Kulturelle Vielfalt als wirtschaftlichen Erfolgsfaktor nutzen

Antrag der SPD Fraktion und der Fraktion Bündnis90/ Die Grünen

I. Sachverhalt

Menschen mit Migrationsgeschichte prägen seit vielen Jahren das Wirtschaftsleben in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert kamen viele Zuwanderinnen und Zuwanderer nach NRW, insbesondere in die Schwerpunktgebiete der Industrialisierung wie dem Ruhrgebiet. Durch die zunehmende EU-Erweiterung in den letzten Jahren suchen aber auch immer mehr EU-Bürgerinnen und EU-Bürger, Flüchtlinge und Asylbewerberinnen und -bewerber eine Heimat in Nordrhein-Westfalen. Damit geht einher, dass seit den 90er Jahren immer häufiger Unternehmen von Menschen mit Migrationshintergrund gegründet und erfolgreich geführt werden.
Selbstständige mit Migrationshintergrund sind mittlerweile in über 90 verschiedenen Wirtschaftsbereichen anzutreffen und nehmen einen bedeutenden Anteil an den Gesamtgründungen in unserem Land ein. Längst schon prägen sie nicht mehr allein die Klein- und Kleinstbetriebe, auch viele mittelständische Firmen und Großbetriebe gehören dazu. Nach einer Erhebung von fünf Industrie- und Handelskammern in Nordrhein-Westfalen gehört jedes elfte Unternehmen im Rheinland einem Unternehmer/ einer Unternehmerin mit Migrationshintergrund. Der überwiegende Teil dieser Unternehmen, nämlich 30.231, sind Einzelunternehmen oder Kleingewerbe. Immerhin 8.551 Unternehmen sind größer und entsprechend im Handelsregister eingetragen. Die meisten haben ihren Sitz in Köln und Düsseldorf.
Durch das Hervorbringen neuer Angebote und durch die Schaffung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen stellen Migrantinnen und Migranten somit eine tragende Säule des Gründungsgeschehens in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland dar. Sie tragen nicht nur überdurchschnittlich zu den Gründungen bei, sondern auch zur Beschäftigung, da sie ihre Existenzgründung häufiger mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter starten. Zudem hat sich das Profil der Gründungen in den vergangenen Jahren deutlich gewandelt. Der Anteil an wissensintensiven Dienstleistungen unter Selbständigen mit Migrationshintergrund hat sich deutlich erhöht und der Anteil im Handel und Gastgewerbe hat abgenommen.
Trotz dieser bereits heute bestehenden starken wirtschaftlichen Bedeutung sind die Potentiale dieser Gruppe der Selbständigen noch längst nicht ausgeschöpft.
Die Ausbildungsquote in Betrieben von Unternehmerinnen und Unternehmerin mit Migrationshintergrund ist seit Jahren steigend, dennoch liegt sie immer noch unter dem bundesweiten Durchschnitt. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Klein- und Kleinstbetriebe, von denen verhältnismäßig viele von Menschen mit Migrationshintergrund geführt werden, bilden insgesamt vergleichsweise selten aus. Dies liegt zum Teil daran, dass die Ausbildung für einen kleinen Betrieb oft eine größere Herausforderung darstellt als für mittlere und große Unternehmen.
Ein weiteres Problem ist, dass viele Gründerinnen und Gründer mit Migrationshintergrund wegen fehlender eigener Qualifikationen nicht ausbilden dürfen oder nicht wissen, wie sie die Voraussetzungen schaffen, um ausbilden zu können. Bestehende Informationsangebote vor allem der Kammern, aber auch auf Bundes- und Landesebene sind oft nicht bekannt und werden daher nicht in Anspruch genommen.
Die Bereitschaft zur Selbständigkeit ist bei Menschen mit Migrationshintergrund in der Regel höher, vor allem weil sie mit ihren Qualifikationen auf dem Arbeitsmarkt oftmals weniger erfolgreich sind (zum Beispiel weil die Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen in Deutschland teilweise nicht funktioniert oder weil sie beim beruflichen Einstieg Diskriminierungen erfahren) und daher berufliche Neuorientierungen, zum Beispiel durch Existenzgründungen, notwendig werden.
Existenzgründungen von Menschen mit Migrationshintergrund sind bei aller Vielfalt mit spezifischen Herausforderungen verbunden: Finanzierungsprobleme, sowohl in der Gründungs- als auch in der Wachstumsphase, zu wenig qualifiziertes Personal, keine mittelfristige Strategie zur Unternehmensentwicklung, wenig Informationen über Förderprogramme und Schwierigkeiten mit Auflagen der Behörden und Verfahrensabläufen. Auf diese spezifischen Fragestellungen muss mit passgenauen Beratungs- und Förderangeboten geantwortet werden.

