Menschen mit Behinderung einen gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen – Chancen und Bedarfe erkennen, Beratungsstrukturen verbessern

Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und GRÜNEN zu dem Antrag „Inklusion in den Arbeitsmarkt im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention weiterentwickeln – Gleichwertigen Zugang ermöglichen!“ der GRÜNEN im Landtag - Drucksache 17/6736

Mehrdad Mostofizadeh
  1. Ausgangslage

Der Bericht der Monitoringstelle des Deutschen Instituts für Menschenrechte zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention (2019): Zur Umsetzung des Rechts auf Arbeit in NRW) bescheinigt, dass es – trotz der guten Entwicklungen – auch in NRW noch erhebliches Verbesserungspotenzial gibt, um den gleichberechtigten Zugang zum Allgemeinen Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung gemäß Artikel 27 UN-BRK zu gewährleisten.

Denn schon zum Zeitpunkt vor der Corona-Krise, als die Arbeitslosenzahlen auf einem überaus niedrigen Stand waren, spiegelte sich diese hohe Beschäftigungsquote nicht bei Menschen mit Behinderung wider (vgl. Drs. 17/6736). Es ist zu erwarten, dass sich die schlechtere Beschäftigungsquote bei Menschen mit körperlichen, psychischen oder weiteren Beeinträchtigungen durch die Corona-Krise weiter verschärft. Hier gilt es, möglichst schnell bereits bekannte und durch die Krise neu aufkommende Hürden, die den Zugang in den Allgemeinen Arbeitsmarkt erschweren, zu erkennen und zu beseitigen, um einen gleichberechtigten Zugang anzustreben.

Beispielhaft für die Entwicklung während der Corona-Krise seien auf den Bericht der Landesregierung „Corona-Epidemie: Situation der Inklusionsunternehmen in NRW“ (Vorl. 17/3337) sowie auf die gemeinsamen Umfragen, bei der die Handwerkskammer Münster, die FAF (Fachberatung für Arbeits- und Firmenprojekte) Köln und die Bundesarbeitsgemeinschaft der Inklusionsfirmen (bag if) beteiligt waren, über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Inklusionsbetriebe für beide Landschaftsverbände hingewiesen. Die Ergebnisse zeigen, dass zum Zeitpunkt der Umfragen im Mai 2020 bereits 53 Prozent der Inklusionsunternehmen im Landschaftsverband Rheinland (LVR) (20-0520_atmk_Gesamt_NRW _Rheinland (bag-if.de)) und 50 Prozent im Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) (https://bag-if.de/wp-content/uploads/2020/05/20-0520_Gesamt_NRW_Westfalen.pdf) von einer Betriebsschließung oder massiven Angebotsreduzierung während der Coronazeit betroffen waren.

Um diesen Trend zu stoppen wurde ein gezieltes Förderprogramm aufgelegt. So stellt das Land eine aus Landesmitteln finanzierte Liquiditätshilfe zur Verfügung. Inklusionsbetriebe, die in Folge der Corona-Pandemie unverschuldet in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind, können nicht rückzahlbare Zuschüsse von bis zu 75.000 Euro erhalten. Für die Betriebe, die bisher keine der Soforthilfen des Bundes in Anspruch nehmen konnten, kann dieses Förderprogramm eine Lücke schließen. Die Corona-Hilfe für Inklusionsbetriebe wird im Rahmen des Landesprogramms „Integration unternehmen!“ als Billigkeitsleistung gewährt und in Zusammenarbeit mit den Landschaftsverbänden Rheinland und Westfalen-Lippe umgesetzt.

Zudem zeigt sich bei sogenannten „Werkstattwechslerinnen und -wechslern“ im Budget für Arbeit die Problematik, dass diese durch fehlende Beitragszahlungen in die Arbeitslosenversicherung keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld oder Arbeitslosenhilfe haben (Vorl. 17/3337). Bisher konnte das Budget in der Krise weitergezahlt werden, aber eine Sicherheit hierfür ist nicht festgeschrieben.

