Kindertagespflege weiter professionalisieren und qualitativ absichern

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

I.

Die Bedeutung der Kindertagespflege hat sich in den letzten Jahren erheblich gewandelt. Sie ist ein fester Bestandteil der Betreuungslandschaft geworden und bietet Eltern ein flexibles Angebot, das zu einer wesentlich besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf beiträgt. Die Tatsache, dass Tagespflegepersonen immer mehr Kinder betreuen ist ein Beleg dafür, dass das Vertrauen der Eltern in diese Betreuungsform gestiegen ist. Besonders bei der Betreuung von Kindern unter drei Jahren und zu ungewöhnlichen Betreuungszeiten ist das Angebot der Kindertagespflege für Familien attraktiv. Mütter und Väter junger Kinder schätzen die enge Bindung an eine einzige Betreuungsperson und die überschaubare Gruppengröße. Die jüngst veröffentlichte „Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit“ (NUBBEK) spiegelt auch die eingetretene qualitative Weiterentwicklung der Kindertagespflege wider: Die Bindungsqualität des Kindes zur Tagespflegeperson ist ausgesprochen hoch, womit auch die entscheidende Grundlage für das Wohlbefinden des Kindes und – darauf aufbauend – den Bildungserwerb gelegt ist.
Dies spiegelt sich auch in den Zahlen wider: Im Kindergartenjahr 2013/2014 stehen in Nordrhein-Westfalen für über 38.300 Kinder unter drei Jahren Plätze in der Kindertagespflege zur Verfügung. Im Vergleich zum Vorjahr sind sie damit um beachtliche 17 Prozent angestiegen. Die Kindertagespflege leistet einen wichtigen Beitrag für den Ausbau der Kindertagesbetreuung  – ohne sie wäre die Erfüllung des Rechtsanspruchs nicht zu realisieren.  
Die Kindertagespflege hat sich zu einem eigenständigen Berufsfeld entwickelt. Umso wichtiger ist, dass sowohl Familien als auch die in der Kindertagespflege tätigen Personen qualitativ hochwertige und adäquate Rahmenbedingungen vorfinden. Ziel muss sein, das Berufsfeld der Kindertagespflege attraktiver zu gestalten, die Arbeit der Tagespflegepersonen angemessen zu honorieren und angesichts des steigenden Bedarfs mehr Menschen für den Beruf zu gewinnen.
Mit der steigenden Nachfrage an Betreuungsplätzen für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr sind auch die Herausforderungen in der frühkindlichen Bildung in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Qualifikationen und Kompetenzen des pädagogischen Personals sind entscheidend, wenn es darum geht, den Professionalisierungsansprüchen gerecht zu werden. Kinder in der Tagespflege zu betreuen, ist eine hoch verantwortungsvolle Tätigkeit.
