Für mehr Sensibilisierung – gegen Diskriminierung

Antrag der GRÜNEN im Landtag

Portrait Josefine Paul

I.         Historische Betrachtung
In der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 1969 spitzte sich der Konflikt zwischen Homo – und Transsexuellen auf der einen Seite und New Yorker Polizei auf der anderen Seite zu. Es kam zu einer ersten gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen diesen beiden Lagern, nachdem eine Razzia im Stonewall Inn, einer Bar mit homosexuellem und Transgender-Publikum in der Christopher Street durchgeführt worden war. Erstmals widersetzen sich dort Schwule, Lesben und Transpersonen den Verhaftungen.
Schwule, Lesben und Transpersonen setzten mit ihrem Aufbegehren gegen die staatliche Diskriminierung und polizeiliche Willkür ein Zeichen und begründeten so eine neue Emanzipationsbewegung.
Die Entwicklung einer deutschen Schwulenbewegung als Vorläufer der heutigen LSBTIQ-Bewegung wurde erst durch die Liberalisierung des Strafrechts und die damit verbundene Entkriminalisierung möglich. Mit der Strafrechtsreform von 1969 wurde der §175 liberalisiert und sexuelle Handlungen unter Männern ab 21 waren nicht länger strafbar. Für die Männer, die immer in Angst gelebt hatten, bedeutete diese Liberalisierung vor 50 Jahren einen ersten Schritt endlich frei zu lieben und zu leben. Es bedeutete aber auch die Möglichkeit, sich zu organisieren.

II.       LSBTIQ in NRW heute

In Erinnerung an den Akt der Selbstbehauptung aus der Christopher-Street in New York vor 50 Jahren werden Demonstrationen von und für die Rechte von LSBTIQ-Personen in Deutschland bis heute Christopher-Street-Day (CSD) genannt. Mittlerweile gibt es in 15 Städten Nordrhein-Westfalens CSDs mit Demonstrationen, Straßenfesten und Rahmenprogrammen.
Das Engagement und die politischen Kämpfe der LSBTIQ-Bewegung haben über die Jahr- zehnte dazu geführt, dass queere Menschen in Deutschland heute so viele Rechte und Freiheiten haben wie nie zuvor. Doch dies ist keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Erst 1994,also vor nur 25 Jahren, wurde §175 endgültig aus dem Strafgesetzbuch gestrichen und gleichgeschlechtliche Liebe damit auch in Deutschland legal. Es hat noch einmal 23 Jahre gedauert bis die Unrechtsurteile aufgehoben und die Opfer des §175 einen Anspruch auf Entschädigung erhielten. Für viele Betroffene kam dies allerdings zu spät. Sie mussten Zeit ihres Lebens mit dem Stigma von Verfolgung und Verurteilung leben. Und doch bleiben Ausgrenzung, Diskriminierung und Mobbing bis hin zu Gewalt aufgrund der sexuellen und/oder geschlechtlichen Identität auch heute noch alltägliche Realität für viele Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Interpersonen.
In den letzten Jahren sind die Errungenschaften der queeren Emanzipationsbewegung – trotz Eheöffnung oder der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur 3. Option – politisch wieder unter Druck geraten. Reaktionäre Kräfte mobilisieren gegen Bildungspläne und für ein traditionalistisches Familienbild, das ihren Vorstellungen einer „Normfamilie“ entspricht. Gleichzeitig ist ein Anstieg von homosexuellen- und transfeindlicher Anfeindungen und Angriffen zu verzeichnen. Nordrhein-Westfalen ist vielfältig in seiner Bevölkerung und seinen Lebensformen. Diese Vielfalt zu schützen ist nicht zuletzt Aufgabe und Verantwortung des Staates.
Daher fordern LSBTIQ- Aktivisten und Aktivistinnen seit Jahren eine Ergänzung des Artikel 3 Grundgesetz um das Merkmal der sexuellen Identität. Parteiübergreifend wird diese Forderung von Bündnis90/Die Grünen, Linkspartei, und FDP im Bundestag unterstützt. Auch Familienminister Dr. Joachim Stamp erklärte anlässlich der Eröffnung der Ausstellung des Centrum Schwule Geschichte „Im Namen des Volkes!? §175 im Wandel der Zeit“ seine Unterstützung dieser Forderung.
Allen rechtlichen Fortschritten der letzten Jahre zum Trotz bleiben weiterhin gewichtige rechtliche Fragen offen.
Das von der Bundesregierung angestrebte Verbot der Konversionstherapien ist zu begrüßen, leider soll dieses Verbot nur für Homosexuelle, nicht aber auch für Trans- und Intersexuelle Menschen, gelten. Ein solche Regelung muss alle Menschen schützen und nicht nur Lesben und Schwule. Die derzeit tagende Kommission auf Bundesebene ist aufgefordert, Maßnahmen für ein umfassendes Verbot von unethischen Pseudotherapien zu erarbeiten, die LSBTIQ schützt. Ebenso bedarf es einer grundlegenden Neufassung des Transsexuellengesetzes (TSG) im Sinne der Selbstbestimmung. Der vorgelegte Gesetzesentwurf zur Reformierung des TSG bleibt weit hinter diesem Anspruch zurück. Anstatt Menschen die selbstbestimmte und freie Entscheidung über ihren Geschlechtseintrag zu ermöglichen, heißt es dort in Artikel 7a: „Die Geschlechtszugehörigkeit einer Person unterliegt dem Recht des Staates, dem die Person angehört“. Damit zementiert der derzeitige Gesetzesentwurf Fremdbestimmung sowie staatliche und institutionelle Diskriminierung. Deutschland braucht endlich ein Transsexuellengesetz, dass die Selbstbestimmung eines jeden Menschen in den Mittelpunkt rückt und Schluss macht mit der Pathologisierung.
Bestärkt durch die Streichung von Transsexualität als „Störung“ aus der internationalen Klassifikation der Krankheiten durch die WHO fordern insbesondere die Vertreter und Vertreterinnen der Verbände ein vollständiges Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung für Trans und Inter und ein Ende der Zwangsbegutachtung.
Die jährlichen CSDs sind ein wichtiger Bestandteil der queeren Bewegung und queerer Kultur. Sie sind ein Ausdruck gelebter Vielfalt in NRW und eine wichtigste politische Artikulationsmöglichkeit der LSBTIQ-Community. Nicht zuletzt in Zeiten eines erstarkenden Rechtspopulismus‘ sind die Demonstrationen für die Rechte von LSBTIQ ein wichtiges Zeichen gegen Diskriminierung und Ausgrenzung und für gelebte Demokratie. Allerdings sind viele der ehrenamtlichen CSD-Veranstalter mittlerweile in fiskalischer Hinsicht überfordert und können Veranstaltungen dieser Größenordnung nicht mehr alleine stemmen. Deshalb ist nicht nur eine finanzielle Unterstützung seitens des Landes unverzichtbar. Als sichtbares Zeichen der Unterstützung hissen viele Kommunen anlässlich des CSDs die Regenbogenfahne vor den Rathäusern. Auch das Land sollte sich diesem Beispiel anschließen und Flagge zeigen.
Unser gesellschaftliches Zusammenleben schöpft seine Potenziale aus der Unterschiedlichkeit von Menschen und der Vielfalt ihrer Lebensentwürfe. Den dafür notwendigen Respekt gilt es von allen Teilen der Gesellschaft immer wieder einzufordern. Daher erarbeitete die rot-grüne Vorgängerregierung in einem partizipativen Prozess gemeinsam mit Vertreterinnen der LSBTIQ Community einen Landesaktionsplan gegen Trans- und Homophobie, der erstmalig 2012 vorgelegt und in den Folgejahren fortgeführt wurde. Bereits im 1. Aktionsplan wurde die Umsetzung von mehr als 100 Initiativen zugunsten sexueller Minderheiten beschlossen. Die aktuelle Landesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag dazu verpflichtet, diesen Weg weiterzugehen.

