Kommunale Demokratie und kommunales Ehrenamt als Fundament unserer freiheitli­chen Demokratie stärken und fördern

Antrag der Fraktionen von CDU und GRÜNE im Landtag

Portrait Robin Korte

I. Ausgangslage

Unsere freiheitliche und föderale Demokratie steht auf dem Fundament der breiten gesell­schaftlichen Teilhabe und Mitbestimmung. In Nordrhein-Westfalen engagieren sich rund 20.000 Menschen im kommunalen Ehrenamt und tragen so jeden Tag entscheidend zum Ge­lingen unserer Demokratie bei. Die Zukunftskoalition von CDU und GRÜNEN in Nordrhein-Westfalen versteht die Stärkung der kommunalen Demokratie und politischen Teilhabe als wesentlichen Pfeiler einer lebendigen und resilienten Gesellschaft. In diesem Zusammenhang ist es von zentraler Bedeutung, die Partizipation junger Menschen und aller Geschlechter zu fördern und kommunale Ehrenämter besser mit den Anforderungen von Familie und Beruf vereinbar zu machen. Wichtige Empfehlungen hierzu gaben bereits der 2016 erschienene Ab­schlussbericht der sogenannten „Ehrenamtskommission“ des 16. Landtags des Landes Nord­rhein-Westfalen sowie der Abschlussbericht der Enquetekommission „Subsidiarität und Parti­zipation“ aus dem Jahr 2021.

Unsere Demokratie lebt vom Engagement ihrer Bürgerinnen und Bürger. Das kommunale Eh­renamt bildet eine tragende Säule unserer demokratischen Kultur. Die Zukunftskoalition er­kennt, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen, insbesondere junge Berufstätige und Eltern jun­ger Kinder – insbesondere Frauen – , Menschen mit Migrationsgeschichte und Menschen mit Behinderung, im kommunalen Ehrenamt unterrepräsentiert sind. Dies unterstreicht die Not­wendigkeit, strukturelle Hindernisse zu beseitigen und das Ehrenamt attraktiver und zugängli­cher zu machen. Wir sind daher entschlossen, das Engagement aller Bevölkerungsgruppen im kommunalen Bereich durch geeignete Maßnahmen zu steigern, z.B. durch bessere Sit­zungsgestaltungen und finanzielle Unterstützungen und somit eine familiengerechtere, inklu-sivere und vielfältigere Beteiligung zu ermöglichen.

Rund 70 Prozent der kommunalen Mandatsträgerinnen und Mandatsträger in Nordrhein-West­falen sind erwerbstätig oder selbstständig; über zwei Drittel davon in Vollzeit. Jedoch nutzt weniger als die Hälfte die Regelungen für Freistellung, Verdienstausfall oder den Ersatz not­wendiger Betreuungskosten. Wir wollen die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und kommuna­lem Ehrenamt verbessern. Hierzu gehört auch die gesetzliche Verankerung eines Anspruchs auf eine kostendeckende Erstattung von den notwendigen Betreuungskosten für Kinder und pflegebedürftige Angehörige während der Ausübung des Mandats. Zudem ist es für den Fall, dass eine anderweitige Betreuung nicht sichergestellt werden kann, wichtig, den Zugang zu Rats- und Ausschusssitzungen für betreuungsbedürftige Kinder von Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern zu gewährleisten, ohne die Integrität und Effektivität der Sitzungen zu beein­trächtigen. Darüber hinaus ist zu prüfen, wie die Hürden zur Geltendmachung von Freistellung bzw. Verdienstausfall für abhängig Beschäftigte bzw. für freiberuflich tätige Personen harmo­nisiert und Ungleichbehandlungen von abhängig Beschäftigten mit und ohne flexiblen Arbeits­zeitmodellen abgebaut werden können.

Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Verbesserung der Planbarkeit und Flexibilität kommuna­ler Mandate. Die Einführung einer „Kann-Regelung“ zur zeitlichen Begrenzung von Sitzungen in kommunalen Gremien ist ein wichtiger Schritt, um die Ausübung von Mandaten attraktiver und planbarer zu gestalten. Hierbei sollen sowohl die Belange der Mandatsträger als auch die Effizienz der Gremienarbeit berücksichtigt werden.

Eine besondere Form der Flexibilität böte die Möglichkeit, in bestimmten Fällen wie beispiels­weise Eltern- oder Pflegezeit, eine befristete Auszeit vom kommunalpolitischen Mandat zu nehmen. Derzeit sind Menschen gezwungen, ihr Mandat mit Wirkung bis zum Ende der Wahl­periode abzugeben, auch wenn sie es nur für einige Wochen oder Monate nicht wahrnehmen können oder wollen. Das kann beispielsweise Menschen, die junge Kinder haben oder eine Familie planen, von der Bewerbung für ein Mandat abhalten oder zu einem Rücktritt vom Man­dat bewegen. Analog zu den Regelungen von Mutterschutz, Elternzeit, Pflegezeit und der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall könnte eine zeitlich befristete Vertretungsmöglichkeit vielen Menschen die Entscheidung für ein kommunales Ehrenamt enorm erleichtern. Daher sollen die rechtlichen Möglichkeiten zur Einführung einer solchen Option geprüft werden.

Die Stärkung der politischen Teilhabe junger Menschen ist ein weiteres zentrales Anliegen der Koalition. Dies beinhaltet insbesondere die Einführung eines passiven Wahlrechts für sach­kundige Bürgerinnen und Bürger sowie sachkundige Einwohnerinnen und Einwohner ab 16 Jahren sowie die Gewährung einer uneingeschränkten Teilnahmemöglichkeit von sachkundi­gen Bürgerinnen und Bürgern an nichtöffentlichen Sitzungen. Außerdem ist zu prüfen, wie und ob Schülerinnen und Schüler, Studentinnen und Studenten sowie Auszubildende zur Wahr­nehmung eines kommunalpolitischen Ehrenamtes freigestellt werden können. Diese Maßnah­men zielen darauf ab, politisches Engagement und Verantwortungsbewusstsein bereits in jun­gen Jahren zu fördern.

Ein weiteres zentrales Anliegen der schwarz-grünen Koalition ist die Stärkung der Kreistage in Nordrhein-Westfalen und die Stärkung der finanziellen Rahmenbedingungen für Mandats­trägerinnen und Mandatsträger. Daher wird angestrebt, die Kreisordnung zu ändern, um den Kreistagen die Wahl von Beigeordneten auf Kreisebene zu ermöglichen. Diese Maßnahme zielt darauf ab, die Entscheidungskompetenz und Effektivität der Kreistage zu erhöhen.

Um die finanzielle Anerkennung des Ehrenamts, gerade auch in herausfordernden Zeiten und nach einer Phase hoher Inflation, zu stärken, streben wir eine angemessene Anpassung der Aufwandsentschädigungen an. Dafür soll die mit der Entschädigungsverordnung ab 2024 neu eingeführte jährliche Erhöhung der Aufwandsentschädigungen um jeweils 2 % pro Jahr auch rückwirkend für die Jahre 2021 bis 2023 angewendet werden. Darüber hinaus sollen die steu­erlichen Freibeträge für Aufwandsentschädigungen voll ausgeschöpft und eine differenzierte Betrachtung der Entschädigungsregelungen zwischen kreisfreien Städten und kreisangehöri­gen Gemeinden geprüft werden.

Wesentlich ist auch die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Rats- und Kreistags­arbeit in Nordrhein-Westfalen. Effektive kommunale Arbeit hängt nicht nur von den Personen ab, die sie leisten, sondern auch von den Bedingungen, unter denen sie stattfindet. Daher soll auf kommunaler Ebene sichergestellt werden, dass Rats- und Kreistagsfraktionen, abhängig von der Größe der Gebietskörperschaft, mit geeigneten Räumlichkeiten für Sitzungstätigkeiten und einer angemessenen sowie zeitgemäßen IT-Ausstattung versorgt werden. Dies soll eine effiziente und moderne Arbeitsweise ermöglichen und die Qualität der kommunalen Selbstver­waltung weiter steigern.

