I. Ausgangslage
Die aktuelle Corona-Pandemie befindet sich laut RKI in der vierten Corona-Welle1. Die Infektionszahlen mit dem Sars-COV 2-Virus steigen immer weiter an und es erkranken immer mehr Menschen an COVID 192, darunter zunehmend mehr ungeimpfte Menschen, d.h. vor allem junge Menschen3. Die Landesregierung hat durch ihr Nicht-Handeln in der Sommerpause viel Zeit verschwendet. So setzte die Landesregierung die Inzidenzstufe drei aus, als die Zahl der Neuinfektionen Ende Juli drohten höhere Inzidenzstufen zu erreichen4. Danach wurde bis zur Bund-Länder-Runde abgewartet. Die Ministerpräsidentenkonferenz hat am 10.08.2021 entschieden, nicht mehr alleine die 7-Tage-Inzidenz als Maßstab zur Einschätzung der Lage heranzuziehen, sondern zukünftig sollten auch andere Werte berücksichtigt werden und die 3G-Regel sollte eingeführt werden5. Daraufhin wurde in NRW die Corona-Schutzverordnung komplett überarbeitet und es wurden alle bisherigen Inzidenzstufen aufgelöst und nur noch die Inzidenz 35 als verpflichtender Beginn für die 3G-Regeln definiert6.
Die Systematik der 3G-Regel ist grundsätzlich sinnvoll. Mit dieser Regelung wurde zum ersten Mal seit Beginn der Pandemie eine einfache und klare Botschaft vermittelt, an welcher sich die Bürgerinnen und Bürger leicht orientieren können. Eine klare Verständlichkeit ist für die Akzeptanz notwendiger Schutzmaßnahmen von hoher Bedeutung. Die Regelung ist, wenn sie richtig umgesetzt wird, zur Bekämpfung der Pandemie und zur Ermöglichung einer verantwortlichen Rückkehr zur Normalität weitgehend geeignet. Die Umsetzung der 3G-Regelung muss dafür konsequent gestaltet sein. Immer noch sind in Nordrhein-Westfalen mehr als 30% der Bevölkerung nicht geimpft und gerade in diesen ungeimpften Bevölkerungsgruppen steigt die Zahl der Infizierten weiterhin stark an. Am Montag den 30.08.21 meldete das RKI für Nordrhein-Westfalen eine Sieben-Tage-Inzidenz von 124,97, die damit mehr als doppelt so hoch ist wie zwei Wochen zuvor (57,2, am 16.08.21)8. Im Vergleich dazu beträgt die Sieben-Tage-Inzidenz für Deutschland aktuell 74,89, was sechzig Prozent der Sieben-Tage-Inzidenz in NRW entspricht10. Damit ist NRW derzeit trauriger Spitzenreiter der Infektionsentwicklung in Deutschland. Zur wirksamen Eindämmung der Pandemie braucht es angesichts der Infektionslage in NRW weiterhin ein Maßnahmenbündel, um insbesondere die zu schützen, die sich auch weiterhin nicht impfen lassen können. Vor allem muss der Schutz von Kindern und Jugendlichen und die Sicherstellung von Präsenzunterricht sowie der Kinderbetreuungseinrichtungen und Jugendarbeit jetzt oberste Priorität haben.
Entwicklung der Pandemie und des Infektionsgeschehens sorgsam beobachten
Zur wirksamen Bekämpfung der Pandemie und zu einem verantwortungsvollen Umgang mit ihr, gehören eine möglichst genaue Kenntnis der Lage. Dazu zählen u.a. regelmäßige und effiziente Analysen des Infektionsgeschehens zum Beispiel durch Abwasseranalysen und regelmäßige Testungen im Rahmen von Public Health Screenings der geimpften wie nicht-geimpften Bevölkerung.
Dazu ist eine neue Teststrategie zu entwickeln, die folgende Punkte zu berücksichtigen hat: Es müssen kostenlose und vom Impfstatus unabhängige Tests als Public-Health-Screenings beispielsweise am Arbeitsplatz, in den Universitäten und in den Schulen bzw. Kitas regelmäßig durchgeführt werden. Die Gültigkeit der sogenannten Türöffner-Tests sollte für Anti-Gen-Schnelltests auf 24 Stunden und bei PCR-Tests auf 48 Stunden begrenzt werden. Die konsequenten anlassbezogenen PCR-Testungen bleiben davon unberührt.
