DS 16/1263 Neuausrichtung der EU-Strukturförderpolitik für NRW nach 2013

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

I. Kohäsions- und Strukturpolitik der EU nach 2013
Die europäische Debatte über die Ausrichtung der EU-Strukturpolitik in der Förderperiode ab 2014 ist in vollem Gange. Die Zukunft der EU-Strukturfonds hängt eng mit der parallel laufenden Diskussion über den mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) der Europäischen Union (EU) ab 2014 zusammen.
Die EU-Kommission hat am 29. Juni 2011 Vorschläge zum mehrjährigen Finanzrahmen vorgelegt. Der MFR gibt die künftigen Ausgabenschwerpunkte der Europäischen Union vor und bestimmt damit die Mittelausstattung aller EU-Förderprogramme. Der Entwurf ist an den Zielen der Strategie „Europa 2020" orientiert und unterstützt diese. Am 6. Oktober 2011 hat die Kommission ihre Vorschläge für die Reform der europäischen Strukturfonds veröffentlicht. Dieses Gesetzgebungspaket wird die rechtliche Grundlage für ungefähr ein Drittel des Mittelvolumens des MFR im Zeitraum 2014–2020 darstellen und ist ebenfalls inhaltlich an der Strategie „Europa 2020“ orientiert. Zentrales Ziel der Vorschläge ist es, die Wirksamkeit der Strukturinstrumente – auch durch eine Konzentration der Mittel – zu verbessern und die Umsetzung zu vereinfachen.
Der MFR und der jährliche Haushalt der Europäischen Union sind ein Fundament gemeinsamer europäischer Politik. Mit dem MFR und dem Haushalt kann die EU finanzielle Rahmenbedingungen für die Verwirklichung ihrer Ziele schaffen und eigene Akzente setzen. Sie kann einen europäischen Mehrwert in den Bereichen schaffen, in denen die EU effektiver wirken kann als die Mitgliedsstaaten allein. Zugleich leistet der EU-Haushalt unter anderem auch durch die Strukturfonds einen wichtigen Beitrag zur Annäherung der Lebensverhältnisse in Europa und stärkt so auch den europäischen Zusammenhalt. Gerade die derzeitige Krise in Europa zeigt, dass es mehr denn je notwendig ist, über gemeinschaftliche Politiken einen europäischen Mehrwert zu erzielen und so einen wichtigen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung in Europa und zu Wohlfahrt und Stabilität für ihre Bürgerinnen und Bürger zu leisten.
Der von der Europäischen Kommission vorgelegte Entwurf für die Finanzierungsperiode 2014 bis 2020 sieht ein Gesamtvolumen von 1,11% der Wirtschaftsleistung der EU vor (2000– 2006: betrug er 1,12%) und ist zu begrüßen. Der maßvolle Vorschlag der Kommission bildet eine gute Grundlage für die laufenden Verhandlungen. Die von der Bundesregierung geforderte Kürzung der Mittel auf 1 Prozent der Wirtschaftsleistung ist inhaltlich und politisch nicht gerechtfertigt und daher abzulehnen. In Zeiten der größten Wirtschafts- und Finanzkrise seit ihrer Gründung braucht die Union Mittel für nachhaltiges Wachstum, Investitionen und die Förderung von Kohäsion, Konvergenz und sozialem Zusammenhalt.