Für die Teilhabe an Arbeit sind insbesondere Überzeugungsarbeit bei Betrieben und einzelfallbezogene Lösungen und Angebote nötig. Bestehende Instrumente, die Arbeitgeber ermutigen, ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachzukommen, ihre Belegschaft um Menschen mit Behinderung zu bereichern, sind ein wichtiger und auch in Zukunft zu unterstützender Schritt. Der Erfolg bei der Integration von Menschen mit Behinderung in den Arbeitsmarkt ist jedoch insbesondere stark abhängig von handelnden Personen und existierenden regionalen Netzwerken. Eine wichtige Rolle spielt dabei die vielfältige Beratungslandschaft mit unterschiedlichsten Akteuren, wozu auch die von den Landschaftsverbänden geförderten Fachberater Inklusion, die bei sechs Industrie- und Handelskammern, sechs Handwerkskammern und der Landwirtschaftskammer beschäftigt sind, gehören. Diese beraten Betriebe aus der Perspektive der Arbeitgeber und finden über ihre Netzwerke Zuständigkeiten und Ansprechpartner in den Behörden für die jeweiligen Unternehmen heraus.

  1. Beschlussfassung

Der Landtag stellt fest, dass auch in NRW weiterhin ein großer Verbesserungsbedarf besteht, Menschen mit Behinderung in den Allgemeinen Arbeitsmarkt einzubinden. Insbesondere müssen Kooperations- und Beratungsstrukturen der Leistungsträger so gestaltet sein, dass sie Betroffene über alle Förderstrukturen informieren. Zusätzlich zu den verschiedenen Anregungen aus der Anhörung vom 29.01.2020 erfordern auch die neuen Herausforderungen durch die Corona-Pandemie neue politische Weichenstellungen, um den Allgemeinen Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung inklusiver zu gestalten.

Der Landtag beauftragt die Landesregierung,

zur Verbesserung der Kooperationsstrukturen

  • sich zügig gemeinsam mit den Landschaftsverbänden dafür einzusetzen, dass gemäß § 25 Abs. 2 SGB IX die verschiedenen Leistungsträger regionale Arbeitsgemeinschaften zur gemeinsamen Wahrnehmung von Aufgaben zur Teilhabe von Menschen mit Behinderung bilden und damit die Beratungs- und Kooperationsstrukturen auszubauen;
  • in der „Rahmenvereinbarung zur Verbesserung der beruflichen Integration von Arbeit­suchenden mit Behinderungen bzw. gesundheitlichen Einschränkungen (Menschen mit Beeinträchtigungen) in der Grundsicherung für Arbeitsuchende in NRW“ anzuregen, dass in den Jobcentern flächendeckend qualifizierte und standardisierte Beratungsverfahren eingeführt werden und dem zuständigen Ausschuss über deren Umsetzungsstand regelmäßig zu berichten;

zur stärkeren Beteiligung der Arbeitgeber

  • Aufklärungsarbeit im Hinblick auf die Hauptargumente der Unternehmen und Arbeitgeber gegen die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung wie erhöhter Kündigungsschutz, Minderleistung etc. zu intensivieren;
  • dabei die von den Landschaftsverbänden geförderten Fachberater Inklusion bei den Kammern noch stärker einzubinden, um Betriebe aus der Perspektive der Arbeitgeber anzusprechen und regionale Netzwerke auszubauen;
  • auf Basis der Evaluationsergebnisse der Landesinitiative „Teilhabe an Arbeit“ in Zusammenarbeit mit den Kammern, Werkstätten für Menschen mit Behinderung und weiteren Akteuren wie den Integrationsfachdiensten die Passung zwischen Betrieb und Beschäftigten zu verbessern. Beispielsweise können in Form von Lotsenprojekten bzw. Job Carving – wie vom LWL bereits angestoßen – Möglichkeiten geschaffen werden, Nischenarbeitsplätze zu identifizieren;
  • auch die Ausbildung von Jugendlichen mit Behinderung zu verbessern. Laut Teilhabe-bericht des Landes NRW ist die Anzahl der Menschen mit Behinderung, die einen sog. „Ausbildungsberuf für Menschen mit Behinderungen“ mit modifizierten Anforderungen absolvieren, in den letzten Jahren erheblich zurückgegangen (2010 bis 2017 um 25 %). Die Zugangsmöglichkeiten in den Unternehmen sind aber in Nordrhein-Westfalen erfreulich hoch und deutlich besser als im Bundesdurchschnitt. Gerade deshalb ist es umso wichtiger, die Unterstützungsstrukturen für Jugendliche und Arbeitgeber zu verstärken und die Jugendlichen intensiver auf diese Möglichkeit der Ausbildung zu hinzuweisen und hinzuführen;