Sinnvollen Indikator zügig entwickeln
1 Abs. 3 S. 1 der VO schafft die Inzidenzzahl der Neuinfizierten als alleinigen Maßstab ab und ordnet stattdessen an, dass sich das Maß der erforderlichen Schutzmaßnahmen an der Zahl der Neuinfektionen, Krankenhausaufnahmen, dem Anteil der intensivpflichtigen COVID-19-Fälle, an der ITS-Kapazität, der Zahl der Todesfälle, der Altersstruktur der Infizierten, der Entwicklung des R-Wertes, sowie dem Grad der Immunisierung der Bevölkerung orientiert. Eine Neubewertung des Infektionsgeschehens und seiner Auswirkungen unter Einbeziehung verschiedener Indikatoren ist sinnvoll und richtig. Ein solcher Maßstab muss dann zur Grundlage notwendiger Maßnahmen werden. Die aktuelle CoronaSchVO definiert diesen aber nicht. Bislang ist die Landesregierung eine konkrete und nachvollziehbare Ausgestaltung des neuen Maßstabes schuldig geblieben. Insofern ist auch nicht erkennbar, inwiefern bei den vorzusehenden Schutzmaßnahmen dieser neue Maßstab berücksichtigt worden ist bzw. berücksichtigt werden könnte. Die vorgesehenen Schutzmaßnahmen der aktuellen Verordnung beziehen sich auf die 3G-Regel, jedoch völlig unabhängig von den o.g. Faktoren. Die Inzidenz-zahl wurde insoweit nicht durch einen anderen Maßstab ersetzt, sondern faktisch – und im Gegensatz zum Wortlaut der Verordnung – ersatzlos gestrichen. Richtig wäre es anhand einer kumulativen Berücksichtigung der im § 1 Abs. 3 CoronaSchVO genannten Faktoren die Inzi-denz der Neuinfektionen anzupassen oder einen neuen Orientierungswert zu schaffen, der diese Faktoren zusammengenommen darstellt. Dabei wird dem Inzidenzwert als Frühwarnsignal weiterhin eine wichtige Bedeutung zukommen. Um die Infektionsentwicklung frühzeitig absehen zu können, müssen die Inzidenzen daher genauso weiter Beachtung finden, wie ein flächendeckend auszurollendes Abwasser-Monitoring. Ausgehend von diesen evidenzbasier-ten und gewichteten Maßstäben sind entsprechende Schutzkonzepte abzuleiten, die notwendige Intensivierungen oder Deaktivierungen von Schutzmaßnahmen zusätzlich zu den grundsätzlich zu beachtenden AHA- und 3G-Regeln beinhalten.
Eine konsequente Umsetzung des neuen Maßstabs kann nämlich nicht zum vollständigen Verzicht auf unterschiedliche, mehrstufige Schutzmaßnahmen führen. Vielmehr gilt es die Stufen, insbesondere für nichtgeimpfte Erwachsene, neu zu gliedern und an verbindlichen Indikatoren auszurichten, die der jeweiligen Risikolage Rechnung tragen.
Eine Analyse der Zahlen im Zeitraum von Anfang Juli bis Mitte August zeigt, dass rund 90 Prozent der Patientinnen und Patienten mit einer Covid-19-Erkrankung in Kliniken und 94 Prozent der Covid-19 -Erkrankten auf den Intensivstationen ungeimpft sind11.
Konsequente Umsetzung der 3G-Regelung und Einführung der 2G-Regelung ab einer Inzidenz von 100
Für die konsequente Bekämpfung der Pandemie ist die Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit von Regelungen essentiell. Widersprüchliche oder wenig nachvollziehbare Regelungen müssen durch die konsequente Umsetzung der 3G-Regel bis zu einer Inzidenz von 100 bereinigt werden. Solange kein neuer Maßstab durch die Landesregierung vorgelegt wird, muss die Inzidenz weiter als Frühwarnsignal auch als Grundlage für notwendige Maßnahmen dienen. Die 3G-Regel soll auch für die Nutzung des Fernverkehrs der Bahn sowie für längere Busreisen, analog zur Anwendung bei Flugreisen, Anwendung finden. Zudem muss eine Testpflicht für Nichtgeimpfte am Arbeitsplatz in Innenräumen eingeführt werden, insbesondere dort, wo sich mehrere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer regelmäßig für mehrere Stunden in (zum Teil in engen) Räumen befinden.
Die derzeitige Datenlage deutet daraufhin, dass bei den festgestellten Neu-Infektionen, die auch zu einer Hospitalisierung führen, der Anteil der Nicht-Geimpften den der Geimpften um das Neunfache übersteigt. Darüber hinaus infizieren sich immer mehr junge Menschen, für die es derzeit keinen zugelassenen Impfstoff gibt oder die erst nach und nach Impfangebote erhalten. Um eine weitere Ausbreitung der Infektionen einzudämmen und insbesondere die zu schützen, die sich nicht impfen lassen können und deshalb auf die Solidarität derer angewiesen sind, die sich impfen lassen können, muss das Land ab einer landesweiten Inzidenz von 100 eine 2G-Regelung einführen. Damit haben nur noch Geimpfte oder Genesene im Freizeitbereich, bei Veranstaltungen, in Restaurants oder Diskotheken Zugang.
Damit würde auch dem Umstand Rechnung getragen, dass rund 90 Prozent der Neuinfizierten Ungeimpfte sind. Diese gefährden nicht nur ihre eigene Gesundheit, sondern sie gefährden andere Menschen, die sich aufgrund ihres Alters oder möglicher anderer Faktoren nicht impfen lassen können oder sich aus anderen Gründen bisher nicht haben impfen lassen.
