Klimaneutraler Zement für Nordrhein-Westfalen

Antrag der Fraktionen von CDU und GRÜNE im Landtag

Portrait Jan Matzoll

I. Ausgangslage

Nordrhein-Westfalen ist Industrie- und Energieland Nummer 1 in Deutschland. Wir wollen, dass das so bleibt. Wir denken Klimaschutz und Industrie zusammen.

Die Zukunftskoalition von CDU und GRÜNEN verfolgt das ambitionierte Ziel, Nordrhein-West­falen zur ersten klimaneutralen Industrieregion Europas zu entwickeln. Dabei stellen wir sicher, dass unser Land sowohl ein innovativer, nachhaltiger und dadurch wettbewerbsfähiger Wirt­schaftsstandort bleibt, an dem Klimaschutz, der Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen, gute Arbeitsplätze und soziale Sicherheit untrennbar zusammengehören. Unser Anspruch ist, Nordrhein-Westfalen zum führenden Land der industriellen Transformation zu machen. Hierfür weist unser Land einen starken Standortvorteil auf, den es im Zuge der industriellen Transfor­mation auszubauen gilt: Es existieren bereits enge Vernetzungen der industriellen Branchen und Wertschöpfungsstufen in Nordrhein-Westfalen. Die Landesregierung wird zudem mit dem Bündnis für Transformation, dem Zukunftsdialog Industrie sowie dem Industriepakt für Kli­maneutralität und Wettbewerbsfähigkeit die zentralen Weichen stellen, um die Rahmenbedin­gungen für das Industrieland Nordrhein-Westfalen zielgerichtet im Dialog mit den Beteiligten weiterzuentwickeln.

Im Fokus stehen im Transformationsprozess die Grundstoffindustrien, da diese in der Regel energie- und somit auch CO2-intensiv sind. Hier sind die Herausforderungen besonders groß. Für eine Grundstoffindustrie gilt dabei besonders: Klimaneutrale Industrie in Nordrhein-West­falen geht nicht ohne klimaneutrale Bindemittel. Zement ist der wichtigsten Baustoffe im Bau weltweit. Dadurch ist die globale Zementindustrie mit jährlich 2,8 Milliarden Tonnen CO2 für circa sieben Prozent der gesamten weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Für die Erreichung der Klimaschutzziele ist laut IPCC Sonderbericht die Entwicklung der Treib-hausgasemissionen in den nächsten zehn Jahren besonders entscheidend.

Nordrhein-Westfalen ist für die Zementindustrie ein starker Standort: Mit insgesamt elf Ze­mentproduktionsstandorten, mit einem Schwerpunkt im Münsterland und Ostwestfalen, ist die Zementindustrie auch eine wichtige Arbeitgeberin in Nordrhein-Westfalen. Gleichzeitig ist Ze­ment ein CO2-intensives Produkt, welches in Nordrhein-Westfalen rund 5 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr ausstößt. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um unvermeidbare Prozes­semissionen, die auf die chemischen Reaktionen beim Herstellungsprozess des Zementklinkers zurückgehen und etwa zwei Drittel der Produktionsemissionen ausmachen. Bei dem verbliebenen Drittel handelt es sich um energiebedingte CO2-Emissionen.

Hier liegen die wesentlichen Hausaufgaben in der Zementindustrie auf dem Weg in die Kli­maneutralität. Im Bereich der Prozess- und Produktionsroutenoptimierungen gilt es beispiels­weise die thermische Effizienz zu steigern, die Emissionsintensität durch einen Wechsel auf regenerative Energieträger (etwa Strom aus Erneuerbaren Energien sowie grüner Wasser­stoff) bzw. durch die Nutzung klimaneutraler Einsatzstoffe, wie biomassehaltige alternative Brennstoffe, zu reduzieren sowie die Produktion der mit einem reduzierten Klinkeranteil ver­sehenen Zemente zu forcieren, wie beispielsweise CEM II/C-Zement, die dadurch über eine reduzierte CO2-Bilanz verfügen.