II. Neuausrichtung der EU-Strukturpolitik im Sinne der Strategie „Europa 2020“
Mit dem neuen mehrjährigen Finanzrahmen für die Zeit 2014-2020, den neuen Strukturfondsverordnungen, dem neuen integrierten Forschungs- und Innovationsprogramm „Horizon 2020“ und dem neuen Infrastrukturprogramm „Connecting Europe“ wird die Europäische Union die entscheidenden Weichen stellen, um einen gewichtigen Beitrag zur Erreichung der Ziele der Strategie „Europa 2020“ für ein intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum sicherzustellen. Es müssen die großen Zukunftsthemen für Europa, seine Mitgliedsstaaten und Regionen richtig angepackt werden: Die Schaffung sozialer Gerechtigkeit und Inklusion, Armutsbekämpfung, sowie nachhaltige und solidarische Wirtschaftsstrukturen in Europa, den Klimaschutz, die Anpassung an den bereits eingetretenen Klimawandel, die Ressourceneffizienz, für nachhaltiges Wachstum und nachhaltige Beschäftigung, die Innovationsfähigkeit unserer Gesellschaft, den demografischen Wandel, die Sicherstellung universeller Zugänge zur Daseinsvorsorge, die Chancengleichheit und nachhaltige öffentliche Finanzen. Die Prinzipien des Gendermainstreaming müssen sich darüber hinaus in allen Programmen niederschlagen.
Auch die Landesregierung will einen Beitrag zur Umsetzung der Strategie „Europa 2020“ leisten und wird dafür eine Neuaufstellung der EU-Strukturförderung in Nordrhein Westfalen auf den Weg bringen, die bewährte Elemente aus der bisherigen Strukturförderung mit innovativen Elementen, wie einem stärkeren integrativen Ansatz, verbindet. Die Landesregierung will über Ressort- und Fondsgrenzen hinweg Prioritäten definieren und so eine gemeinsame Plattform für alle EU-Programme in NRW schaffen. Dies stellt eine Weiterentwicklung zum Ansatz in der aktuellen Förderperiode dar.
Die gemeinsame Plattform der Landesregierung definiert die thematischen Schwerpunkte sowie gemeinsamen Grundsätze und Verfahren, für die Vorbereitung und Umsetzung der sogenannten Operationellen Programme für NRW, mit denen die europäischen Fonds (Europäischer Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), Europäischer Sozialfonds (ESF) und Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER)) auf der regionalen Ebene umgesetzt werden. Die einzelnen Fonds sollen künftig stärker als bisher im Rahmen einer gemeinsamen Strategie wirken.
Für die operationellen Programme des Landes wurden in der gemeinsamen Plattform – und inhaltsgleich in der Koalitionsvereinbarung von SPD und Bündnis90/Die Grünen – Themen und Schwerpunkte unter Berücksichtigung der in der Koalitionsvereinbarung festgelegten Leitmärkte gesetzt:

