Fahren-auf-Sicht beenden – wirksame Maßnahmen gegen die dritte Welle endlich ein­leiten

Entschließungsantrag zur Unterrichtung durch die Landesregierung am 15. April 2021

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022
Portrait Josefine Paul

I. Ausgangslage

Binnen eines Tages meldet das Robert Koch-Institut (RKI) einen sprunghaften Anstieg der Wocheninzidenz: bundesweit von 153,2 auf 160,1 Neuinfektionen am 15. April 2021 pro 100.000 Einwohner. In NRW steigt der Wert von 148,4 auf zunächst 158,6 neue Fälle.

Die Zahl der Neuinfektionen steigt momentan ungebremst an.. Es ist davon auszugehen, dass die Spitze der Entwicklung dieser dritten Welle, in der wir uns gerade befinden, noch nicht erreicht ist. Vor einem immer größer werdenden Infektionsgeschehen hatten Wissenschaftle­rinnen und Wissenschaftler schon zu Beginn der Welle hingewiesen. Insbesondere die Gefahr der sogenannten britischen Mutation B.1.1.7 stand dabei im Fokus.

Schon Mitte März warnten die Expertinnen und Experten auch davor, dass die Intensivstatio­nen in der dritten Welle der nunmehr über ein Jahr andauernden Belastungen endgültig an ihre Grenzen kommen könnten (Corona in Deutschland : Intensivmediziner fordern sofortigen Lockdown | tagesschau.de.). Diese Prognose zeichnet sich nun ab. Die Auslastung der Intensivbetten in Nordrhein-Westfalen hat nun bald den Höhepunkt der zweiten Welle erreicht. In Anbetracht der stark steigenden Inzidenzwerte ist dies voraussichtlich nur ein Zwischenwert auf dem Weg zu noch höheren Belastungen. Es droht die Notwendigkeit von Triagen in nord­rhein-westfälischen Krankenhäusern. Davon sind alle Patientinnen und Patienten betroffen, die auf den Intensivstationen liegen oder wegen der Auslastung der Intensivstationen nicht rechtzeitig behandelt werden könnten. Im Interview in der Aktuellen Stunde im WDR-Fernse­hen am 13.4.2021 ging Herr Prof. Michael Hallek von der Universität Köln davon aus, dass dies schon in der nächsten Woche der Fall sein könnte. Dieser dramatische Befund macht deutlich, dass ein sofortiges Handeln mehr als überfällig ist. Dies wird verstärkt durch die Tat­sache, dass die Patientinnen und Patienten, die jetzt auf der Intensivstation liegen, sich in der Regel vor mindestens zwei bis drei Wochen infiziert haben und selbst einschneidende Maß­nahmen erst in zwei Wochen einen durchschlagenden Effekt haben können. In der aktuellen Situation ist deshalb ein schnelles Handeln notwendig, um diesem negativen Trend entgegen­zuwirken und um Menschenleben zu retten.

Am 5. April Ostermontag verkündete Herr Ministerpräsident Laschet, dass nun schnellstmög­lich ein so genannter Brücken-Lockdown hermüsse, um die Überlastung der Intensivstationen zu verhindern. Anschließend passierte jedoch auf Landesebene nichts, obwohl die Landesre­gierung die Befugnis besitzt, Maßnahmen zu ergreifen, die die Ausbreitung des Virus verlang­samen würden.

Insbesondere hätte die Landesregierung die Corona-Notbremse, die am 22. März in der Kon­ferenz der Ministerpräsidentinnen und -präsidenten (MPK) beschlossen worden ist, umsetzen müssen. Demnach sollte ab einem Inzidenzwert von 100 pro 100.000 Menschen in sieben Tagen die Öffnungen ab Anfang März wieder zurückgenommen werden. Damit dies in Nord­rhein-Westfalen aber nicht geschehen musste, hatte die Landesregierung eine Umgehung der Corona-Notbremse beschlossen. Damit gab der Ministerpräsident die Verantwortung für stren­gere Maßnahmen an die Kommunen ab. Das ist ein weiteres Beispiel für den unverantwortli­chen Umgang der Landesregierung mit der kommunalen Ebene in dieser Krise.

  1. Notbremse ziehen jetzt und ohne Umgehungsmöglichkeiten

Auf Bundesebene wird im Bundestag seit dem 13. April ein Gesetzentwurf (Viertes Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite) diskutiert, der nun eine Corona-Notbremse ab der Inzidenz von 100 verbindlich vorschreiben und eine Umgehung unmöglich machen soll. Dieses Gesetzgebungsverfahren benötigt jedoch Zeit. Die ansteigenden Zahlen auf den Intensivstationen machen aber ein sofortiges Handeln notwen­dig. Dies hatte auch Herr Ministerpräsident Laschet seit Ostermontag immer wieder gefordert, aber nichts geliefert.

