Koordinierung von Schuldner – und Verbraucherinsolvenzberatung ermöglicht effiziente Beratungsstrukturen und stärkt Prävention

Antrag der Fraktion der SPD der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

I. Überschuldung von Privathaushalten, ein wachsendes Problem   

Der „Sozialbericht NRW 2016“ zeigt, dass in NRW wie in ganz Deutschland in den letzten Jahren die Zahl der überschuldeten Menschen angestiegen ist. Im Jahr 2015 waren danach in Nordrhein-Westfalen rund 1,69 Millionen Menschen überschuldet. Das sind circa 12.000 Personen mehr als im Vorjahr und rund 92.000 Personen mehr als im Jahr 2011. Die gleiche Entwicklung lässt sich auch bundesweit beobachten. Die Schuldnerquote lag in NRW im Jahr 2015 bei 11,5 Prozent. Besonders betroffen sind die Städte Wuppertal mit einer Schuldnerquote von 18 Prozent und Herne mit 17 Prozent. Im Jahr 2014 kam es in NRW zu 22.000 Privatinsolvenzverfahren (Sozialbericht).
Laut „Armuts- und Reichtumsbericht“ der Bundesregierung von 2013 definiert sich Überschuldung als die Situation, in der „Einkommen und Vermögen aller Haushaltsmitglieder über einen längeren Zeitraum trotz Reduzierung des Lebensstandards nicht ausreichen, um fällige Forderungen zu begleichen.“ Eine zentrale Botschaft aus den unterschiedlichen Berichten ist, dass sich Armut und Armutsrisiken weiter verfestigen. Die Überschuldungsquote ist auch in 2016 weiter gestiegen. Die Hauptursachen von Überschuldung (sogenannte Big Six, Quelle iff-Überschuldungsreport 2016) sind vor allem Arbeitslosigkeit, Trennung und Scheidung, Erkrankung, gescheiterte Selbständigkeit, unwirtschaftliche Haushaltsführung sowie Einkommensarmut. Laut Überschuldungsstatistik des Statistischen Bundesamtes sind in mehr als ein Drittel aller Fälle Kinder von der Überschuldung mitbetroffen.
Für die Betroffenen bedeutet Überschuldung neben den finanziellen Auswirkungen vielfach auch eine weitere soziale Destabilisierung. Sie stehen unter Stress, der die überschuldeten Personen auch häufig gesundheitlich beeinträchtigt. Die kritischen Verhältnisse belasten Partnerschaften und wirken sich negativ auf die Entwicklung von Kindern aus. Überschuldung führt somit häufig zur sozialen Ausgrenzung und fördert Parallelgesellschaften.
Die Überschuldungsstatistiken des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass insbesondere alleinerziehende Frauen und Männer mit einem hohen Risiko der Überschuldung konfrontiert sind – aber auch Niedrigqualifizierte, ältere Menschen und Migranten sind besonders armutsgefährdet und damit ebenfalls häufig betroffen.

II. Schuldner- und Insolvenzberatung – Bewährte Hilfe bei Überschuldung und wichtiger Beitrag zur Prävention und Armutsbekämpfung