  • Forschung und Innovation (einschließlich Umweltwirtschaft und Gesundheitswirtschaft)
  • Wettbewerbsfähigkeit von Kleinen und mittleren Unternehmen (einschließlich Ressourceneffizienz); Bildungs- und Kompetenzentwicklung, Beschäftigungs- und Fachkräftesicherung
  • Energieeffizienz und Klimaschutz
  • Förderung der sozialen Eingliederung und Bekämpfung der Armut
  • Umweltschutz, nachhaltige Nutzung der Ressourcen, ländlicher Raum

Sektoral werden wir zum einen landesweit mit entsprechenden Instrumenten die Akteure unterstützen, die auf den Leitmärkten der Zukunft besondere Kompetenzen und Entwicklungspotenziale aufweisen. Regional werden wir uns zum anderen in der Strukturpolitik auch weiterhin auf die Regionen konzentrieren, die dem strukturellen Wandel in besonderem Maße unterworfen sind.
Bei der Umsetzung aller Themenschwerpunkte sind ein vorbeugender und nachhaltiger Politikansatz, das Querschnittsziel Chancengleichheit durch aktive Förderung der Gleichstellung von Männern und Frauen sowie die Herausforderungen durch den demografischen Wandel zu berücksichtigen. Die dabei für Nordrhein-Westfalen zur Verfügung stehenden Mittel wollen wir problemlösungsorientiert einsetzen. Dazu werden sich die Ressorts stärker koordinieren.
Um diese Ziele zu erreichen, streben wir eine Strukturförderpolitik aus einem Guss an. Die für NRW wichtigen Mittel aus den Strukturfonds (EFRE, ESF und ELER) sollen ineinandergreifen und bestmöglich verzahnt eingesetzt werden.
Die Vergabe der Fördermittel aus den Strukturfonds EFRE, ESF und ELER erfolgt auf der Grundlage wettbewerblicher Auswahlverfahren oder anderer kriteriengesteuerter Verfahren. Welche Verfahren konkret bei einem Programm oder Förderschwerpunkt gewählt werden, orientiert sich insbesondere an den Grundsätzen Qualität, Transparenz, Mobilisierung, Verwaltungs- und Kostenaufwand sowie Zielgruppenorientierung. Wir wollen soweit als möglich bei der Ziel-2-Förderung revolvierende Finanzierungsinstrumente (Fonds) einsetzen.
Um positive Entwicklungen in strukturschwachen Regionen zu unterstützen, soll ein Steuerungsmechanismus entwickelt werden, der die regionalen Disparitäten weiter vermindert und die regionalen Stärken ausbaut. So sollen die Belange der strukturschwachen Regionen zukünftig stärker berücksichtigt werden. Der sozialen und wirtschaftlichen Stabilisierung in den Städten kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Hierfür könnte sich das Instrument integrierter territorialer Investitionen (ITI) eignen, welches integrierte Entwicklungsstrategien, z.B. in Städten vorsieht. Die Kommunen sollen wieder stärker und zielorientierter von europäischen Fördermitteln profitieren. Auch zukünftig soll sichergestellt werden, dass alle Kommunen, auch jene im Stärkungspakt Stadtfinanzen, in Haushaltssicherung und unter Nothaushaltsrecht, ihren kommunalen Eigenanteil darstellen können.
III. Der Landtag stellt fest:

  1. Europäische Strukturpolitik ist mehr als ein reiner Umverteilungsmechanismus. Sie ist sowohl Ausdruck europäischer Solidarität als auch ein wichtiges Instrument, um Zukunftsinvestitionen mit einem europäischen Mehrwert in allen Regionen Europas anzustoßen.
  2. Die intensiven Aktivitäten der Landesregierung und des Landtags Richtung Brüssel haben Früchte getragen, denn der Vorschlag der EU-Kommission für die neue Strukturfondsperiode sieht weiter die Förderung aller Regionen und damit der für Nordrhein-Westfalen so wichtigen Kategorie „Wettbewerbsregionen“ vor. Damit ist eine Weiterführung der Förderung aus Strukturmitteln der EU auch in Nordrhein-Westfalen nach 2013 gesichert. Die von der EU-Kommission vorgeschlagene Mittelzuteilung für diese Kategorie in Höhe von 53,1 Milliarden Euro für die Periode 2014 – 2020 entspricht einer moderaten Kürzung der Mittel im Vergleich zur aktuellen Förderperiode 2007 – 2013. Gleichwohl ist dies aber kein Zeichen der Entwarnung, da die Verhandlungen über den Mehrjährigen Finanzrahmen derzeit noch laufen. Genaue Angaben über die für Nordrhein-Westfalen zur Verfügung stehenden Mittel können daher noch nicht gemacht werden. Der Landtag sieht die Bundesregierung in der Pflicht für eine ausreichende Mittelausstattung für die Strukturpolitik und auch die Kategorie der Wettbewerbsregionen zu sorgen.
  3. Die Neuausrichtung der EU-Strukturpolitik erfordert alle relevanten Fonds bei der Ausgestaltung der Programme zu verknüpfen. Der von der EU-Kommission vorgeschlagene Gemeinsame Strategische Rahmen, der die fünf Fonds EFRE (regionale Entwicklung), ESF (Soziales), Kohäsionsfonds, ELER (ländliche Entwicklung) und EMFF (Meeres- und Fischereifonds) unter ein strategisches Dach stellen soll, ist zu begrüßen. Die Landesregierung hat mit der gemeinsamen Plattform für alle EU-Programme in NRW diesen strategischen Ansatz bereits aufgegriffen.

