Inklusion in den Arbeitsmarkt im Sinne der UN Behindertenrechtskonvention weiterentwickeln – Gleichwertigen Zugang ermöglichen

Antrag der GRÜNEN im Landtag

Mehrdad Mostofizadeh

I.         Ausgangslage
Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen markiert einen historischen Durchbruch bei der Verwirklichung der Menschenrechte für alle. Sie stellt einen Paradigmenwechsel dar, weil die Konvention über Akzeptanz und Integration hinausgeht und Inklusion als Ziel benennt. Die Bundesrepublik hat die Konvention vor 10 Jahren unterzeichnet und ratifiziert. Damit hat sich Deutschland verpflichtet, in allen Bereichen umfassende Teilhabemöglichkeiten zu schaffen für alle Menschen unabhängig von möglichen Beeinträchtigungen und Behinderungen. Das bedeutet, für viele Bereiche diesen Paradigmenwechsel zu vollziehen. Keine gesonderte Behandlung in gesonderten Einrichtungen, sondern ein Umbau der Regeleinrichtungen, so dass sie Menschen mit und ohne Behinderung besuchen bzw. benutzen können. Dieser Prozess ist umfangreich und braucht Zeit. Er ist schrittweise aber konsequent und zielgerichtet zu betreiben.
Die Bundesrepublik hat das Deutsche Institut für Menschenrechte beauftragt, die Umsetzung der UN-Konvention in Deutschland als Monitoringstelle zu begleiten. Das Land Nordrhein-Westfalen hat darüber hinaus ebenfalls das Deutsche Institut für Menschenrechte beauftragt, die Umsetzung seitens des Landes zu begleiten.
Seit März 2017 hat die Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention die Begleitung und Überwachung der Umsetzung der UN-BRK in Bezug auf Nordrhein-Westfalen intensiviert. Dazu gehört auch die Beratung der Landesregierung bei Gesetzgebungsverfahren, die Auswirkungen auf Menschen mit Behinderungen haben.
Das Institut hat im Januar 2019 einen Bericht vorgelegt und dabei vier Bereiche besonders in den Blick genommen: selbstbestimmt Wohnen, Recht auf Mobilität, inklusive Bildung und Recht auf Arbeit. Dabei wurden eingeleitete Maßnahmen bewertet und Hinweise für zukünftige Maßnahmen gegeben. Dabei wurden positive Entwicklungen, aber auch weiterhin große Mängel bei der Umsetzung der Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention aufgezeigt.
Die Landespolitik ist aufgefordert, diese Hinweise ernst zu nehmen und entsprechende Maßnahmen und Handlungsempfehlungen umzusetzen.

II.       Den Zugang zum Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung weiter ausbauen

Das Recht auf Arbeit ist in der UN-Behindertenrechtskonvention in Artikel 27 niedergelegt. Demnach haben alle Menschen das Recht, ihren Lebensunterhalt mit eigenständiger Arbeit selbst zu verdienen. Dies schließt ebenfalls die Auswahl-, Einstellungs- und Beschäftigungsbedingungen ein und verbietet eine Benachteiligung aufgrund einer Beeinträchtigung in allen Beschäftigungsbereichen.

Entwicklung der Arbeitslosigkeit bei Menschen mit Behinderung und der Zahl unbesetzter Pflichtarbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen

