I. Ausgangslage
Luftverkehr ist Bestandteil der gesellschaftlichen Mobilität und der Logistik. Er ist ein wichtiger Faktor für Wirtschaft und Tourismus und bietet Arbeitsplätze. Doch Lärm und Abgase durch Flugzeuge bedeuten erhebliche Belastungen für Menschen und Umwelt. Im Verhältnis zu anderen Verkehrsträgern hat der Luftverkehr die schlechteste Klimabilanz und trägt wesentlich zum Klimawandel bei. Der Luftverkehr ist eine der am schnellsten wachsenden Treibhausgasquellen. Doch die Klimaschädlichkeit wird bislang nicht eingepreist, noch nicht einmal der Flugzeugtreibstoff Kerosin wird besteuert. Deshalb beschloss schon im Jahr 2000 der Landtag im Rahmen des Abschlussberichtes der Enquetekommission „Zukunft der Mobilität“, dass sich das Land NRW beim Bund und bei der EU für das Ende der steuerlichen Subventionierung und Einführung einer Kerosinsteuer einsetzen soll.
Die EU fordert über ihre Beihilfeleitlinien ein Ende der Subventionierung von Flughäfen und Fluggesellschaften. GRÜNE, Umwelt- und Verkehrsverbände sowie Initiativen fordern generelle Nachtflugverbote, Lärmobergrenzen, lärmdifferenzierte Landeentgelte, eine Internalisierung der Umweltkosten in den Ticketpreis, die Abschaffung umweltschädlicher Subventionen und eine Ökologisierung bzw. Ausweitung von Luftverkehrssteuer und Emissionshandel.
Der Luftverkehr in Deutschland und insbesondere in NRW hat seit der Liberalisierung in den 1980er- bzw. 1990er-Jahren stark zugenommen. Dies hat für deutlich gesunkene Ticketpreise gesorgt und das rasante Wachstum von Low-Cost-Fluggesellschaften beflügelt. Die kleineren Flughäfen in Dortmund, Paderborn/Lippstadt, Münster/Osnabrück und Weeze wollten an diesem Wachstum teilhaben und haben massiv investiert. Der Markt entwickelte sich jedoch anders: Billigflieger und „normale“ Fluggesellschaften nähern sich in Sachen Angebot und Preis einander an. Low Cost-Airlines wie Ryanair und EasyJet wenden sich von kleineren Standorten ab und verlagern zunehmend Angebote an Großflughäfen. Lufthansa und ihre Tochtergesellschaften haben das Angebot an den Regionalflughäfen eingeschränkt. Der Konkurrenzdruck führte zu Rationalisierung und Konzentration bei den Fluggesellschaften bis hin zu Unternehmenspleiten wie beispielsweise von Air Berlin, Germania und Azur Air. Infolge dessen haben sich die Flugbewegungen und Passagierzahlen am Flughafen Paderborn/Lippstadt gegenüber dem Jahr 2000 nahezu halbiert. Am Flughafen Münster/Osnabrück sind die Fluggastzahlen von 1,8 Mio. Passagieren im Jahr 2000 auf rund eine Million Passagiere im Jahr 2019 kontinuierlich zurückgegangen. Die Passagierzahlen am Flughafen Dortmund sind nach dem Rekordjahr 2008 (2,33 Mio. Passagiere) in den Folgejahren deutlich gesunken und haben 2019 wieder das Niveau von 2,28 Mio. Passagieren erreicht. Am Flughafen Niederrhein (Airport Weeze) sind die Passagierzahlen vom Rekordjahr 2010 (2,9 Mio. Passagiere) auf 1,2 Mio. Passagiere im Jahr 2019 deutlich gesunken. Diese Flughäfen sind demnach wenig aus- gelastet und ihre öffentlichen Anteilseigner schreiben dauerhaft Verluste.
Am Flughafen Köln/Bonn gab es in den letzten Jahren einen leichten Zuwachs auf 12,4 Mio. Fluggäste im Jahr 2019. Am stärksten profitierte der Flughafen Düsseldorf in den letzten Jahren von einer Verlagerung des Luftverkehrs innerhalb Nordrhein-Westfalens. Das Fluggastaufkommen am Düsseldorfer Flughafen ist zwischen dem Jahr 1999 mit 15,9 Mio. Fluggästen und dem Jahr 2019 (25,5 Mio. Passagiere) nahezu kontinuierlich gestiegen. Das hat zu Kapazitätsengpässen und regelmäßigen Verspätungen nächtlicher Flüge geführt.
