Mehr Qualität in der frühkindlichen Bildung – Kita-Finanzierung vom Kopf auf die Füße stellen

Entschließungsantrag der GRÜNEN im Landtag

Portrait Josefine Paul

I.          Ausgangslage
Bei Regierungsübernahme kündigten die Regierungsfraktionen von CDU und FDP an, die Kita-Finanzierung auf eine verlässliche und auskömmliche Grundlage zu stellen. Verbunden mit dem langen Erarbeitungsprozess war bei vielen Trägern, Erzieherinnen und Erziehern, den Kommunen und Eltern die Hoffnung, dass es nach Jahren gelingen würde, die Finanzierung der Kindertagesbetreuung in NRW vom Kopf auf die Füße zu stellen.
Doch die dringend notwendige strukturelle und grundlegende Reform der Finanzierung ist ausgeblieben. Die strukturelle Fehlkonstruktion des Gesetzes mit den sich jährlich ändernden Kindpauschalen und Buchungszeiten bleiben erhalten. Trotz des Mittelaufwuchses verpasst die Landesregierung mit dem „Gesetz zur qualitativen Weiterentwicklung der frühen Bildung“ die Chance, ihr eigenes Versprechen einer dauerhaft auskömmlichen und verlässlichen Finanzierung einzulösen.

II.         Die Fachkraft-Kind-Relation: Garant für Qualität in der frühkindlichen Bildung

Stand der fachlichen Debatte, der von Expertinnen und Experten aus der Praxis und aus der Wissenschaft geteilt wird, ist, dass nur durch die Berücksichtig der Unterscheidung zwischen Fachkraft-Kind-Relation und Personalschlüssel die Qualität der frühkindlichen Bildung und gute Arbeitsbedingungen der pädagogischen Kräfte sichergestellt werden kann.
Die Fachkraft-Kind-Relation unterscheidet in ihrer Personalbemessung zwischen mittelbarer sowie unmittelbarer pädagogischer Arbeit und berücksichtigt Ausfallzeiten. Die Zeit, die Erzieherinnen und Erzieher für die Vor- und Nachbearbeitung, Bildungsdokumentation sowie Urlaub, Krankheiten und für Weiterbildung benötigen, muss in die Berechnung einbezogen
werden. Die aktuellen wissenschaftlichen und gewerkschaftlichen Forderungen sind, dass 20 Prozent der Zeit für mittelbare pädagogische Arbeit einkalkuliert werden muss. Die Bertelsmann-Stiftung empfiehlt für die Betreuung der unter Dreijährigen eine Relation von 1 zu 3 und für die über Dreijährigen eine Relation von 1 zu 7.
Kinder benötigen für eine gute Entwicklung vor allem in den ersten Jahren eine verlässliche, enge Bindung zu ihren Erzieherinnen und Erziehern. Die Bindung bzw. Interaktionsqualität hat einen starken Einfluss auf die Lernprozesse von Kindern. Daher ist eine realistische Personalbemessung und eine gesetzlich festgeschriebene Fachkraft-Kind-Relation entscheidend für die Qualität frühkindlicher Bildung.
Das Kinderbildungsgesetz sieht in seiner Bemessung keine Fachkraft-Kind-Relation vor. Die Landesregierung hat es in dem vorgelegten Gesetz nicht geschafft, eine an der Realität der Einrichtung gemessene Fachkraft-Kind-Relation verbindlich zu regeln. Die Personalbemessung im „neu-gefassten“ Kibiz bemisst nicht ausreichend Zeit für die mittelbare pädagogische Arbeit sowie Ausfall- und Fehlzeiten.

