I. Ausgangslage
Stickstoff und Phosphat spielen im Bereich der biochemischen Kreisläufe eine zentrale Rolle. Auf der einen Seite dienen sie dem Wachstum von Tieren und Pflanzen. Auf der anderen Seite schädigen zu hohe stoffliche Emissionen unsere Umwelt und Ökosysteme. So können reaktive Stickstoffverbindungen in Form von Nitrat, Ammoniak oder Lachgas eine Belastung für das Klima, die Luft und Gewässer darstellen.
Zwar liegt die Zeit der mit Schaumkronen besetzten Bäche schon Jahrzehnte zurück, verursachen Industrieschlote und illegale Einleitungen keinen Smog und kein Fischsterben mehr, sind mithin die schlimmsten Exzesse der Einträge in die aquatischen Ökosysteme vorbei. Gleichwohl gab es auch in den 1980er Jahren nicht nur hohe N-Frachten über die Luft, die zur Degradierung gerade der nährstoffarmen, artenreichen Biotope wie auch über den „sauren Regen“ beitrugen, sondern auch noch andere sehr bedeutsame Eintragspfade in die Bäche und Flüsse und über sie in die Ost- und Nordsee. Ort für Ort wurde an zentrale Kläranlagen angeschlossen, deren Leistungsfähigkeit gesteigert, ein Prozess, der bis heute anhält.
Ein zentraler Emittent ist unter anderem die Landwirtschaft. Bei dieser erreichte die über die Gemeinsame Agrarpolitik und ihre Marktordnungen mittels Garantie- und Richtpreise seit den 1950er Jahren getriebenen Steigerung der Produktion einen Höhepunkt. Die Kehrseite der Medaille zeigte sich spätestens in den 1980erJahren. Zu oft wurde die Gülle wegen ihrer geringen Transportwürdigkeit auf den hofnahen Flächen zum Teil eher entsorgt denn als Dünger wertgeschätzt und im Sinne einer betrieblichen Düngeplanung effizient eingesetzt. Als Folge daraus, zeigte sich in vielen Regionen eine Überschreitung der für den menschlichen Gebrauch zuträglichen Nitratgehalte im Trinkwasser. Infolgedessen wurden vermehrt Tiefbrunnen gebohrt und bis heute werden mancherorts die Rohwässer verschiedener Herkünfte und Nitratgehalte verschnitten.
Auch wenn zwischenzeitlich die Einträge deutlich reduziert wurden, über die Verlagerung des Nitrats im Boden und über die unterschiedlichen Zeithorizonte der einzelnen Böden in der Reaktion auf niedrigere Düngung wirken die damaligen Praktiken bei allen Bemühungen der Landwirtschaft in Gewässerkooperationen mit der Wasserwirtschaft bis heute nach.
Aufgrund dieser Problematik wurde 1991 die Nitratrichtline durch die EU verabschiedet mit dem Ziel, die bei der landwirtschaftlichen Tätigkeit über die Verlagerung von Nitrat verursachte Gewässerverunreinigung zu verringern und weiterer Verunreinigung vorzubeugen. Eine konsequente und flächendeckende Umsetzung dieser Richtlinie wurde von der Bundesrepublik Deutschland über viele Jahre nicht verfolgt. Daher leitete der Europäische Gerichtshof im Jahr 2018 ein Vertragsverletzungsverfahren ein und die Bundesregierung wurde aufgefordert die bestehende Düngegesetzgebung nach zu schärfen. Im ersten Schritt wurde hierzu die Düngeverordnung (DüV) mitsamt der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Ausweisung von mit Nitrat belasteten und eutrophierten Gebieten (AVV GeA) angepasst. In einem nächsten Schritt soll die Novellierung des Düngegesetzes mit Blick auf eine Stärkung des Verursacherprinzips erfolgen. Unter der Prämisse, dass diese verschärften Regelungen absehbar zur Zielerreichung beitragen, wurde das Vertragsverletzungsverfahren am 1. Juni 2023 eingestellt.
Durch die Anpassung der DüV sowie der AVV GeA musste Ende 2022 eine Neuausweisung der von mit Nitrat belasteten („rote Gebiete“) und eutrophierten Gebieten („gelbe Gebiete“) erfolgen. In einem großen Teil Deutschlands wurde bis zum 30. November 2022 aufgrund einer in Nordrhein-Westfalen entwickelten Methodik Nitrateinträge in Grundwasserkörper ermittelt. Diese sogenannte Binnendifferenzierung ließ entlang von Modellrechnungen Schlussfolgerungen auf regionale Nährstoffaustragspotenziale und somit eine stärkere Differenzierung zu.
