Die Potenziale Nordrhein-Westfalens für eine nachhaltige Kunststoff-Kreislaufwirt­schaft nutzen – eine Plattform für Kunststoffrecycling etablieren

Antrag der Fraktionen von CDU und Grünen im Landtag

Portrait Jan Matzoll

I. Ausgangslage

Die Zukunftskoalition von CDU und GRÜNEN hat sich vorgenommen, Nordrhein-Westfalen zur ersten klimaneutralen Industrieregion Europas zu machen. Dies leistet einen wichtigen Beitrag, dass das Land zu einem der innovativsten, nachhaltigsten und wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsstandorte in Europa wird. Der Wandel zu einer umfassenden Kreislaufwirtschaft ist zur Erreichung dieser Ziele entscheidend und bietet zugleich enorme Chancen für Arbeits­plätze und für effektiven Ressourcenschutz. Zum Schutz unserer Umwelt und kommender Ge­nerationen gilt es, den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen neu und kreativ zu denken.

Nordrhein-Westfalen ist in einer sehr guten Position, um mit der Kreislaufwirtschaft die Wei­chen für die gesicherte Wettbewerbsfähigkeit als Wirtschafts- und Industriestandort der Zu­kunft zu setzen: Laut der vom Wuppertal Institut koordinierten Studie „NRW 2030: Von der fossilen Vergangenheit zur zirkulären Zukunft“ sind im Bereich der Schlüsselwertschöpfungs-ketten bereits Initiativen, Projekte und Plattformen vorhanden, die Aspekte der zirkulären Wert­schöpfung adressieren. Darüber hinaus ist die Wirtschaftsstruktur Nordrhein-Westfalens ge­prägt von hohen Anteilen agiler und innovativer kleiner und mittelständischer Unternehmen (KMU), die zu Investitionen in die zirkuläre Wertschöpfung bereit sind. Diese Stärken werden durch eine exzellente Forschungslandschaft flankiert: In Nordrhein-Westfalen befassen sich etwa 70 Institute, Forschungseinrichtungen und Hochschulen mit dem Primärstoff Kunststoff. Damit stellt Nordrhein-Westfalen wie kaum eine andere Wirtschaftsregion ein Zukunftslabor für die Kreislaufwirtschaft dar.

Von fundamentaler Bedeutung für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft in Nordrhein-West­falen ist die Umgestaltung der Wertschöpfungskette von Kunststoff. Denn in Nordrhein-West­falen ist von der Herstellung, der Verarbeitung sowie der dafür benötigten Maschinentechnik die ganze Bandbreite der Kunststoffwirtschaft vorhanden. Mit über 134.000 Beschäftigten, über 1.000 Betrieben und einem Jahresumsatz von 34 Mrd. Euro ist Nordrhein-Westfalen da­mit Kunststoffland Nummer 1. Produkte der Kunststoffindustrie werden in vielen verschiede­nen Anwendungsfeldern genutzt; ihnen kommt damit große Bedeutung für z. B. die Medizin, im Bau oder in der Lebensmittelwirtschaft und die gesamte Industrie zu. Der vollständige Ver­zicht auf Kunststoffe ist vor dem Hintergrund eines klimaneutralen Ressourcenmanagements und hohen Industriebedarfen nach Kunststoff somit weder sinnvoll noch möglich. Denn

alternative Werkstoffe sind häufig nicht zwingend nachhaltiger und gerade Umwelttechnolo­gien oftmals auf Kunststoffe angewiesen.

Diesen großen Potenzialen in Nordrhein-Westfalen stehen die aktuellen Entwicklungen im Be­reich des Kunststoffrecyclings in Deutschland gegenüber: Kunststoffe werden zu 99,4 Prozent verwertet, nur weniger als die Hälfte wird jedoch werk- und rohstofflich genutzt. Die Mehrheit wird laut dem alle zwei Jahre von der Kunststoffindustrie veröffentlichten „Stoffstrombericht Kunststoffe in Deutschland“ für die Energiegewinnung verbrannt. Darüber hinaus ist das Vo­lumen des Abfallaufkommens seit Jahren gewachsen: Die gesamte Menge der Kunststoffab­fälle folgte im Jahr 2021 dem Trend aus dem Vorjahr und stieg im Vergleich zum Bericht aus dem Jahr 2019 um 1,1 Prozent auf 6,3 Mio. Tonnen. Dabei beträgt der Rezyklatanteil derzeit nur ca. 13 Prozent. Die OECD erwartet bis 2060 weltweit nahezu eine Verdreifachung der Kunststoffabfälle, sofern die aktuelle Dynamik anhält. Die geringe Verfügbarkeit von hochwer­tigen Rezyklaten trägt zur Menge an Kunststoffabfällen bei. Deshalb ist es geboten, eine zir­kuläre Kunststoffwirtschaft zu etablieren. Hierbei ist die Abfallhierarchie gem. § 6 Kreislaufwirt­schaftsgesetz mitzudenken, nach der Abfälle in erster Linie vermieden, wiederverwendet und recycelt werden müssen. Dafür braucht es mehr Bemühungen und Aktivitäten hinsichtlich ei­nes materialsparenden und recyclingfähigen Produktdesigns. Nach dem Aktionsplan Kreis­laufwirtschaft der Europäischen Union (EU) sollen bis 2030 alle Kunststoffverpackungen in den EU-Staaten recyclingfähig sein, der Verbrauch von Einwegkunststoffen reduziert und die Verwendung von Mikroplastik beschränkt werden. Die EU-Kommission hat entsprechende Vorschläge unterbreitet, die zur Verbesserung des Verpackungsdesigns beitragen sollen.