Inklusionsbetriebe stärken

  • zusammen mit Inklusionsbetrieben und Betroffenen zu überprüfen, welche Rahmenbedingungen nötig sind, dass Arbeitsplätze in Inklusionsunternehmen weiterhin langfristig abgesichert werden und dass auch leistungsschwächere Menschen mit Behinderung eingestellt werden können;

bei Werkstätten für Menschen mit Behinderung (WfbM) und dem Budget für Arbeit

  • sich für eine faire Entlohnung der Beschäftigten in den Werkstätten einzusetzen und den laufenden Prozess auf Bundesebene aktiv voranzutreiben;
  • sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass Menschen, die mithilfe des Budgets für Arbeit die WfbM verlassen, durch Rahmenvereinbarungen mit der Bundesagentur für Arbeit in die Arbeitslosenversicherung aufgenommen werden – und unmittelbar im Land eine Regelung mit der Bundesagentur wie in Baden-Württemberg anstreben, wo fast alle Betroffenen versichert sind. Dort wurde mit einer Landes-Teilhabekonferenz das Förderprogramm „Arbeit Inklusiv“ geschaffen, welches die Option der Arbeitslosenversicherung beinhaltet. Zudem soll geregelt werden, dass im Budget für Arbeit die volle Beitragszahlung zur Krankenkasse nach der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auch eine Krankengeld-Zahlung bewirkt;
  • den Qualifizierungsauftrag, zu dem Werkstätten für behinderte Menschen verpflichtet sind, verstärkt zu artikulieren, zu kontrollieren und Positivbeispiele herauszustellen;
  • die Landschaftsverbände anzuhalten, ihre Kontrollmöglichkeiten im Rahmen des BTHG (SGB IX, Verordnungen und Vereinbarungen mit den Werkstätten) zu nutzen und insbesondere die Einhaltung der Rahmenvereinbarung zur Qualitätssicherung und Gewaltprävention in nordrhein-westfälischen Werkstätten für Menschen mit Behinderung stärker zu kontrollieren. Die Kontrollergebnisse sind dem zuständigen Ausschuss für Arbeit und Soziales in Form eines Berichts regelmäßig zur Verfügung zu stellen;
  • die Landschaftsverbände und die Regionaldirektion NRW der Agentur für Arbeit darin zu unterstützen, verstärkt „andere Leistungsanbieter“ nach § 60 SGB IX als Alternative zu Werkstätten unter Einbeziehung der Deutschen Rentenversicherung an den Start zu bringen und auch deren Bekanntheit zu fördern;

Arbeitsassistenz und Integrationsfachdienste (IFD) zu stärken

  • mit der Regionaldirektion der Bundesagentur eine Vereinbarung anzustreben, welche die Beauftragung der Integrationsfachdienste durch die Agenturen und Jobcenter zur Arbeitsvermittlung besonders betroffener schwerbehinderter Menschen sicherstellt – beispielsweise durch Vergabe von Kontingenten, wie zunächst nach Schaffung des SGB IX erfolgreich praktiziert;
  • die bestehenden Angebote für Arbeitsassistenzen auch auf andere Personengruppen zu erweitern und neue Angebote zu eröffnen und hierzu ggf. Rahmenvereinbarungen mit den Reha-Trägern zu schließen;
  • bei einem möglichen Rechtskreiswechsel, der mit dem Wechsel von einer unterstützten Beschäftigung in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung einhergeht, auf Wunsch eine Konstanz in Betreuung und Begleitung sowie der technischen Assistenzsysteme sicherzustellen.