Der Überschuldung einer wachsenden Zahl von Menschen lässt sich ohne qualifizierte Beratung und entsprechende Beratungsstrukturen kaum begegnen. Je früher Beratung ansetzt und Maßnahmen gegen (drohende) Überschuldung ergriffen werden, desto eher kann ein weiteres Absinken in die Schuldenspirale mit ihren finanziellen und sozialen Folgen verhindert werden. Das gilt insbesondere für die große Gruppe der von Überschuldung betroffenen Alleinerziehenden, die dadurch gekennzeichnet ist, dass in 80 Prozent der Fälle die Verschuldungshöhe unter 10.000 € liegt (Prof. Burmester, Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe). Insbesondere hier könnte die frühzeitige Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatung einen nachhaltigen Beitrag zu einer Entschuldungslösung für die betroffenen Menschen leisten und zugleich in der Folge auch in erheblichem Umfang soziale Leistungen einsparen. So trägt Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatung mit dazu bei, Arbeitsplätze trotz Überschuldung zu erhalten oder bei Arbeitslosigkeit dieses Vermittlungshemmnis zu reduzieren. Sie unterstützt bei der Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt. Sie fördert die Eigeninitiative der Betroffenen und ermöglicht eine neue Perspektive und soziale Teilhabe.
Schuldner- und Insolvenzberatung bedeutet für Überschuldete Existenzsicherung, bessere Kenntnisse der Haushaltsführung, eine geringere Gefährdung, erneut in Überschuldung zu geraten und bessere Chancen auf berufliche und soziale Integration. Gläubiger*innen erhalten einen besseren Überblick über kostenintensive Beitreibungsmaßnahmen. Für die Gesellschaft und die öffentlichen Haushalte hat dies zugleich weniger Folgekosten durch weniger Transferleistungen, mehr Teilnahme am Wirtschaftsleben und auch eine Entlastung der Justiz durch weniger Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zur Konsequenz.
Mit diesen Maßnahmen und Auswirkungen ist die Beratung bei Überschuldung zugleich immer Prävention. Denn die Beratungsinstrumente und -methoden haben gezeigt, dass sie sowohl Hilfe bei Überschuldung als auch Hilfe vor Überschuldung sind. Vor allem durch aufklärende Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit wird jetzt schon ein wichtiger Beitrag geleistet, dass Menschen nicht in eine Überschuldungssituation geraten. Hierzu tragen vor allem zielgruppenorientierte Veranstaltungen, zum Beispiel in Schulen, Familienzentren, Kirchengemeinden oder Migrantenhilfsorganisationen bei. In diesem Zusammenhang ist auf die besondere Rolle der nordrhein-westfälischen Sparkassen hinzuweisen. Die Sparkassen tragen in erheblichem Umfang zur Finanzierung der Schuldnerberatung in Verbraucher- oder Schuldnerberatungsstellen bei.

III. Keine Trennung von Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatung

Beratung von überschuldeten Menschen ist folglich eine umfassende und komplexe Tätigkeit. Dabei sind sowohl die Schuldnerberatung als auch die Verbraucherinsolvenzberatung wichtige und sich gegenseitig ergänzende Beratungsinstrumente. Diese Einheit ist aber aufgrund der unterschiedlichen Regelungszuständigkeiten von Land und Kommune nie flächendeckend und nachhaltig gegeben. Um den jeweiligen Finanzierungsmodalitäten zu entsprechen, wird von den Schuldnerberatungsstellen und den Kostenträger*innen oft künstlich etwas voneinander getrennt, das gar nicht trennbar ist. Diese Trennung basiert zum Teil auf der gegebenen Mischfinanzierungsstruktur der Schuldnerberatung.
In Deutschland sind für die Schuldnerberatung die Kommunen zuständig. Die Länder sind für die Verbraucherinsolvenzberatung zuständig und haben die Befugnis zu bestimmen, wer „geeignete Person oder Stelle“ ist. Diese Trennung von Kompetenzen und Zuständigkeiten ist ein großes Hindernis um flächendeckend eine präventive und effektive Beratungsstruktur aufzubauen. Die Erfahrungen zeigen, dass eine Trennung in traditionelle Schuldnerberatung einerseits und Verbraucherinsolvenzberatung durch keinen fachlichen Anlass zu begründen ist. Im Gegenteil: eine strikte Trennung zwischen Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatung verhindert ein ganzheitliches Beratungskonzept. Außergerichtliche Vereinbarungen sollten allerdings zwischen Schuldner*innen und Gläubiger*innen Vorrang haben. Denn jede außergerichtliche Vereinbarung ist aufgrund der wegfallenden Prozesskosten zugleich eine Entlastung des Landeshaushalts. Nur wenn eine außergerichtliche Einigung nicht möglich oder aufgrund der Gesamtumstände nicht angezeigt ist, kann das Verbraucherinsolvenzverfahren als weiteres Instrument zur Entschuldung genutzt werden.