Die Arbeit verlangt Flexibilität und ein Gespür für die individuellen Bedürfnisse der Kinder, die in ihrer Entwicklung unterstützt und gefördert werden sollen. Die überwiegend freiberuflich tätigen Tagespflegepersonen benötigen spezielle pädagogische Kompetenzen, aber auch umfangreiche betriebswirtschaftliche und rechtliche Kenntnisse und Fähigkeiten, die sich von denen der Erzieherinnen und Erzieher im klassischen Sinne erheblich unterscheiden (können). Auch kommunikativen und organisatorischen Kompetenzen kommt ein besonderes Gewicht zu, da Tagespflegepersonen ihre Arbeitsorganisation und die Zusammenarbeit mit Eltern, Behörden, Kolleginnen und Kollegen in der Regel selbstständig gestalten müssen.
Zu den Ursachen für die positive Entwicklung in der Kindertagespflege gehören die Verbesserungen der rechtlichen Rahmenbedingungen in der Bundes- und Landesgesetzgebung. Der bundesrechtlichen Gleichstellung der Kindertagespflege mit der institutionellen Kindertagesbetreuung folgte die entsprechend notwendige landesgesetzliche Umsetzung in Nordrhein- Westfalen im Rahmen des Kinderbildungsgesetzes. Damit war auch ein Einstieg des Landes in die Finanzierung öffentlich geförderter Kindertagespflege verbunden. Mit dem Belastungsausgleichgesetz Jugendhilfe wurde diese Landesfinanzierung noch ausgeweitet.
Eine weitere Säule für den qualitativen und quantitativen Ausbau der Kindertagespflege stellt das im Rahmen des seit 2009 bestehenden Aktionsprogramms Kindertagespflege von Bund, Ländern und der Bundesagentur für Arbeit entwickelte und von den Ländern verliehene Gütesiegel für Bildungsträger dar. Hiermit wird gewährleistet, dass die Qualifizierung von Tagespflegepersonen nach anerkannten Standards im Umfang des Curriculums des Deutschen Jugendinstituts e. V. erfolgt. Grundlage für die Vergabe des Zertifikats „Qualifizierte Kindertagespflegeperson“ ist der Nachweis der Teilnahme an 160 Unterrichtsstunden. Darüber hinaus hat sich auch die Zertifizierung durch den Bundesverband für Kindertagespflege e. V. als Maßnahme der Qualitätssicherung und -entwicklung bewährt.
Mit dem im März 2010 auf Landesebene in Kooperation mit den Kommunalen Spitzenverbänden, dem Landesverband Kindertagespflege und Fachvermittlungsstellen aus den Kommunen erarbeiteten Handlungskonzept zur Stärkung der familiennahen Kinderbetreuung –  das sogenannte „10-Punkte-Programm“ (Vorlage 14/3317) – wurden weitere Schritte zur Qualitätssicherung und Weiterentwicklung der Strukturen auf Landesebene unternommen. Vereinbart wurde unter anderem der Ausbau der fachlich-organisatorischen Einbindung sowie der Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Seitdem wurde die Fachberatung im Land und in den Kommunen kontinuierlich ausgebaut.
Trotz vieler Verbesserungen besteht weiterhin die Notwendigkeit, die Entwicklung der Kindertagespflege durch bessere Rahmenbedingungen, aber auch durch eine bessere Außendarstellung zu unterstützen. Denn obwohl in Politik, Verwaltung und bei vielen Eltern die Wertschätzung der Tagespflege vorhanden ist, bestehen andererseits bei vielen Eltern auch noch deutliche Vorbehalte. Hier ist es notwendig, mehr Aufklärungsarbeit zu leisten, damit sich das Image weiter verbessern kann.