Obwohl die allgemeinen Arbeitslosenzahlen in Deutschland und NRW zurückgegangen und etwa 320.000 schwerbehinderte – oder diesen gleichgestellte – Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, stagniert die Arbeitslosenquote bei Menschen mit Behinderung auf hohem Niveau. 2018 waren in Nordrhein-Westfalen durchschnittlich 47.077 schwerbehinderte Menschen arbeitslos gemeldet. Laut dem Deutschen Institut für Menschenrechte beträgt die Arbeitslosenquote von Menschen mit Behinderung in NRW 13,1 % und liegt damit über dem bundesweiten Durchschnitt von 11,7% und weit über der Arbeitslosenquote in NRW von 7,4% (Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention (2019): Zur Umsetzung des Rechts auf Arbeit in NRW).
Insgesamt waren im Jahr 2017 34.047 Arbeitgeber in Nordrhein-Westfalen zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen verpflichtet. Dabei blieben 58.623 von insgesamt 269.073 zu besetzenden Pflichtarbeitsplätzen unbelegt, was einem Anteil von ca. 21,8 % entspricht. Die gesetzliche Beschäftigungsquote von 5 % und mehr erreichten nur 9.190 Arbeitgeber. 7.628 Arbeitgeber haben trotz Beschäftigungspflicht gar keinen schwerbehinderten Menschen beschäftigt. Dies entspricht einem Anteil von rund 22,4% (ebenfalls 22,4% in 2016). Die Hälfte aller Betriebe erfüllte ihre Beschäftigungsquote damit nur teilweise.
Das Gesamtaufkommen an der zu zahlenden Ausgleichsabgabe ist 2018 in Nordrhein-Westfalen auf 141,3 Mio. Euro gegenüber dem Jahr 2016 (121,07 Mio. €) gestiegen. Auf den Landschaftsverband Rheinland (LVR) entfällt ein Anteil von 86 Mio. Euro, auf den Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) 55,3 Mio. Euro.
Die Zahlen zeigen, dass nach wie vor dringender Handlungsbedarf besteht, Menschen mit Behinderung in den Allgemeinen Arbeitsmarkt zu integrieren. Dafür bedarf es einer wirksamen Gesamtstrategie, die umfassend über existierende Förderinstrumente informiert, neue individuelle und strukturelle Förderungen etabliert, eine stärkere Ansprache und Anreizschaffung von Inklusionsbetrieben betreibt und effektive Sensibilisierungsmaßnahmen bei öffentlichen Institutionen vorsieht.

Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM): Übergänge in den Allgemeinen Arbeitsmarkt stärken und verbessern

Nach wie vor arbeitet ein Großteil der Menschen mit Behinderung in den Werkstätten (WfbM). Dabei hat sich die Zahl der Werkstattplätze zum Stichtag 2019 auf 80.918 (2018: 80.262) weiter erhöht.
Obwohl die Werkstätten gemäß § 219 SGB IX dazu beauftragt sind, geeignete Personen in den Allgemeinen Arbeitsmarkt einzugliedern und sich das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS) in einem Bericht auf Anfrage der Grünen Landtagsfraktion explizit zu diesem Ziel bekannt hat (Vorl. 17/2176: Bericht zur Arbeitsmarktsituation und Beschäftigung von Menschen mit Behinderung und zur Schaffung von Angeboten im Rahmen des Arbeitsmarktes 2019), wird diese Zielsetzung nur unzureichend erfüllt. Bisher haben nur 1.700 Menschen den Übergang aus einer der insgesamt 104 Werkstätten in NRW in den Allgemeinen Arbeitsmarkt geschafft (Vorl. 17/2176: Bericht zur Arbeitsmarktsituation und Beschäftigung von Menschen mit Behinderung und zur Schaffung von Angeboten im Rahmen des Arbeitsmarktes 2019).
Sollte die Landesregierung nach wie vor an dem Konzept der Werkstätten festhalten, ist es unbedingt geboten, diese so weiterzuentwickeln, dass der Wechsel in den Allgemeinen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt deutlich erleichtert wird. Ein erster Schritt in die richtige Richtung beschreibt die zunehmende Anzahl von Menschen mit Behinderung, die auf sogenannten Außenarbeitsplätzen arbeiten. Das heißt, die Menschen, die nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt werden, bleiben Beschäftigte der WfbM, arbeiten aber auf integrierten Arbeitsplätzen in Betrieben des Allgemeinen Arbeitsmarktes. In 2018 bestanden in NRW insgesamt 4.811 Außenarbeitsplätze (fast 9 % mehr als 2017).
Zukünftig müssen Werkstätte aber noch stärker motiviert und unterstützt werden, den Übergang in den Allgemeinen Arbeitsmarkt zu stärken.

