Gute Arbeit für alle Arbeitslosigkeit vermeiden und verkürzen Arbeitslosenversicherung neu ausrichten

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

I. Gute Arbeit für alle

Von guter Arbeit profitiert die gesamte Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die den sozialen Zusammenhang gewährleisten und soziale Verwerfungen vermeiden will, ist auf einen sozialen Ausgleich am Arbeitsmarkt angewiesen. Nur auf der Grundlage verlässlicher Beschäftigungsperspektiven und existenzsichernder Entlohnung können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihr Leben mit einen Mindestmaß an Sicherheit gestalten und planen. Ein Leben mit Kindern verlangt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist aus den Verfassungsgrundsätzen ableitbar für Geschlechter wie für Zeitund Leiharbeit. Die gesellschaftliche Realität ist jedoch geprägt von prekärer Beschäftigung. Das gesellschaftliche Klima wird jedoch getrübt von einer ansteigenden Zahl prekärer Beschäftigungsverhältnisse, die diese verlässlichen Rahmenbedingungen nicht bieten. Der hohe Stand sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung verdeckt dabei die Abnahme von Normalarbeitsverhältnissen und die Zunahme von Teilzeitund befristeter Beschäftigung
Die Zahl der in Minijobs geringfügig entlohnten Beschäftigten ist sprunghaft angestiegen: Zuletzt betrug ihre Zahl bundesweit knapp 7 Millionen. Mehr als 4 Millionen der Minijobber sind Frauen. Rund 2,3 Millionen übten den Minijob als eine Nebenbeschäftigung aus. Die hohe Zahl der Leiharbeitnehmerinnen und -nehmer mit kurzer Beschäftigungsdauer und anschließend fortdauernder Arbeitslosigkeit signalisieren eine Scheindynamik am Arbeitsmarkt. Die hohe Zahl der Menschen, die vollschichtig arbeiten und weiter auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, macht die tiefe Spaltung des Arbeitsmarktes deutlich. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit eines gesetzlichen Mindestlohnes, um die staatliche Subventionierung von Dumpinglöhnen und Wettbewerbsnachteile der tarifgebundenen Unternehmen zu beenden.
Der Rückgang der Tarifgebundenheit, als eine wichtige Säule sozial und gesellschaftspolitischer Regulierung, erhöht die Notwendigkeit gesetzlicher Regulierung.
Ein Kernelement der gesetzlichen Absicherung und Regulierung ist die Arbeitslosenversicherung. In § 1 des Sozialgesetzbuches (SGB) III heißt es hierzu: „Die Arbeitsförderung soll dem Entstehen von Arbeitslosigkeit entgegenwirken, die Dauer der Arbeitslosigkeit verkürzen und den Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt unterstützen. Dabei ist insbesondere durch die Verbesserung der individuellen Beschäftigungsfähigkeit Langzeitarbeitslosigkeit zu vermeiden. Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist als durchgängiges Prinzip der Arbeitsförderung zu verfolgen. Die Arbeitsförderung soll dazu beitragen, dass ein hoher Beschäftigungsstand erreicht und die Beschäftigungsstruktur ständig verbessert wird.“
