Entschließungsantrag zu Antrag der SPD-Fraktion „Häuslicher Gewalt wirkungsvoll begegnen – Schutzmaßnahmen für Betroffene ausbauen und verbessern“
I. Ausgangslage:
Gewalt gegen Frauen hat viele Erscheinungsformen und reicht von Kontrolle und psychischer Gewalt über sexualisierte bis hin zu physischer Gewalt. Gewalt trifft Frauen jeden Alters und aller sozialer Schichten, sie passiert überall – auch dort, wo sich Frauen am sichersten fühlen sollten: dem eigenen Zuhause.
Jede vierte Frau im Alter von 16 bis 85 Jahren wurde bereits einmal in ihrem Leben von ihrem Lebensgefährten oder Ex-Lebensgefährten misshandelt. Diese Gewalt ist sowohl körperlich, als auch seelisch besonders belastend, weil sie zu Hause stattfindet – an einem Ort, der eigentlich Schutz und Geborgenheit geben sollte und dazu von einem Menschen ausgeht, dem man vertraut.
Häusliche Gewalt kann viele Formen aufweisen und äußert sich nicht nur durch körperliche oder sexuelle Übergriffe, sondern z.B. auch durch Bedrohungen, Belästigungen, Kontakteinschränkungen oder Stalking.
Dem Bundeslagebild „Häusliche Gewalt“ des Bundeskriminalamts zufolge sind im Berichtsjahr 2022
- 80,1 Prozent der Betroffenen von Partnerschaftsgewalt und 71,1 Prozent der Betroffenen häuslicher Gewalt Frauen.
- 133 Frauen durch Partnerschaftsgewalt und 239 Frauen durch häusliche Gewalt getötet worden.
Von einem großen Dunkelfeld, das heißt Fällen von geschlechtsbezogener Gewalt, von denen die Polizei keine Kenntnis erlangt, ist auszugehen.
Gewalt gegen Frauen und Mädchen, aber auch betroffene Männer ist ein fundamentaler Verstoß gegen die Grund- und Menschenrechte.
Mit Inkrafttreten der Istanbul-Konvention am 1. Februar 2018 hat sich Deutschland verpflichtet, umfassende Maßnahmen zum Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt und zum Schutz vor häuslicher Gewalt zu ergreifen. Bund, Länder und Kommunen sind innerstaatlich zur Umsetzung der Istanbul-Konvention verpflichtet. Nordrhein-Westfalen ist somit unmittelbar selbst an die Istanbul-Konvention gebunden.
In Nordrhein-Westfalen existiert eine lange Tradition des Gewaltschutzes und der Gewaltprävention sowie der Förderung von Frauenhilfeinfrastrukturen. Gleichwohl besteht gemessen an den Zielvorgaben der Istanbul-Konvention auch in NRW noch weiterer Handlungsbedarf sowohl für einen umfassenden Schutz von Frauen vor Gewalt als auch für präventive Maßnahmen und Angebote.
Um diesen Handlungsbedarf umfassend festzustellen, notwendige Maßnahmen zielorientiert zu benennen und um diese inhaltlich sowie im zeitlichen Ablauf koordiniert umsetzen zu können, bedarf es einer Gesamtstrategie im Sinne des Artikels 7 der Istanbul-Konvention.
Mit dem Landesaktionsplan „NRW schützt Frauen und Mädchen vor Gewalt“ liegt ein umfassendes Dokument zu Maßnahmen, Projekten, Studien, Handlungsfeldern und Akteurinnen und Akteuren im Themenfeld vor, das eine gute Grundlage für eine Gesamtstrategie mit Ausrichtung zu den zwischenzeitlich ratifizierten Vorgaben der Istanbul-Konvention ist. Aufgenommen werden sollen insbesondere Vorgaben zum Monitoring der erarbeiteten Handlungsnotwendigkeiten und zur Evaluation.
Mit ihrem ersten Staatenbericht aus Oktober 2022 hat die GREVIO-Kommission an Deutschland deutliche Forderungen zur Umsetzung der Istanbul-Konvention gerichtet, die ebenfalls bei der Erarbeitung einer Strategie für Nordrhein-Westfalen berücksichtigt werden sollten.
Im Sinne einer umfassenden Umsetzung der Istanbul-Konvention ist es deshalb erforderlich, den Landesaktionsplan zu überarbeiten und entsprechend anzupassen. Zugleich sollten in einen zukünftigen Landesaktionsplan entsprechend der Ermutigung in Artikel 2 der Istanbul-Konvention auch männliche Opfer häuslicher Gewalt in den Blick genommen werden.
Der Paragraph 34a des Polizeigesetzes NRW (PolG NRW) ermächtigt die Polizei, bei häuslicher Gewalt sofort und konsequent gegen die gewalttätige Person vorzugehen. Die Polizei kann die gewalttätige Person der Wohnung verweisen und zum Schutz vor weiterer Gewalt ein Rückkehrverbot von bis zu zehn Tagen aussprechen. Im Sinne des Opferschutzes ist es in Nordrhein-Westfalen möglich, „Gewalttäter“ nicht nur für zehn Tage aus der Wohnung zu verweisen, sondern auch für zehn Tage in Gewahrsam zu nehmen, wenn sie sich nicht an die Maßnahme halten.