II. Der Landtag stellt fest
NRW hat als Bundesland mit der höchsten Flughafendichte die Verantwortung, die Weichen für einen nachhaltigen Luftverkehr zu stellen. Ein Schlüssel dazu ist ein neues NRW-Luftverkehrskonzept. Denn Flughäfen sind die Orte, wo Konflikte um Lärmschutz entstehen und Probleme mangelnder wirtschaftlicher Nachhaltigkeit existieren. Ziele dieses nachhaltigen NRW-Luftverkehrskonzeptes sind die:
• Erreichung der Klimaschutzziele auch im Luftverkehr
• Reduzierung von Flugbewegungen
• Verringerung von Fluglärmimmissionen vor allem nachts
• Verringerung der Schadstoffimmissionen (z.B. Ultrafeinstaub)
• Wirtschaftliche Tragfähigkeit der langfristig notwendigen Flughafenstandorte
III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf:
ein NRW-Luftfahrtkonzept unter folgenden Maßgaben aufzustellen:
• Verlagerung von Kurzstreckenflügen auf die Schiene
Der Umweltschaden ist bei kurzen Flugstrecken besonders groß, da der Kerosinverbrauch beim Start besonders hoch ist und durch jeden Start und jede Landung erhebliche Lärm- und Schadstoffbelastungen für die Menschen im Flughafenumfeld entstehen. Es muss zu einem kontinuierlichen Abbau der Flugverbindungen für Distanzen unter 500 km und ihrem vollständigen Ersatz durch Bahnreisen bis zum Jahr 2035 kommen. Ein Ausbau des Schienennetzes muss prioritär erfolgen, um die Fahrzeit zwischen möglichst vielen Destinationen auf max. vier Stunden zu senken und um die Kapazität und die Verlässlichkeit zu steigern.
• Kapazitätsrestriktionen
Der einzige Flughafen in NRW, dessen Nutzung auch nur in die Nähe der durch die Betriebsgenehmigung gesetzten Grenzen kommt, ist der Flughafen Düsseldorf. Alle anderen NRW-Flughäfen haben noch erhebliche Reserven. Es gibt keine Notwendigkeiten für den Ausbau der NRW-Flughäfen. So fliegen von Düsseldorf viele Kurzstrecken- oder Charter-Urlaubsflieger, die auch attraktiv von anderen Flughäfen abgewickelt oder auf die Bahn verlagert werden könnten. Kapazitätserweiterungen in Düsseldorf und Köln/Bonn würden Nachteile sowohl für die dicht besiedelte Umgebung wie auch für die kleineren Flughäfen bedeuten. An keinem NRW-Flughafen ist ein weiterer Ausbau verkehrspolitisch erforderlich und klimapolitisch vertretbar. Die vom Flughafen Düsseldorf beantragte Kapazitätserweiterung von 45 auf bis zu 60 Flugbewegungen je Stunde im Zwei-Bahn-Betrieb ist abzulehnen.
• lärmbezogene Differenzierung der Entgelte
Die Entgeltordnungen an den NRW-Flughäfen schaffen zu wenig finanzielle Anreize für den Einsatz besonders lärmarmer Flugzeuge. Daher müssen die Spreizungen zwischen lauten und lärmarmen Flugzeugmustern sowie zwischen Tag und Nacht deutlich verstärkt werden. Am wirkungsvollsten sind Tarife, die sich am tatsächlich verursachten Lärmpegel jedes einzelnen Fluges orientieren und nicht wie bisher am gemittelten Pegel über alle Flugzeuge eines Typs.
• Einhaltung von Nachtrandzeiten und Nachtflugverbot
Im Sinne des Lärmschutzes beginnt die Nacht um 22 Uhr und endet um 6 Uhr. Nur am Flughafen Köln/Bonn findet ein nennenswerter Nachtflug statt. Doch die Nachtrandzeiten sind immer wieder Gegenstand von Konflikten. Insbesondere am Flughafen Düsseldorf wird durch Verspätungen oder zu knapp bemessene Umläufe sowie durch großzügige Verspätungstoleranzen für Flugzeuge von Fluggesellschaften mit Home-Base-Carrier-Status die vereinbarte Nachtruhe in erheblichem Maße verletzt. Hier sind schärfere Restriktionen und Entgeltzuschläge, wie zum Beispiel am Hamburger Flughafen, umzusetzen.