III.        Einführung einer Sockelfinanzierung. Für eine nachhaltige auskömmliche Finanzierung

Die derzeitige Debatte, ob die 750 Millionen Euro mehr für Personal- und Sachkosten auskömmlich sind, zeigt zum wiederholten Mal: Die Kindpauschale hat ausgedient. Wenn es möglich ist, ein Defizit von 550 Millionen Euro bei den Sachkosten festzustellen, dann stimmt offensichtlich die Systematik nicht, die solch eine Diskrepanz in der Kalkulation überhaupt erst ermöglicht.
Vor allem die finanzschwachen Kommunen hatten sich erhofft, dass sie durch eine auskömmliche Finanzierung die Trägeranteile nicht weiter übernehmen müssen. Stattdessen haben Kommunen mit mehr Träger in eigener (städtischer) Trägerschaft gegenüber Kommunen mit deutlich mehr freien Trägern finanzielle Vorteile, da der Eigenanteil der städtischen Kitas einseitig deutlich gesenkt wurde. Diese Tatsache gefährdet die vielfältige Kita-Landschaft und widerspricht dem Subsidiaritätsprinzip.
Zu der Vielfalt zählen auch Elterninitiativen und Waldkindegärten. In dem jetzigen vorliegenden Entwurf zählen diese ganz klar zu den benachteiligten Trägern des Systems. Ihre wertvollen pädagogischen Ansätze werden nicht auskömmlich finanziert.
Die Finanzierungssystematik hätte neu ausgestaltet werden müssen. Die Einführung einer einrichtungsabhängigen Sockelfinanzierung hätte mehr Planungssicherheit geschaffen. Betriebe haben unabhängig von ihrer Belegung Fixkosten für Personal- und Sachkosten, die verlässlich gegenfinanziert werden müssen.
Frühkindliche Bildung muss in der Perspektive kostenfrei sein. Das Recht auf Bildung und Teilhabechancen darf nicht von der Finanzkraft der Eltern abhängen. Die Missstände in der Qualität müssen aber prioritär behoben werden, gerade Kinder aus einkommensschwachen Familien profitieren von guter Betreuung enorm in ihrer Entwicklung. Damit sie auch die Kita oder Kindertagespflege besuchen können, dürfen ihre Eltern nicht finanziell belastet werden. Auch hier verpasst die Landesregierung die Chance für mehr soziale Gerechtigkeit. Statt also mit der Gießkanne und einem generellen zweiten beitragsfreien Kita-Jahr, hätte Minister Stamp den Flickenteppich der unterschiedlichen und ungerechten Beitragsfestsetzung in den Kommunen beheben und vor allem einkommensschwache Familien entlasten sollen. Die Einführung einer landeseinheitlichen Elternbeitragstabelle wäre ein sinnvoller Einstieg in die Beitragsfreiheit, der sowohl mehr Gerechtigkeit unter den Kommunen schaffen, als auch zu mehr Beitragsgerechtigkeit bei den Eltern führen würde.
Zu den Mehrbelastungen für Eltern zählen auch zusätzliche Kosten für die Verpflegung. Essen ist aber ein elementarer Bestandteil des pädagogischen Konzepts und muss daher kostenfrei sein. Ausgewogene und gesunde Ernährung ist ein wichtiger Beitrag zu einer gesundheitsförderlichen frühkindlichen Bildung.

IV.       Kindertagespflege ist eine wichtige Säule unserer Betreuungslandschaft

Die Kindertagespflege ist eine unerlässliche Säule in unserer Betreuungslandschaft. Das Wahlrecht der Eltern muss sichergestellt sein. Die Landesregierung hat in ihrem Entwurf die Kindertagespflege deutlich gestärkt.
Die verbindliche und Flächendeckende Einführung der Qualifizierung von Tagespflegepersonen nach dem vom Deutschen Jugendinstitut entwickelten Lehrplans
„Kompetenzorientierten Qualifizierungshandbuch Kindertagespflege (QHB)“ wird sehr begrüßt.
Die Großtagespflege darf aber keinesfalls zu einem “Kita-Light-Modell“ werden. Der Schutz und die Betreuungsqualitäten der Kinder darf nicht dadurch gefährdet werden, dass die Anzahl der abzuschließenden Betreuungs-Verträge von 9 auf 15 gesteigert wird. Hier muss die Landesregierung diese Regelung im Sinne des Kinderschutzes dringend korrigieren.

V.        Der Landtag stellt fest:

·                das „Gesetz zur qualitativen Weiterentwicklung der frühen Bildung“ löst den Anspruch einer auskömmlichen und verlässlichen Finanzierung nicht ein
·                eine grundsätzliche Neuausrichtung der Finanzierung im Sinne einer Abkehr von Kindpauschalen und Buchungszeiten hin zu einer verlässlichen Einrichtungsfinanzierung ist nicht gelungen.

VI.       Der Landtag beschließt:

1.         eine verbindliche Reglung einer Fachkraft-Kind-Relation im Gesetz festzuschreiben und die Personalbemessung daran anzupassen,
2.         die Kindpauschale durch eine Einrichtungsfinanzierung abzulösen,
3.         die Inklusion und die individuellen Lernbedingungen der Kinder durch zielgerichteter Förderung, sichergestellt wird,
4.         durch die verlässliche und auskömmliche Finanzierung von Assistenzkräfte u.a. Verwaltungs- und Hauswirtschaftskräften die Erziehrinnen und Erzieher zu entlasten,
5.         eine landeseinheitliche Beitragstabelle einzuführen,
6.         die Verpflegung in Kita in die Grundfinanzierung des Kibiz einzubeziehen und für Eltern kostenfrei zu gestalten,
7.         die      Trägervielfalt     sicherzustellen      und      insbesondere      Elterninitiativen      und Waldkindergärten auskömmlich zu finanzieren.