A. Problem
Auch 100 Jahre nach der Einführung des Frauenwahlrechts sind Frauen in politischen Ämtern und Mandaten auf allen politischen Ebenen in Deutschland noch unterrepräsentiert. Elisabeth Selbert, die als Mitglied des Parlamentarischen Rates vor nunmehr über 70 Jahren erfolgreich dafür gekämpft hatte, dass Art. 3 Abs. 2 mit seinem Postulat: “Männer und Frauen sind gleich- berechtigt“ in unser Grundgesetz aufgenommen wurde, stellte schon vor Jahrzehnten fest: “Die mangelnde Heranziehung von Frauen zu öffentlichen Ämtern und ihre geringe Beteiligung in Parlamenten ist schlicht Verfassungsbruch in Permanenz.“
Der Frauenanteil bei den Abgeordneten des nordrhein-westfälischen Landtags blieb nach Inkrafttreten des Grundgesetzes mehrere Jahrzehnte deutlich unter 10 Prozent und überstieg diese Prozentmarke erst in der 10. Wahlperiode, allerdings nur knapp mit 11,01 Prozent. Danach erfolgte ein Anstieg des Frauenanteils, der dann in der 13. Wahlperiode im Jahre 2000 seinen bisherigen Höchststand von 34,84 Prozent erreichte. Danach war er wieder rückläufig und beträgt derzeitig lediglich 27,1 Prozent. Angesichts dessen ist nicht zu erwarten, dass Frauen in absehbarer Zeit ohne ein Tätigwerden des Gesetzgebers im nordrhein-westfälischen Landesparlament einen Sitzanteil erreichen werden, der ihnen eine gleichberechtigte Teilhabe an den für das Land zu treffenden politischen und gesetzgeberischen Entscheidungen eröffnet. Mit ursächlich für die weiterhin so geringe Partizipation von Frauen im Parlament ist nicht allein und vornehmlich der Wählerwille, sondern insbesondere auch die derzeitige Handhabung der Kandidatenaufstellung in den Landeslisten der Parteien, die sich auf die Zusammensetzung des Parlaments mit deutlich weniger Frauen als Männer auswirkt.
Art. 3 Abs. 2 GG ist im Jahre 1994 um den Satz ergänzt worden: „Der Staat fördert die tat- sächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“. Damit ist dem Staat aufgegeben worden, noch beste- hende strukturelle Nachteile von Frauen gegenüber Männern abzubauen und fördernd tätig zu werden, um das Ziel einer tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung zu erreichen.
Dieser Verfassungsauftrag berechtigt zu gesetzgeberischen Maßnahmen, mit denen erreicht werden soll, dass sich der Frauenanteil in den Parlamenten deutlich erhöht und somit auch auf dieser politischen Repräsentanz der tatsächlichen Gleichberechtigung der Geschlechter ein Stück nähergekommen wird.
Dem dient der hiermit vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer paritätischen Aufstellung der Wahllisten mit Frauen und Männern in Nordrhein-Westfalen. Eingeschränkt wird damit zwar das Recht der Parteien und ihrer Mitglieder nach Art. 21 Abs. 1 GG, frei zu bestimmen, wer und in welcher Reihenfolge auf ihren jeweiligen Wahllisten als Kandidat oder Kandidatin zum nordrhein-westfälischen Landtag aufgestellt werden soll. Und auch Art. 38 Abs. 1 GG, der ebenso wie Art. 31 Abs. 1 LV NRW die freie und gleiche Wahl von Abgeordneten garantiert, wird durch die vorgesehene geschlechtergerechte Platzierung von Frauen und Männern auf den Wahllisten tangiert. Diese Eingriffe sind aber durch Art. 3 Abs. 2 GG gerechtfertigt und auch verhältnismäßig.
Der Gesetzentwurf lässt die bisherige Regelung der Aufstellung von Wahlkreiskandidaten und Wahlkreiskandidatinnen unberührt. Er modifiziert allerdings die Aufstellung von Landeslisten für die Wahl von Abgeordneten des nordrhein-westfälischen Landtages, indem er vorgibt, dass Landeslisten beginnend mit einem Mann oder einer Frau und dann in Folge immer im Wechsel von einer Frau und einem Mann oder umgekehrt aufzustellen sind. Das schränkt zwar das Recht der Parteien ein, völlig frei über die Auswahl der Kandidaten und Kandidatinnen und über die Kriterien für deren Reihung auf ihrer Landesliste zu bestimmen. Neben der Vorgabe, auf der Landesliste jeweils im Wechsel einen Mann und eine Frau aufzustellen, bleiben den Parteien aber noch hinreichende Entscheidungsfreiheiten. So können sie weiterhin jeweils unter den einzelnen Kandidatinnen und Kandidaten eine Auswahl treffen und bestimmen, wo diese im Wechsel zwischen Männern und Frauen auf der Liste platziert werden und welche zusätzlichen Aspekte wie z.B. eine ausgewogene regionale Verteilung bei der Reihung der Kandidaten und Kandidatinnen berücksichtigt werden sollen. Außerdem bleibt es bei der Regelung, dass über die Landesliste und die vorgesehene Reihung der Kandidaten und Kandidatinnen eine geheime Abstimmung zu erfolgen hat (siehe § 20 Abs. 2 LandeswahlG NRW).
