Kommunale Daseinsvorsorge sichern: Gestaltungsspielräume und Entscheidungsfreiheit bei der Vergabe der Wasserversorgung und sozialer Dienstleistungen müssen erhalten bleiben.

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

I. Ausgangslage

Die Verhandlungen über den Vorschlag der EU-Kommission (KOM(2011) 897 endgültig) vom 20. Dezember 2011 zur Schaffung einer EU-Richtlinie zur Vergabe von Konzessionen, unter anderem im Bereich der Wasserversorgung, befindet sich derzeit in der heißen Phase in Rat und Parlament. Der Vorschlag ist Teil des Pakets zur Neuordnung des EU-Vergaberechts und der sogenannten Binnenmarktakte.
Der Vorschlag für eine Richtlinie über die Konzessionsvergabe sieht vor, dass Privatunternehmen der Zugang zu öffentlichen Konzessionen ermöglicht werden soll. Die meisten Dienstleistungskonzessionen werden im Bereich der netzgebundenen Dienste, wie im Energie-, Wasser-, Kommunikations- und Verkehrsbereich vergeben. Sie sind Dienste von allgemeinem (wirtschaftlichen) Interesse und sind bisher vom Anwendungsbereich des Vergaberechts ausgenommen.
Der Vorschlag setzt sich unter anderem zum Ziel, allgemeine Regeln für die Qualität und Bezahlbarkeit des Wassers sicherzustellen, um Transparenz zu wahren und Korruption zu verhindern, wenn Private bei der Konzessionsvergabe zum Zuge kommen. Mit der neuen Richtlinie würde unter bestimmten Umständen eine Ausschreibungspflicht für Dienstleistungskonzessionen vorgeschrieben werden.
Bereits vor der finalen Veröffentlichung des Vorschlags der Kommission gab es harsche Kritik – sowohl aus Deutschland als auch von Seiten des Europäischen Parlaments. Auch der Bundesrat (BR-Drs-Nr: 874/11 (Beschluss) (2)) und der Bundestag (Drs. 17/9069) äußerten 2012 große Bedenken.
Zwar ermöglicht die EU-Kommission die „Inhouse-Vergabe“ an kommunale Unternehmen als Alternative zur Ausschreibung. Sie erlaubt diese aber nur unter sehr restriktiven Bedingungen. So muss sich das Unternehmen zu 100 Prozent im Besitz der Kommune befinden und mindestens 80 Prozent seines Umsatzes mit Dienstleistungen für den Eigentümer – also die Stadt – erzielen. Diese Bedingung erfüllt derzeit kein Stadtwerk in Nordrhein-Westfalen auch nur annähernd. Viele Stadtwerke haben private Anteilseigner und erzielen ihren Umsatz mit den Bürgerinnen und Bürgern und nicht mit der Kommune.
Die Richtlinie würde somit tief in die Organisationsfreiheit der Kommunen in Bezug auf ihren Daseinsvorsorgeauftrag eingreifen, indem sie die Ausschreibungspflicht von Dienstleistungen an strikte Kriterien für die Organisationsform der kommunalen Unternehmen bindet.
Der hohe und europaweit führende Qualitätsstandard des Trinkwassers in Deutschland ist in hohem Maße auf die von den Kommunen verantwortete Wasserversorgung zurückzuführen. Bei einer EU-weiten Ausschreibung stünde zu befürchten, dass die Trinkwasserqualität zum Nachteil der Verbraucherinnen und Verbraucher signifikant sinkt.
Der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz des Europäischen Parlaments hat den Kommissionsvorschlag am 24. Januar 2013 mit Änderungen, bei einigen Gegenstimmen, angenommen. Bei der Abstimmung im Binnenmarktausschuss wurde jedoch ein fauler Kompromiss beschlossen, der vorsieht, die Wasserversorgung lediglich zeitlich begrenzt bis
2020 aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie zu nehmen und auch nur dann, wenn sie vollständig in öffentlicher Hand ist. Das ist jedoch nicht ausreichend.
Das Hauptproblem an der vorgeschlagenen Richtlinie bleibt damit weiterhin bestehen: Die geplanten EU-Regeln gefährden die kommunale Daseinsvorsorge, besonders Wasserversorgung und soziale Dienstleistungen sind in Gefahr.
Die schwarz-gelbe Bundesregierung, vor allem Wirtschaftsminister Philipp Rösler, hat sich bisher in den Verhandlungen zur Konzessionsrichtlinie in keiner Weise für die Interessen der Bürgerinnen und Bürger und der Kommunen zur Erhaltung sicherer rechtlicher Rahmenbedingungen für die zukünftige Trinkwasserversorgung in Deutschland eingesetzt. Vielmehr hat die Bundesregierung, sogar entgegen eines Beschlusses der Koalitionsfraktionen im Bundestag, im Rat dem Vorschlag der Kommission grundsätzlich zugestimmt und somit billigend in Kauf genommen, dass die kommunale Wasserversorgung in Deutschland gefährdet wird.
Auch in der Zivilgesellschaft regt sich mittlerweile breiter Widerstand gegen die Konzessionsrichtlinie. Unter dem Motto „Wasser ist ein Menschenrecht“ haben engagierte Bürgerinnen und Bürger weit mehr als 1 Mio. Stimmen gesammelt. Infolge dessen muss sich die Europäische Kommission mit den Forderungen dieser Bürgerinitiative befassen: „Die Versorgung mit Trinkwasser und die Bewirtschaftung der Wasserressourcen darf nicht den Binnenmarktregeln unterworfen werden. Die Wasserwirtschaft ist von der Liberalisierungsagenda auszuschließen.“
Der Landtag begrüßt diese zivilgesellschaftliche Initiative.

