Europäische Klimapolitik forcieren: CO2 einen Preis geben und Energiegeld einführen

Antrag der GRÜNEN im Landtag

Starkregenereignisse, Überschwemmungen, Hitzerekorde und verheerende Stürme haben in den vergangenen Jahren eine Vorahnung gegeben, auf welche klimatischen Änderungen sich die Menschen in Europa einstellen müssen, wenn es nicht gelingen sollte, innerhalb einer kurzen Zeitspanne wirksame Maßnahmen gegen das Fortschreiten des Klimawandels umzusetzen. Gleichzeitig wird immer deutlicher, dass in Deutschland aber ambitionierte Ziele zur Treibhausgasreduktion unerreichbar bleiben, solange es keine ausreichenden Instrumente und eine konsequente Umsetzung von Maßnahmen gibt. Um die Ziele des Pariser Klimaabkommens erreichen zu können, müssen die europäischen Klimaziele ambitionierter werden und ihre Umsetzung, also die Senkung der CO2-Emissionen, auch tatsächlich erfolgen. Die CO2-Emissionen müssen bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden, wie auch das Europäische Parlament am 14. März 2019 in einer Entschließung gefordert hat (Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14. März 2019 zum Klimawandel – eine europäische strategische, langfristige Vision für eine wohlhabende, moderne, wettbewerbsfähige und klimaneutrale Wirtschaft im Einklang mit dem Übereinkommen von Paris (2019/2582(RSP))“, http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?type=TA&reference=P8-TA-2019-0217&language=DE). Dafür muss das Treibhausgas CO2 aus allen Quellen endlich einen wirksamen Preis bekommen. Denn ein dynamisch ansteigender CO2-Mindestpreis, im und außerhalb des bestehenden EU-Emissionshandels, sorgt für wirksamen Klimaschutz, indem klimafreundliche Investitionen kontinuierlich gegenüber klimaschädlichen Alternativen attraktiver werden. Um soziale Verwerfungen zu vermeiden und die Akzeptanz sicherzustellen, müssen die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung außerhalb des EU-Emissionshandels aufkommensneutral und sozialverträglich ausgestaltet werden. Da das bestehende System der staatlich induzierten Preisbestandteile im Energiesektor klima- und innovationspolitische Fehlanreize setzt, ist eine Reform dringend erforderlich. Sie sollte die Schaffung von energiewirtschaftlich sinnvollen Flexibilitätsoptionen anreizen und ökonomische Hemmnisse einer verstärkten Sektorkopplung beseitigen.
Treibhausgasemissionen sollen einen Preis entsprechend ihrer Klimawirksamkeit bekommen. Auch für die Bereiche, die bislang vom Emissionshandel nicht erfasst werden – unter anderem Gebäude, Mobilität, Landwirtschaft –, wird eine grundlegende Änderung der Steuern und Abgaben benötigt, die Klimaschutz fördert, statt wie bisher behindert. Dazu gehört, dass alle Energieträger entsprechend ihres jeweils spezifischen CO2-Ausstoßes den wahren Preis kosten und so die Ziele der Energiewende und des Klimaschutzes unterstützen.

Gemeinsam für mehr Klimaschutz in Europa

Bereits heute haben einige europäische Staaten eine CO2-Bepreisung eingeführt. Nationale Einführungen von CO2-Bepreisungen sind dann sinnvoll, wenn sie in eine dem europäischen Binnenmarkt entsprechende Perspektive eingebunden werden und auch die jeweils nationale Wettbewerbsfähigkeit nicht gefährden. Auf diese Weise kann auch „carbon leakage“ entgegen gewirkt werden, also der Verlagerung von CO2-Emissionen in andere Staaten mit geringeren bzw. keinen CO2-Preisen. Bei der CO2-Bepreisung ist ein koordiniertes Vorgehen in der EU, mindestens aber mit Nachbarländern, insbesondere im wettbewerbssensiblen Sektor der Stromerzeugung, sinnvoll und erforderlich. Deutschland könnte daher zunächst mit einigen EU-Staaten die Initiative ergreifen und in einer regionalen Staatengruppe einen gemeinsamen CO2-Mindestpreis einführen; die Niederlande und Frankreich haben ihre Absicht dazu schon erklärt. Perspektivisch soll eine gesamteuropäische Lösung angestrebt werden, die in allen Bereichen die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens sicherstellt.