Insofern und angesichts der Tatsache, dass Frauen im nordrhein-westfälischen Landtag nach wie vor unterrepräsentiert sind, ist die mit dem Gesetzentwurf beabsichtigte gesetzliche Vorgabe, bei der Aufstellung von Landeslisten in gleicher Weise Männer und Frauen zu berücksichtigen, nicht nur geeignet und erforderlich, um dem Ziel einer tatsächlichen Gleichberechtigung der Geschlechter auch in den gesetzgebenden Organen näherzukommen, sondern sie ist auch zumutbar. Die Regelung folgt dem Verfassungsauftrag in Art. 3 Abs. 2 GG, der verdeutlicht, dass es bei der Gleichberechtigung nicht darum geht, Frauen als spezifische Interessengruppe anzusehen, die mit ihren Bedürfnissen ebenso wie andere Gruppen Berücksichtigung finden will. Gleichberechtigung bedeutet vielmehr, die Gleichwertigkeit von Frauen und Männern anzuerkennen, Frauen den Männern im Rechtlichen wie Tatsächlichen gleichzustellen und ihnen deshalb den gleichen Platz wie Männern in Staat und Gesellschaft einzuräumen. Dem dient im Hinblick auf gleiche politische Partizipation von Männern wie Frauen im nordrhein-westfälischen Parlament dieser Gesetzesentwurf. Durch eine mit der vorgesehenen Regelung bezweckte vermehrte Vertretung von Frauen im Parlament wird im Übrigen auch befördert, dass sich die Rechtsetzung mehr als bisher an der Lebenswirklichkeit beider Geschlechter ausrichten wird.
B Lösung
Das Landeswahlgesetz wird entsprechend des Vorschlags geändert.
C Alternativen
Beibehaltung des bestehenden Rechts.
D Kosten
Keine.
G e g e n ü b e r s t e l l u n g
Gesetzentwurf der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN | Auszug aus den geltenden Gesetzesbe- stimmungen |
Gesetz
zur Änderung des Landeswahlgesetzes in Nordrhein-Westfalen – Einführung einer paritätischen Aufstellung der Wahllisten mit Frauen und Männern |
Gesetz
über die Wahl zum Landtag des Landes Nordrhein-Westfalen (Landes- wahlgesetz) in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. August 1993 |
Artikel 1 Änderung des Landeswahlgesetzes
Das Gesetz über die Wahl zum Landtag des Landes Nordrhein-Westfalen (Landeswahlgesetz) in der Fassung vom 16. August 1993 wird wie folgt geändert: |
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1. Nach § 20 wird § 20a wie folgt eingefügt: § 20a „Frauen sind bei der Aufstellung der Landesliste gleichberechtigt zu berücksichtigen. Auf den Landeslisten sind deshalb, beginnend mit einer Frau oder einem Mann, die Plätze danach jeweils im Wechsel mit einem Kandidaten bzw. einer Kan- didatin zu besetzen, sodass alternierend einer Frau stets ein Mann und einem Mann stets eine Frau folgt. Personen, die ent- sprechend § 22 Abs. 3 und § 45 b Abs. 1 Personenstandsgesetz weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden können, können frei darüber entscheiden, ob sie sich für einen der den Frauen oder der den Männern zu- zuordnenden Listenplätze bewerben. Nach der diversen Person soll eine Frau kandidieren, wenn auf dem Listenplatz vor der diversen Person ein Mann steht; es soll ein Mann kandidieren, wenn auf dem Listenplatz vor der diversen Person eine Frau steht. Eine gleichberechtigte Aufstellung der Landesliste wird dadurch gewahrt. |
2. Nach § 21 Abs. 3 wird ein neuer Abs. 4 eingefügt: „Landeslisten, die den Anforderungen des § 20a nicht vollständig entsprechen, wer- den bis zu demjenigen Listenplatz zuge- lassen, mit dessen Besetzung die Vorgabe des § 20a noch erfüllt ist. Die nachfolgen- den, nicht der Vorgabe entsprechend ver- gebenen Listenplätze sind dementspre- chend zurückzuweisen und von der Liste zu streichen (Teilzurückweisung). Landes- listen, die den Anforderungen des § 20a in Gänze nicht entsprechen, sind insgesamt zurückzuweisen.“
