Für eine nachhaltige EU-Handelspolitik – EU-Mercosur-Assoziierungsabkommen stoppen.

Antrag der GRÜNEN im Landtag

I.       Ausgangslage:
Am 28. Juni 2019 einigten sich die Verhandlungskommissionen von Europäischer Union und dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur auf ein Assoziierungsabkommen, dessen Bestandteil auch ein Freihandelsabkommen ist. Mit diesem Abkommen soll ein Markt mit 780 Millionen Menschen geschaffen werden, in dem Zölle im Wert von über vier Milliarden Euro pro Jahr wegfallen sollen. Konkret bedeutet das: Die EU tauscht mit dem Abkommen besseren Marktzugang für Autos, Chemie und Pharmazeutika gegen Importe von Rindfleisch, Geflügel, Zucker und anderen Agrarprodukten.
Verbraucherinnen und Verbraucher profitieren von internationalem Handel durch niedrigere Preise und eine größere Produktauswahl. Doch der Preisdruck auf die Landwirte in Deutschland und der EU wird mit dem Mercosur-Abkommen weiter zunehmen und die zwingend nötige ökologische Transformation der Landwirtschaft erschweren. Handel muss aber auch dazu beitragen, die großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts – Klimakrise, Ressourcenverschwendung, den ungebremsten ökologischen Raubbau, ausbeuterische Arbeitsverhältnisse und Menschenrechtsverstöße – zu lösen statt sie weiter zu verschärfen.
Damit Handel nicht zu einer Senkung des Verbraucherschutzes führt und zu Lasten von Menschen, Umwelt, Klima und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern geht, müssen Handelsabkommen auch hohe und einklagbare Standards in diesen Bereichen enthalten. Auch müssen sie den Schutz der kommunalen Daseinsvorsorge gewährleisten, das Vorsorgeprinzip umfassend verankern, demokratisch und transparent verhandelt werden und Klageprivilegien für Investoren (ISDS/ICS) aus ihnen gestrichen werden. Technische Normen sollten in den dafür zuständigen internationalen Organisationen weiterentwickelt werden, anstatt in bilateralen Handelsabkommen. Spätestens seit der Verabschiedung des Klimaschutzabkommens von Paris 2015 und der Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen für eine nachhaltige Entwicklung 2015 in New York ist klar, dass es einer neuen Handelspolitik bedarf, die auf Klimaschutz und Nachhaltigkeit ausgerichtet ist.
Zwar haben sich die EU und der Mercosur im Nachhaltigkeitskapitel des Handelsabkommens zur Umsetzung des Pariser Klimaschutzübereinkommens verpflichtet. Allerdings sieht das Abkommen keine Konsequenzen und Sanktionsmöglichkeiten vor, sollten die Ziele von Paris oder andere Bestimmungen zur Nachhaltigkeit verletzt werden. Dies macht die Bestimmungen zahnlos.
Neben der fehlenden Durchsetzbarkeit der Vereinbarungen in den Bereichen Nachhaltigkeit und Klimaschutz ist zu befürchten, dass das Abkommen die traditionelle Arbeitsteilung zwischen den Handelspartnern verfestigt, wodurch Abhängigkeiten verstärkt und Entwicklungspotenziale beschränkt werden. So bringt das Abkommen auf Seiten der Mercosur-Staaten vor allem Vorteile für den industriellen Agrar- sowie dem Importsektor. Auf Seiten der EU-Staaten kommt das Abkommen in erster Linie der Industrie zu Gute, vor allem den Automobilkonzernen.
Der Deutsche Bauernverband (DBV) bezeichnete daher in einer Pressemitteilung vom 29. Juni 2019 das Abkommen als „Doppelmoral pur. Es gefährdet die Zukunft vieler bäuerlicher Familienbetriebe, die unter den hohen europäischen Standards wirtschaften.“ Dabei bezog sich der DBV auf ungleiche Anforderungen bei Umwelt- und Klimaschutz, beim Antibiotikaeinsatz und beim Pflanzenschutz sowie die fehlende ausreichende Absicherung des europäischen Marktes.
Auch die nordrhein-westfälischen Landwirtinnen und Landwirte zeigten sich angesichts der bekanntgewordenen Details des Abkommens besorgt. Der Rheinische Landwirtschaftsverband hat daher in einer Pressemitteilung Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner am 28. August 2019 aufgefordert, „sich für einen nachhaltigen Futtermittelanbau in den MercosurStaaten unter ebenso hohen Umwelt- und Arbeitsschutzstandards wie hierzulande“ einzusetzen. Klöckner selbst hat ebenfalls am 28. August 2019 in der Zeitung „Welt“ die Einhaltung der Nachhaltigkeitskapitel eingefordert: „Wenn diese nicht eingehalten werden, kann es die vereinbarten Zollerleichterungen nicht geben. Da geht es auch um unsere Glaubwürdigkeit.“
Der brennende Regenwald des Amazonas ist in dieser Hinsicht ein eindeutiges negatives Zeichen. Seine Brandherde gehen vielfach auf ungesetzliche Brandrodungen zurück, die neues Ackerland für den Soja-Anbau oder Platz für neue Intensivtierhaltung gewinnen sollen. Die brasilianische Regierung billigte diese Umweltzerstörung nicht nur insgeheim, indem sie lange Zeit die Rodungen geschehen ließ, anstatt sie polizeilich und gerichtlich zu ahnden. Im Gegenteil wurden stattliche Mittel für Umweltschutzorganisationen gestrichen sowie Kritiker aus staatlichen Behörden entlassen. Das Mercosur-Abkommen wirkt in dieser Situation wie ein Beschleuniger.
Diesen Folgen eines Abkommens müssen Landes- und Bundesregierung entschieden entgegentreten. Bundesentwicklungsminister Gerhard Müller ist seiner am 27. August in der Passauer Neuen Presse geäußerten Meinung zuzustimmen: „Der Regenwald darf nicht für neue Sojafelder brennen.“ Doch müssen dieser Einschätzung auch Taten folgen. Die Regierungen von Frankreich, Irland und Luxemburg haben bereits offen mit einer Ablehnung des Mercosur-EU-Abkommens gedroht.
Der Anstieg des Wohlstands in den Ländern des globalen Südens und der Weg vieler Menschen aus extremer Armut – der in den vergangenen Jahrzehnten trotz aller bestehenden Probleme, einhergehend mit neuen Armutsformen und weiter bestehenden menschenunwürdigen Lebensbedingungen, stattgefunden hat – darf nicht durch neue Handelsabkommen wieder zunichte gemacht werden. Handelsabkommen, die Rollenzuschreibungen zementieren – Agrargüter- und Rohstofflieferanten einerseits, hochwertige, industrielle Erzeugnisse andererseits –, dürfen nicht unterzeichnet werden. Die Chancen und Marktzugänge dieser Länder müssen in allen Bereichen gestärkt und gleichzeitig handelspolitische Schutzmaßnahmen er- reicht werden. Ein wirklich fairer und nachhaltiger Welthandel kann in den Ländern des globalen Südens eine positive, nachhaltigere Entwicklung befördern. Dazu bedarf es allerdings einer Handelspolitik auf Augenhöhe sowie der Entwicklung neuer Instrumente für nachhaltiges Wirtschaften und zur Stärkung regionaler Wertschöpfungsketten.
Hierzu gibt es bereits interessante Initiativen. So könnte eine europäische Eiweißpflanzenstrategie, die unter anderem das Bundeslandwirtschaftsministerium unterstützt, die Abhängigkeit europäischer Landwirtschaftsbetriebe von Sojaimporten verringern. Gleichzeitig könnten Strategien in den Ländern des globalen Südens, die auf Verarbeitung und Qualität der Rohstoffe vor Ort setzen, die Wertschöpfungstiefe erweitern. Mit der CSR-Richtlinie hat die EU das Thema Nachhaltigkeit im Handeln europäischer Unternehmen auf die Tagesordnung gesetzt. Daneben gibt es Initiativen, die sich darum bemühen, eine Zertifizierung von nachhaltig produzierten Produkten ähnlich einer DIN-Norm zu entwickeln und sie zur Grundlage internationaler Handelspolitik zu machen. Allerdings fehlt es bisher an einer Bündelung dieser verschiedenen Ansätze und einer grundlegenden Neuausrichtung der europäischen Handelspolitik.
Angesichts der Diskussion um den brennenden Regenwald, die klima- und agrarpolitischen Zusammenhänge und die industriepolitischen Verknüpfungen macht es großen Sinn, die Akteure in Verbänden und Unternehmen in NRW, die sich jeweils einzeln mit diesen Fragen beschäftigen, zu einem Dialogprozess zusammenzubringen, um gemeinsame Initiativen für eine nachhaltigere Handelspolitik zu diskutieren und voranzubringen.

