Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus – Erinnern heißt Verantwortung zu übernehmen

Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und GRÜNEN

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

I. Ausgangslage

Am 27. Januar 1945 wurden die Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau befreit. Seit 1996 ist dieser Tag bundesweit der Tag des Gedenkens an die Opfer des Natio­nalsozialismus. Die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus ist Teil der histori­schen Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland – Verantwortung gegenüber den Op­fern und Hinterbliebenen des Nationalsozialismus, aber auch Verantwortung das Versprechen „Nie wieder!“ einzulösen.

In den sieben Vernichtungslagern und über tausend Konzentrations- und Nebenlagern wurden mehrere Millionen Menschen ermordet. Die genaue Zahl der Todesopfer in Konzentrationsla­gern ist nicht bezifferbar. Schätzungen des United States Holocaust Memorial Museum zufolge sind allein im Vernichtungslager Auschwitz mehr als eine Million Menschen ermordet worden. Die meisten von ihnen waren Jüdinnen und Juden. Etwa sechs Millionen wurden während der Zeit des Nationalsozialismus ermordet.

Zu den Opfern des nationalsozialistischen Terror-Regimes gehören auch Sintizze und Sinti, Romnja und Roma, Menschen mit Behinderung, Homosexuelle, Kriegsgefangene, politische Gegnerinnen und Gegner, Zeugen Jehovas sowie Vorbestrafte und als „Asoziale“ diffamierte Menschen.

Die unendliche Grausamkeit der nationalsozialistischen Ideologie manifestiert sich in seinen Opfern und dem unermesslichen Leid der Überlebenden und Angehörigen. Die Hinterbliebe­nen der Opfer und auch die nachfolgenden Generationen leiden auch fast 80 Jahre nach Ende des Nationalsozialismus noch unter diesen Verbrechen.

Das Erinnern an die Shoah ist und bleibt eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung und Pflicht, damit sich dieses Menschheitsverbrechen nie wiederholen kann. Die Lehre aus den Verbrechen des Nationalsozialismus muss das unverrückbare Einstehen für Demokratie, Men­schenrechte und Frieden sein. Jeder Mensch muss frei von Angst und Diskriminierung leben können. Das solidarische Miteinander in einer vielfältigen demokratischen Gesellschaft und das Eintreten gegen Antisemitismus, Antiziganismus, Rassismus und jede Form von Men­schenfeindlichkeit ist die Leitlinie unseres Handelns als Demokratinnen und Demokraten.

Antisemitismus ist in unserer Gesellschaft verbreitet. Er äußert sich in unterschiedlichen For­men. Zusätzlich zum völkisch-rassistischen Antisemitismus sind der sekundäre Antisemitis­mus sowie der israelbezogene Antisemitismus verbreitet.

Der Anstieg der antisemitischen Straftaten im Jahr 2021 ist besorgniserregend. Der vereitelte antisemitische Anschlag auf die Synagoge in Hagen im September 2021 und die aktuellen Ermittlungen zu vermutlich geplanten und teilweise ausgeführten antisemitischen Anschlägen in Essen, Bochum und Dortmund von November 2022 sowie antisemitische Verschwörungs­mythen auf den Versammlungen gegen die Corona-Maßnahmen sind erschütternd.

Der Schutz jüdischen Lebens hat aufgrund unserer historischen Verantwortung einen beson­deren Stellenwert. Er ist nicht nur Aufgabe der Sicherheitsbehörden, sondern der gesamten Gesellschaft. Antisemitische Äußerungen dürfen nie unwidersprochen bleiben. Alle Demokra­tinnen und Demokraten sind aufgefordert, menschenverachtenden Äußerungen und versuch­ten Diskursverschiebungen entgegenzustehen.

Der 27. Januar ist die dringende Mahnung, das Versprechen „Nie wieder!“ ernst zu nehmen. Die rechtsterroristischen Anschläge und Anschlagsplanungen der letzten Jahre zeigen deut­lich, dass dieses Versprechen niemals zur Floskel verkommen darf, sondern jeden Tag aufs Neue gefordert ist. Hass und Menschenverachtung muss entschieden widersprochen werden. Unsere Gesellschaft ist heute von einer hohen Diversität geprägt. Menschen unterschiedlichs­ter Religionszugehörigkeit und Weltanschauung, sexueller und geschlechtlicher Identität, Her­kunft und Hautfarbe leben friedlich zusammen. Sie alle verdienen Respekt und Anerkennung als selbstverständlicher Teil der Gesellschaft.

Die im Grundgesetz verankerten Menschenrechte zu verwirklichen bedeutet, sich gegen Anti­semitismus, Antiziganismus, Rassismus, Islamfeindlichkeit, Homo- und Transfeindlichkeit, Ab-leismus und andere Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit zu stellen.

I. Beschlussfassung
Der Landtag stellt fest:

  1. Die Erinnerung an die Shoah gehört zum gesellschaftlichen Grundkonsens unseres de­mokratischen Rechtsstaats.
  2. Der Landtag verurteilt die Verbrechen des Nationalsozialismus.
  3. Die historische Verantwortung für den Schutz und die Förderung jüdischen Lebens und des Lebens von Sinti und Roma in Nordrhein-Westfalen ist eine Leitlinie für das Wirken und Handeln des Landtags von Nordrhein-Westfalen.
  4. Die Stärkung demokratischer Grundwerte bleibt eine Daueraufgabe für alle demokrati­schen Institutionen.

Der Landtag beauftragt die Landesregierung,

  1. die Erinnerung an die Shoah und die weiteren Verbrechen der NS-Zeit wach zu halten und die Aufarbeitung der Verbrechen des Nationalsozialismus voranzutreiben. Dazu ge­hört die Unterstützung und Weiterentwicklung der Arbeit der Gedenkstätten, Erinnerung­sorte, Museen und weiterer zivilgesellschaftlicher Akteure, insbesondere vor dem Hin­tergrund der sinkenden Zahl von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen.
  2. Maßnahmen zum Schutz und zur Förderung jüdischen Lebens in Nordrhein-Westfalen fortzuführen und verstärken.
  3. die Arbeit der Antisemitismusbeauftragten weiter zu unterstützen und zu stärken.
  4. die Auseinandersetzung mit allen Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlich­keit voranzutreiben und geeignete Maßnahmen gegen Diskriminierung umzusetzen und dabei zivilgesellschaftliche Gruppen einzubeziehen.
  5. die politische Bildung in Nordrhein-Westfalen weiter zu stärken und dabei den Schwer­punkt auf die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus beizubehalten.
  6. die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und der eigenen Geschichte der Behörden des Landes Nordrhein-Westfalen, insbesondere in der Aus-, Fort- und Weiter­bildung von Polizei, Justiz, Verfassungsschutz, öffentlicher Verwaltung und im Bildungs­bereich weiter voranzutreiben und dabei auch Zusammenhänge mit aktuellen gesell­schaftlichen Entwicklungen einzubeziehen.