• Verbindliche Lärmminderungspläne
Gemäß EU-Umgebungslärmrichtlinie sind für die Großflughäfen Düsseldorf und Köln/Bonn Lärmaktionspläne zu erstellen. Die zur Aufstellung verpflichteten Kommunen im Umfeld dieser Flughäfen sind mit dieser Aufgabe wegen der flächenmäßigen Ausdehnung der Umgebungslärmquelle Flughafen und der lärmfachlichen Komplexität der Lärmauswirkungen sowie deren Regelungsmöglichkeiten überfordert. Die Aufgabe der Aufstellung von Lärmaktionsplänen für Großflughafen ist daher wie in Hessen und Baden-Württemberg von den Kommunen auf die Bezirksregierungen zu übertragen.
• Lärmmindernde Flugverfahren
Optimierte Flugverfahren können den Lärm mindern – beispielsweise, indem ein Flugzeug Siedlungen umfliegt oder in ausreichender Höhe überfliegt, bei Start und Landung den Triebwerksschub reduziert oder mit etwas steilerem Winkel anfliegt. Die Lärmminderungspotenziale dieser innovativen Flugverfahren sollten systematisch untersucht und deren Festlegung und Nutzung vorangetrieben werden.
• Verbot von nächtlichen Passagierflügen
Am Flughafen Köln/Bonn finden neben dem erheblichen Frachtflugaufkommen auch viele Passagierflüge in der Nacht statt. Diese Flüge in der Nacht sind auch im Sinne der Passagiere völlig unnötig und sollten schnellstens – wie schon lange vom Landtag NRW gefordert – untersagt werden. Eine neue Betriebsgenehmigung für den Flughafen Köln/Bonn darf es nur ohne nächtlichen Passagierflug geben!
• Kooperationen fördern
Die großen zentral gelegenen Flughäfen mit den hohen Lärmkonflikten und die in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindlichen kleineren Flughäfen sind nach wie vor als Einzelkämpfer und Konkurrenten unterwegs. Das ist umso unverständlicher, als dass die Eigentümerin zu großen Teilen die öffentliche Hand ist. Das neue Luftverkehrskonzept für NRW soll deshalb verbindlich die Kooperation der Flughäfen untereinander fördern. Darüber hinaus ist die Ko- operation zwischen Fluggesellschaften und der Bahn zu fördern, um Kurzstreckenflüge über- flüssig zu machen.
• Wirtschaftliche Perspektiven schaffen – keine öffentlichen Zuschüsse mehr für defizitäre Flughäfen
Die Zeiten des Wachstums der Flughäfen sind durch die strukturellen Brüche im Luftverkehrsmarkt vorbei. Vor allem die kleineren Flughäfen stehen in ihrer Existenz infrage. Es ist notwendig, dass die Eigentümer der kleineren Flughäfen tragfähige Konzepte entwickeln. Die regionalen Wirtschaftsunternehmen sollten sich deshalb auch finanziell an den Flughäfen beteiligen, wenn sie darin eine notwendige Infrastruktur für ihren wirtschaftlichen Erfolg sehen. Öffentliche Zuschüsse soll es weder von Seiten des Landes als auch den Kommunen geben, auch keine indirekten Subventionen.
• Kerosin und CO2-Ausstoß besteuern
Die Landesregierung soll sich mittels einer Bundesratsinitiative und gegenüber der Bundesregierung dafür einsetzen, dass Kerosin analog anderer fossiler Treibstoffe endlich angemessen besteuert wird. Die Luftverkehrssteuer ist über die beschlossene, zum 1. April 2020 in Kraft tretende Erhöhung, weiter zu erhöhen und verursachergerechter zu gestalten (Einbezug von Frachtflügen, Höhergewichtung des Tarifs für Kurzstreckenflüge). Die Einbeziehung des Luftverkehrs in den europäischen Emissionshandel muss verbessert werden. Neben einer Ausweitung des Emissionshandels auf Flüge mit Start oder Landung außerhalb der EU, wie es ursprünglich vorgesehen war, wäre besonders wirksam eine schrittweise Beschränkung der Möglichkeit von Luftfahrtunternehmen, Zertifikate bei anderen Branchen zuzukaufen. Auch eine schnellere Absenkung des Emissionsdeckels, die Ausweitung der Versteigerungen und die Einbindung der Nicht-CO2-Effekte in den Emissionshandel würden das Instrument Emissionshandel stärken.