Bisheriges System setzt Fehlanreize

Das bestehende System der staatlich induzierten Preisbestandteile setzt klima- und innovationspolitische Fehlanreize. So wird Strom selbst zu Zeiten mit sehr hoher regenerativer Produktion häufig nicht im Mobilitäts- und Wärmesektor genutzt, da er aufgrund hoher Abgaben und Umlagen im Wettbewerb mit fossilen Heiz- und Kraftstoffen benachteiligt ist. Das Zusammenwachsen der Bereiche Strom, Wärme und Mobilität im Rahmen der Sektorkopplung erfordert eine konsistente Ausgestaltung der Abgaben und Umlagen auf die verschiedenen Energieträger, welche die Ziele der Energiewende unterstützen. Dadurch sollen volkswirtschaftlich effiziente und innovative Geschäftsmodelle für Energiewende und Klimaschutz in allen Sektoren ermöglicht und so auch wirtschafts- und industriepolitische Potenziale mobilisiert werden. Hierzu zählt auch eine Reform der Energiebesteuerung. Derzeit wird auch für Strom aus erneuerbaren Energien, für den keine EEG-Vergütung in Anspruch genommen wird, grundsätzlich die volle EEG-Umlage und die Stromsteuer fällig. Zukünftig sollte angemessen zwischen EEG-gefördertem und nicht EEG-gefördertem Strom differenziert werden.

CO2-Bepreisung sozial verträglich gestalten, Energiegeld einführen

Da Steuern und Abgaben auf Verbrauch immer Menschen, die in sozioökomisch schwierigen Bedingungen leben, stärker belasten als reichere, sollen die Einnahmen aus der CO2– Bepreisung an die Verbraucherinnen und Verbraucher zurückgegeben werden. Ein Energiegeld als Pro-Kopf-Zahlung, wie es bereits in der Schweiz angewendet wird, belohnt diejenigen, die sich klimaschonend verhalten. Auch hier sollte eine gestaffelte Einführung in eine gesamteuropäische Lösung münden. Die Reformen sollten grundsätzlich so ausgestaltet werden, dass Verbraucherinnen und Verbraucher in ihrer Gesamtheit nicht höher belastet werden und die soziale Verträglichkeit gewahrt wird.

Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft fordern eine CO2-Bepreisung