II.      Der Landtag beschließt:

1.    Der Landtag fordert die Landesregierung auf, sich für einen Neustart in der europäischen und internationalen Handelspolitik einzusetzen. Es bedarf einer fairen Handelspolitik, die transparent, multilateral und demokratisch ist, die auf sozialen, ökologischen und menschenrechtlichen Kriterien basiert und dabei die Verpflichtungen mit der Unterzeichnung des Pariser Klimaschutzabkommens und der Agenda 2030 sanktionierbar einhält.
2.    Der Landtag fordert die Landesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass das EU-Mercosur-Abkommen und andere Abkommen, die den genannten Prinzipien entgegenstehen, gestoppt werden.
3.    Der Landtag fordert die Landesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass die EU klare Kriterien für und wirkungsvolle Maßnahmen gegen waldzerstörende Agrarprodukte beschließt und nachvollziehbare entwaldungsfreie Lieferketten verbindlich durchsetzt. Dies bedeutet dann einen Importstopp von Agrarprodukten aus gerodeten Gebieten des Amazonas wie beispielsweise Soja und Rindfleisch sowie von Palmöl aus dem indonesischen Regenwald.
4.    Der Landtag fordert die Landesregierung auf, einen Dialogprozess zu starten, zu dem sie die NRW-Akteure der internationalen Handelspolitik, insbesondere Initiativen in den Bereichen Entwicklungszusammenarbeit sowie Klima- und Umweltschutz, Wirtschaftsverbände, Unternehmen, Gewerkschaften und Landwirtschaftsverbände einlädt, um Kriterien für eine faire und nachhaltige Handelspolitik zu entwickeln.
5.    Der Landtag fordert die Landesregierung auf, Initiativen zu unterstützen, die sich für die Zertifizierung von Produkten unter Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit einsetzen, mit dem Ziel, die internationale Handelspolitik auf solche zu etablierenden Produktstandards zu gründen.