„Kompetenzzentren selbstbestimmt Leben“ für Menschen mit Behinderungen in NRW weiterentwickeln

Antrag der SPD-Fraktion der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

I.

In NRW leben rund 2,6 Mio. Menschen mit Behinderung, rund 1,7 Mio. von ihnen gelten als schwerbehindert. Sie haben unterschiedliche Unterstützungsbedarfe. In den Sozialgesetzbüchern (SGB) sind ihre Rechte und Leistungsansprüche beschrieben. Die Vielzahl an gesetzlichen Bestimmungen und die Vielfalt von Leistungsträgern und Leistungserbringern ist für die Betroffenen oft unübersichtlich und nicht durchschaubar. Auch macht die jüngste Untersuchung "Teilhabe und Inklusion von Menschen mit Hörschädigung in unterschiedlichen Lebenslagen in Nordrhein-Westfalen" deutlich, wie wichtig die Beratung für Betroffene ist.
Die Behinderten-Selbsthilfe hat in den letzten Jahren eine Beratungsstruktur von Menschen mit Behinderung für Menschen mit Behinderung aufgebaut – ganz im Sinne des peer-counseling. Gemeinsam mit den vom Land NRW geförderten „Kompetenzzentren für Selbstbestimmtes Leben“ leisten sie ganz im Sinne der UN-Konvention, unverzichtbare Arbeit.
Das Recht auf eine selbstbestimmte Lebensführung ist einer der zentralen Grundgedanken der Konvention. Die Selbsthilfebewegung hat in den letzten drei Jahrzehnten viele Impulse zur Verbesserung eben dieser Rechtstellung gegeben und damit einen Wandel bei Dienstleistungen, Wohnformen und Unterstützungsleistungen herbeigeführt.
 Der Aktionsplan „Eine Gesellschaft für alle – nrw inklusiv“ beschreibt die Kompetenzzentren für Selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderungen als Institutionen, die die Bewusstseinsentwicklung für das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben in Politik und Gesellschaft voranbringen. Bisher gibt es zwei vom Land NRW finanziell unterstützte „Regionale Kompetenzzentren“, die selbstbestimmte Lebensformen von Menschen mit Behinderungen unterstützen, in Köln getragen vom „Zentrum selbstbestimmtes Leben“ und von MOBILE in Dortmund.
Als Anlaufstellen für Menschen mit Behinderung übernehmen sie verschiedene Aufgaben, wie Öffentlichkeitsarbeit, Interessenvertretung, Qualifizierung, leistungsträger- und anbieterunabhängige Beratung in besonderen Einzelfällen und die Vertretung der Interessen von Menschen mit Behinderung im Inklusionsbeirat des Landes NRW. Die „Kompetenzzentren selbstbestimmtes Leben“ (KsL) stehen für den Beratungsansatz des „peer counceling“ – Betroffene beraten Betroffene. Diesen Ansatz gilt es in NRW zu unterstützen und mit der Weiterentwicklung der KSL-Standorte weiter auszubauen.
Die Zentren unterstützen in allen Fragen, die mit Behinderung bzw. Beeinträchtigung in Verbindung stehen, oder vermitteln die jeweils passenden Ansprechpartner/-innen.
Die Kompetenzzentren sind zudem  Kooperationspartner  für alle Institutionen und Verbände, die sich mit Fragen der Beeinträchtigung und Behinderung mit dem Ziel der Stärkung selbstbestimmter Lebensformen unter Beachtung des Inklusionsparadigmas auseinandersetzen.  Sie vertreten die Belange von Menschen mit Behinderungen z.B. in politischen Gremien, tragen dazu bei, ein positives Bild von Menschen mit Behinderungen zu vermitteln und stärken so als Multiplikatoren das Bewusstsein für Inklusion und Teilhabe. Als regionale „Teilhabezentren“ dienen sie zudem der Vernetzung bestehender und zukünftiger Initiativen zur Schaffung eines inklusiven Gemeinwesens.
Eine weitere Aufgabe besteht in der Qualifizierung von „Lotsen für Menschen mit Behinderungen“ sowie in der Unterstützung und Begleitung der Lotsen mit dem Ziel, in der Fläche ein breites Angebot des „peer-counseling“ zu etablieren.
Neben den bereits modellhaft geförderten Kompetenzzentren arbeiten in NRW landesweit agierende qualifizierte Selbsthilfeverbände und -Netzwerke wie die Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe NRW – mit langjährigen Erfahrungen z.B. in der Interessenvertretung, in der Schulung zur sozialen Kompetenz und zum Sozialrecht, der Unterstützung zum selbstbestimmten Leben und der trägerunabhängigen Beratung nach dem „peer-counseling-Ansatz“ sowie zur Barrierefreiheit – und das Netzwerk von Frauen und Mädchen. Für die Gruppe psychisch kranker Menschen hat sich insbesondere der Landesverband der Psychiatrieerfahrenen einen Namen gemacht. Des Weiteren ist die Einrichtung „Agentur Barrierefrei“ zu nennen, die bereits als Kompetenzzentrum gefördert wird.
Diese schon bestehenden Projekte gilt es bei der Weiterentwicklung der Kompetenzzentren mit einzubeziehen. Ziel des Ausbaus der Kompetenzzentren ist auch die Vernetzung und Kooperation untereinander. Neben einem gemeinsamen allgemeinen Tätigkeitsprofil sollen in diesem Zusammenhang auch besondere Schwerpunktkompetenzen entwickelt werden.  Dabei ist auch darauf zu achten, dass sich die Angebote und Unterstützungsformen an die unterschiedlichen Zielgruppen so etwa auch an Menschen mit Sinnesbehinderung, Lernschwierigkeiten oder psychischen Beeinträchtigungen richten. So ist beispielsweise die „Selbsthilfe NRW e.V. ein seit langem behindertenspezifisch arbeitender Zusammenschluss nahezu aller Landesverbände von Menschen mit ganz unterschiedlichen Behinderungen und chronischen Erkrankungen.