Dieses „emissionsbasierte Modellierung“ wurde jedoch von der EU-Kommission bemängelt und konnte infolgedessen nicht mehr als Instrument zur Anwendung kommen. Maßgeblich sind aktuell nur noch Nitratmesswerte in Grundwasserkörpern.
Damit zählt nunmehr ein Drittel der landwirtschaftlichen Fläche in Nordrhein-Westfalen zu den nitratbelasteten Gebieten. Für Nordrhein-Westfalen hat die neue Ausweisungsmethodik zur Folge, dass die Fläche der nitratbelasteten Gebiete von etwa 165.000 Hektar auf rund 507.000 Hektar angestiegen ist. Auf Grund dessen sind heute mehr Landwirtinnen und Landwirte in Nordrhein-Westfalen verpflichtet, ihre Düngepraxis anzupassen.
Dazu haben Betriebe, die in Roten Gebieten liegen, aber nachweislich gewässerschonend wirtschaften, keine Möglichkeit, sich von den Auflagen befreien zu lassen.
Die Europäische Kommission hat sich jedoch dazu geäußert, dass durch ein gezieltes Wir-kungsmonitoring zukünftig Maßnahmen zur Erleichterung für Betriebe in nitratbelasteten Gebieten abgleitet werden können.
Die Nitratbelastung des Grundwassers ist in der Gesamtheit der Messstellen in Nordrhein-Westfalen in den vergangenen Jahren zurückgegangen.
Aber es gibt nach wie vor Messstellen, bei denen die Nitratgrenzwerte an den Messstellen überschritten werden. Die Gründe hierfür können vielfältig sein und liegen nicht immer zwingend in der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung.
In einem nächsten Schritt soll die Novellierung des Düngegesetzes mit Blick auf eine Stärkung der individuellen Verantwortung im Sinne des Verursacherprinzips erfolgen. Die Binnendifferenzierung soll bis spätestens Ende 2028 durch ein bundeseinheitliches geostatisches Regio-nalisierungsverfahren abgelöst werden.
Die Zukunftskoalition von CDU und GRÜNEN verfolgt das Ziel, die Bundes- und Landesdün-geverordnung verursacherbezogen anzuwenden, ohne hierbei die Strategie einer nachhaltigen Reduzierung der Nitrateinträge zu konterkarieren. Zur praxistauglichen und standortgerechten Umsetzung sollten die Stickstoffüberschüsse verursachergerecht betrachtet und reduziert werden. Als Maßnahmen wollen wir u.a. eine Modellregion oder ein Modellprojekt initiieren und das Messstellennetz sukzessive weiter ausbauen.
In diesem Modellansatz soll durch eine zentrale Dokumentation des Düngemitteleinsatzes in Roten Gebieten aufgezeigt werden, welche Düngemengen die einzelnen Kulturen benötigen werden, wieviel Stickstoff (N) gedüngt werden, wieviel davon die pflanzlichen Kulturen aufgenommen haben und wieviel Stickstoff nicht aufgenommen im Boden verbleibt.
Bereits heute sind alle landwirtschaftlichen Betriebe verpflichtet, eine Düngebedarfsermittlung für jede Anbaufläche vorzunehmen. Dabei basiert die Berechnung auf der tatsächlichen Leistungsfähigkeit der jeweiligen Fläche. Zusätzlich soll eine zentrale Aufzeichnung über die verwendeten Düngermengen und die erzielten Erträge erfolgen. Dadurch sollen landwirtschaftliche Betriebe in der Lage versetzt werden, den Bedarf an Dünger für die jeweiligen Kulturen zu bestimmen. Wenn nachgewiesen werden kann, dass bei einer korrekten Durchführung eine zu hohe Nitratbelastung nicht von der Düngung des Landwirtes ausgeht, dann sollen diese Betriebe von den Restriktionen aus der DüV ausgenommen werden können.
