I.
In den 2004 und 2008 vorgelegten Wasserstraßenverkehrs- und Hafenkonzepten Nordrhein-Westfalens wird die Binnenschifffahrt in die vier verkehrspolitischen Ziele des Landes Nordrhein-Westfalen (Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung, Erhöhung der Effizienz des Verkehrssystems, Verbesserung der Verkehrssicherheit und Reduzierung der Umweltbelastung) positiv eingeordnet. Diese Einordnung deckt sich mit den Zielen der Europäischen Kommission im Verkehrsbereich, wie sie im entsprechenden Weißbuch – Fahrplan zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum – hin zu einem wettbewerbsorientierten und ressourcenschonenden Verkehrssystem niedergelegt sind. Die in diesem Zusammenhang relevanten Ziele bis zum Jahr 2050 sind die Verringerung der CO2-Emissionen im Verkehrssektor um 60 %, eine CO2-freie Stadtlogistik und die Verlagerung von 50 % des Straßengüterverkehrs auf die Eisenbahn oder das Schiff.
Die Koalitionsverträge von CDU/CSU/FDP auf Bundesebene wie von SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN auf Landesebene sprechen sich für eine Verlagerung von Güter- verkehren auf die Wasserstraße aus. In der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie ist vor- gesehen, dass der Anteil Binnenschifffahrt am Güterverkehrsaufkommen gegenüber 1997 bis zum Jahr 2015 um 40 % auf einen Anteil von 14 % wächst. 2008 lag dieser An- teil bei 9,6 %.
Derzeit erreichen Nordrhein-Westfalen 183 Mio. t Güter, davon ca. 124 Mio. t (68%) aus den ZARA-Häfen Zeebrügge, Amsterdam, Rotterdam, Antwerpen. Die ZARA-Häfen haben für den Güterumschlag von und nach Nordrhein-Westfalen herausragende Bedeutung.
Der Binnenschifffahrt muss, insbesondere beim Containertransport, auch aus Umwelt- und Effizienzgründen eine deutlich stärkere Bedeutung zukommen. Hier besteht in der Fachwelt und in der Politik Einigkeit. Der Rhein als internationale Wasserstraße hat sei- ne Kapazitätsgrenze noch nicht erreicht. Er kann ungefähr die doppelte der heutigen Verkehrsmenge aufnehmen. Entsprechende Potenziale weisen derzeit weder die Güterverkehrsstrecken der deutschen Bahn, noch die der Privatbahnen, noch das Netz der Bundes- und Landesstraßen auf.
Ungeachtet der bundesdeutschen Probleme, die entsprechende Infrastruktur für den Güterverkehr zur Verfügung zu stellen, werden in den Häfen Rotterdam und Antwerpen die Hafenkapazitäten und der mögliche Weitertransport mit dem Binnenschiff massiv ausgebaut:
In Rotterdam wird mit der Massvlakte II bis zum Jahr 2015 ein Tiefseehafen mit einer Aufnahmekapazität von 16 Mio. Containern (TEU) errichtet, so dass Schiffe der neuesten Bauart anlanden können, die jeweils 18.000 TEU transportieren können.
Viele Häfen entlang der Maas sind oder werden bald mit Binnenschiffen der Klasse V b (135 Meter Länge) auch in Schubverbänden mit einer vierlagigen Containerbeladung erreichbar sein. Die dortige Verkehrsinfrastruktur ist entsprechend angepasst worden, beziehungsweise wird angepasst.
Für den Weitertransport der Container, insbesondere mit dem Binnenschiff und auch auf der Schiene, will der Hafen Rotterdam mit den dort tätigen Logistikunternehmen Transportvereinbarungen treffen, um den Modal Split zugunsten von Schiff und Bahn zu verändern. Der Anteil des LKW soll bis zum Jahr 2035 in Rotterdam von 47,5 % auf 35 % sinken. Der Anteil der Schiene soll von 13,5 % auf 20 %, der des Binnenschiffs von 39 % auf 45 % erhöht werden. Der Hafen Antwerpen will dem Beispiel folgen. Ein veränderter Modal Split in Rotterdam und Antwerpen im Zusammenspiel mit dem Ausbau vor allem der Maashäfen, wird zugleich eine deutliche Zunahme der Transitströme durch NRW nach sich ziehen.
Für Nordrhein-Westfalen ist mit einer Verdoppelung der Gütermengen von und zu den ZARA-Häfen zu rechnen. Die Situation wird auch dadurch verschärft, dass der vierlagige Containerverkehr auf großen Binnenschiffen Standard werden wird, der Transporte mit kleineren Schiffen zunehmend unrentabel werden lässt. Dies wird insbesondere deutsche Partikuliere treffen.