• Entwicklung von synthetischen Treibstoffen fördern
Für einen klima- und umweltverträglichen Flugverkehr muss fossiles Kerosin über kurz oder lang ersetzt werden. Alle Hoffnungen liegen dabei auf den synthetischen Kraftstoffen, die als Power to Liquid-Kerosin (PtL-Kerosin) oder als E-Kerosin bezeichnet werden. Der benötigte Strom für die Wasserstoff-Elektrolyse muss dafür aus erneuerbaren Quellen stammen, nur dann entsteht ein Klimaschutznutzen. Das Land NRW soll die Entwicklung von synthetischen Treibstoffen für den Luftverkehr sowie von solar-unterstützten Flugzeugen fördern.
• Flughäfen CO2-neutral machen
Die NRW-Flughäfen sollen spätestens bis 2050 klimaneutral betrieben werden. Dazu sind entsprechende Nachhaltigkeitskonzepte aufzustellen und vom Land zu unterstützen. Der Stuttgarter Flughafen macht vor, wie so etwas möglich ist. Hier werden die Passagierbusse und weitere Fahrzeuge auf dem Vorfeld als Elektro-Flotte umgerüstet. Für Flugzeuge auf ihren Parkpositionen stellt der Flughafen schrittweise Bodenstrom bereit und für die Kunden eine hohe Anzahl an Elektro-Ladesäulen. Umweltfreundlichen Strom produziert der Flughafen Stuttgart über große Fotovoltaikanlagen auf dem Gelände.
• Schadstoffimmissionen des Luftverkehrs verringern
Die vom Luftverkehr und Flughafenbetrieb ausgehenden Luftschadstoffemissionen machen einen nennenswerten Anteil an der Gesamtbelastung in benachbarten Kommunen aus. Ein besonderes Problem stellen die hohen Belastungen durch Ultrafeinpartikel im Flughafenumfeld dar. Durch den Einsatz elektrisch betriebener Bodenfahrzeuge sowie den Ersatz des APU-Betriebs von Luftfahrzeugen durch bodengebundene Versorgung der Luftfahrzeuge am Flughafen können verbrennungsbedingte Emissionen deutlich gemindert werden. Ein Ersatz des herkömmlichen Kerosins durch schwefel- und aromatenarmes Kerosin würde eine signifikante Reduktion von Ultrafeinstaub bewirken. Ein umfassendes und verbindliches Monitoring der Ultrafeinstäube an und um Flughäfen muss eingeführt werden.
• Landseitige Infrastruktur verbessern
Regionale Kooperationen und eine Verlagerung von Zubringerflügen auf die Schiene sind nur bei guter landseitiger Anbindung möglich. Die großen Flughäfen sind bereits gut angeschlossen. Die regionalen Flughäfen hingegen verfügen teilweise über untaugliche landseitige Anbindungen. Deshalb soll auf Basis von Kooperationskonzepten mit anderen Flughäfen und Übereinkünften zur Kostenbeteiligung die landseitige Anbindung der kleineren Flughäfen an die öffentlichen Verkehre unterstützt werden.
• Weniger Fliegen
Bei Dienstreisen sollte die Bahn das Verkehrsmittel der ersten Wahl sein. Zudem sollten Te- lefon- und Videokonferenzen häufiger genutzt werden. Dafür müssen aber die technischen und organisatorischen Möglichkeiten deutlich ausgebaut und verbessert werden. Ist eine Dienstreise mit dem Flugzeug nicht zu vermeiden, sollten die Klimawirkung der dabei freigesetzten Treibhausgase, inklusive der Nicht-CO2-Effekte, durch freiwillige Kompensationszahlungen in Klimaschutzprojekte ausgeglichen werden. Das Land sollte hierbei konsequent mit gutem Beispiel vorangehen und auch die Kommunen dabei unterstützen.