2. Der bisherige Abs. 4 von § 21 wird Abs. 5. |
§ 2
(1) Der zuständige Wahlleiter hat die Wahlvorschläge sofort zu prüfen. Stellt er Mängel fest, so fordert er unverzüglich die Vertrauensper- son auf, sie rechtzeitig zu beseitigen. Die Ver- trauensperson kann gegen Verfügungen des Wahlleiters den Wahlausschuss anrufen. (2) Mängel des Wahlvorschlages können nur solange behoben werden, als nicht über seine Zulassung entschieden ist. Sind in einer Lan- desliste die Anforderungen nur hinsichtlich einzelner Bewerber nicht erfüllt, so werden ihre Namen in der Landesliste gestrichen. (3) Der Kreiswahlausschuss und der Landes- wahlausschuss entscheiden spätestens am siebenundvierzigsten Tage vor der Wahl über die Zulassung der Wahlvorschläge. Wahlvor- schläge sind zurückzuweisen, wenn sie ver- spätet eingereicht sind, den Anforderungen nicht entsprechen, die durch dieses Gesetz o- der die Wahlordnung aufgestellt sind, oder auf Grund einer Entscheidung nach Artikel 9 Abs. 2, Artikel 21 Abs. 2 des Grundgesetzes oder Artikel 32 Abs. 2 der Landesverfassung unzu- lässig sind.
(4) Weist der Kreiswahlausschuss einen Wahlvorschlag zurück, so kann binnen drei Tagen nach Verkündung in der Sitzung des Kreiswahlausschusses von der Vertrauens- person des Wahlvorschlages, dem Landes- wahlleiter oder dem Kreiswahlleiter Be- schwerde an den Landeswahlausschuss ein- gelegt werden. Der Landeswahlleiter und der Kreiswahlleiter können auch gegen eine Ent- scheidung, durch die ein Kreiswahlvorschlag zugelassen wird, Beschwerde erheben. In der Beschwerdeverhandlung sind die erschiene- nen Beteiligten zu hören. Die Entscheidung über die Beschwerde muß spätestens am sie- benunddreißigsten Tage vor der Wahl getrof- fen werden. Die Beschwerdeentscheidung ist für die Aufstellung der Bewerber zur Wahl endgültig. Sie schließt die Erhebung eines Einspruchs im Wahlprüfungsverfahren nicht aus (§ 1 des Wahlprüfungsgesetzes NW). |
Artikel 2 Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am 1.1.2021 in Kraft |
Begründung Artikel 1 Allgemeines
Auch nach über 100 Jahren seit der Einführung des Wahlrechts auch für Frauen bedarf es noch größerer Anstrengungen, um im Sinne des Verfassungsauftrages in Art. 3 Abs. 2 GG zu verwirklichen, dass Frauen nicht nur an Wahltagen ihre Stimme abgeben können, sondern sie in den Parlamenten auch gleichberechtigt vertreten sind und dort an der politischen Willensbildung und demokratischen Entscheidungsfindung in gleicher Weise wie Männer teilhaben können.
Durch die Änderung des nordrhein-westfälischen Landeswahlgesetzes wird das Verfahren zur Aufstellung von Landeslisten der Parteien im Vorfeld der Landtagswahlen dahingehend modifiziert, dass es zu einem ausgeglichenen paritätischen Verhältnis von Kandidaten und Kandidatinnen auf den Landeslisten kommt. Damit werden die Wählbarkeit von Frauen, ihre gleichberechtigte Repräsentanz im Parlament und damit die ihnen gebührende Partizipation an den politischen Entscheidungsfindungsprozessen gestärkt und gesichert. Dies folgt dem Auftrag aus Art. 3 Abs. 2 GG, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern, und dient einer Politik, die die Lebenswirklichkeit von Männern wie Frauen in den Blick nimmt und sich zum Ziel setzt, auf die Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit hinzuwirken.