IV. Beratungsbedarf definieren und koordinieren

Der „Armuts- und Reichtumsbericht“ der Bundesregierung von 2013 und der „Sozialbericht NRW 2016“ zeigen, dass aufgrund der wachsenden Überschuldung ein erhöhter Beratungsbedarf entstanden ist. Dieser Bedarf muss dringend gedeckt werden. Denn die Erfahrung zeigt, dass Schuldnerberatung einen wichtigen Beitrag zur psychosozialen und wirtschaftlichen Stabilisierung überschuldeter Menschen und ihrer Familienangehörigen leistet.
Allerdings sind durch die verstreuten und unkoordinierten Zuständigkeiten in der Schuldner- und Insolvenzberatung transparente und ganzheitliche Beratungsstrukturen nur schwer zu realisieren; potentielle Synergien lassen sich somit nur schwer realisieren. Dem Land kommt deshalb die Aufgabe zu, diesen Komplex zu vereinheitlichen und zu koordinieren. Zur Optimierung der Beratungsstrukturen ist deshalb eine ressortübergreifende Koordination und Vernetzung aller Akteure nötig. Diese Vernetzungstätigkeit muss Aufgabe der Landesregierung sein.
V. Kostenfreie Zugänge sichern
Die Gewährung eines Rechts auf Schuldnerberatung folgt dem Prinzip der sozialpolitischen Verantwortlichkeit, doch in der Praxis ist vielen Gruppen, wie beispielsweise Selbstständigen, Rentnerinnen und Rentner, Erwerbstätigen und jungen Erwachsenen, ein kostenfreier Zugang zur Schuldnerberatung verwehrt. Dabei ist gerade für Jugendliche ein bindender Anspruch auf eine kostenlose Schuldnerberatung eine essentielle Hilfestellung, um einen Einstieg in eine „Schuldnerkarriere“ zu vermeiden.
Die Gewährung eines Rechts auf Schuldnerberatung für Personen, die eine professionelle Beratung benötigen, sollte ohne hohe bürokratische Hürden, kostenfrei und zeitnah gewährt werden und zwar ehe sie auf Hilfe zum Lebensunterhalt angewiesen sind. Der Schutz des Klientinnen und Klienten vor zusätzlicher Ausbeutung durch unseriöse Beratungen, kann auf diese Weise ebenfalls vorgebeugt werden.

VI. Beschluss

Der Landtag fordert die Landesregierung auf ein Konzept zu erarbeiten, 
das eine ganzheitliche und präventive Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatung ermöglicht und dazu beiträgt, einen möglichst flächendeckenden und bedarfsgerechten Zugang zur Beratung zu schaffen, der die Ziele der Überschuldungsprävention, der Entschuldung und der Wiedereingliederung in das Sozial- und Wirtschaftsleben verfolgt. Die Vergabe öffentlicher Fördermittel und Subventionen soll daher an die Erfüllung soziale Kriterien geknüpft sein;
das klare Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zwischen den beteiligten Institutionen festlegt;
das die gesetzliche Grundlage für einen kostenlosen Zugang zur Schuldner- und Insolvenzberatung für alle Ratsuchenden schafft;
das in Koordination mit den zuständigen Kommunen, Wohlfahrtsverbänden und Verbraucherschutzorganisationen gemeinsame Qualitätsstandards für die Arbeit der Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen entwickelt und definiert;
das eine einheitliche und koordinierte Förderstruktur für die Schuldner- und Insolvenzberatung entwickelt; 
das die Entwicklung eines allgemein anerkannten Bedarfsschlüssels für ein Bedarf deckendes Netz an Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen in NRW gewährleistet.