Informationen und Datenlage verbessern – integrierte Arbeitsmarktberichterstattung voranbringen

Um eine bedarfsgerechte und umfassende Förderungsstruktur für Akteure des Allgemeinen Arbeitsmarkts zu entwickeln, muss zunächst die Datenlage über die in Nordrhein-Westfalen lebenden Personen mit Behinderung verbessert werden. Dabei sollten auch bereits bestehende Statistiken zu der Situation von Menschen mit Behinderung – wie etwa von der BA-Regionaldirektion Nordrhein-Westfalen, das Bedarfsermittlungsinstrument für Nordrhein-Westfalen „BEI_NRW – Bedarfe ermitteln, Teilhabe gestalten“ (https://umsetzungsbegleitung-bthg.de/gesetz/umsetzung-laender/bthg-nordrhein-westfalen/) und der Integrationsfachdienste der beiden Landschaftsverbände sowie den örtlichen Integrationsämtern – verknüpft, aufeinander bezogen und gesamtheitlich ausgewertet werden. So könnten bestehende Probleme miteinander verglichen und best practice-Beispiele frühzeitig identifiziert und kommuniziert werden.

III.      Neue Arbeitsplätze im Allgemeinen Arbeitsmarkt schaffen

Neben einer besseren Datenlage sind weitere Anpassungen nötig, um Unternehmen im Allgemeinen Arbeitsmarkt für die Einstellung von Menschen mit Behinderung zu gewinnen. Es gilt daher, weitere Wege zu identifizieren, die Arbeitgeber des Allgemeinen Arbeitsmarkts motivieren, Menschen mit Behinderung einzustellen.
Begleitend zu einer verbesserten finanziellen Förderung potenzieller neuer Unternehmen ist eine konsequente Ansprache und Sensibilisierung der Arbeitgeber zu den Möglichkeiten notwendig, Arbeitsplätze für (schwer-)behinderte Menschen zu schaffen. Mithilfe von externen Beraterinnen und Beratern können die Unternehmen neue Bereiche und Nischenarbeitsplätze erschließen. Beispielhaft sei das Modellprojekt zum sogenannten „Job Carving“ des LWL genannt, „das eine gezielte innerbetriebliche Suche nach verstreuten, zumeist einfachen Einzeltätigkeiten und deren Zusammenstellung zu einem neuen, für einen behinderten Menschen geeigneten Stellenprofil unter Mitwirkung einer externen, arbeitsanalytisch versierten Fach- kraft“ (https://www.lwl.org/abt61-download/PDF_JPG_ready4/Broschueren/LWL_JobCarving_2017_Modell- projekt_ua.pdf) meint. Auch die Arbeitgeber profitieren insofern, als andere Mitarbeiterinnen und Mitar- beiter auf diesem Wege von Randtätigkeiten entlastet werden und mehr Zeit für ihre Kernaufgaben haben. Darüber hinaus profitieren sie gegebenenfalls von den spezifischen Fähigkeiten der Leistungsbezieherinnen und -bezieher.
Ebenso wie die WfbM können mittlerweile auch Inklusionsbetriebe bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen bevorzugt werden. Im Rahmen von öffentlichen Aufträgen sollte deshalb verstärkt von Seiten der zuständigen kommunalen Stellen darauf geachtet werden, dass geeignete konkrete Aufträge an Inklusionsbetriebe vergeben werden. Die zuständigen behördlichen Stellen sollten ihren Handlungsspielraum im Rahmen der Ausschreibungen stärker nutzen. Dafür sollten sie regelmäßig und umfänglich über die Möglichkeiten des Vergaberechts informiert und entsprechend geschult werden.

„Budget für Arbeit“ konsequent zur Schaffung von Arbeitsplätzen im Allgemeinen Arbeitsmarkt nutzen

