Für Gesundheit, Landwirtschaft & Umwelt: Entwicklung einer ganzheitlichen Ernährungsstrategie für Nordrhein-Westfalen

Antrag der Fraktionen von CDU und GRÜNE im Landtag

Portrait Norwich Rüße

I. Ausgangslage

Das Thema Ernährung spielt in unserem Alltag eine große Rolle. Wir treffen tagtäglich über 200 bewusste und unbewusste Entscheidungen, ob, was, wo und wieviel wir essen. Diese Entscheidungen sind geprägt von unseren Erfahrungen und unserem Umfeld. Zudem ist vielen Menschen in Nordrhein-Westfalen eine gesunde und nachhaltige Ernährung sowie Lebensmittelversorgung wichtig.1 Zeitgleich verändern sich Ernährungsgewohnheiten kontinuierlich. Immer mehr Menschen essen in der sogenannten Außer-Haus-Verpflegung (AHV), also in der Gastronomie. Auch der öffentlichen Gemeinschaftsverpflegung über Kantinen und Mensen kommt bei der Frage, wie wir uns ernähren, eine immer größere Bedeutung zu. Hierbei spielen insbesondere Kita- und Schulküchen eine wichtige Rolle, da der Grundstein für gesunde Er- nährungsmuster bereits im frühen Kindesalter gelegt wird.

Aktuelle Studien zeigen jedoch auf, dass Fehlernährung und Bewegungsmangel in Deutsch- land weit verbreitet sind. Die Folgen einer solchen Fehlernährung sind insbesondere für Kinder gravierend. Sie ist ein bedeutender Ursachenfaktor für Übergewicht. Die sogenannte KiGGS- Studie hat gezeigt, dass rund 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen im Alter zwischen 3 und 17 Jahren übergewichtig und 6 Prozent adipös sind.2 Dieses Übergewicht bleibt im Laufe des Lebens meistens bestehen und kann dauerhafte gesundheitliche Folgeerkrankungen wie Herz-Kreislauf-Leiden oder Diabetes nach sich ziehen. Das wiederum hat weitreichende Auswirkungen für unser Gesundheitssystem und mittelbar auf unser Wirtschaftssystem. Eine gesunde Ernährung, die zur Verringerung und Vermeidung solcher gesundheitlicher Risiken und Beschwerden beiträgt, lässt sich hierbei nicht über den Verzehr einzelner Lebensmittel definieren. Grundlage sollte beispielsweise eine große Auswahl frischer, wenig verarbeiteter Lebensmittel sein. Problematisch ist insbesondere der übermäßige Konsum von Lebensmitteln mit einem zu hohen Anteil an Salz, Zucker oder gesättigten Fetten.3 Umso wichtiger ist es, dass Angebote der öffentlichen Außer-Haus-Verpflegung, die im Alltag von vielen Menschen wahrgenommen werden, eine gesunde und nachhaltige Ernährung ermöglichen. Gerade weil der Ganztag immer mehr zum Alltag an Schulen wird, besteht hier eine relevante Stell- schraube, gesunde Ernährung von Kindern gezielt zu fördern und damit auch einen nachhal- tigen Effekt zu erzielen. Jeder investierte Euro an dieser Stelle kann helfen, Folgekosten einer Fehlernährung zu reduzieren. Leitlinien für die Gemeinschaftsverpflegung können dabei die Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung sein. Zudem hat Nordrhein- Westfalen mit der Vernetzungsstelle Kita und Schulverpflegung der Verbraucherzentrale einen wichtigen Akteur, der die Träger von Kita- und Schulmensen dabei unterstützt, Kindern und Jugendlichen ein gutes und gesundes Angebot zu machen. Diese Ansätze können bislang jedoch nicht flächendeckend umgesetzt und müssen weiter ausgebaut werden.

Eine ausgewogene Ernährung steht mit der Umwelt und dem Klima in Einklang und hat positive Auswirkungen auf Umwelt, Artenvielfalt und Tierwohl. So empfiehlt u. a. der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), den Fokus auf die Transformation der Ernährung und des gesamten Ernährungssystems zu legen. Das umfasst auch, wie unsere Lebensmittel erzeugt werden und wie wir unsere Kulturlandschaften ausgestalten.4

Ein zentraler Punkt ist in diesem Zusammenhang das Ausmaß an Lebensmittelverlusten und -verschwendung, welches unmittelbar zu erheblichen Treibhausgasemissionen beiträgt. So landen in Deutschland schätzungsweise rund 11 bis 18 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll, vornehmlich in der Außer-Haus-Verpflegung sowie in privaten Haushalten.5

Von einer umfassenden Ernährungspolitik, die insbesondere die öffentliche Gemeinschaftsverpflegung in den Fokus stellt, profitieren sowohl die nordrhein-westfälischen Verbraucherinnen und Verbraucher als auch unsere Landwirtinnen und Landwirte. Denn gesündere Menülinien, sowie mehr regional, saisonal und ökologisch erzeugte Lebensmittel in den Kantinen und Mensen eröffnen durch eine veränderte Nachfrage neue Marktchancen für die Landwirtschaft und das Lebensmittelhandwerk in Nordrhein-Westfalen. Hierfür ist jedoch der umfassende Ausbau regionaler Netzwerke notwendig.