Viele Staaten und Regionen haben eine CO2-Bepreisung oder ähnliche Modelle schon eingeführt: Japan, Regionen in Kanada und den USA, Island, Irland und das Vereinigte Königreich, Dänemark, Finnland und Schweden, die Schweiz und Frankreich. Der französische Staatspräsident Macron hat zu einer multilateralen Initiative aufgerufen, um die CO2-Bepreisung zu stärken. Den Einstieg in eine systematische und verursachergerechte CO2-Bepreisung fordert auch ein breites Bündnis von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie viele unterschiedliche Institutionen, Verbände und Unternehmen: unter anderem der Bundesrechnungshof, die von der Bundesregierung eingesetzte Expertenkommission zum Monitoring-Prozess „Energie der Zukunft“, der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium, die Deutsche Energieagentur, das Potsdam- Institut für Klimafolgenforschung sowie ein Bündnis international tätiger Unternehmen.
Das Climate Leadership Council hat einen Vorschlag für eine CO2-Besteuerung in den gesamten USA vorgelegt, dem sich bereits über 3.500 US-amerikanische Ökonominnen und Ökonomen angeschlossen haben. Auch Expertinnen und Experten des Beratungsunternehmens Deloitte sprechen sich für eine solche Steuer aus. Sie argumentieren damit, dass in Deutschland bisher Energieträger mit Mengensteuern belastet werden, was dazu führt, dass CO2-arme Technologien stärker belastet werden als CO2-intensive. Der Präsident des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Prof. Dr. Christoph M. Schmidt, und der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Ottmar Edenhofer, haben ebenfalls ein entsprechendes Modell vorgeschlagen (RWI Positionen 72: Eckpunkte einer CO2-Preisreform, http://www.rwi-essen.de/publikationen/rwi- positionen/450/)
In Deutschland hat sich die Große Koalition in ihrem Koalitionsvertrag dafür ausgesprochen, die „Kopplung der Sektoren Wärme, Mobilität und Elektrizität in Verbindung mit Speichertechnologien voranzubringen“. Dazu sollen in dieser Wahlperiode entsprechende Maßnahmen durchgeführt werden. Anfang 2018 haben zunächst der Deutsche Bundestag und die französische Assemblée nationale in einer gemeinsamen Resolution klimapolitische Initiativen ihrer beiden Regierungen, insbesondere zu einer CO2-Bepreisung, vorgeschlagen. Die Operationalisierung erfolgt laut Erklärung von Meseberg vom 19. Juni 2018 mit der Einsetzung einer interministeriellen Arbeitsgruppe zu Klimafragen, die unter anderem Instrumente zur Freisetzung nachhaltiger finanzieller und wirtschaftlicher Anreize, wie eine CO2-Bepreisung, diskutieren soll.
Zuletzt hat die Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung die „Prüfung der Einführung einer CO2•Bepreisung mit Lenkungswirkung in den Sektoren außerhalb des Europäischen Emissionshandels“ gefordert. Auch in der von der Bundesregierung berufenen derzeit beratenden Kommission „Nationale Plattform Zukunft der Mobilität“ gibt es offensichtlich einen vom BDI bis zu den Umweltverbänden reichenden Konsens, die Bundesregierung möge „prüfen, wie ein CO2-Preissystem ausgestaltet werden kann, das sozial ausgewogen ist, über den Verkehrsbereich hinaus Wirkung entfaltet und sich in eine Reform des Abgaben- und Steuersystems einfügt“ (https://www.vda.de/de/presse/Pressemeldungen/20190326-VDA-zum-Zwischenbericht-der-AG-1- der-Nationalen-Plattform-Zukunft-der-Mobilit-t-.html)
Die Umweltministerinnen, -minister, -senatorin und -senatoren der Länder haben anlässlich der 91. Umweltministerkonferenz am 9. November 2018 in Bremen festgestellt, dass eine Bepreisung der CO2-Emissionen auch in den Sektoren, in denen keine CO2-Zertifikate gehandelt werden, klare Anreize setzt und ein Bestandteil der zukünftigen klimapolitischen Instrumente sein sollte. Zudem haben sie einstimmig die Bundesregierung aufgefordert, einen Vorschlag für eine CO2-Bepreisung vorzulegen, die in allen Sektoren (Stromerzeugung, Wärme und Mobilität) wirksam ist.

Bedeutung für die Zukunft Nordrhein-Westfalens

NRW ist das deutsche Bundesland mit den größten Treibhausgasemissionen. Gerade hier muss der Wandel zu einer CO2-freien Wirtschaft gelingen und gerade aus NRW können starke Impulse ausgehen. Es war und ist politischer Konsens, dass unter allen Umständen vermieden werden muss, dass Unternehmen aufgrund der Energiewende Produktion und Arbeitsplätze aus NRW verlagern. Eine wesentliche Voraussetzung, um dies zu vermeiden, ist Planungssicherheit für Zukunftsinvestitionen. Diese Voraussetzung ist heute nur unzureichend gegeben. Zwar sind die langfristigen Klimaziele eindeutig, doch scheut sich die Bundesregierung und auch die Landesregierung bislang, langfristig gültige Rahmenbedingungen zu definieren, welche die Einhaltung dieser Ziele sicherstellen. So werden weder klare Anreize für klimafreundliches Handeln noch gegen klimaschädliche Investitionen gesetzt.
Mit einem klar definierten Anstieg des Mindestpreises für CO2-Zertifikate und einer Übertragung auf alle Sektoren, wären beispielsweise dringend benötigte Investitionen in klimafreundliche Erzeugungskapazitäten und energieeffiziente Prozesse mit mehr Planungssicherheit verbunden. Dies wäre gerade für Stadtwerke, die nicht nur in erneuerbare, flexible und klimafreundliche Stromversorgung sondern auch in energieeffiziente Wärmenetze investieren wollen, ein wichtiges Signal. Schließlich ist im Wärmemarkt nach den niedrigen Öl- und Gaspreisen der vergangenen Jahre die Zurückhaltung groß, sich solchen Projekten anzuschließen.

