Die Pandemie entschlossen weiter bekämpfen – Schnellen Zugriff auf alle Handlungsmöglichkeiten des Landes gemäß IfSG gewährleisten.

Eilantrag der GRÜNEN im Landtag

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022
Portrait Josefine Paul
Mehrdad Mostofizadeh

I. Ausgangslage

Die Corona-Situation spitzt sich weiterhin zu. Die Infektionszahlen und die Hospitalisierungsinzidenz sind trotz der bisherigen Schutzmaßnahmen auf Rekordniveau und steigen weiterhin an. Die Belastung der Krankenhäuser wächst, unter anderem wurden zur Bewältigung der Corona-Fälle Operationen verschoben. Auch die aktuellen Todeszahlen sind sehr hoch. Mit Auslaufen der Gültigkeit der aktuellen Schutzmaßnahmen in NRW am 19. März 2022 ist zu erwarten, dass sich diese Lage noch mehr zuspitzen wird. Nach der am Freitag, dem 18. März, im Bundestag verabschiedeten Änderung des IfSG können die Länder anordnen, bestehende Schutzmaßnahmen der Corona-Verordnungen zu verlängern, längstens jedoch bis zum 02. April 2022 (Übergangsklausel).

Der neue § 28a Abs. 8 des IfSG sieht zudem vor, dass in der jetzigen Situation notwendigen Schutzmaßnahmen wie Maskenpflicht, Vorlage eines Genesenen- bzw. Impfnachweises oder Vorlage eines Hygienekonzepts durch Einrichtungen nach dem 02. April erst getroffen werden dürfen, nachdem das jeweilige Landesparlament einen hierzu erforderlichen Beschluss gefasst hat. Hierfür muss der Landtag gemäß § 28a Absatz 8 n.F. das Vorliegen einer konkreten Gefahr einer sich dynamisch ausbreitenden Infektionslage in konkret zu benennenden Gebietskörperschaften, sowie die Anwendung konkreter Maßnahmen in diesen Gebietskörperschaften feststellen.

Die Landesregierung hat von der Möglichkeit zur Verlängerung bestehender Maßnahmen bis zum 2. April 2022, Gebrauch gemacht. Um die Anordnung weiterer – dann gegenüber der bis zum 19. März gültigen Schutz- und Eingriffsniveau ohnehin deutlich reduzierter – aber weiterhin notwendiger Maßnahmen nach dem 02. April lückenlos gewährleisten zu können, ist es erforderlich, dass der Landtag die oben genannten Beschlüsse schon vorher trifft. Dieses ist ohne zusätzliche Sondersitzungen nur an den Plenartagen vom 23. bis 25.3.2022 möglich.

Erst danach kann die Landesregierung auf alle Handlungsmöglichkeiten gemäß dem IfSG neuer Fassung unmittelbar und ohne weitere Beschlüsse des Landtags zugreifen und auf deren Grundlage in der aktuellen Lage notwendige konkrete Maßnahmen durch Rechtsverordnung treffen. Im Hinblick darauf und auf die dramatische Entwicklung der Lage in NRW müssen die erforderlichen parlamentarischen Feststellungen und Beschlüsse daher schon in dieser Plenarwoche erfolgen.

 

Neufassung des Infektionsschutzgesetzes

Der neue § 28a Abs. 7 IfSG (s.g. „Basisschutzregelung“) ermöglicht den Ländern ab dem 20. März 2022 unabhängig von der Feststellung einer epidemischen Lage nationaler Tragweite unmittelbar durch Rechtsverordnungen folgende Maßnahmen anordnen zu können:

  • Maskenpflicht in bestimmten Einrichtungen des Gesundheitswesens (Arztpraxen, Krankenhäuser, Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen, Dialyseeinrichtungen, Rettungsdienste, Pflegeeinrichtungen und ambulante Pflegedienste), Verkehrsmitteln des öffentlichen Personennahverkehrs sowie in Einrichtungen zur gemeinschaftlichen Unterbringung von Asylbewerbern oder obdachlosen Menschen.
  • Testpflichten in bestimmten Einrichtungen zum Schutz vulnerabler Personen (Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und für ambulante Pflegeinrichtungen, Schulen, Kindertageseinrichtungen, psychiatrische Krankenhäuser Einrichtungen zur gemeinschaftlichen Unterbringung von Asylbewerbern und Justizvollzugsanstalten, Abschiebungshafteinrichtungen und in Maßregelvollzugseinrichtungen).