Eine gute und nachhaltige Ernährung für uns alle ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, um sowohl soziale als auch ökologische Probleme anzugehen. Eine umfassende Ernährungsstrategie für Nordrhein-Westfalen sollte die oben genannten Punkte aufgreifen und durch gezielte Lösungsansätze eine gesunde Ernährung für die Menschen sicherstellen. Zugleich können wir als öffentliche Hand ein verlässlicher Partner der regionalen Landwirtschaft sein – diese Chance sollten wir für unsere Landwirtinnen und Landwirte und das Lebensmittelhand- werk nutzen!

II. Beschlussfassung

Der Landtag stellt fest:

  1. Eine ganzheitliche Ernährungspolitik, die die Produktions-, Verarbeitungs- sowie Kon- sumseite in den Blick nimmt, fördert die Gesundheit und das Wohlbefinden der Men- schen. Sie trägt zur Erreichung wesentlicher Ziele im Biodiversitäts- und Klimaschutz bei und stärkt regionale landwirtschaftliche Strukturen.
  2. Aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungen sind Einrichtungen der öffentlichen und betrieblichen Gemeinschaftsverpflegung, insbesondere Kita- und Schulkantinen, ernäh- rungspolitisch von besonders großer Bedeutung.
  3. Der Bereich der Gemeinschaftsverpflegung stellt einen wachsenden Absatzmarkt für Lebensmittel dar, der im Interesse einer regionalen Landwirtschaft genutzt werden kann.
  4. Zur Umsetzung einer solchen Politik bedarf es einer umfassenden Ernährungsstrategie des Landes NRW, die wesentliche Handlungsfelder identifiziert, klare Ziele und Instru- mente zur Zielerreichung definiert und mit ausreichend personellen und finanziellen Mit- teln ausgestattet ist.

Der Landtag beauftragt die Landesregierung,

  1. eine umfassende Ernährungsstrategie zu entwickeln. Folgende zentralen Aspekte und Maßnahmen sollten in diesem Zusammenhang diskutiert und in einem Umsetzungsplan dargestellt werden:
  2. Verbesserung des Wissens über unsere Ernährung, insbesondere bei Kindern und In diesem Zusammenhang ist der praktische Umgang mit Le- bensmitteln beim gemeinsamen Kochen, in Schulgärten und bei Exkursionen zu fördern.
  3. Stärkung der kommunalen Ebene durch Förderung und Beratung, B. über die Vernetzungsstelle Kita- und Schulverpflegung, um die regionale, saisonale und nachhaltige Versorgung mit Lebensmitteln zu unterstützen.
  4. Koordination der regionalen Aktivitäten zum Aufbau von Netzwerken und insbesondere zur Stärkung von Wertschöpfungsketten, um die Erzeugung, Verarbeitung und Zubereitung von regionalen Lebensmitteln zu verbessern.
  5. Unterstützung einer gesunden und nachhaltigen Verpflegung in öffentlichen Kantinen in Nordrhein-Westfalen über ein neu zu schaffendes Kantinenprogramm Nordrhein-Westfalen.
  6. Reduzierung von Lebensmittelverlusten und der Lebensmittelverschwendung in Nordrhein-Westfalen auf allen Ebenen von den Erzeugerinnen und Erzeugern bis zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern.
  7. Maßnahmen zur Verbesserung der öffentlichen Gemeinschaftsverpflegung in Nordrhein- Westfalen umzusetzen. Darunter fallen folgende Punkte:
  8. Die Anpassung der Kantinenrichtlinie Nordrhein-Westfalen an die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, hinsichtlich einer gesunden und nach- haltigen Ernährung sowie Beschaffung.
  9. Weiterentwicklung von öffentlichen Kantinen, bis hin zu Frischeküchen, mit Fo- kus auf den Bezug und die (Weiter-)Verarbeitung regionaler Lebensmittel.
  10. Ausbau von Kantinen zu Modellkantinen, aus den dafür vorgesehenen Haushalts- mitteln, die Standards beim Angebot gesunder, saisonaler, regionaler und nach- haltiger Menülinien setzen und als Vorbild für den sukzessiven Umbau aller öffentlichen Kantinen dienen können.

 

1 Https://www.land.nrw/pressemitteilung/repraesentative-umfrage-buergerinnen-und-buerger-nordrhein-westfalen-wollen-mehr; https://www.bmel.de/DE/themen/ernaehrung/ernaehrungsreport2021.html

2 Https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBE- DownloadsJ/FactSheets/JoHM_01_2018_Adipositas_KiGGS-Welle2.pdf? blob=publicationFile

3 Https://www.dge.de/index.php?id=52; https://www.dge.de/presse/pm/gut–fuer–die–gesundheit-viel-gemuese-und-obst-weniger-fleisch/

4 Https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Ministerium/Beiraete/agrarpolitik/wbae- gutachten-nachhaltige-ernaehrung.pdf?blob=publicationFile&v=3 https://ourworldindata.org/environmental-impacts-of-food; https://www.zeit.de/wissen/umwelt/2019–08/sonderbericht-klimawandel-ipcc-landflaechen-nutzung-nachhaltigkeit ; https://www.ipcc.ch/site/assets/uploads/2020/07/SRCCL-SPM_de_barrierefrei.pdf;  https://www.umweltbundesamt.de/themen/boden-landwirtschaft/umweltbelastungen-der-landwirtschaft/gefaehrdung-der-biodiversitaet

5 Https://www.helmholtz–klima.de/aktuelles/fuers-klima-weniger-lebensmittel-verschwenden; https://www.bmel.de/DE/themen/ernaehrung/lebensmittelverschwendung/studie-lebensmittelabfaelle–deutschland.html