Information und Beratung gegen Verschwörungsmythen schaffen

Antrag der GRÜNEN im Landtag

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

I.     Verschwörungsmythen sind eine Gefahr für unseren demokratischen Rechtsstaat

In den vergangenen Monaten fand eine Vielzahl von Versammlungen aufgrund der Maßnah­men zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie statt. Darunter waren viele, die auf die beson­deren Belastungen für bestimmte Personen- und Berufsgruppen aufmerksam machen wollten und wollen. Doch es finden auch Versammlungen statt, die sich grundsätzlich gegen die Corona-Schutzmaßnahmen richten und dabei zunehmend von Verschwörungsmythen und Verschwörungsglauben geprägt sind. Hier werden Narrative verbreitet, die sowohl die Existenz des SARS-CoV-2 Virus bzw. seiner Gefahren als auch die Legitimität der getroffenen Maß­nahmen in Zweifel ziehen. Auch werden altbekannte antisemitische Bilder und Deutungsmus­ter einer vermeintlich geheimen Elite, die die Geschicke der Welt lenke, aufgerufen. Obwohl bei diesen Versammlungen Personengruppen zusammenkommen, die nicht vollständig einer politischen Strömung oder Ideologie zuzuordnen sind, haben vor allem rechtsextreme Akteure von Beginn an versucht, sie für sich zu nutzen. Spätestens mit den Ausschreitungen am 29. August 2020 vor dem Gebäude des Deutschen Bundestags zeigte sich, dass in diesem verschwörungsideologisch geprägten Protest auch eine ernstzunehmende Gewaltbereitschaft vorhanden ist.

Verschwörungsmythen sind in unserer Gesellschaft aber bereits lange vor dem Protest gegen die Corona-Schutzmaßnahmen vorhanden und teilweise weit verbreitet gewesen. Die Studie „Verlorene Mitte – Feindselige Zustände“ aus dem Jahr 2019 hat die Verbreitung von Ver­schwörungsmythen untersucht und für bestimmte Verschwörungsmythen Zustimmung bei über der Hälfte der Befragten verzeichnet. Im Durchschnitt stimmten 38,5 Prozent der Befrag­ten Verschwörungsmythen zu. Dabei zeigte sich ein enger Zusammenhang zwischen der Zu­stimmung zu Verschwörungsmythen und Misstrauen in die Demokratie sowie auch zu men­schenverachtenden Einstellungen, wie Antisemitismus, Rassismus und Muslimfeindlichkeit. Diese Befunde werden von der im November 2020 erschienenen Studie „Autoritäre Dynami-ken. Alte Ressentiments – neue Radikalität“ bestätigt. Die Befragungen zu dieser Studie fielen in die Zeit der Covid-19-Pandemie. So konnten auch Einstellungen zur Pandemie selbst erho­ben werden. Dabei konnte festgestellt werden, dass die Verschwörungserzählungen zu Covid-19 eng mit einer generellen Verschwörungsmentalität sowie auch mit der Infragestellung der Legitimation unseres politischen Systems zusammenhängen. Die Autorinnen und Autoren der Studie sehen die Gefahr, dass sich durch die Vermischung von esoterischem Aberglauben und Verschwörungsmentalität in dem Protest gegen die Corona-Schutzmaßnahmen eine au­toritäre „Querfront“ bilden kann.

Die Zeit der Pandemie ist von Unsicherheiten geprägt, die für die gesamte Gesellschaft eine Herausforderung darstellen. Viele Menschen fürchten einen Kontrollverlust über ihr alltägli­ches Leben und haben Angst vor einer Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Situation in der Zukunft. Den vorliegenden Studien zufolge wird die Empfänglichkeit für Verschwörungsglau­ben gerade durch diese beiden Ängste begünstigt. Verschwörungsmythen bieten vermeintli­che Erklärungen für die Pandemie an und deuten sich selbst als eine Art Elite, die die Zusam­menhänge durchschaut und damit einen Wissensvorsprung gegenüber allen anderen Men­schen habe.