Gemäß § 28a Abs. 8 IfSG n.F. (s.g. „Hotspotregelung“) können die Länder darüber hinaus ab dem 20. März 2022 unabhängig von der Feststellung einer epidemischen Lage nationaler Tragweite in konkret zu benennenden Gebietskörperschaften auch folgende Schutzmaßnahmen treffen:

  • die Verpflichtung zum Tragen einer Atemschutzmaske (FFP2 oder vergleichbar) oder einer medizinischen Gesichtsmaske (Mund-Nasen-Schutz),
  • Abstandregelung im öffentlichen Raum,
  • Vorlage eines Genesenen- oder Impfnachweises in Einrichtungen des Sozial- und Gesundheitswesens, ÖPNV und Betrieben und Einrichtungen mit Publikumsverkehr und
  • die Verpflichtung zur Erstellung und Anwendung von Hygienekonzepten in den dort benannten Einrichtungen, die die Bereitstellung von Desinfektionsmittel und die Vermeidung unnötiger Kontakte vorsehen können.

Um Maßnahmen aus dem Katalog des § 28 Abs. 8 IfSG anwenden zu können, ist es allerdings erforderlich, dass das jeweilige Landesparlament feststellt, dass in den konkreten Gebietskörperschaften eine konkrete Gefahr einer sich dynamisch ausbreitenden Infektionslage besteht. Ferner muss die Anwendung konkreter Maßnahmen in der jeweiligen Gebietskörperschaft durch das Parlament festgestellt werden. Eine solche Gefahr liegt dem IfSG zufolge dann vor, wenn die Ausbreitung einer Virusvariante des Coronavirus festgestellt wird, die eine signifikant höhere Pathogenität aufweist oder wenn aufgrund einer besonders hohen Anzahl von bzw. eines besonders starken Anstiegs an Neuinfektionen eine Überlastung der Krankenhauskapazitäten in der jeweiligen Gebietskörperschaft droht.

Im Hinblick auf Sinn und Zweck des IfSG und darauf, dass sich die Ausbreitung des Virus, insbesondere der aktuellen herrschenden Omikron-Variante (BA.2), an keine Grenzen hält, kann das jeweilige Landesparlament unter den oben genannten Voraussetzungen feststellen, dass das ganze Land als eine Gebietskörperschaft, in der eine sich dynamisch ausbreitende Infektionslage besteht, Regelungen unterworfen wird.

 

Die aktuelle Lage in Nordrhein-Westfalen

Die Entwicklung der Infektionslage in den letzten zwei Wochen zeigt, dass die Pandemie noch nicht vorüber ist, ganz im Gegenteil wir sind weiterhin mittendrin. Die Infektionszahlen und Hospitalisierungsinzidenz sind aktuell auf Rekordniveau. Die Zahl der Covid-19-Patientinnen und Patienten in den Krankenhäusern in Nordrhein-Westfalen ist nach den veröffentlichten Daten des Landes vom 06. bis zum 17. März von 4246 auf 5469 massiv und rasch gestiegen. Es werden in NRW zurzeit so viele Patientinnen und Patienten behandelt wie nie zuvor seit der bisher schwierigsten Phase von Dezember 2020 bis Januar 2021 – also praktisch vor dem Beginn der Impfkampagne. Die Zahl der Covid-19-Patieninnen und Patienten in den Intensivstationen steigt ebenfalls seit einigen Tagen kontinuierlich. Die angespannte Lage und die besonders hohe Belastung in den Krankenhäusern, aber auch in allen anderen Bereichen des Gesundheitswesens im gesamten Land wurde in der letzten AGS-Sitzung am 16. März 2022 von Vertreterinnen und Vertretern des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales auch bestätigt. Dies bezieht sich zudem auch auf eine hohe Ausfallrate des eigenen Personals aufgrund von Krankheit und Quarantäne.

Es ist davon auszugehen, dass bei weiter steigenden Zahlen diese Belastung größer wird, sodass eine Überlastung des Gesundheitssystems droht. Die hohen Krankenhauseinweisungen sowie die zurzeit besonders hohen Todeszahlen machen ebenfalls deutlich, dass die herrschende Omikron-Virusvariante BA.2 eine zumindest signifikante Pathogenität im Sinne des § 28a Abs. 8 IfSG aufweist.