Zudem beabsichtigt die Zukunftskoalition, eine stärker nach der Größe der Kommunalvertre­tung differenzierte Untergrenze für die Fraktionsbildung einzuführen. Diese Maßnahme orien­tiert sich an der Arbeit der 16. Wahlperiode des Landtags Nordrhein-Westfalen und zielt darauf ab, die Effektivität der Rats- und Kreistagsarbeit zu optimieren, während gleichzeitig die ver­fassungsrechtlichen Vorgaben gewahrt bleiben.

Ebenso ist die seit dem 1. Januar 2024 bereits in der Entschädigungsverordnung des Landes aufgenommene Möglichkeit, die Funktion und Entschädigung der Fraktionsvorsitzenden auf zwei Personen aufzuteilen („Doppelspitze“), auch gesetzlich zu verankern. Dies soll nicht nur die Last der Verantwortung verteilen, sondern auch eine vielfältigere Repräsentation und eine breitere Entscheidungsgrundlage in den Fraktionen fördern.

Schließlich erkennt die Koalition die Bedeutung digitaler Technologien für die Zukunft der kom­munalen Selbstverwaltung an und zielt auf ihre Stärkung ab. Daher wird die Anwendung zer­tifizierter Softwarelösungen für die rechtssichere Durchführung digitaler und hybrider kommu­naler Gremiensitzungen begleitet. In enger Abstimmung mit den kommunalen Spitzenverbän­den soll evaluiert und geprüft werden, inwieweit die digitale und hybride Durchführung von Gremiensitzungen weiterentwickelt werden kann. Dies soll die Zugänglichkeit und Flexibilität der kommunalen Arbeit erhöhen und die Teilhabe an der lokalen Demokratie in Zeiten der Digitalisierung sichern.

Die Zukunftskoalition von CDU und GRÜNEN ist überzeugt, dass durch diese Maßnahmen die Attraktivität kommunaler Mandate gesteigert und eine breitere und vielfältigere Beteiligung an der kommunalen Selbstverwaltung erreicht werden kann.

