Einfach, einheitlich und erprobt: Mit E-Ticket und E-Tarif ein landesweit einheitliches und verständliches Tarifsystem für einen attraktiveren Öffentlichen Personennahverkehr ermöglichen

Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und GRÜNEN im Landtag

I.        Ausgangslage

Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) in Nordrhein-Westfalen ist dezentral organisiert. Aufgabenträger sind die Städte und Kreise des Landes. Zur Umsetzung dieser Aufgabe bedienen sie sich der öffentlichen, weil kommunal getragenen Verkehrsunternehmen sowie weiterer eigenwirtschaftlicher Verkehrsunternehmen. Das Recht zur Gestaltung der Tarife im ÖPNV liegt daher bei den Verkehrsunternehmen bzw. den Verkehrsverbünden und Tarifgemeinschaften. Für tarifraumübergreifende Fahrten kommt der landesweite NRW-Tarif zur Anwendung, über dessen Ausgestaltung wiederum die Tarifverantwortlichen entscheiden. Neben dem kommunal organisierten ÖPNV tritt der Schienenpersonennahverkehr (SPNV), der von den drei sogenannten Kooperationsräumen organisiert wird, hinzu. Die tarifliche Ausgestaltung dieser Verkehrsleistungen wird dabei von den Kooperationsräumen – VRR, NVR und NWL – direkt mit den Eisenbahnverkehrsunternehmen verhandelt.

Das bestehende Tarifsystem wird aus vielfältigen Gründen bisher immer wieder als kompliziert, unübersichtlich und gerade bei der Preisgestaltung als ungerecht wahrgenommen. Es führt in der Praxis mitunter zu absurden Situationen, wenn etwa tarifverbundübergreifende Fahrten je nach Fahrtrichtung unterschiedliche Preise haben und Preise für eine identische Verbindung im NRW-Tarif deutlich teurer sind als alternativ gezogene Einzeltickets aus den jeweiligen Tarifgebieten. Die sogenannten Kragentarife, die für diese verbundraumübergreifenden Fahrten angewandt werden, führen teils zu Preissprüngen, wenn man zum Beispiel eine Haltestelle weiter und damit wiederum über den Kragentarif hinaus in das andere Tarifgebiet fährt.

Zurecht kritisieren daher zahlreiche ÖPNV-Nutzerinnen und -Nutzer und dabei besonders Bahnfahrerinnen und Bahnfahrer das Tarifchaos mit diesen ungerechten Preisunterschieden. Das derzeitige Tarifsystem stellt eine echte Hürde für die Nutzung des ÖPNV dar – insbesondere für Gelegenheitskunden. Für eine erfolgreiche Mobilitätswende, gerade auch mit Blick auf möglichst klimafreundliche Fortbewegungsmittel ist es wichtig, dass der ÖPNV möglichst attraktiv ist und nicht durch komplizierte und kaum nachvollziehbare Ticketsysteme abschreckt. Der ÖPNV wird für Kundinnen und Kunden attraktiver, wenn sie sich einfach informieren, leicht buchen und unkompliziert bezahlen können.

Um den Tarifdschungel zu lichten, hat die Landesregierung durch intensive Verhandlungen Ende 2019 einen ersten Schritt initiiert und mit der Deutschen Bahn umgesetzt: Mit der Einführung der Mobil.NRW-APP ist es erstmalig gelungen, alle Tarife in einem landesweit einheitlichen elektronischen Ticketing-System den Menschen in Nordrhein-Westfalen verbundübergreifend anzubieten. Die App schlägt den Kundinnen und Kunden den für sie richtigen Tarif vor. Allerdings sind die „konventionellen Tarife“ der Tarifgemeinschaften und Verbünde die Grundlage. Diese können in APPs nicht immer eindeutig abgebildet werden. Daher hat die Landesregierung ein Projekt initiiert, das die Tarife einheitlich elektronisch abzubilden hilft. Sie hat damit den Tarifgemeinschaften und Verbünden wichtige Impulse gegeben.

Jedoch gibt es noch viel zu tun: Gerade in Zeiten der zunehmenden Digitalisierung ist es für die Kundinnen und Kunden unverständlich, weshalb trotz bestehender technischer Möglichkeiten und Ansätze flächendeckend noch immer keine funktionierenden Systeme im Einsatz sind, um das Problem des Tarifdschungels weiter in den Griff zu bekommen und gefahrene Streckenkilometer jeweils transparent abzurechnen. Darum müssen die Möglichkeiten der Digitalisierung besser umgesetzt werden, um an der entscheidenden Kundenschnittstelle zu einer grundlegenden Vereinfachung für die Nutzung zu kommen. Dabei bleibt die eigentliche Tarifhoheit der Verkehrsunternehmen unangetastet. Die Tarifierung läuft technisch im Hintergrundsystem. Dieses System muss jedoch NRW-weit einheitlich bzw. zumindest kompatibel sein. Die Kundinnen und Kunden sollen nicht unterschiedliche APPs parallel nutzen müssen. Daher ist es wichtig, dass die Tarifgemeinschaften und Verbünde zeitnah den gegenseitigen Verkauf ihrer Tickets ermöglichen. Das Kundenerlebnis soll sich durch eine einfache Nutzung der Tarife auszeichnen.