III.      Der Landtag stellt fest:

1.       Der Landtag von Nordrhein-Westfalen bekennt sich zu seiner Verantwortung für das erlittene Unrecht, das homosexuellen Männern durch den §175 auch in unserem Bundesland widerfahren ist.
2.       Nordrhein-Westfalen ist ein vielfältiges Land, in dem Menschen unterschiedlichster sexueller und geschlechtlicher Identitäten leben. Für Ausgrenzung und Diskriminierung ist in unserem Land kein Platz.
3.       Die nun initiierte Weiterentwicklung des Landesaktionsplans gegen Homo- und Transphobie im Rahmen eines partizipativen Prozesses unter Einbeziehung aller Akteure der LSB-TIQ-Community ist zu begrüßen.

IV.     Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

1.       die Ergänzung des Gleichbehandlungsartikels (Artikel 3 Abs. 3 GG) um den besonderen Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität zu unterstützen
2.       eine landesseitige finanzielle Unterstützung der ehrenamtlich getragenen CSDs in NRW zu prüfen
3.       sich auf Bundesebene für eine Reform des Transsexuellengesetzes einzusetzen, das die Selbstbestimmung in den Mittelpunkt rückt
4.       sich auf Bundesebene für ein umfängliches Konversationstherapieverbot einzusetzen, dass nicht nur Lesben und Schwule schützt sondern auch Trans-, Inter- und queere Menschen.
5.       zukünftig durch das Hissen der Regenbogenflagge ein sichtbares Zeichen für Vielfalt und der Anerkennung und Solidarität mit LSBTIQ zu setzen und, wenn notwendig, Änderungen der nordrheinwestfälischen Flaggenordnung vorzunehmen
6.       die Geschichte von Emanzipation und Diskriminierung/Verfolgung im schulischen Curriculum zu verankern
7.       die Weiterentwicklung der Forschung und Geschichte in diesen Themengebieten zu unterstützen