II. Beschlussfassung

Die Landesregierung wird beauftragt,

  • die demokratische Teilhabe junger Menschen sowie die Vereinbarkeit kommunaler Eh­renämter mit Familie und Beruf zu verbessern und dazu den Anspruch auf eine Erstat­tung des finanziellen Aufwands für die Betreuung von betreuungsbedürftigen Kindern und pflegebedürftigen Familienangehörigen gesetzlich festzulegen, so dass zumindest die Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns sichergestellt ist;
  • verbindlich festzulegen, dass Kindern von Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern, die nach den einschlägigen Rechtsvorschriften betreuungsbedürftig sind, der Zugang zu Rats- und Ausschusssitzungen nicht verweigert werden soll, solange die ordnungsge­mäße Durchführung der Sitzung sowie die Vertraulichkeit von nichtöffentlichen Bera­tungsgegenständen gewährleistet bleibt;
  • einen Entwurf für eine gesetzliche Grundlage („Kann-Vorschrift“) einzubringen, die er­möglicht, dass Sitzungen kommunaler Gremien im Rahmen von Festlegungen in Haupt­satzung oder Geschäftsordnung zeitlich nach Dauer bzw. Uhrzeit begrenzt werden kön­nen, so dass eine bessere Planbarkeit der Mandatsausübung für die Mandatsträgerin­nen und Mandatsträger ermöglicht wird;
  • einen Entwurf für eine gesetzliche Grundlage für ein passives Wahlrecht für sachkundige Bürgerinnen und Bürger sowie sachkundige Einwohnerinnen und Einwohner ab Vollen­dung des 16. Lebensjahrs einzubringen;
  • eine uneingeschränkte Teilnahme für sachkundige Bürgerinnen und Bürger an nichtöf­fentlichen Rats-, Ausschuss- und Fraktionssitzungen durch Regelung in der Hauptsat­zung zu ermöglichen;
  • die Hürden zur Geltendmachung von Freistellung bzw. Verdienstausfall für abhängig Be­schäftigte bzw. für freiberuflich tätige Personen zu senken und zu harmonisieren;
  • zu prüfen, wie die derzeitige Ungleichbehandlung von abhängig Beschäftigten mit und ohne flexible Arbeitszeitmodelle bei der Geltendmachung von Freistellung und Ver­dienstausfall abgebaut werden kann;
  • gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden zu prüfen, wie Mandatsträgerinnen und Mandatsträger zukünftig zentral über ihre Ansprüche informiert und bei deren Gel­tendmachung unterstützt werden können;
  • zu prüfen, ob Schülerinnen und Schüler, Studentinnen und Studenten sowie Auszubil­dende, die im Rahmen der dualen Ausbildung ein Berufskolleg besuchen, in die Rege­lungen zur Freistellung nach der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen zur Wahrnehmung eines kommunalpolitischen Ehrenamtes einbezogen werden können;
  • zu prüfen, wie eine Unterbrechung der Ausübung kommunaler Mandate (Mandatsaus­zeit) im Rahmen des Mutterschutzes, der Elternzeit, der Pflegezeit sowie im Falle länge­rer Erkrankungen in Verbindung mit der zeitlich begrenzten Übertragung von Stimmrech­ten verfassungskonform und rechtssicher ausgestaltet werden könnte;
  • die Rahmenbedingungen für die Ratsarbeit zu verbessern und dazu durch Regelungen im Fraktionserlass sicherzustellen, dass Rats- und Kreistagsfraktionen in Abhängigkeit von der Größe der Gebietskörperschaft geeignete Räumlichkeiten für Sitzungstätigkei­ten zu angemessenen Zeiten und eine angemessene und zeitgemäße IT-Ausstattung zur Verfügung stehen;
  • eine nach der Größe der Kommunalvertretung stärker differenzierte Untergrenze für die Fraktionsbildung nach dem Vorbild aus der 16. Wahlperiode (Drucksache 16/12363) un­ter Wahrung der verfassungsrechtlichen Vorgaben einzuführen;
  • einen Entwurf für eine gesetzliche Grundlage für die Möglichkeit, Funktion und Entschä­digung der Fraktionsvorsitzenden auf zwei Personen aufzuteilen („Doppelspitze“) einzu­bringen;
  • die Anwendung der zertifizierten Softwarelösungen für die rechtssichere Durchführung digitaler und hybrider kommunaler Gremiensitzungen zu begleiten und gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden zu evaluieren und zu prüfen, inwieweit die digitale und hybride Durchführung von Gremiensitzungen weiterentwickelt werden kann;
  • einen Vorschlag zur Änderung der Kreisordnung vorzulegen, der die Rechte von Kreis­tagen stärkt indem ihnen die Wahl von Beigeordneten auf Kreisebene ermöglicht wird;
  • die finanzielle Aufwandsentschädigung für die Ausübung kommunaler Mandate spürbar zu verbessern und dazu die mit der Neufassung der Entschädigungsverordnung ab 2024 eingeführte jährliche Erhöhung der Aufwandsentschädigungen um jeweils 2 % pro Jahr auch rückwirkend für die Jahre 2021 bis 2023 vorzunehmen;
  • den Rahmen der Lohnsteuerrichtlinie bei der Festlegung der Steuerfreibeträge für Auf­wandsentschädigungen vollständig auszuschöpfen;
  • gemeinsam mit den Kommunalen Spitzenverbänden zu prüfen, ob im Rahmen der Ent­schädigungsverordnung eine Unterscheidung zwischen kreisfreien Städten und kreisan­gehörigen Städten und Gemeinden sachgerecht ist und falls ja, wie diese ausgestaltet werden kann.