Neu hinzugekommen sind Möglichkeiten der CO2-Reduzierung durch neue Bindemittel und der Nutzung von Rohstoffen, sowohl für die Herstellung des Zementklinkers, des fertigen Ze­ments und des Betons durch den Einsatz z.B. von Recyclingmaterialien. Insbesondere in der Entwicklung neuer Bindemittel und dem Einsatz von alternativen Rohstoffen sind in der Bran­che größere Entwicklungssprünge zu erwarten. Gleichzeitig erfordert eine nachhaltige Minde­rung der CO2-Mengen eine Optimierung entlang der gesamten Wertschöpfungskette von Ze­ment und Beton bis hin zur Anwendung der Baustoffe in der Praxis. Denkbar ist daher eine Reduzierung des Zementanteils im Beton, eine Reduzierung der eingesetzten Betonmenge durch Betonrecycling bzw. einer möglichst langen Nutzungsphase sowie eine Betonsubstitu­tion durch z.B. Carbonfaserbeton. Um eine klimaneutrale Industrie in Nordrhein-Westfalen so schnell und so erfolgreich wie möglich zu erreichen, ist somit die Offenheit für Innovationen, die zur Einsparung von Kohlenstoff durch Nutzung regenerativer Energieträger (Dekarbonisie-rung) und zur Abkehr von fossilen Energieträgern (Defossilisierung) führen, unabdingbar.

Die größten Herausforderungen auf diesem Weg zur klimaneutralen Industrie bleiben aller­dings die unvermeidbaren Prozessemissionen, die es insbesondere im Fall der Zementindust­rie gibt. Hier kann das CO2 nach derzeitigem Stand nicht durch Prozessanpassungen und durch das Nutzen von Erneuerbaren Energien gemindert werden. Denn das CO2 ist im Stein gespeichert und wird durch die Zerkleinerung und das Mahlen freigesetzt. Um diese CO2-Men-gen nicht in die Atmosphäre entweichen zu lassen, stehen gegenwärtig die Carbon Capture and Storage (CCS)-Technologien sowie Carbon Capture and Usage (CCU)-Technologien zur Verfügung. Dabei wird das CO2 während des Freisetzungsprozesses aufgefangen und an­schließend gespeichert, in der Regel durch Verpressung in unterirdische Gesteinsschichten, oder stofflich genutzt. Als mögliche Speicherstätten für CO2 sind insbesondere auch er­schöpfte Gasfelder in der Nordsee im Gespräch. Jegliche unterirdische Verpressung von CO2 muss hohe technische Standards erfüllen, um Umweltrisiken zu verhindern. Insbesondere muss sichergestellt sein, dass die Speicherstätten mehrere Jahrhunderte lang absolut dicht halten und das Entweichen auch kleiner Mengen an CO2 verhindern, um sowohl die Klima-schutzwirkung aufrechtzuerhalten als auch die Kontamination von Meer- und Grundwasser zu verhindern und Gesundheitsrisiken auszuschließen. Viele Ländern in Europa, darunter Nor­wegen, Dänemark oder die Niederlande nutzen bereits CCS oder haben zumindest die not­wendigen Infrastrukturen dafür errichtet. In Schutzgebieten soll die technische CO2-Speiche-rung grundsätzlich ausgeschlossen werden, um die Erholung und Entwicklung dieser Gebiete nicht zu beeinträchtigen.

Eine Nutzung des abgeschiedenen CO2 bietet sich beispielsweise in der Lebensmittelindustrie als Kohlensäure-Baustein, als Kühlmittel oder Schutzgas an; zudem als Basischemikalie oder synthetischer Brenn- und Kraftstoff – CCU stellt damit einen Baustein dar, Kohlenstoffkreis-läufe zu schließen und zu einer effizienten Nutzung zu kommen. Insbesondere durch CCU entsteht die Chance, neue Wertschöpfungsketten in unserem Land entstehen zu lassen. Beide Technologien sind jedoch energieintensiv, sodass sich eine Nutzung nur bei unvermeidbaren Prozessemissionen, um die freigelassenen Emissionen aus der Atmosphäre zu binden, und nur unter Einsatz erneuerbarer Energien, anbietet.

Die Landesregierung hat mit ihrer Carbon Management Strategie aus dem Jahr 2021 die Vor­reiterrolle in Deutschland inne. Die Zukunftskoalition von CDU und GRÜNEN hat sich zum Ziel gesetzt, die Strategie für den Aufbau eines kreislauffähigen Kohlenstoffmanagements weiter­zuentwickeln. Auch der Bund hat angekündigt eine Carbon Management Strategie vorzulegen.

