Förderung eines dauerhaften sozialen Arbeitsmarktes „Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren“

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Ausgangs-/Problemlage

Nordrhein-Westfalen ist ein wirtschaftlich starkes Land. Nach wie vor stellt aber der Strukturwandel eine große Herausforderung dar. In einigen Teilen des Landes sind deshalb verbreitet ernstzunehmende soziale Problemlagen entstanden. Zwar stieg das Arbeitsvolumen in Nordrhein-Westfalen im Dienstleistungssektor zwischen 2000 und 2013 um 6,4 Prozent, jedoch sank es im gleichen Zeitraum im produzierenden Gewerbe um 19,2 Prozent. Zudem wurde Nordrhein-Westfalen stärker von der Wirtschaftskrise getroffen als die meisten anderen Bundesländer.
Ein deutliches Indiz für die Verfestigung von Arbeitslosigkeit in einer Region ist die SGB II-Arbeitslosenquote. In Nordrhein-Westfalen liegt diese bei etwa 6 Prozent und damit deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 4,5 Prozent (Stand 2014). Dies gilt vor allem für die Städte des Ruhrgebiets wie Duisburg, Essen, Bochum, Dortmund und Gelsenkirchen. Aber auch weitere Großstädte in der Rhein-Ruhr-Metropolregion, darunter Köln, Krefeld, Mönchengladbach oder die Städteregion Aachen, sowie die Städte des bergischen Städtedreiecks, Remscheid, Wuppertal und Solingen weisen hohe Arbeitslosenzahlen auf. Dies ist allerdings nicht nur in NRW ein Problem: Auch in anderen westdeutschen Bundesländern finden sich Regionen mit einer hohen Konzentration von Erwerbslosen nach SGB II, in der die Arbeitslosenquote den landesweiten Durchschnitt übersteigt, wie etwa in der niedersächsischen Metropolregion Hannover-Braunschweig-Göttingen-Wolfsburg, oder in Teilen der hessischen Metropolregion Frankfurt/Rhein-Main.
Viele Menschen, die Leistungen nach dem SGB II beziehen, schaffen den Schritt aus der Arbeitslosigkeit in ein Beschäftigungsverhältnis nicht (mehr) alleine. In NRW sind mehr als 300.000 Menschen von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen. Darunter auch viele Migrantinnen und Migranten der ersten und zweiten Einwanderungsgeneration. Hierfür sind zwei Faktoren ausschlaggebend: Zum einen liegen die Gründe in der Person selber. Darunter fallen geringe Qualifikationen durch fehlende Schul- oder Berufsabschlüsse, Entwöhnung von Arbeit und daran gekoppelte geregelte Tagesabläufe, physische und psychische gesundheitliche Probleme, psychosoziale Erkrankungen, Suchterfahrungen und finanzielle sowie familiäre Probleme, aber auch Traumatisierungen durch Fluchterfahrungen sowie kulturelle und sprachliche Hürden kommen hinzu. Zum anderen gibt es in NRW strukturschwache Regionen mit geringer Arbeitsmarktdynamik, die eine geringe Aufnahmefähigkeit für Arbeitsuchende aus dem SGB II ermöglichen.
Vor allem diese strukturellen Arbeitsmarktprobleme in Nordrhein-Westfalen im Vergleich zu anderen westdeutschen Flächenbundesländern wie auch die sozioökonomischen Armutsrisiken in der Bevölkerung sind für die vergleichsweise langen Verbleibzeiten in der Langzeitarbeitslosigkeit verantwortlich. In NRW sind fast 2/3 aller Arbeitslosen schon länger als zwei Jahre arbeitslos.
Das langfristige Ziel ist es, für möglichst jede erwerbsfähige Person eine gute Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt zu finden. Ein nicht unerheblicher Teil von Langzeitarbeitslosen hat dort aber seit vielen Jahren und trotz guter Konjunktur de facto keine Chance. Diese Menschen dürfen nicht zurückgelassen werden, sondern müssen verstärkt in den Blick genommen und bei der Integration in den Arbeitsmarkt unterstützt werden. Notwendig ist daher eine echte Neuorientierung der Arbeitsmarktpolitik für Langzeitarbeitslose mit der Möglichkeit einer dauerhaft angelegten öffentlichen Beschäftigung.