Die Heterogenität des Kunststoffabfalls ist eine zentrale Herausforderung im Bereich des Kunststoffrecyclings. Bei Kunststoffen, die mit Glas, Metallen, Fasern, Holz, Papier, Pigmen­ten sowie Additiven versetzt sind sowie bei schwer recyclebaren Verbundmaterialien stoßen die tradierten Recyclingverfahren an ihre Grenzen. Für Kunststofffraktionen, die trotz entspre­chender Aktivitäten werkstofflich nicht verwertbar sind und bislang in die energetische Verwer­tung gehen, könnte das sogenannte chemische Recycling an dieser Stelle als weiterer Bau­stein einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft fungieren. In Abgrenzung zum mechanischen bzw. werkstofflichen Recycling werden hiermit verschiedene technische Verfahren bezeichnet, die Kunststoffe in ihre chemischen Grundbausteine zerlegen. Das Verfahren ist jedoch auch sehr energieintensiv, daher ist das werkstoffliche gegenüber dem chemischen Recycling unter Effizienzgesichtspunkten in der Regel vorzuziehen.

Als sogenanntes thermochemisches Verfahren bietet insbesondere die Pyrolyse laut dem Be­richt „Chemisches Kunststoffrecycling – Potenziale und Entwicklungsperspektiven“ der lan­deseigenen „Gesellschaft für Energie und Klimaschutz In4Climate.NRW“ verschiedene Chan­cen aus ökonomischer und ökologischer Sicht. Das Verfahren kann demnach geeignet sein, Stoffkreisläufe am Ende ihrer Nutzungsphase zu schließen. Eine für Unternehmen wirtschaft­lich relevante Option der Verwertung von gemischten und verunreinigten Abfällen durch die Pyrolyse ist aufgrund fehlender Marktreife bisher noch nicht verfügbar. Hier besteht insbeson­dere bei der industriellen Entwicklung und Demonstration noch Handlungsbedarf. Neben der technischen Weiterentwicklung ist ebenso die Entwicklung eines geeigneten regulatorischen Rahmens für das chemische Recycling notwendig. Hierbei gilt: Das chemische Recycling hat das Potenzial, das werkstoffliche Recycling sinnvoll zu ergänzen und bei solchen Stoffströmen zum Einsatz zu kommen, bei denen das mechanische Recycling nicht sinnvoll ist. Dabei darf es einer grundsätzlichen Verbesserung der Recyclingfähigkeit von Kunststoffprodukten und -verpackungen durch entsprechendes Produktdesign nicht im Wege stehen. Es ist folglich wichtig, geeignete Stoffströme für chemische Recyclingverfahren zu identifizieren und zu prü­fen, inwieweit chemische Verfahren und daraus entstehende Produkte ökologisch und ökono­misch vorteilhaft gegenüber werkstofflichen Verfahren und der Verbrennung sind.

Die Studie „Chemistry4Climate: Wie die Transformation der Chemie gelingen kann“ geht da­von aus, dass sich der Anteil des mechanischen Recyclings bis zum Jahr 2045 auf etwa 50 Prozent der Gesamtmenge des Kunststoffabfalls erhöhen wird. Demnach verbleiben er­hebliche Mengen, die für das chemische Recycling zugänglich sind und ohne dieses nicht sinnvoll recycelt werden können. Demnach beginnt der Einsatzbereich für das chemische Re­cycling an den qualitativen, ökobilanziellen und wirtschaftlichen Grenzen des mechanischen Recyclings.

In Nordrhein-Westfalen werden bereits diverse Pilotprojekte zum chemischen Recycling um­gesetzt. Es gilt, diese Projekte effektiv zu unterstützen und auf den Weg zu industriell skalier­ten Demonstrationsvorhaben zu begleiten.