Die Minderung und Vermeidung von Emissionen als auch die Steigerung der Effizienz bleiben die primären Ziele auf dem Weg zu klimaneutraler Industrie in Nordrhein-Westfalen. Die Dekarbonisierung und Defossilisierung bleiben die wichtigsten Elemente. Es sind sämtliche CO2-Minderungspotenziale zu nutzen, sodass CCS/CCU sich ausschließlich auf diejenigen CO2-Emissionen beschränkt, die auf anderem Weg nicht gemindert werden können. Dieses Vorge­hen sichert die Akzeptanz des CCS/CCU-Technologieeinsatzes und soll sicherstellen, dass alle vermeidbaren Emissionen anderweitig eingespart werden. Da diese Technologien ent­sprechende Infrastrukturen erfordern, sollte mit geeigneten, regional konzentrierten Informati­onskampagnen in der Bevölkerung um Akzeptanz geworben werden und ggf. Vorbehalte ab­gebaut werden. Bei dem Einsatz der Technologien geht es nicht nur um eine klimapolitische Notwendigkeit, sondern damit verbindet sich auch eine globale Dimension für den internatio­nalen Klimaschutz sowie eine Chance auf Technologieführerschaft und -export für unsere hei­mische Maschinen- und Anlagenbaubranche.

Insbesondere auf Bundesebene gilt es, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaf­fen, die die Wettbewerbsfähigkeit und die Innovationsfähigkeit der Zementbranche erhält und die richtigen Anreize setzt, das wirtschaftliche Handeln an den notwendigen Klimaschutzgesichtspunkten auszurichten. Dazu gehören einerseits die durch den Bund angekündigten Klimaschutzverträge (CCfD), die sowohl Investitions- als auch Betriebskosten von noch nicht wettbewerbsfähigen Klimaschutztechnologien – u.a. im Bereich der Zementindustrie – fördern, sowie andererseits die für die erforderliche CO2-Infrastruktur notwendige Regulierung zu er­möglichen.

In Nordrhein-Westfalen hat sich die Zukunftskoalition zum Ziel gesetzt, die Zementindustrie dabei zu unterstützen, weiterhin international konkurrenzfähige Technologien für die energie­intensive Zementherstellung hervorzubringen. Dies ermöglicht die Senkung des CO2-Aussto-ßes und klimaneutrale Produktion. Die Landesregierung fördert bereits ein Initiierungsprojekt in der Zementregion Erwitte/Geseke. Dort wird untersucht, wie der Einsatz von Wasserstoff zur Substitution von Brennstoffen sowie die Abscheidung des prozessbedingten CO2 inklusive dessen anschließende Nutzungsoptionen dargestellt werden können. Das bis Ende 2023 lau­fende Projekt wird wichtige Erkenntnisse für die notwendige CCS/CCU-Infrastruktur wie darauf aufbauende neue Geschäftsfelder und Wertschöpfungsstufen liefern. Auf dieser Grundlage kann eine klimaneutrale Zementregion Westfalen aufgebaut werden, die Infrastruktur-Syner-gien zwischen den Zementproduktionsstandorten hebt und gleichzeitig mit CO2-Infrastruktur-verbindungen bis in die Chemieparks der Metropole Ruhr eine Weiterverwendung des abge­schiedenen CO2 ermöglicht.

Eine große Chance für die Region sowie für Nordrhein-Westfalen ist, dass Heidelberg Materi­als in Geseke das erste vollständig dekarbonisierte Zementwerk in Deutschland errichten möchte und dafür etwa 500 Millionen Euro investiert. Das Projekt GeZero wird durch den EU-Innovationsfonds gefördert, wofür sich die Landesregierung eingesetzt hat.