Das „Budget für Arbeit“, das am 1. Januar 2018 im Rahmen des Bundesteilhabe-Gesetz (BTHG) eingeführt wurde, bietet für die Schaffung neuer Arbeitsplätze eine wichtige Grundlage, die es jedoch zu erweitern gilt. So erstattet der Lohnkostenzuschuss des „Budgets für Arbeit“ (§ 61 Abs. 2 SGB IX) bis zu einer Höhe von 75% des vom Arbeitgeber regelmäßig gezahlten Arbeitsentgeltes, jedoch beträgt die max. zur Verfügung stehende Fördersumme höchstens 40 % der Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 SGB IV. (1.246 Euro im Jahr 2019). Mit dieser Fördersumme ist in der Regel kaum die mögliche prozentuale Höchstförderung zu erreichen. Die beiden Landschaftsverbände füllen aktuell die Lücke mit eigenen freiwilligen Leistungen, die in erster Linie aus Mitteln der Ausgleichsabgabe gezahlt werden („LVR-Budget für Arbeit – Aktion Inklusion“). So ist die Attraktivität für Unternehmen, weitere Menschen mit Behinderung einzustellen, stark von den finanziellen Möglichkeiten der Landschaftsverbände abhängig. Hier gilt es, alternative Finanzierungsstrategien zu entwickeln, die Unternehmen in ihrem Bestreben bestärkt, betroffene Personen einzustellen.
Das „Budget für Arbeit“ bietet außerdem bereits Ansätze, um Personen, die in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) beschäftigt sind, den Übergang in den Allgemeinen Arbeitsmarkt zu erleichtern. An einigen Stellen greifen die dort veranschlagten Leistungen jedoch zu kurz und müssen ausgebaut werden. Hier ist erstens die Einrichtung eines „Budgets für Ausbildung“ zu nennen, welches auch jungen Menschen in Werkstätten für behinderte Menschen ermöglichen würde, in einen Ausbildungsplatz zu wechseln. Hier muss die Landesregierung weiterhin konsequent ihren Einfluss auf Bundesebene geltend machen.
Zweitens wurde im „Budget für Arbeit“ die sogenannte Anleitung und Begleitung am Arbeits- platz eingeführt, die zur Untermauerung aus der Eingliederungshilfe gezahlt wird. Das ist zu begrüßen und gleichzeitig auch notwendige Grundlage, um das „Budget für Arbeit“ erfolgreich umzusetzen.
Auch der Ansatz der Integrationsfachdienste sollte konsequent weiterentwickelt und erweitert werden. Integrationsfachdienste sind aktuell noch auf Menschen mit einer Schwerbehinderung begrenzt und werden über die Ausgleichsabgabe finanziert. Auch weitere Personengruppen könnten von Angeboten der Anleitung und Begleitung am Arbeitsplatz profitieren. Hier gilt es zu prüfen, ob und inwieweit eine entsprechende Finanzierung über das „Budget für Arbeit“ sinnvoll und machbar wäre.
Die Beantragung individueller Arbeitsassistenzen gestaltet sich indes oft als langwieriges Ver- fahren. Im Sinne der Arbeitgeber und Leistungsempfängerinnen und -empfänger sollte des- halb überprüft werden, inwieweit die Beantragung einer Arbeitsassistenz erleichtert werden kann.