II. Der Landtag stellt fest:

Gründungen von Menschen mit Migrationshintergrund stellen einen wichtigen Faktor für den Wirtschaftsstandort NRW dar. Sie tragen mittlerweile mehr zum Gründungsgeschehen bei als es ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung entspricht und schaffen Impulse für mehr Wachstum und Arbeitsplätze. Vor diesem Hintergrund ist es für das Land wichtig, das Gründungsgeschehen von migrantischen Unternehmen nachhaltiger zu gestalten, indem die Bekanntheit, der Zugang und die Nutzung dieser Beratungs-, Qualifizierungs- und Förderangebote weiter verbessert bzw. gesteigert wird und ihre Anwendbarkeit auf die Belange von Gründerinnen und Gründern mit Migrationshintergrund regelmäßig überprüft wir

III. Der Landtag beschließt:

Die Landesregierung wird aufgefordert,

  • gemeinsam mit Kammern, NRW.Bank, Migrantenorganisationen und den Agenturen für Arbeit gezielt die bestehenden Finanzierungs- und Unterstützungsangebote auf ihre Passgenauigkeit für potentielle Existenzgründerinnen und -gründer mit Migrationshintergrund zu überprüfen. So sollte insbesondere geprüft werden, ob die interkulturelle Beratungskompetenz der Beraterinnen und Berater der Startercenter NRW anforderungsgerecht ist und ggf. verbessert werden kann.
  • sich auf Bundesebene für eine Erleichterung des Zugangs zu Gründungsfinanzierungen (z. B. spezielle Mikrofinanzierungsprogramme und Fördermittel des Bundes) einzusetzen.
  • im Gespräch mit den Selbstverwaltungsorganisationen der Wirtschaft und Migrantenorganisationen Strategien zu entwickeln, wie Menschen mit Migrationshintergrund zukünftig stärker und ihrer Position innerhalb der Wirtschaft angemessen in den Organen der Kammern repräsentiert werden können.
  • ein Fortbildungsprogramm mit Hilfe der Kammern aufzulegen, das den Gründerinnen und Gründern besonders in der Anfangsphase Hilfestellung bei den administrativen Herausforderungen einer Gründung leistet. Das Fortbildungsprogramm sollte auch die Vermittlung einschlägiger Sprachkenntnisse beinhalten. Dabei kann gezielt auf die in NRW vorhandenen Kompetenzen von Migrantenorganisationen zurückgegriffen werden.
  • Angebote von kommunalen und regionalen Wirtschaftsförderungen für Gründerinnen und Gründer mit Migrationshintergrund anzuregen und dabei auf bestehende Unternehmen und deren Verbände zuzugehen und zielgruppenspezifische Informations- und Beratungsangebote vor Ort zu implementieren, zum Beispiel durch interkulturell kompetente Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner.
  • bestehende Zugangsbarrieren für selbständige Erwerbstätigkeit von Zuwanderern abzubauen.
  • das bestehende Online-Angebot startercenter.nrw für Gründerinnen und Gründer so weiterzuentwickeln, dass es auf die Bedürfnisse von Gründungsinteressentinnen und -interessenten mit Migrationshintergrund eingeht und alle wesentlichen Informationen und Hilfsangebote  für diese Gruppe leicht zugänglich macht.
  • gemeinsam mit den regionalen Kompetenzzentren Frau und Beruf die Beratungsangebote für Gründerinnen und Unternehmerinnen mit Migrationshintergrund auszubauen und an die kulturellen Bedürfnisse anzupassen.
  • gemeinsam mit den in NRW ansässigen Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit „engagement global“ und der GIZ, den IHKen sowie einschlägigen Migrantenorganisationen aus NRW durch NRW International Angebote entwickeln zu lassen, die es Gründerinnen und Gründern mit Migrationshintergrund erleichtern, ihre Kontakte und ihr Wissen aus und über ihre Herkunftsländer in erfolgreiche Geschäftsideen umzusetzen.
  • Schließlich sollte das statistisch wie wissenschaftlich bisher wenig untersuchte Thema der interkulturellen Übergaben von Unternehmen (von Deutschen und Migranten und umgekehrt) stärker als bisher erfasst und untersucht sowie Hilfeleistungen durch die Handwerkskammern oder andere geeignete Stellen geprüft werden.