Ist die Planung der L361n vor dem Hintergrund der aktuellen klimatischen und verkehrspolitischen Entwicklungen noch zeitgemäß und gerechtfertigt?

Kleine Anfrage von Arndt Klocke

Zur Entlastung der Ortsdurchfahrt in Grevenbroich Kapellen wird seit den 80er Jahren der Bau einer Ortsumgehung, das Projekt L361n, diskutiert. Dieses Projekt ist hoch umstritten, da es durch die Erftauen, ein Naherholungs- und Landschaftsschutzgebiet, führt. Der Rat der Stadt Grevenbroich lehnt mit Mehrheit dieses Projekt ab.

Der aktuelle Planungsstand beruht auf einem Entwurf von 2011 und einem Verkehrsgutachten von 2007. Letzteres wurde 2021 erneuert. Im ursprünglichen Gutachten wurde bis 2020 eine Zunahme des Verkehrsaufkommens um 2.200 Fahrzeuge pro Tag auf der Ortsdurchfahrt von Kapellen prognostiziert, wohingegen diese Zunahme laut aktuellem Gutachten lediglich um 1.500 Fahrzeuge stattgefunden hat, womit die Grundannahme um 30 Prozent zu hoch angesetzt war.

Das aktuelle Gutachten arbeitet mit ähnlich unscharfen Berechnungsmodellen, wie folgendes Beispiel zeigt: Für 2030 wird eine Zunahme des Schwerverkehrs (LKW über 3,5 t und Busse) von 250 auf 600 Fahrzeuge pro Tag prognostiziert. Von der L361n verspricht man sich eine theoretische Reduzierung des Schwerverkehrs um 550 Fahrzeuge auf 50. Nach einer detaillierten Verkehrszählung aus dem Jahr 2015 fahren jedoch werktäglich allein 126 Linienbusse durch Kapellen, was die angenommene Entlastungsprognose ad absurdum führt.

Anlässlich einer Präsentation des Verkehrsgutachtens im Mobilitätsausschuss des Kreistages des Rhein-Kreises Neuss wurde den Gutachtern die Frage gestellt, ob aktuelle Entwicklung wie der massive Absatz von E-Bikes, die im Zuge der aktuellen Pandemie erheblich ausgeweiteten Möglichkeiten zum Home-Office, die zu einem zumindest subjektiv spürbaren Rückgang des motorisierten Individualverkehrs geführt haben, sowie der im Rahmen des Strukturwandels beabsichtige Ausbau des S-Bahnnetzes um Grevenbroich, inklusive der Trasse Kapellen – Düsseldorf, mit eingeflossen sind. Dies wurde ausdrücklich in allen Punkten verneint. Eine Netzbetrachtung hat also nicht stattgefunden.

Teile der drei Kilometer langen geplanten Strecke sollen auf einer bis zu sechs Meter hohen Aufschüttung mit sechs Brücken realisiert werden und haben deshalb einen erheblichen Flächen- und Versiegelungsbedarf, die außerdem noch durch ein Überschwemmungsgebiet der Erft der Kategorisierung RK100 führt. Dies bereitet den Bürgerinnen und Bürgern angesichts der kürzlich stattgefundenen Hochwasser- und Starkregenkatastrophe erhebliche Sorgen.

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

  1. Hält die Landesregierung die im Verkehrsgutachten gemachten verkehrlichen Prognosen trotz der offensichtlichen Widersprüche und Fehlannahmen für ausreichend, um ein solch großes Straßenbauprojekt wie die L361n mit ihren erheblichen Auswirkungen auf Natur-, Umwelt- und Artenschutz zu rechtfertigen?
  2. Wie bewertet die Landesregierung den Umstand, dass das aktuelle Verkehrsgutachten keine Entlastungswirkungen durch den Ausbau der S-Bahn, die Stärkung des Radverkehrs NRW sowie durch die Digitalisierung der Arbeitswelt mit in die Verkehrsprognose einbezieht?
  3. Inwieweit hält die Landesregierung vor dem Hintergrund der Veränderungen durch den Klimawandel und der gerade kürzlich stattgefundenen Flutkatastrophe entlang der Erft den Bau der L361n durch die Erftauen und damit auch durch Überflutungsgebiete mit den Klimaschutzzielen, dem Hochwasserschutz und der Wasserrahmenrichtlinie der EU für vereinbar?
  4. Die Kostenschätzung aus 2011 belief sich auf insgesamt 14,136 Mio. Euro. Wie hoch wären die Kosten nach aktuellem Stand auch unter Berücksichtigung von etwaigen notwendigen Anpassungen aufgrund der Beantwortung von Frage 3?
  5. Hält die Landesregierung aufgrund der Fragestellungen 1 – 4 und der fehlenden Akzeptanz vor Ort die Planung und den Bau der L361n weiterhin für sinnvoll und wird das Projekt noch weiter verfolgen?