Inklusionsbetriebe auch in den kommenden Jahren konsequent ausbauen

Die Zahl der Inklusionsbetriebe ist in Nordrhein-Westfalen in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen und lag zum 31.Dezember 2018 bei 304 Inklusionsbetrieben mit 7.491 Arbeitsplätzen, darunter befanden sich auch 3.911 besonders betroffene schwerbehinderte Menschen aus der Zielgruppe nach § 217 SGB IX.
Das Land förderte seit 2008 im Rahmen einer Modellförderphase und seit September 2012 durch das Landesprogramm "Integration unternehmen"! (Llu!) verschiedene Integrationsprojekte. Im Rahmen dieses Programms und der Mittel aus der Ausgleichsabgabe sind somit zwischen 2008 und 2017 insgesamt 2.777 neue Arbeitsplätze für besonders betroffene schwerbehinderte Menschen in lnklusionsbetrieben in NRW geschaffen worden. Die jährlich im Landeshaushalt verankerte Bezuschussung der Schaffung von Arbeitsplätzen in Inklusionsbetrieben ist mittlerweile in eine Regelförderung überführt worden. In NRW stehen damit seitens des Landes (wie schon seit 2012) pro Jahr rund 2,5 Mio. Euro an Mitteln für Investitionsmaßnahmen für die Schaffung von weiteren Arbeitsplätzen in Inklusionsbetrieben zur Verfügung.
Seit April 2016 stellt zudem das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zusätzliche finanzielle Mittel zum Ausbau der Arbeitsplätze in Inklusionsbetrieben bereit (Bundesprogramm „Inklusionsinitiative II – AllelmBetrieb" (AIB). Hiervon fließen 15,6 Mio. Euro nach Westfalen-Lippe und 18,6 Mio. Euro ins Rheinland. Mit diesen Mitteln können in Nordrhein-Westfalen insgesamt rd. 700 neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
In 2018 wurden aus dem Landesprogramm „Integration unternehmen!" über 40 Förderungen mit 115 neuen Arbeitsplätzen bewilligt. Durch den langjährigen Ausbau sind die Aufwendungen für die Förderung von Inklusionsbetrieben stark angewachsen. Insbesondere die Kosten für die bereits bestehenden Betriebe stellen einen hohen Anteil am Haushalt der Ausgleichsabgabe dar (2017: (LWL) 20 %, (LVR) 11 % der Gesamtaufwendungen mit deutlich steigender Tendenz). So betrugen die Ausgaben für die Förderung von Inklusionsprojekten landesweit insgesamt etwa 22,2 Mio. Euro, davon entfallen ca. 19 Mio. Euro auf die Förderung laufender Leistungen aus der Ausgleichsabgabe.
Das Ausgleichsvolumen im LVR ist erheblich höher als im LWL. Letzteres war in den vergangenen Jahren nahezu ausgeschöpft. Eine Erhöhung der Bezugsgröße für das „Budget für Arbeit“ durch Landesgesetz im BTHG-Ausführungsgesetz könnte Abhilfe schaffen und würde es den Landschaftsverbänden ermöglichen, die Ausgleichsabgabe für andere Zwecke zu verwenden, wie z.B. die Schaffung von weiteren Arbeitsplätzen in Inklusionsbetrieben.
Das MAGS nennt im Rahmen der Berichtsanfrage der GRÜNEN Landtagsfraktion (Vorlage 17/2176) zu diesem Thema weitere Möglichkeiten zur Förderung von Inklusionsbetrieben über die Ausgleichsabgabe hinaus. Dazu gehören:
·          die Berücksichtigung als Arbeitgeber im Förderprogramm „Sozialer Arbeitsmarkt" (Teilhabechancengesetz): Wenn interessierte Teilnehmende die Zugangsvoraussetzungen erfüllen, kann eine Zuweisung durch das Jobcenter erfolgen, wodurch die Geförderten eine 100-prozentige Förderung gern. §16i SGB II („Teilhabe am Arbeitsmarkt") bzw. eine 75-prozentige Förderung gem. § 16e SGB II („Eingliederung von Langzeitarbeitslosen") erhalten können;
·          Leistungen an Arbeitgeber in Form von Zuschüssen zur Ausbildungsvergütung/Weiterbildung für die Dauer der betrieblichen Aus-/Weiterbildung nach SGB III, SGB II und SGB IX;
·          Eingliederungszuschuss an Arbeitgeber im Anschluss an eine abgeschlossene Aus-/ Weiterbildung nach SGB III und SGB II;
·          Zuschüsse an Arbeitgeber zu den Gebühren bei der Berufsausbildung besonders betroffener Schwerbehinderter nach dem SGB IX;
·          Eingliederungszuschuss als Zuschuss zum Arbeitsentgelt nach SGB III und SGB II;
·          Zuschuss für Arbeitshilfen im Betrieb nach SGB III und SGB II.
Diese und weitere Fördermöglichkeiten sind an individuelle Voraussetzungen und Voraussetzungen der Fallgestaltung geknüpft. Hier ist unter Hinzuziehung von Expertinnen und Experten zu prüfen, welche weiteren alternativen Fördermöglichkeiten bestehen.
Darüber hinaus besteht Anpassungsbedarf bei den Bezuschussungen von Inklusionsbetrieben nach §215ff. SGB IX, die weiterhin pro behinderte Mitarbeiterin bzw. pro behinderten Mitarbeiter mit 30% des Arbeitnehmer-Bruttos und einem monatlichen Zuschuss von 251 Euro für Betreuungsleistungen veranschlagt sind. Erfahrungsgemäß sind Menschen mit Behinderung unterschiedlich leistungsfähig und benötigen individuelle Betreuungsleistungen, die durch den Zuschuss nicht immer vollständig kompensiert werden können. Darüber hinaus nimmt die Arbeitsleistung bei Menschen mit Behinderung im höheren Alter oftmals stärker ab. Hier bedarf es eines realitätsnahen Zuschusssystems, das Inklusionsbetrieben ermöglicht, auch Menschen mit einem höheren Unterstützungsbedarf einen Arbeitsplatz anzubieten.