Ein Blick in die Historie des Landes von Nordrhein-Westfalen macht deutlich, dass das hiesige Parlament seit 1946 bis heute ausnahmslos von männlichen Abgeordneten dominiert wurde: Entwicklung des Frauenanteils im Landtag Nordrhein-Westfalen seit 1946; Stand: 09.06.2017
1. Wahlperiode (20.04.1947 – 17.06.1950): Beginn 216 – 13 (6,02%) |
2. Wahlperiode (05.07.1950 – 04.07.1954): Beginn 215 – 16 (7,44%) |
3. Wahlperiode (13.07.1954 – 12.07.1958): Beginn 200 – 13 (6,50%) |
4. Wahlperiode (21.07.1958 – 20.07.1962): Beginn 200 – 13 (6,50%) |
5. Wahlperiode (23.07.1962 – 23.07.1966): Beginn 200 – 12 (6,50%) |
6. Wahlperiode (25.07.1966 – 25.07.1970): Beginn 200 – 11 (5,50%) |
7. Wahlperiode (27.07.1970 – 27.05.1975): Beginn 200 – 07 (3,50%) |
8. Wahlperiode (28.05.1975 – 28.05.1980): Beginn 200 – 11 (5,50%) |
9. Wahlperiode (29.05.1980 – 29.05.1985): Beginn 201 – 13 (6,50%) |
10. Wahlperiode (30.05.1985 – 30.05.1990): Beginn 227 – 25 (11,01%) |
11. Wahlperiode (31.05.1990 – 31.05.1995): Beginn 237 – 49 (20,67%) |
12. Wahlperiode (01.06.1995 – 01.06.2000): Beginn 221 – 65 (29,41%) |
13. Wahlperiode (02.06.2000 – 02.06.2005): Beginn 231 – 72 (31,17%) |
14. Wahlperiode (08.06.2005 – 08.06.2010): Beginn 187 – 52 (27,81%) |
15. Wahlperiode (09.06.2010 – 14.03.2012): Beginn 181 – 48 (26,52%) |
16. Wahlperiode (31.5.2012 – 31.05.2017): Beginn 237 – 70 (29,54%) |
17. Wahlperiode (seit 01.06.2017): Beginn 199 – 54 (27,14%) |
Zu § 20a (neu):
Um dem Missverhältnis zwischen dem Anteil von Frauen an der Bevölkerung des Landes Nordrhein-Westfalen und dem Anteil von weiblichen Abgeordneten im nordrhein-westfälischen Landtag entgegenzuwirken und eine gleichberechtigten Partizipation an der demokratischen Willensbildung im Landesparlament näher zu kommen, wird in Abs. 1 für die Aufstellung von Landeslisten vor Landtagswahlen, den Parteien aufgegeben, die Listenplätze im Wechsel mit Kandidatinnen und Kandidaten zu besetzen, um damit ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis auf den Listen zu erzielen und Frauen nicht vorwiegend auf den hinteren Listenplätzen aufzustellen, bei denen die Chancen immer geringer werden, als Abgeordnete in den Landtag einziehen zu können. Eine Öffnungsklausel ist im Hinblick auf intersexuelle Menschen geboten. Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Oktober 2017 (1BVR 2019/16) zum diversen Geschlecht würde dessen Wahlrechtsfreiheit unterbunden werden, wenn die Betroffenen gar nicht kandidieren dürften oder eingeschränkt werden, wenn sie sich einem Geschlecht zuordnen müssten. Um einen solchen Zwang zur Zuordnung zu vermeiden, hat der Bundesgesetzgeber das Personenstandsrecht entsprechend erweitert. Bei der Kandidatur zu einem Parlament hat daher entsprechendes zu gelten. Die Zuordnung zu einem Geschlecht darf daher von intersexuellen Menschen nicht verlangt werden. Sie entscheiden selber, auf welchem Platz sie kandidieren. Der folgende Platz auf der Landesliste kann von einem Mann oder einer Frau besetzt werden, da Intersexuelle auch nicht indirekt einem bestimmten Geschlecht zugeordnet werden dürfen.
Zu § 21 Absatz 4 (neu)
Wird gegen die in § 20a für die Aufstellung von Landeslisten aufgestellte neue Verpflichtung, die Listenplätze im Wechsel mit Frauen und Männern zu besetzen, nur teilweise verstoßen, soll dies als milderes Mittel gegenüber einer Zurückweisung der gesamten Liste zur Folge haben, dass die Liste bis zu demjenigen Listenplatz zugelassen wird, bis zu dem sie der Vor- gabe des § 20a entspricht. Lediglich die danach folgenden, nicht mehr der Vorgabe entsprechenden Listenplätze werden also zurückgewiesen und damit von der Liste gestrichen. Wird bei der Landeslistenaufstellung allerdings gänzlich gegen die Vorgabe des § 20a verstoßen, so ist die betreffende Landesliste insgesamt zurückzuweisen.
Artikel 2
Artikel 2 regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.