In seinem Prüfbericht vom November 2012 überprüft der Bundesrechnungshof (BRH) diese Orientierung am gesetzlichen Auftrag und kommt dabei zu dem Ergebnis, dass die Vermittlungspraxis der Bundesagentur für Arbeit (BA) eine Einteilung der Arbeitsuchenden und Arbeitslosen vornehme und ihre Vermittlungsaktivitäten auf jene Personen konzentriere, die am einfachsten zu vermitteln sind. Langzeitarbeitslose, schwerbehinderte Menschen, Ältere, Berufsrückkehrende und Personen mit geringer Qualifikation bekämen durch diese Praxis nicht die Unterstützung bei der Arbeitssuche, die gerade sie besonders benötigen. Durch die von der Bundesagentur vorgenommene Bestenauslese werden sozial- und arbeitsmarktpolitische Zielsetzungen obsolet.
Der Bericht des BRH enthält zahlreiche Hinweise darauf, dass das Steuerungssystem der BA nicht nur die Vermeidung der Langzeitarbeitslosigkeit nicht ausreichend berücksichtigt, sondern auch zu Diskriminierung beim Zugang zu Förderung für die besonders in § 11 Abs. 2 Nr. 2 SGB III genannten förderungswürdigen Personengruppen führt.
Vor diesem Hintergrund ist die Auffassung von Führungskräften der Arbeitsagenturen nicht akzeptabel, die gesetzlichen Grundlage, das Sozialgesetzbuch III sei „Sozialromantik“ (BRH Mitteilung an die Bundesagentur für Arbeit über die Prüfung der Zielerreichung in den strategischen Geschäftsfeldern I und Va, Bonn, 07.11.12). Die vom BRH beanstandeten Aspekte des Steuerungssystems der BA haben offensichtlich dazu geführt, dass zentrale sozial- und arbeitsmarktpolitische Zielsetzungen des SGB III einer systematischen Bestenauslese („Creaming“) zum Opfer gefallen sind.
Zum Teil wurden erhebliche Ressourcen darauf verwendet, nicht unterstützungsbedürftige Arbeitslose, so genannte marktfähige Kunden, für die Erfolgsbilanz der Agenturen zu verbuchen, ohne dass dadurch ein Mehrwert für den Arbeitslosen oder die Verringerung der (nichtfriktionellen) Arbeitslosigkeit entstanden wäre. Durch die Fokussierung der Agenturen auf Vermittlungen insbesondere in Leiharbeit wurden durch die für Leiharbeit charakteristische hohe Arbeitskräftefluktuation hohe Vermittlungserfolge erreicht. Dies ging allerdings zulasten der Nachhaltigkeit des Eingliederungserfolgs und der Qualität der vermittelten Arbeit.
Die Praxis der Bestenauslese diene dazu, die Vermittlungsstatistik und dadurch die interne Zielerreichung der Bundesarbeitsagentur zu verbessern. Die Vermittlungsstatistik werde durch legale und illegale Methoden manipuliert, Arbeitslose mit weniger guten Vermittlungsperspektiven würden bewusst vernachlässigt und Maßnahmen würden ohne Berücksichtigung ihres Nutzens für die Geförderten durchgeführt.
„Die bloße Erfassung von sicheren Übertritten mit dem Ziel einer Zählung stellt aus unserer Sicht eine Manipulation dar.“ (BRH Mitteilung an die Bundesagentur für Arbeit über die Prüfung der Zielerreichung in den strategischen Geschäftsfeldern I und Va, Bonn, 07.11.12). Zur Manipulation der Statistik würde erheblicher personeller und finanzieller Aufwand betrieben. Darüber hinaus kritisiert der Bundesrechnungshof das Bundesarbeitsministerium, das mit der Bundesagentur für Arbeit eine Rahmenvereinbarung geschlossen hat und dennoch eine Arbeitsweise der Agentur duldete, die der Zielsetzung dieser Vereinbarung offensichtlich widersprach.