IV.     Der Landtag stellt fest:

·          Das Land Nordrhein-Westfalen verfolgt bereits viele gute Ansätze, um Menschen mit Behinderung in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Dennoch zeigen die Zahlen, dass weitere Anstrengungen notwendig sind, um Betroffenen gemäß der UN-Konvention einen gleichberechtigten Zugang zum Allgemeinen Arbeitsmarkt zu gewähren. Dafür muss die Datenlage und deren Austausch deutlich verbessert werden.
·          Zudem gilt es, weitere Anstrengungen zu unternehmen, um Menschen mit Behinderung den Wechsel in den Allgemeinen Arbeitsmarkt zu erleichtern. Hierzu ist auch eine Weiterentwicklung der Werkstätten nötig, die in enger Zusammenarbeit mit den Trägern erfolgen sollte.
·          In Abstimmung mit relevanten Akteuren wie den Landschaftsverbänden bedarf es einer eingehenden Prüfung der Förderinstrumente und neuer Sensibilisierungsmaßnahmen, um die Anreize für Träger und Unternehmen zu verstärken, Menschen mit Behinderung ein Beschäftigungsverhältnis anzubieten.
·          Die Zahl der Inklusionsbetriebe und -plätze muss in den nächsten Jahren weiter konsequent ausgebaut und die Refinanzierungsmöglichkeiten erweitert werden.
·          Das „Budget für Arbeit“ muss über die bestehenden Maßnahmen und Angebote hinaus weiter ausgebaut werden, um Menschen mit Behinderung mehr Möglichkeiten im Allgemeinen Arbeitsmarkt zu eröffnen.

V.       Die Landesregierung wird daher aufgefordert,

1.       ein Gesamtkonzept für eine inklusive Ausrichtung des Arbeitsmarkts aufzustellen. Hierzu gehört:
a.       Aus den bisher bestehenden Berichten der einzelnen Leistungsträger: Bundesagentur für Arbeit – Regionaldirektion Nordrhein-Westfalen, Landschaftsverbände, örtliche Inklusionsämter eine gemeinsame Berichterstattung aller Leistungsträger zur Situation von Menschen mit Behinderung am Arbeitsmarkt zu entwickeln.
b.       die Datenlage zur aktuellen Erwerbssituation von Menschen mit Behinderung (aufgeschlüsselt nach Beeinträchtigungen und Geschlecht) verbessern.
2.       gemeinsam mit den Verbänden der Menschen mit Behinderung, den Werkstatträten, den Landschaftsverbänden und dem Verband der WfbM in NRW ein Konzept zur Verbesserung der inklusiven Ausrichtung der Werkstätten zu entwickeln und zu fördern,
3.       gemeinsam mit den Landschaftsverbänden zu prüfen, wie alternative Modelle zu Werkstätten – wie z.B. andere Leistungsanbieter – stärker gefördert werden können,
4.       zu prüfen, inwieweit der Nachteilausgleich über das „Budget für Arbeit“ erhöht werden kann,
5.       Angebote der Begleitung von benachteiligten Menschen am Arbeitsmarkt auch dauerhaft für weitere Zielgruppen öffnen und die Unterstützung der Arbeitgeber stärker in den Blick nehmen,
6.       Inklusionsbetriebe zu stärken und weiter auszubauen: Hierzu gehört es das Bezuschussungssystem zu überprüfen und wirksam zu dynamisieren, um auch leistungsschwächere Menschen mit Behinderung einstellen zu können. Zudem muss die Refinanzierung für die bestehenden Inklusionsbetriebe über die Ausgleichsabgabe hinaus erweitert werden.
7.       das Beratungssystem für Unternehmen des Allgemeinen Arbeitsmarkts auszubauen, in- dem die Unternehmen sensibilisiert und angeleitet werden, gemeinsam mit Beraterinnen und Beratern das Angebot an Arbeitsplätzen für Menschen mit Behinderung zu erhöhen und hierbei auch neue Bereiche und „Nischen“ zu erschließen,
8.       öffentliche Auftragsgeber in Kommunen und Kreisen verstärkt auf die Möglichkeiten im Vergaberecht aufmerksam zu machen, um die Teilhabe von Menschen mit Behinderung entsprechend zu fördern,

9.       zu prüfen, inwieweit die verwaltungstechnische Beantragung und Bearbeitung von Hilfs- angeboten für Menschen mit Behinderung – etwa in Form einer Arbeitsassistenz – im Zuge der Teilhabe an Arbeit effizienter gestaltet werden können.