Kommunale Handlungsfähigkeit sichern – Kommunen nicht mit den Corona-Folgekosten alleine lassen

Entschließungsantrag der GRÜNEN im Landtag

Mehrdad Mostofizadeh
Entschließungsantrag zum Gesetzentwurf der Landesregierung „Gesetz zur konsequenten und solidarischen Bewältigung der COVID-19-Pandemie in Nordrhein-Westfalen und zur Anpassung des Landesrechts im Hinblick auf die Auswirkungen einer Pandemie“ (17/8920)

I.  Schutz der Bevölkerung beginnt in den Kommunen
Die Corona-Krise trifft alle gesellschaftlichen Bereiche mit voller Wucht. Auch die Städte und Gemeinden haben mit den Folgen der Pandemie zu kämpfen und benötigen daher einen Schutzschirm, um die kommunale Handlungsfähigkeit weiter garantieren zu können. Ein Großteil der Maßnahmen, die aktuell erforderlich sind, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen, finden auf kommunaler Ebene statt.
Keinesfalls darf die Leistungsfähigkeit von Gesundheitsämtern, Krisenstäben aber auch der sonstigen Beratung und Versorgung in den Städten und Gemeinden aufgrund finanzieller Engpässe oder haushaltsrechtlicher Einschränkungen in Gefahr geraten. Und die kommunale Handlungsfähigkeit muss natürlich auch nach der Krise gesichert sein. Denn schon heute ist klar, dass alle Städte hohe Einnahmeausfälle haben werden, insbesondere bei der Gewerbesteuer. Bereits jetzt ist absehbar, dass es zu Stundungen oder Rückzahlungen kommen wird und somit zu massiven Steuereinnahmeausfällen in den Kommunalhaushalten. Die Gewerbesteuereinnahmen betrugen im Jahr 2018 in NRW 10,6 Milliarden Euro und machen somit die größte kommunale Einnahmequelle aus. Sollten auch nur 1/3 der veranschlagten Einnahmen wegbrechen, würde dies ohne Eingriffe des Landes die faktische Zahlungsunfähigkeit für eine Vielzahl der Städte und Gemeinden in NRW bedeuten. Anders als Bund und Land gelten für die Kommunen extrem strikte Haushaltsregeln, von denen auch im Krisenfall nach jetziger Gesetzgebung nicht abgewichen werden darf. Die Kommunen dürfen die Schuldenbremse eben nicht aussetzen. Hier muss das Land sofort einschreiten und einerseits Geld bereit stellen sowie andererseits die Haushaltsregeln so verändern, dass die Handlungsfähigkeit der Kommunen erhalten bleibt.
Auch die Einnahmen aus dem kommunalen Anteil an der Einkommens- und Umsatzsteuer werden drastisch zurückgehen. Gleichzeitig werden perspektivisch durch einen Anstieg der Arbeitslosigkeit die Kosten der Unterkunft für Bezieher*innen von Arbeitslosengeld II steigen, für die die Städte zuständig sind. Und auch die Kosten für die inhaltlich richtige Forderung nach Aussetzung der Elternbeiträge für die nicht stattfindende Kinderbetreuung dürfen nicht bei den Städten hängenbleiben.
Die kommunale Handlungsfähigkeit zum Schutz der Bevölkerung sowie zur Aufrechterhaltung und zur Stärkung wichtiger Strukturen im sozialen und kulturellen Bereich darf nicht am Geld scheitern. Schnelle Reaktionen sind jetzt entscheidend. Daher sollten Corona-bedingte Verschlechterungen von den sonstigen Ausgaben isoliert gebucht und als unabdingbar angenommen werden, deren Ausgleich an anderer Stelle nicht ausgeglichen werden muss.
Das Land Rheinland-Pfalz hat bereits einen Nachtragshaushalt aufgestellt, aus dem explizit auch Soforthilfe-Leistungen für die Kommunen finanziert werden sollen. Aus dem Sofortprogramm der nordrhein-westfälischen Landesregierung müssen auch die Kommunen und kommunale Unternehmen finanzielle Unterstützung erhalten können. Dies sollte seitens der Regierung ausdrücklich klargestellt werden.
Die zu erwartenden Steuereinnahmeeinbrüche, die zusätzlichen Ausgaben im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Coronavirus sowie die immer noch nicht gelöste Altschuldenproblematik der Kommunen setzen die Städte und Gemeinden unter Druck und verursachen massive Verwerfungen in den Kommunalhaushalten. Damit gerät das aktuelle System der Gemeindefinanzierung, das schon bisher nicht auskömmlich war, ins Wanken. Um hier gegenzusteuern, muss das Land die Schlüsselmasse (Verbundsteuern) temporär – kreditfinanziert – aufstocken. Außerdem sollte der Stärkungspakt Stadtfinanzen verlängert werden, um die erst seit Kurzem wieder hergestellte Handlungsfähigkeit finanzschwacher Kommunen nicht zunichte zu machen. Die Wieder-Ankurbelung der Konjunktur nach der Corona-Krise wird wesentlich von der kommunalen Investitionstätigkeit abhängen: Investitionen in die kommunale Infrastruktur stärkt insbesondere den Mittelstand und das Handwerk vor Ort. Umso wichtiger ist es, ihre Leistungsfähigkeit zu sichern und sich auch weiterhin für eine Lösung der Altschuldenproblematik und eine auskömmliche Kommunalfinan- zierung einzusetzen.