II. Der Landtag stellt fest:

1. Der Landtag beobachtet mit Sorge, dass es im Zuge der Verhandlungen auf europäischer Ebene bisher nicht gelungen ist, Aufgaben der kommunalen Daseinsvorsorge, explizit der Wasserversorgung, dauerhaft aus dem Anwendungsbereich der geplanten EU-Richtlinie herauszunehmen.
2. Die Gestaltungshoheit und der Handlungsspielraum der Kommunen zur Vergabe und Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge dürfen durch europäische Wettbewerbsregelungen nicht unangemessen eingeschränkt werden.
3. Die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen ist durch das bestehende Primärrecht der Europäischen Union (Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und Transparenz) und die ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes hierzu, hinreichend rechtssicher geregelt. Es besteht daher keine Notwendigkeit einer weiteren Verrechtlichung mit den entsprechenden bürokratischen Belastungen für öffentliche Auftraggeber und Unternehmen.

III. Der Landtag:

1. fordert die Landesregierung auf, sich weiterhin bei der Bundesregierung dafür einzusetzen, dass der Vorschlag der EU-Kommission für eine Konzessionsrichtlinie zurückgenommen oder geändert wird.
2. verweist darauf, dass Trinkwasser das Lebensmittel Nr. 1 ist, das geschützt, verteidigt und entsprechend behandelt werden muss. Der Zugang zu Wasser ist Menschenrecht. Wasser kann deshalb keine übliche Handelsware sein.
3. verweist darauf, dass die Wasserversorgung ein Kernstück der kommunalen Daseinsvorsorge ist. Diese bewährten Strukturen gilt es im Interesse von Umwelt, Bürgerinnen und Bürgern und kommunaler Selbstverwaltung zu bewahren.
4. fordert in Bekräftigung des Beschlusses des Bundesrats vom 30.03.2012 (BR-Drs-Nr: 874/11 (Beschluss) (2)), dass weder auf europäischer noch auf nationalstaatlicher Ebene Beschlüsse gefasst werden:

  • welche die kommunale Daseinsvorsorge, die Kreditaufnahmen der Kommunen und die Leistungen, für die die Bundesländer originär zuständig sind, gefährden würden und
  • welche zu bürokratischem Mehraufwand für die Kommunen und zu Mehrkosten für die Bürgerinnen und Bürger führen würden.