Gleichzeitig erstattet die Polizei in jedem Fall Strafanzeige. Die Regelung des § 34a PolG NRW verknüpft zudem die polizeilichen Maßnahmen eng mit der psychosozialen Opferhilfe, indem sie die Polizei verpflichtet, die gefährdete Person auf die Möglichkeit zivilrechtlichen Schutzes hinzuweisen, sie über Beratungsangebote zu informieren, ihr die Inanspruchnahme geeigneter und für diese Aufgabe qualifizierter Beratungseinrichtungen nahe zu legen und ihr anzubieten, durch Weitergabe ihrer Daten den Kontakt zu Beratungseinrichtungen zu ermöglichen. Auf diese Weise kann die Polizei Opfer wirksam schützen und gleichzeitig die Voraussetzungen für einen nachhaltigen Kontakt zu Beratungseinrichtungen schaffen. Diese Dualität in der unmittelbaren polizeilichen Arbeit hat sich in der Vergangenheit bewährt. Seit Inkrafttreten der Vorschrift im Jahr 2003 sind erhebliche Anstrengungen im Kampf gegen häusliche Gewalt unternommen worden, die zu einer Reihe von Fortschritten geführt haben. Viele Bundesländer haben vergleichbare Ermächtigungsgrundlagen mit zum Teil weitergehenden Befugnissen erlassen und der Europarat hat das Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt ratifiziert.
Zudem wird in Nordrhein-Westfalen ein proaktiver Ansatz bei der Kontaktaufnahme mit Beratungseinrichtungen praktiziert. Damit bleibt es der von häuslicher Gewalt betroffenen Person überlassen, über die Weitergabe ihrer Informationen an die einschlägigen Stellen zu entscheiden. Die Polizei Nordrhein-Westfalen ist gemäß § 27 Abs. 3 Nr. 1 PolG NRW befugt, personenbezogene Daten an Personen und Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs zu übermitteln, sofern bestimmte Voraussetzungen vorliegen.
II. Beschlussfassung:
Der Landtag stellt fest:
- Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist eine Menschenrechtsverletzung mit oftmals langen Auswirkungen.
- Mit dem Inkrafttreten der Istanbul-Konvention am 1. Februar 2018 ist auch Nordrhein-Westfalen verpflichtet, umfassende Maßnahmen zum Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt zu ergreifen und eine bedarfsgerechte Frauenhilfeinfrastruktur zu gewährleisten.
- Im Sinne einer Gesamtstrategie gemäß Artikel 7 Istanbul-Konvention bedarf es eines Landesaktionsplans, der die Vorgaben der Istanbul-Konvention vollumfänglich in den Blick nimmt und dabei insbesondere auch die Forderungen der GREVIO-Kommission in ihrem ersten Staatenbericht aufgreift, soweit diese die Zuständigkeit der Länder betreffen.
- Die Verzahnung von polizeilichen Maßnahmen und polizeilicher Vermittlung von Beratungsstellen ist ein Erfolgsmodell.
Der Landtag beauftragt die Landesregierung aus vorhandenen Mitteln,
- einen Aktionsplan zur Umsetzung der Istanbul-Konvention mit wissenschaftlicher Begleitung zu erarbeiten unter besonderer Berücksichtigung von
- vulnerablen Zielgruppen und ihrer Bedarfe bei Beratungs- und Schutzangeboten;
- den Erfordernissen einer qualitativen und strukturellen Weiterentwicklung der landes-geförderten Frauenhilfeinfrastruktur;
- der Notwendigkeit einer fachlichen Weiterentwicklung des Gewaltschutzes (Bedarfe bei der Aus- und Fortbildung von Fachkräften);
- Maßnahmen zur Prävention geschlechtsspezifischer Gewalt in allen gesellschaftlichen Bereichen inklusive solchen der Bewusstseinsbildung.
- im Zusammenhang mit der Erarbeitung des Landesaktionsplans den Dialog mit den Trägervertretungen der Frauenhilfeinfrastruktur aufzugreifen und fortzusetzen,
- den Einbezug von Betroffenen sowie von Organisationen, Behörden (insbesondere der Ressorts der Landesregierung) und nationalen Menschenrechtsorganisationen entsprechend Artikel 7 Istanbul-Konvention sicherzustellen,
- männliche Opfern häuslicher Gewalt gemäß Artikel 2 Absatz 2 der Istanbul-Konvention bei der Erstellung des Landesaktionsplans zu berücksichtigen,
- die im Rahmen des Landesaktionsplans festgestellten Handlungserfordernisse fortlaufend zu evaluieren und dem Landtag regelmäßig – orientiert an den Vorgaben des Landesaktionsplans – über den Stand der Umsetzung zu berichten,
- zu prüfen, inwiefern der § 34a PolG NRW für einen umfassenden Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt im Sinne der Istanbul-Konvention ausreicht.