I.             Der Landtag stellt fest, dass:

·        die vorhandenen politischen Instrumente nicht ausgereicht haben, um die nationalen Klimaziele für 2020 zu erreichen. Auch für die Erreichung der nationalen Klimaziele für 2030 bedarf es noch erheblicher weiterer Anstrengungen über die bisherigen Empfehlungen hinaus;
·        angesichts des voraussichtlichen Verfehlens der nationalen EU- Klimaschutzverpflichtungen für das Jahr 2020, die in den europäischen Regelungen zur Lastenteilung bindend festgelegt sind, die Einführung effektiver Instrumente wie eine Bepreisung der CO2-Emissionen dringend nötig ist, um die anspruchsvollen Minderungsziele bis 2030 für Nichthandelssektoren zu erreichen;
·        das bestehende System der staatlich induzierten Preisbestandteile klima- und innovationspolitische Fehlanreize setzt. Das Zusammenwachsen der Bereiche Strom, Wärme und Mobilität im Rahmen der Sektorkopplung erfordert eine konsistente Ausgestaltung der Abgaben und Umlagen auf die verschiedenen Energieträger.

II.           Der Landtag begrüßt:

·        das Ziel der Bundesregierung – wie im Koalitionsvertrag ausgeführt – die „Kopplung der Sektoren Wärme, Mobilität und Elektrizität in Verbindung mit Speichertechnologien voranzubringen“ und die hierfür notwendige Anpassung der Rahmenbedingungen anzugehen.
·        die Initiative des französischen Staatspräsidenten Macron, zusammen mit Deutschland und anderen Ländern die CO2-Bepreisung zu stärken. Ein mit Frankreich und anderen europäischen Nachbarn abgestimmtes Vorgehen ist zu begrüßen.
·        die gemeinsame Resolution des Deutschen Bundestages und der Assemblée nationale zum 55. Jahrestag des Élysée-Vertrags am 22. Januar 2018, gemeinsame Initiativen der beiden Regierungen, insbesondere zum CO2-Preis, vorzuschlagen.
·        die in der von Deutschland und Frankreich verabschiedeten Erklärung von Meseberg vom
19. Juni 2018 vereinbarte vertiefte interministerielle Zusammenarbeit in Form einer bereits eingesetzten hochrangigen Arbeitsgruppe zu Klimafragen (die sogenannte „Meseberger Klima-AG"), in deren Arbeitsprogramm die Entwicklung von Instrumenten zur Freisetzung nachhaltiger finanzieller und wirtschaftlicher Anreize, wie eine CO2-Bepreisung, diskutiert werden, als wichtige Maßnahme für ein abgestimmtes Vorgehen innerhalb Europas.

III.         Der Landtag beschließt:

Der Landtag fordert die Landesregierung auf, sich gegenüber der Bundesregierung, im Bundesrat und auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass ein Vorschlag für eine verfassungs- und europarechtskonforme CO2-Bepreisung vorgelegt wird, der folgende wesentliche Elemente hat:
1.     Wirksamkeit in allen Sektoren, Stromerzeugung, Wärme, Mobilität und Landwirtschaft, und Kompatibilität mit dem bestehenden Emissionshandel.
2.     Sozialverträgliche Ausgestaltung der Höhe und Entwicklung der CO2-Preise: Die Einnahmen sollen als Energiegeld an alle Bürgerinnen und Bürger gleichmäßig verteilt zurückerstattet werden.
3.     Orientierung am Erreichen der langfristigen Klimaschutzziele.
4.     Umfassende Überprüfung von Subventionen, die klimaschädliche Anreize setzen.
5.     Flankierung durch weitere Instrumente, so dass unerwünschte soziale, ökologische oder wirtschaftliche Folgen auch im grenzüberschreitenden Handel und Austausch ausbleiben.