Für die Zukunftskoalition von CDU und GRÜNEN ist das chemische Recycling vor allem eine industriepolitische Chance. Um im Rahmen einer intelligenten, ressourcenschonenden und nachhaltigen Kreislaufwirtschaft die industriepolitischen Potenziale heben zu können, hat sich die Zukunftskoalition zum Ziel gesetzt, mit Initiierung einer Plattform für Kunststoffrecycling ein Innovations-Hub für Nordrhein-Westfalen zu schaffen. Die Plattform soll sinnvollerweise vor­handene Forschungs- und Industrieexpertise bündeln, in einem innovativen, interdisziplinären Forschungsumfeld konkrete Projekte anwendungsorientiert in Zusammenarbeit mit der Indust­rie durchführen und somit Synergieeffekte schaffen.

Mit der Gründung einer solchen Plattform stellen wir die Weichen für die flächendeckende Umsetzung der Potenziale Nordrhein-Westfalens im Bereich der Kreislaufwirtschaft.

II. Beschlussfassung
Der Landtag stellt fest:

  • Der Wandel zu einer umfassenden Kreislaufwirtschaft ist entscheidend für den Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen und für die Erreichung der Nachhaltigkeits- und Klimaziele. Gleichzeitig ermöglicht sie enorme Chancen für die nachhaltige Wirtschafts­entwicklung, Arbeitsplatzeffekte und effektiven Ressourcenschutz.
  • Nordrhein-Westfalen besitzt für den Wandel zur umfassenden Kreislaufwirtschaft auf­grund der räumlichen Bündelung vieler Schlüssel-Akteure in zentralen Wertschöpfungs-ketten und durch viele etablierte Forschungseinrichtungen enorme Potenziale.
  • Die Kunststoffwirtschaft spielt beim Wandel von der linearen zur Kreislaufwirtschaft eine entscheidende Rolle und leistet bei der Erreichung der Recyclingziele der EU sowie der UN-Nachhaltigkeitsziele einen zentralen Beitrag.
  • Der Wandel zu einer Kreislaufwirtschaft muss, insbesondere im Bereich der Kunststoff­wirtschaft, der sogenannten Abfallhierarchie folgen. Kunststoffabfälle sind in erster Linie zu vermeiden und Produkte wiederverwendbar zu gestalten. Wo sich beides nicht errei­chen lässt, muss das Recycling gestärkt und Recyclingquoten erheblich gesteigert wer­den.
  • In Nordrhein-Westfalen besteht Bedarf für eine anwendungsorientierte und interdiszipli­näre Plattform für Kunststoffrecycling, welches sich dem Recycling von Kunststoffen um­fassend widmet und dabei auch Erkenntnisse für ein kreislaufgerechtes Produktdesign ableitet, die anwendungsnah Techniken und Prozesse zum Recycling entwickelt und in konkrete Projekte in Zusammenarbeit mit der Industrie überführt.
  • Chemisches Recycling ist für das Recycling von Kunststoffabfällen ein sinnvoller Bau­stein. Hierzu bedarf es jedoch noch weiterer Forschung und Entwicklung.
  • Der Landtag beauftragt die Landesregierung aus vorhandenen Mitteln,
  • Nordrhein-Westfalen zum Vorreiter für eine Kreislaufwirtschaft im Bereich der Kunst­stoffe zu machen, um einen besseren Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz zu leisten.
  • zur Initiierung und Förderung einer Plattform für Kunststoffrecycling. Diese sollte die Ko­operation von Wissenschaft und Wirtschaft zur Verbesserung des Produktdesigns und zur Entwicklung von Recyclinganlagen im Industriemaßstab unterstützen.
  • sich auf Bundesebene für geeignete Förder- und Unterstützungsinstrumente für das che­mische Recycling als sinnvolle Ergänzung dort, wo mechanisches Recycling an seine Grenzen stößt, einzusetzen.
  • sich darüber hinaus durch weitere geeignete Maßnahmen wie Vernetzungsangebote, der Förderung von regionalen „Circular-Economy“-Ansätzen sowie regulatorische An­passungen zur Vermeidung von Kunststoffabfällen und für ein nachhaltiges Produktde­sign zu engagieren.
  • auf Bundesebene darauf hinzuwirken, die Entwicklung von Qualitätsstandards für Rezyklate zeitnah einzuführen sowie Innovationen im Bereich der Erfassung, Sortierung und Aufbereitung von Rezyklaten zu unterstützen.
  • sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass im Hinblick auf eine praxistaugliche Umset­zung eine Regelung zum Ende der Abfalleigenschaft in Artikel 6 der Abfallrahmen-Richt­linie eine EU-weit einheitliche Verordnung für Kunststoffabfälle erarbeitet wird.
  • gemeinsam mit dem Bund ein Reallabor für chemisches Recycling in Nordrhein-Westfa­len zu entwickeln und umzusetzen.