Projekte der öffentlich geförderten Beschäftigung (ÖgB) in NRW

Für langzeitarbeitslose Menschen gibt es kaum noch Instrumente mit einer Integrationsperspektive in Beschäftigung. Die Landesregierung fördert deshalb zusammen mit den Jobcentern seit 2013 Projekte im Bereich der öffentlich geförderten Beschäftigung. Durch die Schaffung von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen verbunden mit Coaching und arbeitsmarktnaher Qualifizierung soll die berufliche Integration von Menschen mit mehreren Vermittlungshemmnissen ermöglicht werden. Die Förderung erfolgt aus Mitteln des Landes und des Europäischen Sozialfonds. Die wesentlichen Unterstützungsleistungen erfolgen durch die Jobcenter sowie teilweise von Kommunen. Die Förderung im Rahmen der ESF-kofinanzierten Landesarbeitspolitik wird auch in der neuen Förderphase ab 2015 fortgesetzt.
Durch die unverhältnismäßigen Kürzungen des Eingliederungstitels bei den Jobcentern in den letzten Jahren (zum Teil direkt, zum Teil durch notwendige Umschichtungen) sowie die Kürzung der Verpflichtungsermächtigungen für die nächsten Jahre, stehen den Jobcentern kaum noch Mittel zur Verfügung.
Da es sich bei der ÖgB jedoch um ein ESF-kofinanziertes Programm handelt, ist die Förderung zeitlich befristet (24 Monate Beschäftigungsphase, 6 Monate nachgehendes Coaching). Für viele der betroffenen Menschen ist aber eine Langjährige, oder sogar dauerhaft angelegte Beschäftigungsförderung notwendig, um das Ziel, den Übergang in ein reguläres, nicht gefördertes Arbeitsverhältnis zu erreichen, überhaupt ermöglichen zu können.

Förderprogramme des Bundes

Auch auf Bundesebene werden Langzeitarbeitslosen mit einem Förderprogramm neue Perspektiven zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt eröffnet. Die Bundesregierung hat unter Federführung von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles in der angelaufenen Förderperiode des Europäischen Sozialfonds ein Bundesprogramm für langzeitarbeitslose Leistungsbezieherinnen und Leistungsbeziehern des SGB II ab dem Alter von 35 Jahren, die ohne Berufsabschluss bzw. ohne verwertbaren Berufsabschluss sind, aufgelegt. Dabei werden Arbeitsstellen des regulären Arbeitsmarktes für die Zielgruppe bei Unternehmen eingeworben, die ein intensives Arbeitnehmercoaching und zeitlich befristete, degressiv gestaltete Lohnkostenzuschüsse beinhalten.
Des Weiteren plant das Bundesministerium für Arbeit und Soziales für die zweite Jahreshälfte 2015 ein Programm aufzulegen, das besonders arbeitsmarktfernen Langzeitarbeitslosen mehr Teilhabe am gesellschaftlichen Leben eröffnen soll. Im Rahmen des Programms werden sinnvolle sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse mit Lohnkostenzuschüssen von bis zu 100 Prozent gefördert. Während der Tätigkeit sollen die Jobcenter beratend und stabilisierend zur Seite stehen.
Die beiden Ansätze sind ausdrücklich zu begrüßen, sie reichen jedoch bei Weitem nicht aus, um den wirklichen „harten Kern“ der Langzeitarbeitslosen nachhaltig zu reduzieren. Die auf den ersten Arbeitsmarkt ausgerichteten Bundesprogramme werden hauptsächlich den arbeitslosen Menschen nutzen, die nur anfänglich einen Lohnkostenzuschuss bzw. einen Minderleistungsausgleich benötigen. Auch hier profitieren Langzeitarbeitslose, die eine dauerhafte Begleitung benötigen und die entsprechenden Minderleistungen bringen, nicht in ausreichendem Maße. Die zur Verfügung stehenden Mittel sind auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Sehr viele Langzeitarbeitslose werden auch weiterhin keine, oder nur eine unzureichende Förderung erhalten.