II.

Für Frauen und Mädchen mit Behinderungen geht es neben der Sicherung der Grundrechte auch um spezielle Regelungen, die die besonderen Belange von Frauen mit Behinderungen berücksichtigen und Benachteiligungen beseitigen. Das Netzwerk engagiert sich seit über 15 Jahren für die nachhaltige Verbesserung der Lebenssituation von Frauen und Mädchen mit Behinderungen.
Die Sicherung der Rechte auf sexuelle Identität und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen und hier die Vernetzung mit Selbsthilfegruppen für LSBTTI stellt ein weiteres wichtiges Ziel dar.
Im Hinblick auf die Zugänglichkeit der Hilfe- und Unterstützungsangebote geht es dabei auch darum, dazu beizutragen, dass die oft zusätzlich bestehenden biografischen und strukturell bedingten Barrieren, die bei Menschen mit Behinderungen und Migrationshintergrund bestehen, abgebaut werden. Damit Menschen mit Behinderung ihre Rechte wahrnehmen können, wollen wir dafür sorgen, dass sie in allen Regionen in NRW parteiliche .Beratung in Anspruch nehmen können. Hierzu sollen, neben den bereits bestehenden „Kompetenzzentren Selbstbestimmt Leben“ weitere Anlaufstellen für Menschen mit Behinderungen entsprechend dem Aktionsplan „nrw – inklusiv“ ausgebaut werden.“

III. Der Landtag stellt fest:

Die vom Land NRW geförderten Kompetenzzentren leisten für Menschen mit Behinderung eine unverzichtbare Unterstützung, damit diese in ihren Rechten gestärkt werden und diese wahrnehmen können. Sie sind ferner als regionale Teilhabezentren AnsprechpartnerIn für Fragen der Inklusion und Selbstbestimmung und tragen somit zur Bewusstseinsbildung bei.
Im Aktionsplan „nrw inklusiv“ ist vereinbart, die Zahl der Kompetenzzentren in NRW perspektivisch zu erhöhen. Deshalb soll ihre Zahl so ausgebaut werden, dass in jedem Regierungsbezirk mindestens ein entsprechendes Angebot vorhanden ist.
Neben einem Basisprofil bilden sie jeweils Schwerpunkte heraus und vernetzen sich untereinander. Sie sollen als Projekte der Selbsthilfe auch die Menschen mit Sinnesbehinderung, psychischen Erkrankungen oder mit Lernschwierigkeiten ansprechen können. Wie in der Studie "Teilhabe und Inklusion von Menschen mit Hörschädigung in unterschiedlichen Lebenslagen in Nordrhein-Westfalen" vorgeschlagen – sollte auch ein spezielles Kompetenzzentrum für schwerhörigen, ertaubten, gehörlosen und taubblinden Menschen eingerichtet werden.
Die Kompetenzzentren gilt es geschlechtergerecht und kultursensibel auszurichten.

IV.          Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

das Angebot an „Kompetenzzentren selbstbestimmt Leben“ wie im Aktionsplan „Eine Gesellschaft für alle – nrw inklusiv“ angekündigt und oben dargestellt, auszubauen und qualitativ weiterzuentwickeln;
bei der Finanzierung auf die verfügbaren Mitteln für die gesellschaftliche und soziale Teilhabe im Einzelplan 11, auf verfügbare Mitteln der jeweils zuständigen Ressorts sowie auf Mittel des Europäischen Sozialfonds zurückzugreifen.