Zahlreiche Umfragen unterstreichen zudem, dass mehr Bürgerinnen und Bürger auf den ÖPNV umsteigen würden, wenn zeitgemäße E-Ticketsysteme einfach, transparent und zuverlässig die klassischen Ticketautomaten an Haltestelle ergänzen würden. Auch vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie stellen E-Ticketsysteme eine Reduzierung des Kontaktgeschehens dar.

Die Chancen der Digitalisierung beim ÖPNV-Ticketing haben beispielsweise die Pilotprojekte „nextTicket“ beim VRR und der E-Tarifpilot des VRS ausgelotet. Mit der neusten smartphonebasierten Ticket-Generation haben jeweils mehrere tausend registrierte Nutzer die Leistungsfähigkeit dieser Systeme im Praxistest unter Beweis gestellt. Die Kunden verstehen dieses Ticketsystem als echten Beitrag zum Umstieg. Auch die Evaluierung der Testphase zeigte, dass die Kunden das neue Angebot sehr positiv auffassten. Neben der unkomplizierten Nutzung zeichnet sich das E-Ticket besonders durch die Bestpreisgarantie sowie die einheitliche und transparente Zusammensetzung der Preise auf der Grundlage der Luftlinie zwischen der Start- und Zielhaltestelle aus. Preisschwankungen pro Strecke bei identischen Wegen werden dadurch ausgeschlossen. Weiterhin haben diese Pilotprojekte aber auch gezeigt, dass die von einigen Verkehrsunternehmen befürchteten Einnahmeverluste so nicht eintreten.

Auf der Grundlage dieser Erfahrungen werden die zuständigen Aufgabenträger angehalten, die Beratungen um transparente und gerechte Preisstrukturen im Sinne kundenfreundlicher und landesweiter Lösungen zu finalisieren. Was an anderen Orten Europas seit Jahren gelebte Praxis ist, muss auch in Nordrhein-Westfalen Wirklichkeit werden.

II. Beschlussfassung

Der Landtag stellt fest:

·       Die Situation bei tarifverbundübergreifenden Fahrten im ÖPNV ist unbefriedigend. Trotz der fortschreitenden Digitalisierung gibt es viele Konstellationen, in denen Ticketpreise intransparent sind und je nach Tarif für gleiche Fahrtstrecken unterschiedliche Preise aufgerufen werden. Gerade an den Tarifverbundgrenzen bzw. bei Fahrten über den jeweiligen Kragentarif hinaus kommt es zu Preissprüngen, die unverständlich und unangemessen sind.

·       Das Tarifsystem des ÖPNV als solches darf nicht weiter eine Hürde für die Nutzung der Nahverkehrsangebote im Land darstellen. Die Verbünde, Tarifgemeinschaften und Aufgabenträger müssen so zusammenarbeiten, dass Kundinnen und Kunden Tarifraumgrenzen nicht mehr wahrnehmen. Der Nahverkehr muss endlich konsequent vom Interesse des Nutzers der Leistung gedacht werden und nicht von Anforderungen, die sich aus dem Verhältnis von Erbringer und Besteller dieser Leistung ergeben.

·       Das Tarifsystem ist für die Nutzenden grundlegend zu vereinfachen. Dazu ist die Beförderungsleistung der jeweiligen Verkehrsunternehmen kilometergenau nach Luftlinie abzurechnen, um dem berechtigten Bedürfnis der Kundinnen und Kunden nach mehr Tarifgerechtigkeit und -transparenz nachzukommen. Daher ist der E-Tarif möglichst zeitnah flächendeckend für Nordrhein-Westfalen einzuführen.

·       Ein möglichst attraktiver ÖPNV ist ein Beitrag für eine bessere, sicherere und sauberere Mobilität in unserem Land.

·       Die Erfahrungen aus laufenden und bestehenden Programmen, wie bspw. dem „nextTicket“ des VRR und dem E-Tarifpilot des VRS, offenbaren Potentiale von denen andere Verbünde profitieren können. Die Aufgabenträger müssen insoweit endlich ihrer Aufgabe gerecht werden, nach jahrelangen Vorbereitungen zur flächendeckenden Einführung eines solchen Systems in ganz NRW zu kommen.

Der Landtag beauftragt die Landesregierung,

·       die Einführung eines E-Tickets und eines landesweiten E-Tarifs durch die Verkehrsverbünde und Tarifgemeinschaften erfolgreich zum Abschluss bringen zu lassen.

·       sich dafür einzusetzen, dass die Verkehrsverbünde und Tarifgemeinschaften preisgerechte und verständliche, kundenfreundliche Lösungen insbesondere mit Bestpreisgarantie, Preisobergrenzen sowie gleichen Preisen für Hin- und Rückfahrt für das verbundinterne und das verbundraumübergreifende Reisen vorantreiben.

·       sich dafür einzusetzen, dass landesweite Lösungen mit einer luftlinienbasierten und kilometerscharfen Abrechnung sowie check-in, check-out Systemen umgesetzt werden, die perspektivisch zu be-in, be-out Systemen weiterentwickelt werden können.

·       einen verbindlichen Zeitplan der zuständigen Verkehrsverbünde und Tarifgemeinschaften für eine Umsetzung dieser neuen Lösungen noch in dieser Legislaturperiode in Zusammenarbeit mit den Aufgabenträgern vorzulegen.