Einrichtung einer Stelle einer bzw. eines unabhängigen Beauftragten zu Fragen der sexualisierten Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in Nordrhein-Westfalen

Antrag der GRÜNEN im Landtag

Portrait Josefine Paul

I.       Ausgangslage

Die Fälle sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in Lügde, Münster und dem bundesweiten Komplex, der seinen Ermittlungsbeginn in Bergisch Gladbach hatte, haben die Dimensionen von sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in den Fokus der öffentlichen Auseinandersetzung mit Themen des Kinderschutzes gerückt. Trotz der wichtigen öffentlichen Diskussion sind diese schrecklichen Taten nur ein Ausschnitt der Dimension sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Noch immer bleiben viele Taten unentdeckt, auch weil sie sich häufig im sozialen Nahraum ereignen, was es für die Opfer oft sehr schwer macht, sich Hilfe und Unterstützung zu holen. Daher ist auch weiterhin von einem großen Dunkelfeld auszugehen. Aus verschiedenen Untersuchungen ist bekannt, dass 10 % aller Kinder und Jugendlichen sexualisierte Gewalt erfahren. Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) des Bundeskriminalamtes verzeichnete für das Jahr 2019 15.936 Straftaten, bei denen Kinder im Jahr 2019 Opfer von sexualisierter Gewalt wurden. Das sind im Durchschnitt 43 Opfer täglich. Hierbei handelt es sich allein um das Hellfeld. Jede dieser Taten führen zu physischen und/oder psychischen Verletzungen bei den Minderjährigen.
In der Mehrheit der Fälle wird diese Gewalt im familiären Kontext verübt. Aber auch in institutionellen Zusammenhängen wie Schule, Kirche oder Freizeiteinrichtungen werden Kinder und Jugendliche mit sexualisierter Gewalt konfrontiert. Fälle in der katholischen Kirche oder der Odenwaldschule können als bekannte Beispiele solcher institutioneller Zusammenhänge genannt werden.
Eine weitere Herausforderung in der Bekämpfung der sexualisierten Gewalt gegen Kinder und Jugendliche stellt die Verbreitung und der Konsum von filmischen und fotografischen Darstellungen solcher Straftaten dar. Denn jeder filmischen und fotografischen Darstellung geht die sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen voraus.
Die PKS 2019 stellt fest, dass die Straftaten in dem Bereich „Verbreitung, Erwerb, Besitz oder Herstellung von kinderpornographischen Schriften“ stark gestiegen sind. Die PKS berichtete von rund 12.300 Verstößen, einem Anstieg von 65 % im Vergleich zum Vorjahr. Dies muss im Zusammenhang mit einem erhöhten Verfolgungsdruck durch die Strafverfolgungsbehörden sowie einer gestiegenen Sensibilität in einer breiten Öffentlichkeit gesehen werden.
Polizeiliche Maßnahmen und strafrechtliche Konsequenzen stellen einen Aspekt der Bekämpfung von sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche dar. Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung kommentierte den Diskurs zur Strafverschärfung allerdings als nicht ausreichend, um diese Gewalt auch wirklich zu verhindern. In seinen öffentlichen Stellungnahmen weist der Bundesbeauftragte immer wieder auf die Notwenigkeit einer besseren Aufklärungs- und Präventionsarbeit sowie eine engere Zusammenarbeit von Jugendämtern und Familiengerichten sowie eines ressortübergreifenden Masterplans der Bundesländer gegen sexualisierte Gewalt hin und fordert alle politischen Ebenen zu konsequentem Handeln auf.
In der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema ist nicht nur Unwissenheit festzustellen, sondern auch Abwehr und Verdrängung. Eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung ist allerdings erforderlich, um eine breite gesellschaftliche Sensibilisierung über das Risiko für Kinder und Jugendliche, Opfer von sexualisierter Gewalt zu werden, zu erreichen. Deswegen bleibt die Notwendigkeit einer nachhaltigen und fortdauernden gesellschaftlichen Aufarbeitung.
Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ist eine Realität in Nordrhein-Westfalen, die auch nur gesamtgesellschaftlich und mit einem ganzheitlichen Konzept bekämpft werden kann. Zu solch einer ganzheitlichen Bekämpfung in Nordrhein-Westfalen gehört auch die Einrichtung einer Stelle für eine oder einen unabhängigen Beauftragen zu Fragen der sexualisierten Gewalt gegen Kinder und Jugendliche.

II.      Feststellungen

Der Landtag stellt fest,
1.      sexualisierte Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung,
2.      dass es notwendig ist, sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche über Wahlperioden hinaus in einen beständigen Fokus zu setzen,
3.      dass die Bundesregierung bereits 2010 ein Amt der bzw. des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs geschaffen hat, aber eine spiegelbildliche Struktur landesseitig fehlt.

III.    Forderungen an die Landesregierung

Der Landtag fordert die Landesregierung auf,
1.      eine Stelle einer oder eines unabhängigen Beauftragten für Fragen der sexualisierten Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in Nordrhein-Westfalen einzurichten, die nicht weisungsgebunden ist,
2.      die Stelle der oder des Beauftragten mit angemessenen Personal- und Sachmitteln auszustatten, um folgende Aufgaben zu ermöglichen:
·           hinsichtlich der sexualisierten Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in Nordrhein- Westfalen ein Problembewusstsein zu schaffen, zu informieren und zu sensibilisieren,
·           Wahrnehmung der Belange von Personen und auf Wunsch zudem von Angehörigen, die in ihrer Kindheit und/oder Jugend von sexualisierter Gewalt betroffen waren,
·           Anlaufstelle für anonyme Hinweise bei Verdacht auf sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche,
·           Aufarbeitung von Altfällen,
·           Handlungsbedarfe lokalisieren und anzeigen, um sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche wirksam zu bekämpfen,
·           wissenschaftliche Untersuchungsbedarfe in dem Themenbereich feststellen,
·           Studien in dem Themenbereich der sexualisierten Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in Nordrhein-Westfalen initiieren,
·           Vernetzung mit relevanten Akteurinnen und Akteuren der Zivilgesellschaft,
·           Austausch mit der Kinderschutzkommission des Landtages,
·           Beratung und Kooperation mit der Landesregierung bei der Erarbeitung eines ressortübergreifenden Handlungskonzeptes,
·           Austausch und Zusammenarbeit mit dem Unabhängigen Beauftragen für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung.