Enttäuschung und Ernüchterung bei Inklusionsversprechen machen sich breit – Landesregierung muss sofort nachsteuern

Antrag der GRÜNEN im Landtag

I.

Ausgangslage

Die Beschulung von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf an Regelschulen braucht eine verlässliche Qualität. Die Diskussion um eine angemessene Personalausstattung wird seit längerer Zeit geführt. Von verschiedener Seite wurde die bestehende Ausstattung als unzureichend kritisiert. Der Mangel an Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen verschärft die Situation, geplante Stellen bleiben leider zu oft unbesetzt. Die Landesregierung hat bei der Regierungsübernahme im Sommer 2017 angekündigt, die Qualität bei der Inklusion zu verbessern. Im Sommer 2018 hat sie schließlich Eckpunkte zur Neuausrichtung der Inklusion vorgelegt. Zentrales Element ist dabei die „Zauberformel“ 25-3-1,5 – wie Eltern die Formulierung kritisch bezeichnen.
In der Pressemitteilung des Schulministeriums vom 6.7.2018 wurde sie so beschrieben: „An den Schulen des Gemeinsames Lernens der Sekundarstufe I gilt künftig die neue Inklusionsformel: 25-3-1,5. Das heißt: Die Schulen nehmen so viele Schülerinnen und Schüler auf, dass sie Eingangsklassen bilden können, in denen durchschnittlich 25 Schülerinnen und Schüler lernen, davon durchschnittlich drei mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung. Für jede dieser Klassen erhält die Schule eine halbe zusätzliche Stelle. Die tatsächliche Klassenbildung soll im Rahmen dieser Aufnahmekapazitäten dann aber den Schulen mit Blick auf ihr schulisches Konzept selbst überlassen werden.“
Die Erwartungen, die diese Formel geweckt hat, wurden herb enttäuscht. In Essen haben sämtliche Gymnasien entschieden, keine Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf mehr aufzunehmen. B. U., Schulleiter des Alfred-Krupp-Gymnasiums und Sprecher der Essener Direktoren-Konferenz, wird in der NRZ vom 19.01.2019 mit den Worten zitiert: „Wir sind sehr enttäuscht, aber unter den vom Land vorgegebenen Bedingungen ist die Inklusion an einem Gymnasium nicht mehr möglich.“ Als Grund geben sie dezidiert die Verschlechterung der Stellenversorgung an und betonen, dass sie unter den gegebenen Bedingungen ein weiteres Gemeinsames Lernen nicht verantworten können. Sie bedauern ausdrücklich, sich zu diesem Schritt gezwungen zu sehen. Andere Gymnasien verabschieden sich bereitwillig aus dem Prozess.
Integrierte Schulen wie Gesamt- und Sekundarschulen werden von der Landesregierung als vorrangige Schulformen für das Gemeinsame Lernen gesehen. Die Bezirksregierungen weisen diesen Schulen Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf zu, ohne gleichzeitig die notwendigen Stellen für Sonderpädagogik oder multiprofessionelles Personal zuzuweisen.
Die Gesamtschulen beklagen zu Recht ein Mehr an Verantwortung bei gleichzeitig weniger Ressourcen. Dagegen musste schon im laufenden Schuljahr die Bevorzugung der Förderschulen bei der Versorgung mit sonderpädagogischen Lehrkräften festgestellt werden. Mit Schulkonferenzen protestieren Gesamtschulen gegen ausgeweitete Aufgabenübertragung verbunden mit dem Abzug von sonderpädagogischen Fachkräften und unsicherer Stellenbesetzung zum neuen Schuljahr.
Rechnungsformel statt Verlässlichkeit
In der Beantwortung kleiner Anfragen verweist die Landesregierung auf die Verantwortung der Schulträger in Bezug auf die Bildung von Lerngruppen. Die Inklusionsformel wird zur Rechnungsformel ohne Ansprüche und Rechtssicherheit. Die Schulträger bekommen den Schwarzen Peter für die notwendige Begrenzung der Lerngruppengrößen zugeschoben. So heißt es in der Antwort der Kleinen Anfrage 1614 lapidar: „Wird die Aufnahmekapazität an einer Schule mit Zustimmung des Schulträgers begrenzt, kann dies vor allem angesichts von Schulen, die bereits Anmeldeüberhänge haben, dem Schulträger und der Schulaufsicht deutlich machen, dass hier grundsätzlich die Frage nach einem bedarfsgerechten Schulangebot gestellt werden muss.“
Qualitätskriterien aufgegeben
In der o.g. Pressemitteilung wird Schulministerin Gebauer mit den Worten zitiert: „Wir werden die Angebote an Schulen des Gemeinsamen Lernens bündeln und eindeutige Qualitätskriterien einführen, damit alle Schülerinnen und Schüler profitieren können.“ Zu diesen Kriterien gehört nach den Eckpunkten, dass die Schulen über ein schuleigenes Konzept für inklusive Bildung verfügen und dass das Kollegium systematisch fortgebildet wird. Längst sind die Fristen zur Vorlage eines Konzeptes, dass die Schulen eigentlich zum 15.12.2018 vorlegen sollten, ausgesetzt worden. Bei der Zuweisung von Schülerinnen und Schülern seitens der Bezirksregierung wird darauf nun auch nicht mehr geachtet. Den Schulen wird jetzt schon mitgeteilt, wie viele Kinder sie aufzunehmen haben. Durch den von der Landesregierung forcierten und provozierten Ausstieg der Gymnasien aus dem Inklusionsprozess, fehlen vor Ort zum Teil Plätze im Gemeinsamen Lernen.
Das widerspricht dem Versprechen von Ministerin Gebauer in der Pressemitteilung: „Wir brauchen diese eindeutigen Kriterien an Schulen des Gemeinsamen Lernens, um die Qualität zu sichern. Damit entsprechen wir den Wünschen vieler Eltern nach qualitativ hochwertigen inklusiven Angeboten an allgemeinen Schulen.“ Offensichtlich hat die Landesregierung ihre eigenen Qualitätsanforderungen über Bord geworfen.

II.      Der Landtag stellt fest:

Die Landesregierung muss dringend für eine verlässliche Ausstattung gemäß der eigenen Eckpunkte sorgen. Die Schulen des Gemeinsamen Lernens dürfen bei der Ausstattung mit Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen nicht mehr gegenüber den Förderschulen benachteiligt werden. Schulen des Gemeinsamen Lernens brauchen umgehend Unterstützung bei den Fortbildungen.
Die Landesregierung muss für Verlässlichkeit bei den weiteren Schritten auf dem Weg zum inklusiven Bildungssystem Sorge tragen.

III.     Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

–        für die sofortige Ausschreibung der Stellen von Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen sowie der multiprofessionellen Teams an Schulen des Gemeinsamen Lernens zu sorgen,
–        Stellen für Lehrkräfte und Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen, die nicht besetzt werden können, unmittelbar für multiprofessionelles Personal zu öffnen,
–        den neuen Kräften umgehend Fortbildungsangebote zu unterbreiten,
–        Schulen des Gemeinsamen Lernens einen Fortbildungstag zu ermöglichen.