IV. Der Landtag beschließt:

  1. Der Landtag unterstützt die Landesregierung dabei, sich weiterhin im Rahmen der Debatte über den Mehrjährigen Finanzrahmen der Europäischen Union dafür einzusetzen, dass auch nach dem Jahr 2013 ausreichende Mittel für das Land Nordrhein-Westfalen im Rahmen der EU-Strukturförderung zur Verfügung stehen und diese effizient und nachhaltig mit hohen Synergieeffekten eingesetzt werden können
  2. Eine Kohäsions- und Strukturpolitik aus einem Guss zu betreiben und unterstützt die strategische Plattform für alle EU-Programme in NRW (EFRE, ELER, ESF), um so eine strategische Orientierung der Operationellen Programme an gemeinsamen Prioritäten zu erreichen und Synergien zwischen den Fonds heben zu können.
  3. Die Landesregierung wird aufgefordert, auf der Ebene der Staatssekretärinnen und Staatssekretäre entsprechend der EU-Vorgaben einen Monitoringprozess mit dem Ziel der Koordination zwischen den EU-Strukturfonds einzurichten und dem Landtag wie auch den zuständigen Begleitausschüssen zu berichten und vorzulegen.
  4. Die Operationellen Programm 2014 – 2020 sollen – wie bereits in dieser Förderperiode – die Möglichkeit vorsehen, Projekte in allen Landesteilen zu fördern. In allen Teilen des Landes sollen Prozesse für ein intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum gefördert und zugleich die Belange von strukturschwachen Regionen stärker berücksichtigt werden. Um positive Entwicklungen in strukturschwachen Regionen zu unterstützen, wird die Landesregierung aufgefordert, einen Steuerungsmechanismus zu entwickeln, der die regionalen Disparitäten weiter vermindert und die regionalen Stärken ausbaut. Der Einsatz integrierter territorialer Investitionen (ITIs) soll konstruktiv geprüft werden.
  5. Die Verwaltung der Fondsmittel ist effizienter und einfacher zu gestalten. Insbesondere die Belange kleinerer und mittlerer Unternehmen sowie das Potenzial öffentlicher Träger müssen bei der Optimierung der Fördersystematik stärker in den Fokus rücken. Die Landeshaushaltsordnung und ihre Verwaltungsvorschriften soll auf Kompatibilität mit der Europäischen Haushaltsordnung geprüft und ggf. novelliert werden. Wir wollen den Einsatz revolvierender Fonds – wo dies zweckmäßig und möglich ist – für alle Strukturfonds anwenden, um u.a. auch die landesseitig intendierte Stadtentwicklungspolitik mit integrierten, stadtteilorientierten Querschnittsansätzen unterstützen zu können.
  6. Es ist sicherzustellen, dass alle Kommunen, auch die in Haushaltssicherung, unter Nothaushaltsrecht oder im Stärkungspakt, sich an Strukturfonds-Projekten beteiligen können.
  7. Es ist darauf zu achten, dass auf regionaler Ebene Akteure wie Gewerkschaften, Sozial-, Umwelt- und Frauenverbände und -initiativen gemäß des Partnerschaftsprinzips stärker bei der Auswahl von Förderprojekten und deren Durchführung sowie Evaluierung eingebunden werden.
  8. Die Landesregierung wird aufgefordert, durch eine enge Koordinierung und entsprechenden Einsatz der Fonds insbesondere die Ziele der Prävention – Bildung und Förderung, Quartiersentwicklung, der Qualifizierung zur Vermeidung und Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit, der sozialraumorientierten und vernetzten Arbeitsmarktpolitik, der Armutsbekämpfung sowie des Umweltschutzes und der Ressourceneffizienz zu unterstützen.
  9. Der Landtag fordert die Landesregierung auf, in der kommenden Periode zusätzlich die Förderung von folgenden Themen zu ermöglichen:
  • nachhaltiger Tourismus,
  • Breitband,
  • die Umwandlung von Industrie- und Militärbrachen für Zwecke einer nachhaltigen Regionalentwicklung,
  • die Bewältigung des demographischen Wandels,
  • die Stärkung der Gemeinwohlorientierten und Sozialen Ökonomie sowie
  • eine nachhaltige Reaktivierung von älteren Gewerbeflächen.