Eine Erneuerung der deutschen Binnenschifffahrtsflotte ist dringend notwendig. Die vor einigen Jahren beschlossenen Steuererleichterungen haben bei weitem nicht in dem Maß zu einer Erneuerung der bundesdeutschen Binnenschifffahrtsflotte geführt, dass ein mit der niederländischen Binnenschifffahrtsflotte zu vergleichender Grad an Modernität erreicht wäre. Die bei anderen Verkehrsträgern erfolgten Innovationsschübe haben im Binnenschifffahrtsbereich nicht im vergleichbaren Umfang stattgefunden. Dies wäre aber auch aus umweltpolitischen Gründen erforderlich.
Binnenschiffe gelten als umweltfreundliche Verkehrsträger, dennoch bestehen hier Verbesserungspotenziale insbesondere bei den Schadstoffemissionen. Denn Die Resolution der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt vom 31. Mai 2000 sowie die EU- Richtlinien 2004/26/EG und 2005/33/EG zur Verbesserung der Luftqualität entfalten hier wegen der sehr langen Betriebsdauer der Binnenschiffsmotoren nur sehr langsam Wirkung.
Zielführend wären zudem Maßnahmen zur Senkung der Emissionen im Bestand. Durch Nachrüstung mit moderner Abgasreinigungstechnik (Dieselpartikelfilter und Stickoxidminderungssysteme) könnten deutliche Emissionsminderungen in der vorhandenen Schiffsflotte erreicht werden. Modellvorhaben haben gezeigt, das 90 Prozent bei Feinstaub und 70 Prozent bei Stickoxidemissionen erreichbar sind. Auch der Einsatz alternativer Kraft-/Brennstoffe beziehungsweise Kraftstoff-Wasser-Emulsionstechnologien kann zur Minderung der Schadstoffemissionen beitragen. Mittelfristig verspricht die Verwendung von Liquified Natural Gas (LNG) als Schiffsbrennstoff großes Potenzial zur weiteren Reduzierung der Luftschadstoffemissionen. Feinstäube können um 100 Prozent und Stickoxide um 85 Prozent reduziert werden. Eine flächendeckende Landstromversorgung könnte zusätzliche durch Dieselgeneratoren zur Stromerzeugung verursachte Emissionsbeiträge insbesondere während der Liegezeiten vermeiden.
Darüber hinaus sind mit den Schleusenlängen, den Brückenhöhen und den Kanalgebühren im westdeutschen Kanalnetz diese Ziele der bundesdeutschen Nachhaltigkeitsstrategie sowie der Europäischen Kommission nicht erreichbar, unabhängig vom Modernitätsgrad der bundesdeutschen Binnenschifffahrtsflotte und den Kapazitätsproblemen in einigen westdeutschen Binnenhäfen. Dies ist ein wesentlicher Grund dafür, dass die Binnenschifffahrt trotz bester Voraussetzungen nicht am Wachstum des Güterverkehrs partizipiert. Dies ist in erster Linie ein Wachstum des Container- und nicht des Massengutverkehrs und hierfür ist das westdeutsche Kanalnetz nicht ausgelegt. Dies gilt auch für die erwartete Bedeutungszunahme der Fluss-See-Verkehre mit seegängigen Schiffen. Die Folge sind gebrochene Verkehre mit deutlichen Effizienzverlusten und Umweltbeeinträchtigungen, da beispielsweise das Ruhrgebiet schiffsseitig im Wesentlichen über Duisburg versorgt wird, aber die Großmotorschiffe das westdeutsche Kanalnetz nicht befahren können und so überwiegend ein Umschlag auf den LKW und nicht auf ein kleineres Binnenschiff erfolgt.
Darüber hinaus bieten die Regelungen der Binnenschifffahrt (Zulassungen, Gebühren, Nutzungssteuerung) sowie die entsprechenden Steuer- und Fördersystematiken wenig Möglichkeit wie Aussicht, effizientere Fahrbehältnisse wie Motoren zu betreiben. Auch hier besteht erheblicher Erneuerungsbedarf.
Die Weiterentwicklung der Binnenschifffahrt und der Kanalnetze in anderen Teilen Europas verschlechtert ungeachtet des guten Zustandes des westdeutschen Kanalnetzes die Wettbewerbsposition Nordrhein-Westfalens auch in Hinblick auf einen umweltfreundlichen Güterverkehr. Gerade die CO2-Neutralität des Gütertransportes wird künftig ein entscheidender Wettbewerbsvorteil von Logistikunternehmen sein. Das Thema hat in der Logistikbranche aus diesem Grund eine hohe Aufmerksamkeit.