II.  Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

Ein Soforthilfeprogramm zur Sicherung der kommunalen Handlungsfähigkeit aufzulegen, das insbesondere folgende Punkte umfasst:
1.      Sofortige Liquiditätssicherung der Kommunen aufgrund eintretender Einnahmeausfälle, vor allem bei der Gewerbesteuer, aber auch bei den Anteilen an der Einkommensteuer und anderer Steuerarten durch das Land.
2.      Anpassung der haushaltsrechtlichen Vorgaben an die kurzfristig erfolgenden Einbrüche speziell bei der Gewerbesteuer und den erforderlichen Corona-bedingten Mehrausgaben zur Vermeidung von Zahlungsunfähigkeiten (temporäre Aussetzung oder Änderung der Vorgaben der Gemeindeordnung und ggf. des NKF zur Erhaltung der Liquidität). Haushaltssperren müssen ausdrücklich vermieden werden.
3.      Zur Abfederung der Steuerausfälle sind direkte Finanzhilfen des Landes aus dem Nachtragshaushalt bereit zu stellen.
4.      Das Land muss die Rahmenbedingungen schaffen, um Corona-bedingte Mehrausgaben in den Kommunalhaushalten zu isolieren und somit eine landesweite Abgrenzung der Mehrausgaben auf kommunaler Ebene zu erreichen. Die entstehenden Schulden sind künftig in einem längerfristigen Tilgungsplan mit massiver Unterstützung abzuzahlen.
5.      Städtische Unternehmen sind bislang von den auf Bundesebene zur Verfügung gestellten Mitteln zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise ausgenommen. Dabei sind auch sie von den Einschränkungen des öffentlichen Lebens betroffen (Kultureinrichtungen, Messen, Bäder etc.). Daher müssen sie in gleicher Weise auch an dem vom Land eingerichteten Sonderprogramm teilnehmen können.
6.      Vollständige Übernahme der Kosten der Elternbeiträge bei Kindertageseinrichtungen und Ganztagsbetreuung an Schulen während der angeordneten (Teil-) Schließung durch das Land.
7.      Verlängerung aktuell laufender kommunaler Investitionsprogramme (Kommunalinvestitionsfördergesetz, Gute Schule 2020), da sich Maßnahmenumsetzungen aufgrund der Corona-Krise verzögern werden.

8.      Deckung der zu erwartenden Corona-bedingten Steuermindereinnahmen in den Kommunalhaushalten aus dem Sondervermögen des Landes oder durch ein vergleichbares Instrument.
9.      Temporäre Aufstockung der Verbundmasse im Gemeindefinanzierungsgesetz 2021, um die zu erwartende Verringerung der Verbundmasse auszugleichen.
10. Anpassung der Vorgaben des Stärkungspaktes sowie befristete Verlängerung, damit die in der Vergangenheit erzielten Erfolge beim Ausgleich der Kommunalhaushalte nicht durch die Corona-Krise hinfällig werden.