Der soziale Arbeitsmarkt

Im Koalitionsvertrag von 2012 haben sich SPD und Bündnis 90 / Die Grünen in NRW ausdrücklich zur Schaffung eines dauerhaften sozialen Arbeitsmarktes bekannt. Arbeitgeber im privat-gewerblichen Bereich, Sozialbetriebe, die freie Wohlfahrtspflege, Integrationsunternehmen, Kommunale Spitzenverbände und Behörden, Verbände, Gewerkschaften und Kammern sollen dabei Partner bei der Integration von Menschen durch öffentlich geförderte Arbeit sein.
Forschungsergebnisse des IAB bzw. der Bundesagentur für Arbeit machen deutlich, dass öffentlich geförderte Beschäftigung in Abhängigkeit von der richtigen Auswahl der Zielgruppe und Ausgestaltung geeignet ist, die Beschäftigungsfähigkeit der geförderten Personen und ihre Integrationschancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verbessern. Für Personenkreise, die trotz intensiver Förderung absehbar nicht integriert werden können, bietet sie die Chance, Erwerbsbeteiligung und soziokulturelle Teilhabe zu ermöglichen und damit sozialen Ausgrenzungs- und Verarmungsprozessen entgegenzuwirken. Auch für die Familienangehörigen der Betroffenen sind entsprechende positive Effekte zu erwarten.
Deshalb muss jedes ernsthaft gemeinte Angebot einer Erwerbsintegration auf einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis beruhen. Voraussetzung hierfür ist, ähnlich wie in den Modellprojekten der öffentlich geförderten Beschäftigung (ÖgB), eine ortsübliche bzw. tarifliche Entlohnung, sofern nicht der Mindestlohn greift.
Dabei muss je nach Hemmnis der arbeitslosen Menschen nicht nur eine vorübergehende, sondern auch dauerhafte öffentliche Förderung von Arbeitsverhältnissen möglich sein. Für Langzeitarbeitslose eröffnet diese Möglichkeit eine Reintegration in den Arbeitsmarkt und somit eine Stärkung der sozialen Teilhabe. Das Ziel muss es sein, dass für diejenigen Menschen Teilhabe an Arbeit ermöglicht wird, die mindestens 2 Jahre lang arbeitslos waren, über 25 Jahre alt sind und mehrere Vermittlungshemmnisse aufweisen, etwa durch ihre Qualifikation, ihr Alter oder ihre Gesundheit.
Zur Vermeidung von Mitnahmeeffekten sind ein sorgfältiges Auswahlverfahren, die regelmäßige Überprüfung der Anspruchsvoraussetzungen, die Feststellung der erreichten Zwischenziele sowie begleitende Maßnahmen, Beratung und Vermittlung vorzusehen. Der dauerhafte Lohnkostenzuschuss wird abhängig vom Leistungsvermögen der langzeitarbeitslosen Person ausgestaltet und in regelmäßigen Abständen überprüft. Auch um dem Argument der Wettbewerbsverzerrung zu entgegnen, kann grundsätzlich jeder Arbeitgeber von dieser Förderung profitieren.
Bei der Umsetzung des sozialen Arbeitsmarktes müssen Bund, Länder und Kommunen eng miteinander kooperieren und gemeinsam finanzielle Verantwortung tragen. Da eine Finanzierung ausschließlich im Rahmen eines Passiv-Aktiv-Transfers nicht ausreichend ist, ist die Restfinanzierung durch zusätzliche Mittel aus dem Eingliederungstitel mit einzuplanen. Begleitend sind deshalb notwendig:

  • auch die berufliche Weiterbildung wieder in das Zentrum der Förderstrategie zu rücken;
  • für eine verlässliche Planung über das Ende des Haushaltsjahres hinaus eine deutlich größere Budgetvorbelastungsquote einzuführen sowie
  • das Verwaltungskostenbudget den tatsächlichen Bedarfen anzupassen, damit der gesetzlich vorgegebene Betreuungsschlüssel bei der praktischen Arbeit der Vermittlungsfachkräfte tatsächlich erreicht wird, ohne dass dies auf Kosten der eigentlichen Eingliederungsmittel geht.

Der Landtag stellt fest:

Der soziale Arbeitsmarkt soll Langzeitarbeitslosen mit mehrfachen Vermittlungshemmnissen eine neue Perspektive auf Beschäftigung bieten, die sie ohne Förderung bzw. im Rahmen der bisher bestehenden oder in Vorbereitung befindlichen Programme des Bundes und des Landes nicht erhalten hätten.
Das Landesprogramm der öffentlich geförderten Beschäftigung bietet die Grundlage für die Verstetigung dieses Ansatzes. Die öffentlich geförderte Beschäftigung ist dann gleichermaßen im gemeinwohlorientierten und erwerbswirtschaftlichen Bereich möglich.
Die Grundfinanzierung erfolgt durch den Transfer von passiven Leistungen in aktive Leistungen. Diese Mittel werden zur Deckung der Kosten verwendet (Passiv-Aktiv-Transfer). Der zweite Finanzierungspfeiler entsteht aus Mitteln des Eingliederungstitels bzw. Mittel der Länder.
Die Förderung soll personenbezogen, individuell und flexibel gestaltet werden. Der Beschäftigungszuschuss erfüllt dann die Aufgabe eines Minderleistungsausgleichs und ist regelmäßig zu prüfen.
Eine psycho-soziale Begleitung bzw. ein Coaching ist erforderlich, um rechtzeitig Schwierigkeiten zu erkennen und mit den Betroffenen zusammen bearbeiten zu können. Darüber hinaus ist eine individuelle, modulare Qualifizierung erforderlich.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

  • sich auf Bundesebene und bei den Kommunen für einen Passiv-Aktiv-Transfer zur Finanzierung eines sozialen Arbeitsmarktes (Leistungen zum Lebensunterhalt und Kosten der Unterkunft) einzusetzen und ein entsprechendes Instrument des sozialen Arbeitsmarktes im SGB II zu verankern,
  • auf Bundesebene die Sicherstellung einer nachhaltigen Finanzierung durch die gesonderte Ausweisung und zusätzliche Mittel im Eingliederungstitel einzufordern.
  • ergänzende Maßnahmen mit eigenen Mitteln im bisherigen Umfang zu finanzieren.