I. Ausgangslage
Mit Inkrafttreten des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention, UN-BRK) am 26. März 2009 in der Bundesrepublik Deutschland ging auch die Verpflichtung einher, die Teilhabe in allen Bereichen des öffentlichen Lebens für alle Menschen, unabhängig von möglichen Beeinträchtigungen und Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten. Die Umsetzung der UN-BRK ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die die Zusammenarbeit von Politik und Gesellschaft erfordert.
Menschen mit Mobilitätseinschränkungen ist es aufgrund fehlender Barrierefreiheit oftmals nicht möglich, selbstbestimmt öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Fehlende Rampen und Aufzüge, fehlende taktile Bodenindikatoren für Sehbehinderte, unpassende Bordsteinhöhen und teils baulich verengte Zuwege bei Halte- und Wartestationen sowie unterschiedliche Bahnsteighöhen beim Ein- und Ausstieg machen es vielen Menschen unmöglich, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Defekte Aufzüge oder Rolltreppen über Wochen und Monate hinweg erschweren die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) zusätzlich.
Etwa jeder zehnte Mensch in NRW lebt mit einer Behinderung. Dabei darf Barrierefreiheit nicht nur auf Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen ausgerichtet werden, sondern auch auf diejenigen, die kognitive Beeinträchtigungen aufweisen oder beispielsweise Sinnesbeeinträchtigungen haben.
Von fehlender Barrierefreiheit betroffen sind aber nicht allein Menschen mit Behinderung, sondern auch etwa Menschen, die mit dem Fahrrad oder mit Kindern unterwegs sind oder ältere Menschen mit und ohne Rollator. Alle haben eines gemeinsam: Den Anspruch auf einen barrierefreien SPNV und ÖPNV, der nicht immer erfüllt ist.
Das Ziel der Zukunftskoalition von CDU und Grünen ist es, Mobilität für alle zu gewährleisten. Mobilität für alle bedeutet auch barrierefreie Mobilität-Teilhabe für alle. Deshalb ist es notwendig, die Infrastruktur so zu gestalten, dass alle Menschen – mit und ohne Behinderungen oder Beeinträchtigungen – frei, selbstständig und ohne Begrenzung am Leben teilnehmen können. Dies bedeutet einen barrierefreien Öffentlichen Personennahverkehr.
Das zum 1. Januar 2013 novellierte Personenbeförderungsgesetz insbesondere § 8 Abs. 3 Personenbeförderungsgesetz (PBefG) verpflichtet zur Schaffung von Barrierefreiheit im öffentlichen Personennahverkehr bis zum Januar 2022, sofern im Nahverkehrsplan keine Ausnahmen konkret benannt und begründet sind. Das Ziel der vollständigen Barrierefreiheit konnte bislang noch nicht erreicht werden, wenngleich in den vergangenen Jahren Fortschritte erzielt wurden.
Für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) wurde im Jahr 2019 die „Grundsatzvereinbarung zur Herstellung der Barrierefreiheit an allen SPNV-Stationen in NRW“ vom Land Nordrhein-Westfalen, den drei SPNV-Zweckverbänden, der DB AG und der Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe NRW e. V. beschlossen. Diese hat zum Ziel, bis 2030 mindestens 90 Prozent der Fahrgäste des SPNV einen niveaugleichen und weitgehend restspaltfreien Ein- und Ausstieg zu ermöglichen. Die Grundsatzvereinbarung wird kontinuierlich mit neuen Maßnahmen erweitert.
Aktuell gibt es keine transparente und für alle barrierefrei zugängliche Plattform, die tagesaktuelle Auskünfte darüber gibt, ob geplante Wege mit dem ÖPNV oder SPNV überhaupt barrierefrei möglich sind. Wichtig wäre es deshalb, eine App zu etablieren, die für alle Menschen diese Informationen zu Haltestellen, Bahnhöfen und Fahrzeugen digital und barrierefrei nutzbar bereitstellt. Diese „Barrierefrei App“ soll so offen konzipiert werden, dass durch Tiefenin-tegration Schnittstellen zu bestehenden ÖPNV-Apps ermöglicht werden. Diese App soll auch in der Lage sein, durch die Nutzerinnen und Nutzer festgestellte Mängel direkt an geeignete Stellen zu übermitteln.