II.

Im Jahr 2011 forderte der Landesverband Kindertagespflege NRW im Rahmen der Anhörung zum 1.KiBiz-Änderungsgesetz, dass die Rahmenbedingungen, insbesondere in Bezug zur Fachberatung, Begleitung und Vermittlung nach § 23 SGB VIII, weiter verbessert werden müssten (vgl. Stellungnahme 15/680). In der am 14. März 2013 durchgeführten Anhörung des Familienausschusses zu den Rahmenbedingungen in der Kindertagespflege wiederholte eine Vertreterin des Verbandes diese Forderungen und führte aus, dass eine gut aufgestellte Praxisbegleitung unerlässlich sei (vgl. Ausschussprotokoll 16/202). Noch immer gebe es Defizite bei den Fachberatungs- und Fachvermittlungsstellen, die den Ausbau und die Qualität in der Kindertagespflege sichern sollen. Ein Großteil der an der Anhörung teilnehmenden Expertinnen und Experten kritisierte, dass die Standards für die Fachberatung und Fachberatungsstellen in den einzelnen Kommunen zu unterschiedlich seien. Eine stärkere pädagogische Begleitung der Tagespflegepersonen sei wünschenswert. Besonders die Fallzahlen pro Fachberatung würden von Kommune zu Kommune stark schwanken. So werde die vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) empfohlene Fallzahl von 1 Fachkraft zu 40 Tagespflegeverhältnissen wie auch das von der Gemeindeprüfungsanstalt NRW (GPA NRW) empfohlene Verhältnis von 1 zu 60 häufig überschritten. Im Sinne einer Vereinheitlichung plädierten die Sachverständigen dafür, dass Empfehlungen  für den Bereich Kindertagespflege entwickelt werden sollten. Die Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten sowohl für die Tagespflegepersonen als auch für die Praxisbegleitung und Fachberatung sollten verbessert werden. Ebenso wurden die Notwendigkeit der Optimierung der Vertretungspraxis im Krankheitsfall als auch die Anregung für einheitlichere Vorgaben oder Richtlinien in der Großtagespflege angesprochen. Gefordert wurde auch eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Betreuung von Kindern mit erhöhtem Förderbedarf.
Besonders die Vergütungsstrukturen in der Kindertagespflege bedürfen einer kritischen Betrachtung. Denn anders als für andere Selbstständige sind die Einnahmemöglichkeiten  in öffentlich geförderter Kindertagespflege durch Regulierungen limitiert (z.B. Betreuung von maximal fünf gleichzeitig anwesenden Kindern), was eine betriebswirtschaftliche Planung erheblich erschwert. In der Regel fehlen auch eigene und höhere Vergütungssätze für die Betreuung von Kindern mit Behinderung trotz des damit verbundenen Mehraufwands. Betreuungsleistungen in öffentlicher Kindertagespflege werden von den Jugendämtern bzw. den Kommunen aus  kommunalen Mitteln (inklusive Elternbeiträgen und Landeszuschuss) oder von den Eltern der betreuten Kinder per Entgelt auf privater Basis direkt an die Tagespflegeperson finanziert. Für die kommunalen Kosten der Kindertagespflege erhalten die Kommunen einen finanziellen Ausgleich des Landes über die Regelungen des Belastungsausgleichgesetzes Jugendhilfe (Drucksache 16/128). Die Struktur und die Höhe der Geldleistung  in der öffentlich geförderten Tagespflege variiert von Kommune zu Kommune. Bereits in mehreren Gerichtsverfahren wurde festgestellt, dass die Festsetzung der Geldleistung nach § 22 SGB VIII nicht leistungsgerecht ist. Auch die Sachverständigen  in der Anhörung vom 14. März 2013 kritisierten die mitunter sehr große Bandbreite der Vergütungsverhältnisse in der Kindertagespflege – niedrige Stundensätze, hohe Zuzahlungen – in den einzelnen Kommunen. Eine leistungsgerechte und einheitliche Ausgestaltung der finanziellen Anerkennungsleistungen erscheint daher erstrebenswert.

III. Beschlussfassung

Der Landtag würdigt die Bedeutung der Arbeit von Tagespflegepersonen und bekennt sich dazu, dass die Kindertagespflege eine wichtige Säule der Kindertagesbetreuung ist. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Kindertagespflege weiter zu professionalisieren und qualitativ abzusichern.  
Der Landtag begrüßt, dass im Zuge der aktuellen Revision zum Kinderbildungsgesetz beabsichtigt ist, auch die Kindertagespflege weiter zu stärken  sowie ihr qualitatives Profil zu schärfen. Der Landtag unterstützt in diesem Zusammenhang besonders die vorgeschlagene Berücksichtigung erhöhter Unterstützungsbedarfe für die Betreuung von Kindern mit Behinderungen in Kindertagespflege auch im Finanzierungssystem.
Die Landesregierung wird aufgefordert:
in Kooperation mit den Beteiligten, wie den Kommunalen Spitzenverbänden und dem Landesverband für Kindertagespflege, im Sinne einer Vereinheitlichung auf gemeinsame Empfehlungen  für den Bereich der Kindertagespflege hinzuwirken. Bei der Erarbeitung sollten insbesondere folgende Aspekte betrachtet werden:

  • eine bessere fachlich-organisatorische Einbindung – insbesondere Verbesserung der Beratungsinfrastruktur, pädagogischen Begleitung und Vermittlung auf kommunaler Ebene,
  • leistungsorientierte Vergütung,
  • Professionalisierungs- und Qualifizierungsaktivitäten für Tagespflegepersonen,
  • Rahmenbedingungen in der Großtagespflege,
  • die Kooperation und der Übergang in Kindertageseinrichtungen,
  • hieraus abzuleitende Handlungsnotwendigkeiten zügig anzugehen.