Rand, Ausgabe 179, Juli/August 2019, S. 22.).4 Die rechtsextremen Veranstaltungen in der Immobilie werden seit Jahren von Seiten der Zivilgesellschaft in Hamm problematisiert (Westfälischer Anzeiger vom 12.01.2016, online: https://www.wa.de/hamm/antifaschistische-aktion-geht-gegen- nazi-treff-kentroper-hamm-6027279.html ; Westfälischer Anzeiger vom 7.06.2018, online: https://www.wa.de/hamm/hamm-mitte-ort370531/zuchthaus-fokus-austausch-ueber-rechten-treff-kentroper- hamm-9932263.html). Mehrfach fanden Demonstrationen antifaschistischer Gruppen am Kentroper Weg statt (Westfälischer Anzeiger vom 3.10.2018, online: https://www.wa.de/hamm/protestzug-gegen-rechts-hamm-durch- innenstadt-hammer-osten-einheitstag-2017-8729386.html).
Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz hat die Immobilie in Hamm erstmals im Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2018 erwähnt. Dort heißt es: „Die Hammer Rechtsextremisten nutzen immer wieder eine Immobilie, um dort wiederkehrend Musikveranstaltungen und Vorträge durchzuführen. Nachdem beispielsweise kurzfristig das rechtsextremistische Konzert „Rock gegen Überfremdung“ aufgelöst wurde, organisierte „Die Rechte“ mit den „Skinheads Südwestfalen“ am 25. August 2018 kurzfristig ein Ersatzkonzert für die Rechtsextremisten aus der Region, an dem eine hohe zweistellige Zahl von Personen teilnahm. Außerdem führte man im August 2018 eine Rechtsschulung durch, bei der den Anwesenden erklärt wurde, wie sie sich bei Hausdurchsuchungen und gegenüber den Sicherheitsbehörden zu verhalten haben.“ (Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen, S. 98, online: https://www.verfassungsschutz.de/de/oeffentlichkeitsarbeit/publikationen/verfassungsschutzberichte/publika tionen-landesbehoerden-verfassungsschutzbericht/vsbericht-nw-2018)
Diese Immobilie ist in der Antwort der Landesregierung auf meine oben genannte Kleine Anfrage (Drs. 17/5473, vom 19.03.2019) aufgeführt. Doch in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Deutschen Bundestag vom 18.01.2019 über Immobilien der rechtsextremen Szene in Deutschland wurde das „Zuchthaus“ in Hamm nicht erwähnt (vgl. Drs. 19/518).

Bereits 2017 berichtete der „Westfälische Anzeiger“, dass Polizei, Staatsschutz und kommunales Ordnungsamt das Verbot einer Veranstaltung im „Zuchthaus“ prüfen würden, bei der u.a. der Liedermacher „Freilich Frei“ aus Zwickau auftreten sollte, der ein den NSU verherrlichendes Lied veröffentlicht hatte (Westfälischer Anzeiger vom 20.04.2017, online: https://www.wa.de/hamm/hamm-mitte-ort370531/polizei-stadt- hamm-pruefen-verbot-konzert-vortrag-rechten-treff-8192158.html; Belltower News vom 4.01.2019: https://www.belltower.news/freilichfrei-83307/). Bislang wurde aber keine einzige rechtsextreme Versammlung in der Immobilie in Hamm durch die Behörden unterbunden.
Wenige Tage vor einem öffentlich beworbenen und als „Sommerfest“ bezeichneten Konzert am 17. August 2019 verfasste die Stadtverwaltung Hamm eine Verbotsverfügung, welche die Durchführung der genannten Veranstaltung in den Räumlichkeiten des Kentroper Weg 18 verbot und bei Zuwiderhandeln ein Ordnungsgeld androhte. Für Beobachter überraschend schritten am Veranstaltungstag aber weder die kommunale Ordnungsbehörde noch die anwesende Polizei ein, als die Neonazis ihre Veranstaltung trotz Verbotes durchführten (WDR vom 19.08.2019, online: https://www1.wdr.de/nachrichten/ruhrgebiet/stadt-hamm-ueberwacht-rechten- konzert-100.html). Zahlreiche auswärtige Besucherinnen und Besucher reisten an. Im Nachgang dokumentierte der Kreisverband Hamm von „Die Rechte“ die Veranstaltung und den Auftritt der drei angekündigten Bands auf ihrer Webseite.
Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:
1.       Haben kommunale Behörden der Stadt Hamm anlässlich des Konzertes am 17. August 2019 um Amtshilfe oder anderweitige Unterstützung von Landesbehörden ersucht? (Falls ja, bitte die Reaktion und diese begründen.)
2.       In welcher Weise waren die nordrhein-westfälische Polizei und der Verfassungsschutz bislang mit den rechtsextremen Veranstaltungen in der Immobilie am Kentroper Weg 18 befasst, insbesondere haben Austausch, Abstimmung oder Beratung der kommunalen Behörden stattgefunden? (Bitte aufschlüsseln nach: Datum, Art der Veranstaltung, einbezogene Institutionen, behandelte Themen, Ergebnisse.)
3.       Wie viele Veranstaltungen fanden nach Erkenntnissen der nordrhein-westfälischen Polizei und des Verfassungsschutzes in der von Rechtsextremen genutzten Immobilie Kentroper Weg 18 in Hamm bislang statt? (Bitte aufschlüsseln nach: Datum, Art der Veranstaltung, aufgetretene Bands bzw. Rednerinnen und Redner, Teilnehmerzahl, Veranstalter.)
4.       Welche Erkenntnisse liegen der nordrhein-westfälischen Polizei und dem Verfassungsschutz über rechtsextreme Parteien, Organisationen, Gruppen und Netzwerke vor, die die Immobilie am Kentroper Weg 18 in Hamm nutzen?
5.       Aus welchen Gründen hat der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz bis zum Jahr 2019 in keiner seiner Veröffentlichungen und öffentlichen Verlautbarungen auf die von Rechtsextremen genutzte Immobilie in Hamm hingewiesen, um so seiner Aufgabe, der umfassenden Information von Behörden und Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Bestrebungen, nachzukommen?