Die Mobilitätsservicezentrale (MSZ) der DB AG soll Menschen mit Mobilitätseinschränkungen niederschwellig die Teilhabe im öffentlichen Verkehr ermöglichen. Die Realität zeigt allerdings, dass auch hier Verbesserungsbedarf besteht, da die Servicezentrale nicht 24 Stunden am Tag besetzt ist. Daher, und aufgrund des fehlenden Personals zur Bereitstellung und Bedienung von Hubliften, ist es mobilitätseingeschränkten Menschen nicht möglich, spontan die Verkehrswege zu nutzen.
Die Zukunftskoalition von CDU und Grünen möchte die im Koalitionsvertrag festgesetzten Ziele umsetzen und sich weiterhin für einen barrierefreien Ausbau im Öffentlichen Personennahverkehr einsetzen und somit einen erheblichen Beitrag dazu leisten, die barrierefreie Mobilität weiter voranzutreiben.
II. Beschlussfassung
Der Landtag stellt fest:
- Eine vollständige Teilhabe am Arbeitsleben und gesellschaftlichen Leben ist abhängig von einem barrierefreien öffentlichen Personennahverkehr.
- Um allen Menschen den Zugang zum öffentlichen Personennahverkehr in Nordrhein-Westfalen zu ermöglichen, ist eine möglichst umfassende Barrierefreiheit bei der Buchung von Tickets, beim Zugang zu den Verkehrsmitteln sowie bei Haltestellen und Bahnhöfen erforderlich.
- Zum Erreichen der Verkehrswende ist ein barrierefreier Zugang zum öffentlichen Personennahverkehr eine wesentliche Voraussetzung.
Der Landtag beauftragt die Landesregierung aus vorhandenen Mitteln,
- die laufende Umsetzung der bestehenden Verpflichtung zur möglichst weitgehenden Barrierefreiheit im ÖPNV laut § 8 Abs 3 Personenbeförderungsgesetz (PBefG) weiter zu forcieren,
- die „Grundsatzvereinbarung zur Herstellung der Barrierefreiheit an allen SPNV-Stationen in NRW“ intensiv weiter umzusetzen, um das angestrebte Zwischenziel, bereits bis zum Jahr 2030 90% der täglichen SPNV-Fahrgäste in NRW einen niveaugleichen Ein-und Ausstieg anbieten zu können, zu erreichen. Dafür sollen alle Infrastrukturbetreiber einen Umsetzungsplan verbindlich gewährleisten,
- gemeinsam mit allen verantwortlichen Stellen, Lösungen zu entwickeln, die sämtliche Informationen zu den Infrastruktureinrichtungen tagesaktuell transparent abrufbar machen,
- die heutige Einzelförderung des barrierefreien Umbaus von Haltestellen in eine gebündelte Projektförderung bei den jeweiligen ÖPNV-Verkehrsverbünden zu überführen und so den bürokratischen Aufwand bei der Stellung und Abwicklung der einzelnen Förderanträge zu verringern,
- Verbände für Menschen mit Behinderungen in die Planungen stärker mit einzubeziehen,
- bereits frühzeitig bei der Planung zukünftiger Mobilitätsangebote, Barrierefreiheit zu konzipieren, inkl. Informations- und Buchungssysteme, die auch Störungen während der Reise melden, und dies entsprechend in Ausschreibungen und Verkehrsverträgen zu berücksichtigen,
- eine barrierefrei nutzbare App zu etablieren, um allen Menschen Zugang und Transparenz über Barrierefreiheit in der Planung, Buchung und während der Reise zu ermöglichen. Diese App soll zudem einen digitalen Mängelmelder beinhalten und offene Schnittstellen zu bereits bestehenden ÖPNV-Apps im Rahmen der ÖPNV-Digitalisierungsoffensive des Landes NRW integrieren, um redundante Entwicklungen zu vermeiden,
- die Bundesregierung aufzufordern, die für die Barrierefreiheit an Stationen Verantwortlichen stärker in die Pflicht zu nehmen, insbesondere zur ständigen Erreichbarkeit der Mobilitätservicezentrale der DB AG und dem ständigen Einsatz von Hubliften an allen Fernverkehr-Bahnhöfen in Nordrhein-Westfalen.