Die Zukunftskoalition von CDU und GRÜNEN weiß um die Bedeutung von Zukunftstechnolo­gien für unseren Industriestandort. Wir wollen in einem Pilotprojekt „Klimaneutraler Zement“ die Abscheidung, Lagerung und Bindung von CO2 sowie die Entwicklung neuer Bindemittel mittels alternativer Rohstoffe gemeinsam mit den relevanten Akteuren und der Forschung er­proben. Das Land soll im Rahmen des Projektes als Fördergeber und Koordinator auftreten. Darüber hinaus geht es darum, durch öffentliche Auftragsvergabe planbare Absatzmärkte für klimaneutralen Zement zu schaffen, der in der Phase der Markteinführung noch über Kosten­nachteile verfügen wird. Die Zukunftskoalition strebt an, durch die Überarbeitung der Verga­beregeln innovative und klimafreundliche Produkte nachfrageseitig stärker zu unterstützen. Der dadurch entstehende Absatzmarkt wird zur Planungs- und Investitionssicherheit der sich transformierenden Branchen beitragen.

Der Wettlauf um Investitionsvorhaben in der Zementindustrie hat bereits begonnen: in Norwe­gen, Polen und Bulgarien entstehen beispielsweise Projekte, die an der klimaneutralen Ze­mentproduktion arbeiten. Auch innerhalb Deutschlands wurden Förderprojekte in Bayern und Schleswig-Holstein auf den Weg gebracht. Es gilt jetzt, die richtigen Weichen zu stellen, um den Zementindustriestandort Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit der Branche und den rele­vanten Stakeholdern zeitnah zukunftsfest aufzustellen.

II. Beschlussfassung
Der Landtag stellt fest,

  • dass Nordrhein-Westfalen ein klimaneutraler Industriestandort werden soll.
  • dass ein Teil der CO2-Emissionen z.B. in der Zementbranche nach heutigem Erkenntnis­stand nicht vermeidbar ist. Um diese Emissionen aufzufangen, können CCS/CCU-Tech-nologien geeignet sein.
  • dass die technische CO2-Speicherung nicht in Schutzgebieten stattfinden soll. Die Belas­tungen von Ökosystemen durch CCS sind auf ein Minimum zu beschränken.
  • dass das Initiierungsprojekt in der Zementregion Erwitte/Geseke wichtige Erkenntnisse zur notwendigen CCS/CCU-Infrastruktur bieten kann.

Der Landtag beauftragt die Landesregierung,

  • weiterhin konsequent die Weichen zu stellen, damit Nordrhein-Westfalen zur ersten klimaneutralen Industrieregion Europas transformiert wird.
  • die Dekarbonisierung der Industrie und den Einsatz alternativer statt fossiler Kohlen-stoffquellen vorrangig zu priorisieren.
  • sich auf Bundesebene für wettbewerbsfähige und den Klimaschutz anreizende Rah­menbedingungen für die Zementindustrie einzusetzen.
  • auf Bundesebene auf eine adäquate CO2-Infrastrukturregulierung hinzuwirken, die Transport, Speicherung und den Export in internationale Speicherstätten ermöglicht.
  • gemeinsam mit dem Bund in abgestimmten Initiativen die Forschungs- und Entwick­lungsaktivitäten der Zementbranche im Bereich der Klimaneutralität und Energieeffizi­enz zu unterstützen.
  • den weiteren Aufbau einer europäischen Speicherinfrastruktur zu unterstützen, da die Nachfrage nach Speicherkapazitäten schon absehbar höher ist als das Angebot.
  • sich beim Bund für die Schaffung von den notwendigen Rechtsrahmen sowie Normen und Standards einzusetzen, damit die Nutzung von bestehenden Öl- und Gaspipelines für den CO2-Transport ermöglicht wird.
  • die nordrhein-westfälische Carbon Management Strategie weiterzuentwickeln und sie mit dem Industriepakt für Klimaneutralität und Wettbewerbsfähigkeit zu verknüpfen.
  • das Entstehen von neuen CCU-Wertschöpfungsketten in Nordrhein-Westfalen als auch eine CO2-Infrastruktur für CCS/CCU-Technologien für unvermeidbare Prozes­semissionen zu unterstützen.
  • in Nordrhein-Westfalen auf der Grundlage des Initiierungsprojekts „Zementregion Erwitte/Geseke“ eine Modellregion klimaneutraler Zement zu entwickeln und die Errichtung eines ersten klimaneutralen Binnenzementwerks in Europa zu forcieren.
  • die Regelungen zur öffentlichen Auftragsvergabe dahingehend anzupassen, dass in­novative und klima- und umweltfreundliche Produkte nachfrageseitig stärker unter­stützt werden.