In diesem Zusammenhang ist die Entwicklung eines Elektronischen Nährstoffmeldeprogramm für Nordrhein-Westfalen (EN-NRW) analog zur Lösung des Landes Niedersachsen zu entwickeln, um die Erfassung von Düngebedarfen (Düngebedarfsermittlung) und tatsächlich gedüngte Nährstoffmeldungen in einer zentralen Datenbank zu erfassen.
Diese Daten sollen als Grundlage für eine verursachergerechte Betrachtungsweise dienen und werden dann als Basis für eine am Verursacherprinzip orientierte Ausgestaltung der Düngeverordnung verwendet werden. Es ist von großer Bedeutung den Bedarf, die Düngung und den Entzug an Stickstoffen für jede landwirtschaftliche Einheit zu ermitteln und zu dokumentieren.
Zu diesem Zweck wird angestrebt, den Düngebedarf möglichst digital und über gut zugängliche Schnittstellen zu erfassen, um den Mehraufwand für die Betriebe so gering wie möglich zu halten.
Um diese Option erhalten zu können, muss sich das Land Nordrhein-Westfalen auf Bundes-und EU-Ebene dafür einsetzen, dass die anstehende Novellierung der Düngegesetzgebung ambitioniert vorangetrieben wird, um eine verursachergerechte Betrachtungsweise flächendeckend zu ermöglichen. Damit möchte die schwarz-grüne Koalition die landwirtschaftlichen Betriebe an entscheidender Stelle entlasten und eine zukunftsgewandte Perspektive aufzeigen.
II. Beschlussfassung
Der Landtag beauftragt die Landesregierung,
- das Messstellennetz so zu erweitern, dass mittelfristig wieder eine Binnendifferenzierung in Nordrhein-Westfalen zur Anwendung kommen kann. Dazu ist der Ausbau des Ausweisungsmessnetzes entlang der Vorgaben der AVV voranzutreiben, so dass schnellstmöglich mindestens eine Messstelle je 50 km2 und bei der entsprechenden Heterogenität von Böden bzw. hydrologischen Verhältnissen, bis hinunter auf je 20 km2 zur Verfügung steht. Es ist sicherzustellen, dass an den Messstellen der Einfluss anderer Eintragsquellen als der der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung auf die Wasserqualität ausgeschlossen ist.
- sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass Stickstoffvorbelastungen und die Bodenqualität sowie Bodenstruktur bei den Vorgaben der Düngeverordnung eine stärkere Berücksichtigung finden.
- sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, das Bundesdüngegesetz im Sinne einer einzelbetrieblichen Betrachtungsweise weiterzuentwickeln und um eine Möglichkeit der Beurteilung nach dem Verursacherprinzip in Roten Grundwassergebieten bundesweit zur Anwendung kommen zu lassen.
- ein Modellprojekt in Nordrhein-Westfalen zu schaffen, in der die Wirkung der Stickstoffdüngung auf die Grundwasserqualität auf der Basis einzelbetrieblicher Daten an einem Ensemble von Messstellen betrachtet und verursachergerecht ausgewertet wird. Hiermit soll eine künftige verursacherbezogene Ausnahme aus der pauschalen Düngereduzierung in den Roten Grundwasserkörpern fachlich basiert vorbereitet werden. Dabei ist auf eine bürokratiearme Ausgestaltung zu achten.
- das Modellprojekt in enger fachlicher Begleitung durch die Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, dem LANUV, dem Forschungszentrum Jülich sowie den Geologischen Dienst anzugehen, um den GROWA-Ansatz nach den daraus resultierenden Erkenntnissen einfließen zu lassen.
- ein praxisnahes und digitales Nährstoffdokumentations- und Meldungsprogramm für Nordrhein-Westfalen (EN-NRW) einzuführen, über das landwirtliche Betriebe belastbare und überprüfbare Kriterien zu ihrem Nährstoffmanagement – angelehnt an das ENNI-Programm aus Niedersachsen – in eine zentrale Meldedatenbank melden zu können. Diese Daten als Basis für eine am Verursacherprinzip orientierten Ausgestaltung von düngerechtlichen Regelungen aus der Landesdüngeverordnung verwendet werden können.
- eine bürokratiearme Datenerfassung in das EN-NRW zu schaffen, damit diese Daten für die Meldung nicht doppelt erfasst werden müssen; hierbei soll die Möglichkeit implementiert werden, erforderliche Daten auch mittels Ackerschlagkartei-Programmen direkt in die Meldedatenbank zu übertragen.