Nach dem Konjunkturprogramm des Bundes ist jetzt NRW am Zug: Kommunalen Neustart durch Altschuldenfonds ermöglichen

Antrag der GRÜNEN im Landtag

Mehrdad Mostofizadeh

I.       Ausgangslage
Das Jahr 2019 und der Beginn des Jahres 2020 standen kommunalpolitisch unter dem Eindruck einer intensiven Debatte über die Lösung der Altschuldenproblematik. Trotz vieler Ankündigungen und bereits vorliegender Konzepte gab es aber leider keinen Durchbruch, sondern stattdessen ein Schwarzes Peter-Spiel zwischen Bund und Ländern, bei dem die Kommunen mit ihren Problemen allein gelassen wurden. Auch die NRW-Landesregierung beteiligte sich an dieser Debatte, anstatt selber tätig zu werden und eigene Konzepte zu entwickeln.
Durch die Corona-Krise hat sich die Problematik nun noch einmal zusätzlich verschärft. Neben die bereits bestehenden finanziellen Schwierigkeiten treten nun auch massive Steuereinnahmeausfälle und Mehrausgaben, um die Infektionsgefahr vor Ort wirksam zu bekämpfen. Gerade während der Pandemie wird klar, wie wichtig handlungsfähige Kommunen sind. Mit der bloßen Genehmigung zur zusätzlichen Schuldenaufnahme und einer längeren Tilgungsdauer von 50 Jahren, wie von der NRW-Landesregierung beschlossen, wird man den Städten und Gemeinden nicht helfen können.
Der Koalitionsausschuss der Großen Koalition im Bund hat nun am 03.06.2020 ein umfangreiches Konjunkturpaket vorgelegt, mit dem die deutschen Kommunen eine einmalige Kompensation für die Gewerbesteuerausfälle in Höhe von 11,8 Milliarden Euro erhalten, die hälftig von Bund und den Ländern getragen werden soll, und eine dauerhafte Erhöhung des Bundesanteils an den Kosten der Unterkunft von derzeit bis zu 50 auf bis zu 75%, was eine Entlastung in Höhe von vier Milliarden Euro jährlich für die Kommunen bedeutet. Der Bund wird also einerseits einen deutlichen Beitrag zur kommunalen Krisenbewältigung und zur Haushaltsentlastung leisten, auch wenn sich die Corona-bedingte Belastung der Kommunen in NRW in den nächsten Jahren – unter Berücksichtigung der angekündigten Hilfen – in einer Größenordnung von fünf Milliarden Euro bewegen wird.
Mit den Beschlüssen auf Bundesebene ist aber auch eine Beteiligung des Bundes an einer Lösung der Altschuldenproblematik in weite Ferne gerückt. Gerade vor diesem Hintergrund ist es unverzichtbar, dass Nordrhein-Westfalen sich jetzt auf den Weg macht und ein eigenes Entschuldungs-Programm auf den Tisch legt. Denn trotz der enormen finanziellen Mittel aus dem Stärkungspakt kommt der Schuldenabbau speziell mit Blick auf die Kassenkredite nur langsam voran: die Liquiditätskredite der nordrhein-westfälischen Kommunen belaufen sich noch immer auf 23,3 Milliarden Euro (Stand 31.12.2019) und machen damit rund die Hälfte der gesamten Kassenkredite der deutschen Kommunen aus.
Das Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte“, in dem sich mittlerweile bundesweit 70 Städte und Gemeinden zusammengetan haben, um sich gemeinsam für die Interessen hoch- verschuldeter Kommunen einzusetzen, hat in der vergangenen Woche ebenfalls eindeutig die Erwartung formuliert, dass die Landesregierung nun für die NRW Kommunen eine entsprechende Entschuldungs-Perspektive entwickeln müsse. Der Sprecher des Aktionsbündnisses, Wuppertals Stadtkämmerer Dr. Johannes Slawig erklärte gegenüber der Westdeutschen Zeitung (Westdeutsche Zeitung, 10. Juni 2020: Interview „Da muss noch was kommen“, Der Wuppertaler Stadtkämmerer Johannes Slawig über das Konjunkturpaket und die Altschulden der Kommunen. S.3.)
„Für den Bund ist das Thema jetzt erledigt, ich habe auch nicht die Hoffnung, dass es auf Bundesebene wieder auf die Agenda zu bringen ist. […] Jetzt müssen die Länder, und das heißt konkret Nordrhein-Westfalen eine Regelung schaffen. Andere Länder haben das schon, Hessen, Saarland, in kleinerem Rahmen auch Niedersachsen, Rheinland-Pfalz noch nicht und NRW auch noch nicht.“
Bereits Ende 2018 hat die grüne Landtagsfraktion ein vom ehemaligen Kämmerer der Stadt Bochum erarbeitetes Konzept für einen Altschuldenfonds (https://gruene-fraktion-nrw.de.178-20-102-49.modulbuero.kundencloudserver.de/fileadmin/user_upload/ltf/Bilder/Fraktion/Veranstaltungen/Gutachten_Entschuldungsfonds-Manfred_Busch_181123.pdf) vorgelegt und in den Landtag NRW eingebracht. Das dort erarbeitete Modell verfolgt das Ziel, verschuldeten Kommunen einen Neustart zu ermöglichen, in dem sie von sogenannten unechten Liquiditätskrediten befreit werden. Dabei werden die Kassenkredite aus der Betrachtung herausgenommen, die dem eigentlichen Zweck solcher Kredite dienen: dem Ausgleich unterjähriger Zahlungsspitzen, also kurzfristiger Liquiditätsschwierigkeiten, dem Dispo-Kredit im Privatbereich vergleichbar. Übrig bleiben strukturelle, „unechte“ Kassenkredite, die eben nicht kurzfristige Liquiditätsschwankungen ausgleichen sollen, sondern zum Ausgleich dauerhafter, struktureller Defizite benötigt werden. Die Gesamtsumme der Kassenkredite liegt in Nordrhein-Westfalen (Stand 31.12.2019) bei 23,3 Milliarden Euro, bezüglich der nicht-regelkonformen Kredite beträgt das geschätzte Entschuldungs-Volumina 21,7 Milliarden Euro. Das Ziel ist, die Kommunen vollständig von diesen unechten Liquiditätskrediten zu befreien, in dem diese in einen Entschuldungs-Fonds eingebracht werden, der – stellvertretend für die betroffenen Kommunen – den Schuldendienst bis zur vollständigen Tilgung übernimmt. An der Tilgung sollen sich Land und Kommunen gemeinsam beteiligen.
Unterstellt man eine Laufzeit von 30 Jahren bei 0,65 Prozent Zinssatz läge der benötigte Jahresbetrag insgesamt bei rund 800 Millionen Euro. Für den Landesanteil wird vorgeschlagen, dass die Mittel, die seit 2011 für die Stärkungspakt-Finanzierung im Landeshaushalt aufgebracht werden (440 Millionen Euro) nach Auslaufen des Stärkungspaktes fortgesetzt und dem Entschuldungs-Fonds zugeführt werden. Für den Kommunal-Anteil werden die Zinserspar- nisse der entlasteten Städte i. H. v. 250 Millionen Euro abgeschöpft. Die Finanzierung der verbleibenden gut 100 Millionen Euro jährlich wird zwischen Land und Kommunen aufgeteilt.
Dadurch ergibt sich zwar zunächst für die betroffenen Städte keine unmittelbare Entlastung, mittelfristig führt aber alleine die Absicherung des Zinssatzes über den Fonds bei einer perspektivisch zu erwartenden Zinswende sowohl zu einer Entlastung der kommunalen Haushalte als auch zu einer deutlich verbesserten finanziellen Planungssicherheit.
Mit diesem Modell gelingt es über den bisherigen Aufwand des Landes für den Stärkungspakt, angereichert durch die ersparten Zinsaufwendungen der Kommunen, die Kommunen von ih- ren Altschulden zu befreien. Statt die Schulden zu verwalten, werden sie getilgt, ohne dass andere Kommunen belastet werden.
Darüber hinaus muss eine angemessene Aufteilung der Corona-bedingten Mehrkosten und Einnahmeausfälle ab dem Jahr 2025 zwischen Land und Kommunen geregelt werden. Die hierbei nach Abzug des Konjunkturpakts der Bundesregierung verbleibenden „Corona-Schulden“ (zum Beispiel aus Gewerbesteuerverlusten oder zeitversetzte Verluste im Kommunalfinanzausgleich in 2021 und 2022), die in den Kommunalhaushalten „isoliert“ erfasst werden sollen, betragen voraussichtlich gut 4 Milliarden Euro und sollen nach Beschluss der NRW-Landesregierung ab 2025 festverzinslich über 50 Jahre kreditfinanziert werden. Damit eine wirkliche Entschuldung erfolgen kann, muss es auch hier eine klare Perspektive und Unterstützung seitens des Landes für die Kommunen geben.