Die verschwörungsideologisch geprägten Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen stel­len damit auf zwei Ebenen eine Gefahr für unsere demokratische Gesellschaft dar. Die Ängste von Menschen können genutzt werden, um sie niedrigschwellig und fast unbemerkt an Ver­schwörungsmythen heranzuführen, sodass diese sich von der demokratischen Gesellschaft und teilweise auch von ihrem nahen persönlichen Umfeld abkoppeln. Dies erscheint auf den ersten Blick als eine Gefahr, die für Einzelpersonen besteht, die Unterstützungsangebote be­nötigen. Aber die Vielzahl an Fällen, bei denen auch ein Vertrauensverlust in den demokrati­schen Rechtsstaat eintreten kann, sollte nicht unterschätzt werden. Der Verein Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V. sowie auch die Beratungsstellen gegen Rechtsextremismus berich­ten von einer deutlichen Zunahme von Beratungsanfragen aufgrund von Verschwörungsglau­ben im Familien- und Freundeskreis.

Die andere Gefahrenebene fußt auf der autoritären und menschenverachtenden Haltung, die Verschwörungsideologien inhärent ist. Werden Zweifel an der Legitimität unseres demokrati­schen Rechtsstaats, seiner Prozesse sowie seiner Repräsentantinnen und Repräsentanten aufgrund des Umgangs mit dem SARS-CoV-2 Virus verbreitet, kann dies einen generellen Vertrauensverlust auslösen, der über den konkreten Protest hinaus wirksam bleibt. Zudem ermöglicht die große Anschlussfähigkeit des verschwörungsideologisch geprägten Protestes für rechtsextreme und gewaltbereite Akteure eine schnelle und weite Verbreitung ihrer men­schenverachtenden Ideologie. Welches Ausmaß die Verbindung von Verschwörungsmythen und rechtsextremer Ideologie annehmen kann, haben die rechtsterroristischen Anschläge in Halle am 9. Oktober 2019 und in Hanau am 19. Februar 2020 auf erschreckende Weise ge­zeigt.

Diesen besorgniserregenden Entwicklungen muss der Staat schnell begegnen, bevor sich eine demokratiefeindliche Struktur verfestigt. Es gibt einen hohen Bedarf an Informationen und Beratung zum Thema Verschwörungsmythen, der derzeit nicht vollständig abgedeckt werden kann, weil er sowohl Kenntnisse über verfassungsfeindliche Ideologien und Organisationen als auch über die psychosozialen Mechanismen von Verschwörungsmythen, die Parallelen zu Sekten aufweisen, erfordert. Es gibt bereits einen Austausch der bestehenden Beratungsstruk­turen aus der Arbeit gegen Rechtsextremismus und der Sektenberatung. Angesichts der an­zunehmenden längerfristigen Auseinandersetzung mit dem Phänomen, kann dies jedoch keine Dauerlösung sein. Stattdessen sollte ein Beratungsangebot aufgebaut werden, in der die Qualifikationen zu den unterschiedlichen Dimensionen des Phänomens gebündelt werden.

II. Beschluss

Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

·             gemeinsam mit den Expertinnen und Experten zu diesem Themenfeld ein Konzept für ein Beratungsangebot zum Umgang mit Verschwörungsideologien zu entwickeln und an­schließend aufzubauen. Dieses soll sowohl psychosoziale Betreuung als auch Beratung zum Umgang mit demokratiefeindlichen Haltungen abdecken.

·           bis zur Einrichtung des oben genannten Beratungsangebots einen Austausch zwischen Akteuren der politischen Bildung sowie der Arbeit gegen Rechtsextremismus und Rassis­mus mit den Gesundheitsämtern zu organisieren mit dem Ziel Handlungsempfehlungen zu entwickeln, um das Gesundheitspersonal und weitere betroffene Berufsgruppen auf den Umgang mit Verschwörungsgläubigen vorzubereiten.

·           den Schutz von marginalisierten gesellschaftlichen Gruppen, die besonders im Fokus von Verschwörungsgläubigen stehen, wie Jüdinnen und Juden sowie Musliminnen und Mus­lime, sicherzustellen.

·           mit Angeboten der Landeszentrale für politische Bildung Medienkompetenz zu stärken und Wissenschaftsfeindlichkeit entgegenzutreten.

·           Forschung zu Verschwörungsmythen anzustoßen.