Angesichts der beschriebenen Engpässe im rund 720 Kilometer langen nordrhein- westfälischen Wasserstraßennetz werden hiesige Logistikunternehmen wahrscheinlich nur aufwändiger als andere Akteure eine entsprechend nachfragegerechte, wie ökologische Wettbewerbspositionierung erreichen können. In diesem Zusammenhang sind auch die zukunftsorientierten Maßnahmen für einen effizienten, schadstoffarmen und klimaschonenden Güterverkehr auf den Binnenwasserstraßen detailliert zu prüfen. Der Erfolg kann nur durch Veränderungen erzielt werden, die den Logistik- und Binnenschifffahrtsunternehmen dauerhaft eine erfolgreiche Marktpositionierung gegenüber anderen Verkehrsträgern ermöglicht.
II. Der Landtag stellt fest:
Nordrhein-Westfalen soll das Land mit einem starken und umweltfreundlichen Verkehrsträger Binnenschifffahrt werden. Ohne eine attraktive und leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur in diesem Bereich werden die zu erwartenden Gütermengen nicht akzeptabel bewältigt werden können. Hierzu gehört, dass eine bedarfsgerechte Infrastruktur entwickelt und bereitgestellt wird, die die beteiligten Akteure wirtschaftlich nicht überfordert und ökologische Erfordernisse berücksichtigt. Die Verkehrswegeplanung ist entsprechend der Potenziale der Verkehrsträger hinsichtlich ihrer ökonomischen und ökologischen Effizienz zu betreiben.
III. Der Landtag beschließt:
Die Landesregierung wird aufgefordert, dass Wasserstraßenverkehrs- und Hafenkonzept Nordrhein-Westfalens in naher Zukunft fortzuschreiben und dort unter anderem darzustellen,
- wie der Binnenschifffahrtsstandort gestärkt werden soll,
- wie auch klein- und mittelständische Partikuliere an der Marktentwicklung partizipieren können,
- mit welchen Politiken (Förderung, Steuern, Kanal-, Hafen- und Liegegebühren, Nutzungssteuerung, Technik-/Treibstoffstandards, Fahrzeugzulassung) die bedarfs- und umweltgerechte Erneuerung der Binnenschifffahrtsflotte unterstützt werden kann,
- wie eine flächendeckende Landstromversorgung auf welcher Ebene und durch wen verbessert und weiterentwickelt werden sollte,
- wie der EU-Vorschlag über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (COM (2013)18 final) bezüglich eines flächendeckenden Netzes von „LNG- Betankungsstationen in allen See- und Binnenhäfen“ bis zum Jahr 2020 in Nord- rhein-Westfalen umgesetzt werden könnte,
- wie die Kommunen und die öffentlichen Hafenbetriebe bei der Entwicklung und der Erreichbarkeit ihrer Hafenflächen unter der Berücksichtigung ihrer betrieblichen Verantwortung so unterstützt werden können, dass die Hafenflächen für hafenaffine Nutzungen optimal genutzt, beziehungsweise unter Beachtung (gewässer-) ökologischer Aspekte weiterentwickelt werden und vor allen Dingen mit der Schiene besser vernetzt werden können,
- welche Projekte und Maßnahmen an trimodalen Umschlagstandorten in Nordrhein- Westfalen zur besseren Verknüpfung der Verkehrswege Straße-Schiene-Wasserwege an Logistikknoten entlang des Rheins und anderer Hauptwasserstraßen sich zurzeit in Planungs- und/ oder Bauphasen befinden sowie mit welchen Politiken die Landesregierung dazu beiträgt, Projekte und Maßnahmen zum Infrastrukturausbau vor allem für den kombinierten Hafenumschlag voran zu treiben,
- welche Standorte sich zum Ausbau von „Ship-to-Ship Transfer“ (STS) Umschlag- plätzen eignen, solange das Kanalnetz nicht durchgängig mit Binnenschiffen der Klasse V b befahren werden kann und wo sich derzeit solche STS-Umschlagplätze befinden bzw. ausgebaut werden,
- wie die betriebliche Effizienz der Wasserstraßen in NRW erhöht werden kann,
- mit welchem erwartbaren Aufwand an welchen Orten das westdeutsche Kanalnetz in Nordrhein-Westfalen so ertüchtigt werden müsste, dass dort durchgängig große Binnenschiffe der Klasse V b (135 Meter Länge) mit einer vierlagigen Containerbeladung fahren können,
- wie das Land die Verbesserung der Ausbildung sowie die Aus- und Weiterbildung für die Logistikbranche hinsichtlich der Beachtung der Binnenschifffahrt unterstützen kann,
- für welche Maßnahmen eine Förderung der Europäischen Union in Betracht käme und welche Effekte die dargestellten Entwicklungen und Maßnahmen auf die Bin- nenschifffahrt in Nordrhein-Westfalen haben.