Eine effektive Lebensmittelkontrolle stärkt insbesondere die Ernährungswirtschaft in NRW

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

I. Lebensmittel- und Futtermittelkontrolle überdenken und optimieren

Die Einhaltung lebens- und futtermittelrechtlicher Vorschriften wird in Deutschland durch mehr als 400 amtliche Stellen überwacht, die überwiegend auf kommunaler Ebene angesiedelt sind. Die Lebensmittelüberwachung kontrolliert zum einen Lebensmittel tierischer wie pflanzlicher Herkunft und zum anderen Bedarfsgegenstände wie Lebensmittelverpackungen, Bekleidung, Modeschmuck, Spielzeug sowie Kosmetika bis hin zu Tätowierfarben und Tabakwaren. Die Futtermittelkontrolle prüft Betriebe, die Futtermittel, Vormischungen oder Futtermittelzusatzstoffe gewerblich herstellen, in Verkehr bringen, behandeln, lagern oder transportieren.
Im Herbst 2011 hat der Präsident des Bundesrechnungshofs ein Gutachten über die Strukturen des gesundheitlichen Verbraucherschutzes in Deutschland der Öffentlichkeit vorgelegt. Hintergrund der Überprüfung war die Dioxin-Krise Anfang 2011 und die damals aufgetretene EHEC-Epidemie.
Ziel der Untersuchung war es, das komplexe Überwachungssystem für Lebensmittel und Futtermittel zu überprüfen, Schwachstellen zu benennen und Vorschläge zur Verbesserung zu erarbeiten. Das Gutachten kam insbesondere zu folgenden Ergebnissen und Vorschlägen:

  • die Qualitätsstandards für Eigenkontrollen zu stärken und deren Dokumentation zu konkretisieren,
  • Eigenkontrollen begleitend zu überwachen,
  • die Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln durch Vorgaben abzusichern,
  • die Anforderungen an den Sachkundenachweis im Bereich Gastronomie zu erhöhen,
  • für bestimmte Unternehmen die Funktion eines Produktsicherheitsbeauftragten zu schaffen (Kontrollaufgaben im Interesse des Gemeinwohls),
  • die Ergebnisse der Qualitätsicherungssysteme der Wirtschaft in angemessener Weise für die amtliche Kontrolle nutzbar zu machen,
  • ein zentrales System wirksam zu betreiben, das die Berücksichtigung anonymer Hinweise  bei  der  Lebensmittelüberwachung  erlaubt („whistleblower“).

II. Ausgangslage in Nordrhein-Westfalen

Für die Lebensmittelüberwachung ist das Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz (MKULNV) als oberste Landesbehörde zuständig, nimmt politische Führungs- und Leitungsaufgaben wahr und ist zuständig für die Planung auf Landesebene, für den Erlass von Durchführungsvorschriften und die landesweite Koordination. Auch das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) als Landesoberbehörde befasst sich u.a. mit Aufgaben der Lebensmittelüberwachung.
In den Kreisen und kreisfreien Städten sind insgesamt 51 Lebensmittelüberwachungsämter bzw. Veterinärund Lebensmittelüberwachungsämter der Kreisordnungsbehörden für die Lebensmittelüberwachung zuständig.
Unterstützt werden die kommunalen Überwachungseinrichtungen durch die zentralen Einrichtungen der Chemischenund Veterinäruntersuchungsämter, die sowohl Untersuchungen durchführen als auch Hilfestellung bei der Erstellung von Probenplänen und
Auswertungen geben. Gleichwohl liegt die Verantwortung für die Beurteilung der Ergebnisse und die damit verbundene mögliche Einleitung von ordnungsrechtlichen Maßnahmen in den Händen der Kreisordnungsbehörden.
Allgemein ist die Kontrollhäufigkeit zwar risikoorientiert, allerdings sind die Planungen längerfristig angelegt. Darüber hinaus wird die Probenanzahl innerhalb der Kommunen und Kreise an der Einwohnerzahl und nicht an der Anzahl und der Größe der zu kontrollierenden Betriebe ausgerichtet. Zusätzlich zu den bisherigen Aufgaben muss mittlerweile auch der stetig zunehmende Internethandel überwacht und kontrolliert werden. Oberste Prämisse für die vielfältige Aufgabenerfüllung ist dabei, dass eine fachliche Breite und Tiefe für die Überwachung von Lebensmitteln, Bedarfsgegenständen, Kosmetika, Zusatzstoffen, und Futtermitteln gegeben sein muss. Die meisten Kommunen und Kreise verzichten jedoch darauf, neben Kontrolleuren und Veterinären auch Lebensmittelchemiker und –chemikerinnen zu beschäftigen. Obendrein führt die angespannte Haushaltslage vieler Kommunen und Kreise dazu, dass nicht ausreichend Stellen und Mittel für die zu leistenden Aufgaben zur Verfügung stehen.
Und schließlich ist zurzeit kein landesweit einheitliches Datenerfassungssystem im Einsatz. So kann es zu Doppel-Kontrollen bzw. Know-how-Verlust kommen, wodurch ein effizientes und abgestimmtes Handeln erschwert wird.