Dabei hätte Herr Ministerpräsident Laschet schon längst wirksamere Maßnahmen in Nord­rhein-Westfalen erlassen können, indem die CoronaSchVO angepasst wird. Insbesondere die Option des Freitestens in Kreisen und kreisfreien Städten nach § 16 Absatz 2 IfSBG NRW muss entfallen, um die Mobilität und Kontaktmöglichkeiten weiter einzuschränken.

Diese Form der Corona-Notbremse findet sich auch in dem nun diskutierten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesinfektionsschutzgesetzes wieder. Das Land Nordrhein-Westfalen würde mit einem schnellen Handeln Zeit gewinnen und nicht weitere Zeit verlieren. Es würde dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes vorgreifen. Dieser Zeitgewinn ist aufgrund der Belas­tungen auf den Intensivstationen dringend geboten.

Zudem weist die CoronaSchVO in § 16a keine Regelungen auf, welche Maßnahmen zwischen einem Inzidenzwert von 50 und 100 pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen gelten sollen. Diesbezüglich ist die Landesregierung angehalten, Regelungen in die CoronaSchVO aufzu­nehmen. Denn auch wenn der Bundestag den Gesetzentwurf beschließt, bleibt die Landesre­gierung bei Inzidenzen bis 100 allein zuständig. Um zu verhindern, dass sich die Pandemie um einen Inzidenzwert von 100 einpendelt, bedarf es wirksamer Regelungen auf Landes­ebene, die die Inzidenz weiter verringert.

Mit der letzten Reform des IfSBG NRW besteht gemäß § 2 Absatz 6 IfSBG NRW für den Landtag ausdrücklich die Möglichkeit, Änderungen an der CoronaSchVO zu verlangen.

Von dieser dritten Welle und den Corona-Mutationen sind zunehmend Kinder und Jugendliche betroffen. Obwohl die Inzidenzzahlen derzeit stark ansteigen, öffnet Schulministerin Yvonne Gebauer nun die Schulen für den Wechselunterricht für alle Jahrgänge ab kommenden Mon­tag. Das Testregime hat sie dabei immer noch nicht im Griff. Die Tests für die Grund- und Förderschulen sind ungeeignet. Zudem gibt es keinerlei Unterstützung für die Schulen beim

Testen. Es wäre wichtig, beispielsweise die anerkannten Hilfsorganisationen einzubinden, um Multiplikatorinnen und Multiplikatoren einzuweisen, die das Testen in den Schulen unterstüt­zen könnten.

Stand 15.04.2021 haben zehn Kreise und kreisfreie Städte die Grenze einer 200er Inzidenz gerissen und müssen damit im Distanzunterricht verbleiben. Bei den stark steigenden Infekti­onszahlen ist absehbar, dass in den kommenden Tagen weitere Schule wieder zurück in den Wechselunterricht werden gehen müssen.

Quarantänen, die sich in den Schulen bei steigenden Inzidenzwerten wieder häufen werden, treffen gerade solche Schüler und Schülerinnen, deren soziale, familiäre, wohnliche oder tech­nische Voraussetzungen genau dafür besonders ungünstig sind, das belegt eine aktuelle ge­meinsame Studie von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Ruhr-Universität Bo­chum und Forscherinnen und Forscher der Universität Osnabrück („Schule und Unterricht im angepassten Regelbetrieb Analyse und Reflexion Corona-bedingter (Teil-)Schließungen von Schulen anhand der COSMO-Befragung in NRW“, in: Das Bildungssystem in der Krise, S. 279 ff.). Deshalb braucht es ver­lässliche Unterstützungsstrukturen bis hin zu Patenschaftsprogramme und kleinen Lerngrup­pen. Aber auch in den vergangenen Wochen sind keine Anstrengungen unternommen worden, eine solche Unterstützungsstruktur aufzubauen, zum Beispiel mit Hilfe von Lehramtsstudie­renden, um in noch kleineren Gruppen sicher zu unterrichten, Kinder und Jugendliche indivi­duell zu begleiten.

III.      Beschluss

Der Landtag fordert die Landesregierung auf, folgende Punkte zeitnah umzusetzen:

  1. Die CoronaSchVO gemäß § 2 Absatz 6 IfSBG NRW zu verändern, indem § 16 Absatz 2 CoronaSchVO gestrichen wird.
  2. Die CoronaSchVO um Regelungen zu ergänzen, welche Maßnahmen bei Inzidenzwer-ten zwischen 50 und 100 pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen in den Städten und Kreisen gelten.
  3. Präsenzunterricht an Schulen zu ermöglichen, wenn die Infektionszahlen auf einem stabil sinkenden Niveau sind.
  4. Ein verlässliches und funktionierendes Testregime für die Schulen zu etablieren und altersgerechte Tests zur Verfügung zu stellen.