Genitalverstümmelung ist eine Menschenrechtsverletzung – der Verletzung von Körper und Seele von Mädchen und Frauen entschieden entgegentreten

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

1. Ausgangslage

Der 11. Menschenrechtsbericht der Bundesregierung, die Expertinnen und Experten des Runden Tisches NRW gegen Beschneidung von Mädchen und die Beratungsstelle stop mutilation e.V. gehen davon aus, dass weltweit mehr als 150 Millionen Frauen mit verstümmelten Genitalien leben. Mit steigender Tendenz werden Mädchen und junge Frauen  Opfer dieser menschenverachtenden Praxis. Als weibliche Genitalverstümmelung werden alle Verfahren bezeichnet, bei denen die Genitalien von Mädchen und Frauen verletzt, teilweise oder vollständig entfernt werden. Die meisten Mädchen erfahren diese Praxis im Alter zwischen 4 und 14 Jahren. Tendenziell erfolgt der Eingriff aber zunehmend früher. Hinzu kommt eine große, schwer quantifizierbare Dunkelziffer von Betroffenen. Menschenrechtsorganisation gehen zum Teil gar von der Notwendigkeit aus, dass die Schätzzahlen verdoppelt werden müssten.
Die seit Jahren andauernde Migration von Süd nach Nord und aktuell verstärkt durch die Flüchtlingsbewegungen, führen dazu, dass auch in Deutschland und speziell NRW immer mehr betroffen Frauen leben. Nach Berechnungen von Terre des Femmes leben auch in Deutschland mindestens 60.000 Mädchen und Frauen, die aus sogenannten Prävalenzländern stammen, in denen diese  Menschenrechtsverletzung noch immer praktiziert wird.
Zudem ist davon auszugehen, dass Familien aus den Prävalenzländern dieses kulturelle und traditionelle Ritual in Deutschland weiterführen und ihre Töchter beschneiden lassen wollen, so dass die neue Heimat für viele Mädchen und junge Frauen nicht automatisch Sicherheit bietet. Vielmehr besteht die latente Gefahr der Menschenrechtsverletzung für diese Mädchen auch hier in Deutschland fort. So bedroht Genitalverstümmelung nach Schätzungen im gesamten Bundesgebiet ca. 6000 Mädchen und junge Frauen. Insbesondere in den Ferien sind Mädchen aus den Prävalenzländern gefährdet. Sofern sie die Ferien in der Herkunftsregion (ihrer Eltern) verbringen, laufen sie Gefahr, dort mit oder auch gegen den Willen der Eltern, von Angehörigen oder „Helferinnen“ beschnitten zu werden.
Die medizinischen, psychischen und sozialen Komplikationen sind gravierend. Die weibliche Genitalverstümmelung ist für viele Opfer ein lebenslanges Trauma. Neben psychischen Erkrankungen führt die Verstümmelung der Genitalien auch zu schwerwiegenden körperlichen Problemen. Die möglichen lebenslangen Folgen von Genitalverstümmelung sind vor allem Unfruchtbarkeit, Komplikationen bei Schwangerschaft und Geburt, eingeschränkte Sexualität, starke Schmerzen, Blutungen und Wundinfektionen.
Das Thema weiblicher Genitalverstümmelung wird in der Öffentlichkeit wenig thematisiert. Daher ist es umso wichtiger dieses Thema in das öffentliche Bewusstsein zu rücken. Insbesondere Polizei und Justiz, pädagogisches Lehrpersonal sowie der Gesundheitssektor müssen vorbereitet sein, wenn sie mit dem Thema  weibliche Genitalverstümmelung in Berührung kommen. Große Unterstützung in der Arbeit gegen Genitalverstümmelung leistet seit 2007 der Runde Tisch NRW gegen Beschneidung von Mädchen.
Hier wollen wir anknüpfen und mit unserer politischen Initiative dazu beitragen, Präventionsmaßnahmen zu entwickeln, potenzielle Opfer von weiblicher Genitalverstümmelung zu unterstützen und das Thema in das öffentliche Bewusstsein zu rücken. Eine wesentliche Rolle kommt hierbei dem pädagogischen und medizinischen Fachpersonal, Schülerinnen und Schülern, Polizei und Justiz sowie den Jugend- und Migrationsämtern zu. Sie alle müssen umfassend über das Thema weibliche Genitalverstümmelung informiert und in die Anstrengungen gegen die Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung eingebunden werden.

Der Landtag stellt fest:

Genitalbeschneidung stellt einen Sorgerechtsmissbrauch dar und ist somit als eine Erscheinungsform von Kindeswohlgefährdung gem. §8a SGBVIII anzusehen.
Dass auch weiter die Notwendigkeit besteht, der weiblichen Genitalverstümmelung konsequent entgegen zu treten. Daher werden der „Runde Tisch NRW gegen Beschneidung von Mädchen“ und die Beratungsstelle „stop mutilation e.V. “ weiter unterstützt.
Unter Federführung des MGEPA wurde gemeinsam mit Akteurinnen und Akteuren des Gesundheitswesens bereits ein Flyer entwickelt, der sich in erster Linie an im Gesundheitswesen Beschäftigte richtet, sie sensibilisiert und über die verschiedenen Formen weiblicher Genitalverstümmelung, die entsprechenden Krankheitsbilder sowie über rechtliche Grundlagen und Beratungsangebote informiert.  Auch zukünftig muss mit vergleichbarer Aufklärungsarbeit zur Enttabuisierung des Themas beigetragen werden.

Der Landtag bittet die Landesregierung:

durch intensive Informations- und Öffentlichkeitsarbeit das Bewusstsein in der Bevölkerung sowie in den staatlichen und nicht staatlichen Institutionen für das enorme Ausmaß von Genitalverstümmelung, auch in NRW, zu schärfen und die Handlungsbereitschaft in konkreten Gefährdungsfällen zu erhöhen.
eine spezifische Handlungsempfehlung nach dem Hamburger Vorbild, für Fachkräfte im Sozialen Dienst, Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler, den Gesundheitssektor sowie Polizei und Justiz zu erstellen.. Ziel dieser spezifischen Handlungsempfehlung soll es sein, einen Einblick in die Thematik zu geben, zu sensibilisieren und eine erhöhte Sicherheit im Handeln zum Schutz der bedrohten Mädchen und jungen Frauen zu vermitteln. Zudem soll sie konkrete Hilfe im Einzelfall geben und die rechtlichen Handlungsmöglichkeiten der Jugendhilfe und der Mädchenarbeit aufzeigen. Gelungene Beispiele hierfür sind der „Leitfaden für pädagogische Fachkräfte“ und der „Leitfaden für medizinisches Personal“ wie sie vom Verein „stop mutilation e.V. herausgegeben wurden.