lII. Effektive Lebensmittelkontrolle stärkt Ernährungswirtschaft NRW

Die Rohstoffe für die Ernährungswirtschaft werden heute größtenteils „industriell“ hergestellt und weltweit bezogen. Eine hoch arbeitsteilige, industrielle und international ausgerichtete Lebensmittelproduktion erhöht das Risiko von Lebensmittelskandalen, da die Handelswege der Rohstoffe oftmals nur schwer zu überblicken sind und die Rückverfolgbarkeit nicht ausreichend überprüft wird.
Lebensmittelskandale lösen einen großen Vertrauensverlust bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern aus und wirken sich zugleich auch negativ auf den Agrarstandort und Produktionsstandort für Lebensmittel aus. Ein gutes Kontrollsystem dient insofern nicht nur dem Verbraucher, sondern allen Beteiligten der Wertschöpfungskette.
Dies ist insbesondere zu beachten, da die Ernährungsindustrie einer der größten Arbeitgeber in NRW ist. Der NRW-Ernährungsbereich ist bundesweit Spitzenreiter bei der Produktion in Industrie und Handwerk. Von besonderer Bedeutung sind die rund 8000 leistungsfähigen, vor allem mittelständischen Unternehmen. Die Stärken der Ernährungsbranche in NRW liegen in der Nähe zu Millionen Kundinnen und Kunden im In- und Ausland, einem breiten Branchenmix und dem Vorhandensein leistungsfähiger Zulieferer aller Art.
Dabei beschäftigt der Bereich Lebensmittelproduktion in Industrie und Handwerk rund 220.000 Menschen und der Bereich Handel, Gastronomie und Dienstleistungen circa 500.000 Menschen.
Diese Standortvorteile dürfen keinesfalls durch eine nachlässige Handhabung der Lebensmittelqualität gefährdet werden. Im Gegenteil: Wir wollen die Stärken der NRW-Ernährungswirtschaft durch einen Dialog mit allen Akteuren der Wertschöpfungskette erhalten und ausbauen. Nur durch eine allgemeine Übereinkunft aller Akteure und durch eine Effektivierung der amtlichen Kontrollen können wir einen Beitrag zur Qualitätsbildung und Standortstärkung leisten.

IV. Beschluss

Der Landtag stellt fest:

  1. Vor dem Hintergrund einer industriell geprägten Lebensmittelproduktion und der damit verbundenen komplexen Problemlagen muss die Qualifikation des Kontrollpersonals und der Verantwortlichen vor Ort insgesamt verbessert werden.
  2. Eine Lebensmittelsicherheit nach Kassenlage der Kommune darf es nicht geben. Flächendeckende vereinheitliche Standards müssen sichergestellt werden.
  3. Ordentliche Lebensmittel bedingen ordentliche Löhne. Darum ist ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 € gerade auch in der Lebensmittelbranche einzusetzen.

Der Landtag fordert daher die Landesregierung auf,

  1. die Zusammenarbeit zwischen kommunalen Behörden und Landesbehörden im Bereich der veterinärbehördlichen Kontrollen wie der Lebens- und Futtermittelkontrollen gemeinsam zu evaluieren;
  2. in Zusammenarbeit mit den kommunalen Spitzenverbänden hierzu eine Arbeitsgruppe einrichten mit dem Ziel, zeitnah die Lebensmittelsicherheit für die Verbraucherinnen und Verbraucher in Nordrhein-Westfalen zu verbessern;
  3. für Betriebe mit überregionalen oder globalen Handels- und Produktionsströmen die hoheitliche Überwachungstätigkeit von Seiten des Landes durch interdisziplinär aufgestellte Teams des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV) zu übernehmen und somit die Kommunen zu entlasten;
  4. dafür zu sorgen, dass landesweit alle an der Lebensmittelkontrolle und -überwachung arbeitenden amtlichen Stellen ihre Arbeitsergebnisse in eine einheitliche Datenbank einspeisen, um die Effizienz des Kontrollsystems zu steigern;
  5. eine angemessene Überwachung im Verbraucherschutz zu gewährleisten. Um Kommunen und Land zu entlasten, sollen Kontrollen zukünftig weitgehend über kostendeckende Gebühren finanziert werden, wobei die Höhe der Gebühren gestaffelt nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Unternehmen auszurichten ist.
  6. die Anforderungen an den Sachkundenachweis im Bereich Gastronomie zu erhöhen;
  7. die Strafverfolgungsbehörden zur strafrechtlichen Aufarbeitung von Verstößen gegen geltendes Tierschutzund Lebensmittelrecht zu stärken;
  8. für Transparenz bei den amtlichen Kontrollergebnissen im Gastronomie- und Lebensmittelbereich (Hygienebarometer) zu sorgen;
  9. sich beim Bund dafür einzusetzen, dass Hinweisgeber („whistleblower“) gesetzlich vor Kündigung und anderen Nachteilen geschützt werden;
  10. sich beim Bund dafür einzusetzen, dass die Qualitätsstandards für Eigenkontrollen gestärkt und die Pflicht zur Dokumentation von Eigenkontrollen konkretisiert werden.