Gute Wissenschaft braucht gute Arbeit: Wissenschaftszeitvertragsgesetz reformieren

Antrag von SPD und Grünen

I. Ausgangslage

Wissenschaft und Forschung brauchen arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen, die ausreichend Raum lassen für Innovationsentwicklung und Nachwuchsförderung und gleichermaßen den Anforderungen guter Beschäftigungsbedingungen gerecht werden. Zur Sicherung ihrer Innovationsfähigkeit sind wissenschaftliche Einrichtungen mehr als andere auf regelmäßige Personalwechsel angewiesen. Dies gilt insbesondere für den erheblichen Anteil der Forschungsaktivitäten, die projektfinanziert stattfinden. Diesen besonderen Bedingungen wissenschaftlicher Arbeit wird seit langem durch arbeitsrechtliche Sonderregelungen entsprochen.
Im Zuge der Föderalismusreform 2007 wurden diese im Gesetz über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft zusammengeführt. Das sogenannte Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) hat die vormaligen Regelungen der §§ 57a ff. des Hochschulrahmengesetzes (HRG) ersetzt und weiterentwickelt. Es regelt im Wesentlichen den Abschluss von befristeten Arbeitsverträgen mit wissenschaftlichem und künstlerischem Personal an Hochschulen und Forschungseinrichtungen mit Ausnahme von Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern. Kern des Gesetzes ist die Sechs-plus-sechs-Jahre-Regel: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dürfen – ohne dass dafür Sachgründe erforderlich sind – sechs Jahre vor der Promotion und sechs Jahre (in der Medizin: neun Jahre) nach der Promotion befristet beschäftigt werden. Darüber hinaus können zeitlich unbegrenzt befristete Beschäftigungsverhältnisse begründet werden, wenn die Beschäftigung überwiegend aus Drittmitteln finanziert wird.
Zielvorgabe des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes war es, nachhaltige Personalentwicklung zu befördern und zu einem ausgewogenen Verhältnis von befristeten und unbefristeten Beschäftigungsverträgen in Hochschul- und Forschungseinrichtungen beizutragen. Dieser Vorgabe konnte das Gesetz nicht entsprechen. Vielmehr hat der im März 2011 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung vorgestellte Evaluationsbericht der Hochschulinformations-System GmbH (HIS) belegt, dass befristete Beschäftigungsverhältnisse in Wissenschaft und Forschung dauerhaft zunehmen und gleichzeitig die Befristungsdauer erheblich abgenommen hat. Der Evaluationsbericht gibt den Anteil der befristet beschäftigten wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Hochschulen für 2009 mit 83 Prozent an. Mehr als die Hälfte aller Zeitverträge (53%) hatte dabei eine Laufzeit von unter einem Jahr, weitere 36% hatten eine Laufzeit von ein bis unter zwei Jahren und nur 11% hatten eine Laufzeit von zwei Jahren und länger.
Diese Vertragspraxis bedeutet für die Betroffenen, auf Jahre hinaus unter hochgradig prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten und leben zu müssen. Sie erschwert die Lebens- und Familienplanung und schadet der Attraktivität wissenschaftlicher Berufslaufbahnen erheblich. Sie stellt damit mittelbar auch die Kontinuität und Qualität der wissenschaftlichen Arbeit in Forschung und Lehre infrage. Vor diesem Hintergrund wirkt sich die im WissZeitVG verankerte „Tarifsperre“ besonders ungünstig aus. Bislang sind die rechtlich festgeschriebenen Befristungsregelungen einer abweichenden Ausgestaltung durch die Tarifvertragsparteien weitgehend entzogen. Damit aber wird von vorneherein ausgeschlossen, dass in entsprechenden  Tarifverhandlungen  alternative  Befristungsvereinbarungen  getroffen  werden  – selbst wenn unter den Tarifpartnern Einigkeit über die Änderungsbedarfe besteht und diese den Interessen der Beschäftigten entgegenkommen. Die verbreitete Kurzbefristungspraxis macht demgegenüber deutlich, dass gerade auch dieser arbeitsrechtliche Sonderbereich einer gemeinsam verantworteten Ausgestaltung durch die Sozialpartner bedarf.
Für gute Lehre und Forschung sind exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Voraussetzung. Damit sie ihre Kompetenz an der Universität oder Forschungseinrichtungen entwickeln und für die Wissenschaft nutzbar machen können, ist ein Mindestmaß an ökonomischer Sicherheit und Karriereplanbarkeit notwendig. In seiner derzeitigen Fassung wird das WissZeitVG diesen Regelungszielen nicht gerecht. Um einen angemessenen Ausgleich zwischen den flexiblen Personalbedarfen in Wissenschaft und Forschung einerseits und den berechtigten Interessen der Beschäftigten andererseits zu gewährleisten, müssen an Befristungen nach dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz künftig höhere Anforderungen gestellt werden.

II. Der Landtag beschließt

Der Landtag fordert die Landesregierung auf, eine Bundesratsinitiative mit folgenden Zielen zu starten:

  1. Die im WissZeitVG festgelegte Tarifsperre wird aufgehoben, um abweichende Regelungen zwischen den Tarifpartnern zu ermöglichen.
  2. Der Tatbestand „Abschluss des Studiums“ muss dahingehend klargestellt werden, dass davon auch ein weiterer berufsbildender Abschluss wie der Master erfasst wird. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass Beschäftigungen des wissenschaftlichen Personals, das in einem Masterstudiengang eingeschrieben ist, von der Anrechnung auf die zulässige Höchstbefristungsdauer ausgenommen sind.
  3. Für Befristungen in der Promotionsphase werden als zusätzliche Voraussetzung Betreuungsvereinbarungen verankert, die angemessene Rahmenbedingungen für die Qualifizierung gewährleisten.
  4. Für sachgrundlose Befristungen in der Postdoc-Phase soll eine Mindestlaufzeit von 24 Monaten festgeschrieben werden.
  5. Für Befristungen aufgrund überwiegender Drittmittelfinanzierung soll künftig gelten, dass die Laufzeiten der Arbeitsverträge dem Bewilligungszeitraum der Drittmittel entsprechen sollen. Bei langen Bewilligungslaufzeiten von über zwei Jahren sollen die Beschäftigungsverhältnisse für mindestens 24 Monate begründet werden. In Ausnahmefällen wie z.B. Elternzeit- oder Krankheitsvertretungen darf davon abgewichen und eine kürzere Vertragslaufzeit vereinbart werden, wenn die Notwendigkeit der Abweichung im Arbeitsvertrag explizit begründet wird.
  6. Die Geltung des Befristungsrechts nach dem WissZeitVG für nichtwissenschaftliches und nichtkünstlerisches Personal, das in drittmittelfinanzierten Forschungsprojekten beschäftigt wird, soll eingeschränkt werden.
  7. In Fällen, wo es in der Qualifizierungsphase zur Übernahme elterlicher Verantwortung sowie von Betreuung und Pflege und dadurch zu einer zusätzlichen Belastung kommt, soll es einen wirksamen Rechtsanspruch auf Verlängerung des maximalen Befristungsrahmens im Sinne der familienpolitischen Komponente geben.