II.      Der Landtag stellt fest:

Mit der im Konjunkturpaket enthaltenen einmaligen Gewerbesteuerkompensation und der strukturellen Entlastung über die Erhöhung des Bundesanteils an den Kosten der Unterkunft leistet der Bund einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung der Corona-Folgen in den Kommunalhaushalten. Demgegenüber hat die NRW-Landesregierung bislang überwiegend haushaltsrechtliche Anpassungen und kreditfinanzierte Förderprogramme vorgelegt, ohne den Kommunen mit „echtem“ Geld zu helfen. Die Landesregierung ist daher nun aufgefordert es dem Bund gleichzutun und endlich ihre Zögerlichkeit aufzugeben. Die von den Kommunen geforderte (und von Ministerpräsident Laschet auch schriftlich gegebene Zusage3) Lösung der Altschuldenproblematik muss jetzt kommen und darf nicht weiter auf die lange Bank geschoben werden

III.    Der Landtag beschließt:

1.      Die Landesregierung wird aufgefordert gemäß des oben dargestellten kommunalen Entschuldungsprogramms einen Fonds mit einer Laufzeit von 30 Jahren aufzulegen, in den die „unechten“ Liquiditätskredite der Kommunen überführt werden. Für die hierfür jährlich benötigten 800 Millionen Euro stellt das Land eigene Mittel in Höhe von 440 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung. Der kommunale Finanzierungsanteil soll der Zinsentlastung der Kommunen entsprechen, die sich durch den Altschuldenfonds ergibt (rund 250 Millionen Euro im Jahr). Die verbleibende Deckungslücke in Höhe von rund 100 Millionen wird hälftig zwischen Land und Kommunen aufgeteilt.
2.      Für die sogenannten „Corona-Schulden“ in Höhe von insgesamt 4,1 Milliarden Euro, die die Kommunen isoliert in ihren Haushalten darstellen und über einen Zeitraum von fünfzig Jahren finanzieren können, wird das Land aufgefordert, eine angemessene Aufteilung der jährlichen Belastung von rund 100 Millionen Euro vorzulegen, um die finanziellen Folgen der Corona-Krise gerecht zwischen Land und Kommunen aufzuteilen.