I- Ausgangslage
Die Gefahr der sexualisierten Gewalt an Kindern und Jugendlichen besteht in allen gesellschaftlichen Zusammenhängen, bei denen sich Kinder und Jugendliche in einem institutionellen gesellschaftlichen Kontext bewegen und in einem Abhängigkeits- und Vertrauensverhältnis zu Erwachsenen stehen. Dies begünstigt den Missbrauch in seinen unterschiedlichen Ausprägungen. Unstrittig ist, dass Machtgefälle übergriffiges und missbräuchliches Verhalten begünstigen. Dies kann in institutionellem Kontext wie der Schule, Kita oder in den Kirchen geschehen, das heißt überall dort, wo Menschen zusammenkommen und mit Kindern arbeiten. Deshalb ist es wichtig die Öffentlichkeit zu sensibilisieren, Schutzkonzepte gemeinsam mit den Kindern zu erarbeiten und im Fall eines Übergriffs diesen konsequent aufzuarbeiten.
Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass viele der betroffenen Institutionen bereits Anstrengungen unternommen haben, um Vorfälle aus der Vergangenheit aufzuklären, und Vorkehrungen getroffen haben, damit sich solche Vorfälle nicht wiederholen. Das Ausmaß der aufzuarbeitenden Vorfälle und die Komplexität der Aufarbeitung sind für die betroffenen Institutionen eine enorme Herausforderung. Insbesondere fehlt es an Problembewusstsein, dem Willen nach transparenter und vollständiger Aufklärung sowie einheitlichen Standards zur Aufarbeitung. Dies verhindert eine zügige und nachhaltige Aufarbeitung, die den Interessen der Betroffenen gerecht werden kann. Dies kann so nicht hingenommen werden. Der Schutz von Kindern vor seelischer, körperlicher und sexualisierter Gewalt ist eine dauerhafte gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dazu gehört auch die vollumfängliche Aufklärung der bekannt gewordenen Fälle sexualisierter Gewalt in kirchlichen Institutionen, wie es etwa auch der Umgang mit den Missbrauchsfällen im Erzbistum Köln und die Ergebnisse der Missbrauchsstudie der evangelischen Kirche unterstreichen. Auch vor diesem Hintergrund muss der Staat eine aktivere Rolle bei der Stärkung der Opferrechte einnehmen und auf diese Weise die Aufarbeitung voranbringen.
Eine effektive und transparente Aufarbeitung erfordert zunächst organisatorische Maßnahmen innerhalb der betroffenen Institution, zugleich aber Information und Schulung der mit der Aufarbeitung und Prävention betrauten Personen und Regeln, insbesondere in bestehenden Hierarchiestrukturen.
Vorgaben bieten den betroffenen Institutionen Orientierung und Handlungssicherheit bei der Durchführung eines zielgerichteten Verfahrens. Sie gewährleisten zugleich für die Betroffenen einen transparenten und nachvollziehbaren Aufarbeitungsprozess und ermöglichen der Gesellschaft eine umfassende Auseinandersetzung mit der Aufklärungsarbeit. Institutionen wiederum, die eine transparente und schonungslose Aufarbeitung unter Berücksichtigung dieser Standards durchgeführt haben, können Erwartungen und Kritik fundierter begegnen.
Daher soll eine Landeskommission eingesetzt werden, um in einem ebenso zügigen wie sorgfältigen Prozess Aufarbeitungsstandards zu erarbeiten. Dieses Gremium soll einheitliche Standards für die Aufklärungsarbeit erarbeiten, die allen Beteiligten Orientierung geben und die eine Grundlage dafür schaffen, sich mit der Aufklärungsarbeit der betroffenen Institutionen sachgerecht auseinanderzusetzen. Dieses Vorhaben lässt sich nur mit einem hohen Maß an Freiwilligkeit der Beteiligten umsetzen. Daher ist der Sachverstand der Kommissionsmitglieder wesentlich für deren Arbeit. Es soll geprüft werden, ob unter dem dominierenden Aspekt des Betroffenenschutzes, der Kommission ein Recht auf Akteneinsicht gewährt werden kann, wenn sie dies als unerlässlich für die Aufstellung von Standards im Aufarbeitungsprozess hält. Im Zentrum dieser Entscheidung steht das Recht der Betroffenen auf Achtung und Schutz ihrer Privatsphäre. Eine potenzielle Akteneinsicht kann nur mit ausdrücklicher schriftlicher Zustimmung der Betroffenen erfolgen und muss in direktem Bezug zum Auftrag der Kommission stehen.
Die Kommission soll sich mit der Erarbeitung von Standards zur Aufarbeitung von Missbrauchsfällen im institutionellen und gesellschaftlichen Bereich befassen. Dies umfasst auch die Erarbeitung von Vorschlägen, wie diese Standards Geltung erlangen und wie sie eingehalten werden können. Dafür benötigt sie die entsprechende Expertise aus den genannten Bereichen, der Betroffenen und aus wissenschaftlichen Disziplinen. In dieser Kommission soll zudem ein Vorschlag für Dunkelfeldstudien erarbeitet werden. Betroffene müssen in die Aufarbeitung eingebunden werden können. Auch soll die Arbeit der Kommission einen Beitrag zur Schaffung von Strukturen zur Einbindung von Betroffenen leisten.
II. Beschlussfassung
Der Landtag stellt fest:
- Die schonungslose Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen ist in vielen Institutionen überfällig. Sie ist für die Betroffenen jedoch unerlässlich. Die betroffenen Institutionen haben eine Bringschuld.
- Die transparente und nachhaltige Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen muss für alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens sichergestellt sein, in denen Kinder und Jugendliche in Machtgefällen auf Personen treffen und damit das Risiko von Machtmissbrauch steigt. Dies betrifft eine ganze Reihe von Institutionen und Gruppierungen, wie z. B. Kirchen, Religionsgemeinschaften, Sportvereine, Kinder- und Jugendgruppen, stationäre Wohngruppen etc.
- Eine solche Aufarbeitung kann wertvolle Hinweise für eine Weiterentwicklung einer wirkungsvollen Intervention und Prävention geben. Wichtig dabei bleibt die Sensibilisierung der gesamten Bevölkerung, denn es braucht aktives Hinschauen, um sexualisierte Gewalt zu erkennen und zu verhindern.
- Der Landtag begrüßt die bereits unternommenen Bestrebungen der betroffenen Institutionen, Missbrauchsvorfälle aus der Vergangenheit aufzuarbeiten und damit wichtige Voraussetzungen für einen besseren Schutz von Kindern und Jugendlichen zu schaffen.
- Der Landtag erwartet, dass solche Institutionen, die in der Aufarbeitung noch am Anfang stehen, ihre Anstrengungen deutlich intensivieren.
Der Landtag beauftragt die Landesregierung,
- eine Landeskommission einzuberufen, die bis Ende des Jahres 2025
- Standards für die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in allen gesellschaftlichen Bereichen erarbeitet;
- Vorschläge erarbeitet, in welcher Weise die Standards Geltung erlangen sollen und auf welche Weise für ihre Einhaltung gesorgt werden kann;
- unter Einbezug der Kinderschutzkommission Vorschläge für Dunkelfeldstudien erarbeitet;
- Vorschläge für die Schaffung von Betroffenenarbeit in NRW macht.
- in diese Landeskommission sind zu berufen
- unabhängige Sachverständige u. a. aus den Bereichen Justiz, Psychologie, Sozialwissenschaft,
- zwei Vertreterinnen bzw. Vertreter von Kirchen,
- zwei Vertreterinnen bzw. Vertreter aus dem Kreis des Betroffenenrates des Bundes, die vorzugsweise aus Nordrhein-Westfalen kommen,
- Expertinnen und Experten mit anerkannten Erfahrungen in den jeweiligen gesellschaftlichen Zusammenhängen,
- die Kinderschutzbeauftragte bzw. der Kinderschutzbeauftragte des Landes;
- zu Beginn und zum Ende der Arbeit der Landeskommission jeweils eine Veranstaltung der Landesregierung unter Beteiligung des Landtags und den Betroffenen von sexualisierter Gewalt durchzuführen. Eine dauerhafte Einbindung der für das Thema notwendigen Perspektive von Betroffenen soll über die Berufung von zwei Vertreterinnen bzw. Vertreter der Betroffenen in die Kommission sichergestellt werden;
- zu prüfen, ob und wie der Landeskommission mit Blick auf die rechtlichen Voraussetzungen und unterschiedlichen Gegebenheiten in den betroffenen Institutionen und Einrichtungen ein konditioniertes Akteneinsichtsrecht gewährt werden kann.
- sicherzustellen, dass zwischen der Landeskommission und der Kinderschutzkommission des Landtags ein enger Austausch durch Zwischenberichte stattfindet. Der Bericht wird zuerst dem Parlament vorgelegt.