II. Arbeitslosenversicherung neu ausrichten

Es ist erkennbar, dass die Bundesregierung mehr und mehr Abschied von einer aktiven, auch qualifikatorisch der Chancengleichheit verpflichteten Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik nimmt. Es bedarf einer Diskussion mit allen gesellschaftlichen Gruppen über die Präzisierung der arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Zielsetzung der Arbeitslosenversicherung. Nicht zuletzt der demografischen Wandel zwingt uns zu Maßnahmen der Fachkräftesicherung durch eine vorausschauende aktive Arbeitsmarktpolitik.
In der Landesverantwortung stellen wir uns dieser Aufgabe mit folgender Programmatik:

  • „Kein Kind zurücklassen“
  • im neuen Übergangssystem Schule Beruf „Kein Abschluss ohne Anschluss“,
  • mit der Fachkräfteinitiative des Arbeits- und Wirtschaftsministeriums,
  • der Einführung der Umlagefinanzierung in der Altenpflege,
  • durch Unterstützung der Umschulungsqualifizierung bei Erziehungs- und Gesundheitsberufen und
  • in der individuellen Weiterbildungsunterstützung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.

Wir stehen heute vor den gleichen Herausforderungen wie Ende der 60er Jahre. Die Gestaltung einer aktiven Arbeitsmarktpolitik und einer vorausschauenden Qualifizierungspolitik waren und sind Aufgaben, die im gesamtwirtschaftlichen Rahmen gelöst und finanziert werden müssen. Dieses übersteigt die Leistungskraft eines einzelnen Bundeslandes. Sie müssen koordiniert gesamtstaatlich angegangen werden. Hier ist der Aufgabenkanon der Arbeitslosenversicherung neu zu justieren. Diese liegt gleichermaßen im Interesse der Arbeitnehmer, der Arbeitgeber und aller staatlichen Ebenen. Dies rechtfertigt eine Verankerung in der Zielbeschreibung der Agentur für Arbeit sowie deren Mitfinanzierung aus Beitragsmitteln.
Das häufig zu stark auf Wirtschaftlichkeit ausgerichtete Handeln der Bundesagentur für Arbeit konterkariert eine aktive Arbeitsmarktpolitik und verhindert die notwendigen Investitionen in die Qualifizierung von Menschen. Hinweise der BA, man gehe auf diese Weise verantwortlich mit Beitragsund Steuermitteln um, können von den Arbeitsuchenden nur als zynisch betrachtet werden. Diese Situation wird durch die Haushaltspolitik der Bundesregierung noch verschärft: Allein 2013 hatte die BA rund 2 Milliarden weniger Mittel zur Verfügung. Entsprechend enger sind die Spielräume für die aktive Arbeitsmarktpolitik geworden. Das unterstützt aber die Haltung der BA, die Frage der Wirtschaftlichkeit mehr und mehr in den Vordergrund zu rücken.

III. Der Landtag stellt fest, dass

  • die Bundesagentur für Arbeit die Aufgabe hat, dem Entstehen von Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken, die Dauer der Arbeitslosigkeit zu verkürzen und den Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu unterstützen. Dabei soll durch die Förderung der individuellen Beschäftigungsfähigkeit Langzeitarbeitslosigkeit vermieden oder beendet werden;
  • es einer präventiven vorausschauenden Arbeitsmarktpolitik bedarf;
  • es in der Arbeitsvermittlung einer Nachhaltigkeit bedarf, die prekäre Beschäftigung vermeidet;
  • kurzfristige und gering entlohnte Beschäftigung aufstockende staatliche Leistungen erfordert;
  • die vom Bundesrechnungshof aufgedeckte Vermittlungspraxis inakzeptabel ist und beendet werden muss;
  • die Bundesagentur für Arbeit ihrer Aufgabe nachzukommen und Menschen mit Unterstützungsbedarf wieder stärker in den Fokus zu rücken hat.

IV. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  1. sich dafür einzusetzen, eine aktive Beschäftigungs-und Qualifizierungspolitik im Zielkatalog des Sozialgesetzbuches III zu verankern;
  2. darauf hinzuwirken, das Vermeidungsverbot unterwertiger Beschäftigung im SGB III aufzunehmen;
  3. sich dafür einzusetzen, tarifliche und oder ortsübliche entlohnte Beschäftigung als Voraussetzung einer Arbeitsvermittlung vorzusehen;
  4. die Rahmenfrist für die Inanspruchnahme von Leistungen der Arbeitslosenversicherung wieder auf 3 Jahre zu verlängern;
  5. Initiativen zu entwickeln, dass das durch den BRH-Bericht zu Recht kritisierte Zielsteuerungssystem der BA substanziell verändert wird, um die sozial- und arbeitsmarktpolitische Ziele besser abbilden zu können.
  6. dahingehend zu wirken, dass die Bundesregierung die Länder umfassend über das weitere Vorgehen und Maßnahmen informiert und frühzeitig in den Prozess einbindet;
  7. sich dafür einzusetzen, dass Menschen mit besonderem Förderbedarf stärker in den Fokus der Aktivitäten der Bundesagentur für Arbeit und der Agenturen für Arbeit vor Ort rücken;
  8. sich auch weiterhin dafür einzusetzen, dass ein flächendeckender Mindestlohn eingeführt, Mini-Jobs und Leiharbeit verstärkt reguliert und Maßnahmen öffentlich geförderter Beschäftigung ausgeweitet und zu einem Standardinstrument zur Teilhabe langzeitarbeitsloser Menschen ausgebaut werden.