Kinder und Jugendliche konsequent schützen
Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen steigt die Sieben-Tage-Inzidenz kontinuierlich an. Sie liegt in NRW aktuell (Datenstand 31.08.21) bei den 5 – 14-Jährigen bei über 300. In Wuppertal liegt diese beispielweise bei der gleichen Altersgruppe bei über 750 und bei der Gesamtbevölkerung bei 251,1. In der Stadt Düsseldorf beträgt diese bei den 5-14-Jährigen mehr als 470 und liegt bei der Gesamtbevölkerung bei 164,7 (Datenstand 31.08.21)12. Diese Entwicklung ist besorgniserregend, zumal noch immer zu wenig über die langfristigen Folgen, wie Long-Covid oder das PIM-Syndrom, bekannt ist. Hier braucht es zum einen mehr Forschung, aber auch eine gute medizinische Versorgung in Long-Covid-Ambulanzen mit einem speziellen Fokus auf Kinder und Jugendliche.
Der Gesundheitsschutz und gesellschaftliche Teilhabe für Kinder und Jugendliche muss jetzt oberste Priorität haben. Seit anderthalb Jahren müssen Kinder und Jugendliche mit großen Einschränkungen leben, die nicht zuletzt Folgen für die Bildungsgerechtigkeit, aber auch für die Entwicklung von jungen Menschen insgesamt haben. Kinder und Jugendliche haben auch in der Pandemie ein Recht auf Bildung, Teilhabe und ein gesundes Aufwachsen. Teilhabe an Bildung und Freizeitangeboten in Präsenz kann nur dann ermöglicht werden, wenn sich die Gesellschaft jetzt solidarisch mit Kindern und Jugendlichen zeigt.
II. Der Landtag stellt fest:
Die Inzidenzwerte in NRW sind auf einem besorgniserregenden Niveau. Gerade bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen steigt die Zahl der Neuinfektionen in einem deutlichen höheren Maß als in der Gesamtbevölkerung. Um eine vierte Welle abzumildern und insbesondere die zu schützen, die sich nicht impfen lassen können und weiterhin Präsenzunterricht und Kinderbetreuung gewährleisten zu können, braucht es jetzt konsequente Maßnahmen.
III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,
- einen neuen Indikator zu definieren, der u.a. die in § 1 Abs. 3 S. 1 CoronoaSchVo genannten Faktoren berücksichtigt und sinnvoll gegeneinander gewichtet. Dieser ersetzt bzw. ergänzt den bisher alleinig herangezogenen Inzidenzwert.
- eine Teststrategie zu entwickeln, die kostenlose und vom Impfstatus unabhängige Tests als Public-Health-Screenings beispielsweise am Arbeitsplatz, in den Universitäten und in den Schulen regelmäßig mindestens zwei- besser dreimal die Woche ermöglicht. Die Gültigkeit der sogenannten Türöffner Tests sollte für Anti-Gen-Schnelltests auf 24 Stunden und bei PCR-Tests auf 48 Stunden begrenzt werden. Ferner ist eine allgemeine Testpflicht für Reiserückkehrerinnen und -rückkehrer unabhängig vom Impfstatus vorzusehen. Die konsequenten anlassbezogenen PCR-Testungen bleiben davon unberührt. Ferner ist das von der EU geforderte Abwasser-Monitoring als Frühwarnstufe vorgesehene Konzept umzusetzen.
- aufbauend auf den neuen Indikatoren notwendige Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung für evidenzbasierte Schutzstufen zu erarbeiten und in die neue CoronaSchVO aufzunehmen.
- bis zu einer landesweiten Inzidenz von 100 die 3G-Regelung konsequent durchzusetzen.
- ab einer landesweiten Inzidenz von über 100 die 2G-Regelung als neue Schutzstufe einzuführen. Hierfür ist eine geeignete Übergangsfrist vorzusehen. Menschen, die sich nicht impfen lassen können oder nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben, sind davon ausgenommen, müssen aber entsprechend getestet sein.
1 https://www.tagesschau.de/inland/rki-vierte-welle-103.html
2 https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/corona-aktuell-neuinfektionen-rki-100.html
5 https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/ergebnisse-mpk-101.html
7 https://www.lzg.nrw.de/covid19/daten/laborbest_faelle_sars-cov-2.pdf
9 Am Mittwoch Montag den 3024.08.21 meldete das RKI für Nordrhein-Westfalen eine Sieben-Tage-Inzidenz von 1214,93 , die damit fast mehr als doppelt so hoch ist wie eine zwei Woche zuvor (57,2, Stand 16.08.21) .
11 https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/corona-studie-impfdurchbrueche-kliniken-impfungen-100.html
12 S. Angaben auf die Internetseite des Landeszentrums Gesundheit Nordrhein-Westfalen https://www.lzg.nrw.de/inf_schutz/corona_meldelage/index.html