Diese Lage macht deutlich, dass die Gefahr einer sich dynamisch ausbereitenden Infektionslage im Sinne des IfSG im gesamten Gebiet von Nordrhein-Westfalen bereits eingetreten ist. Es ist davon auszugehen, dass sich die Infektionslage noch stärker zuspitzen wird, sollten die geltenden Schutzmaßnahmen der Corona-Verordnungen NRW ersatzlos auslaufen und die Handlungsmöglichkeit gemäß IfSG nicht ergriffen werden.

Hinzukommt, dass viele Menschen in NRW noch nicht geimpft und rund 40% (ca. 7 Mio. Menschen) nicht geboostert sind, darunter rund 20% der Menschen in einem Alter über 60 Jahre. Die bisherigen Erfahrungen zeigen sehr deutlich, dass ein hoher Impfschutz sehr häufig zu milderen Verläufen beiträgt. Insofern muss einerseits alles dafür getan werden, die Impfquote zu erhöhen und andererseits zu konstatieren, dass die Quote derzeit zu niedrig ist, um von durchweg milden Verläufen auszugehen.

Der Expertenrat der Bundesregierung  betont in seiner letzten Stellungnahme vom 08. März 2022 die Notwendigkeit kurzer Reaktionszeiten zur Bekämpfung infektiöser Gefahren. Er plädiert daher dafür, die ad hoc verfügbaren Instrumente des Infektions- und Bevölkerungsschutzes bereitzustellen, um somit eine unverzügliche Anpassung von Infektionsschutzmaßnahmen zu ermöglichen[1]. An dieser Stelle ist es wichtig zu betonen, dass das Parlament bei der Beurteilung der Lage und Erstellung der Gefahrenprognose einen weiten Einschätzungsspielraum hat, um somit auf drohende Gefahren rechtzeitig und adäquat reagieren zu können. Gerade dies hat das BVerfG in seinen letzten Entscheidungen zu Corona erneut betont. Dieser Spielraum wurde gemäß der neuen Fassung des § 28a auf die Länderparlamente delegiert. Der Grundsatz des weiten Ermessensspielraums gilt hier in besonderem Maße, denn die genannten Feststellungen sollen gerade einen schnellen Zugriff auf das Instrumentarium des §28a Abs. 8 sichern.  Die genaue Gestaltung der konkreten Maßnahmen erfolgt weiterhin durch Rechtsverordnungen unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und der aktuellen Infektionslage und Belastung des Gesundheitssystems.

Das Land NRW muss unverzüglich tätig werden und die Möglichkeit des raschen Handelns absichern, um notwendige Schutzmaßnahmen auch nach dem 02. April 2022 anordnen und durchsetzen zu können. Insbesondere muss in der aktuell prekären Situation die Verpflichtung zum Tragen von Masken in den Innenräumen, einschließlich in Altenheimen, Arztpraxen, Schulen und Einzelhandeln gewährleistet werden. Hierfür muss der Landtag feststellen bzw. beschließen, dass im gesamten Landesgebiet im Sinne des IfSG die Gefahr einer sich dynamisch ausbereitenden Infektionslage besteht. Ferner muss die Anwendung aller konkreten in § 28a Abs. 8 genannten Maßnahmen festgestellt werden.

 

Die Notwendigkeit der Vornahme weiterer Maßnahmen

Mit dem neuen IfSG entfallen eine Vielzahl Schutzmaßnahmen. Die Eingriffsmöglichkeiten werden selbst bei Anwendung aller Schutzfunktionen des neuen IfSG deutlich reduziert. Umso wichtiger ist es bei den aktuell stark steigenden Infektions- und Hospitalisierungszahlen die Impfquote innerhalb der Bevölkerung noch einmal deutlich zu erhöhen – gerade auch mit Blick auf Auffrischungsimpfungen. Eine hohe Impfquote trägt eindeutig dazu bei, eine mögliche  Überlastung des Gesundheitssystems auch auf längere Sicht verhindern zu können.

Die Impfkampagne geht seit mehreren Wochen nicht voran. Die Quote der Auffrischimpfung in NRW beträgt nach Angaben des RKI nur 60,6 % für alle und bei den über 60-jährigen Menschen liegt der Anteil bei  81,5 % (Stand 16.03.22). Es besteht daher gerade jetzt der Bedarf, eine offensive gut geplante gezielte und differenzierte Impfaufklärungskampagne zu starten, um die Impfbereitschaft in der Bevölkerung signifikant zu erhöhen.

Mit den Änderungen des IfSG entfallen ebenfalls Regelungen zu Testverpflichtungen in einigen Bereichen. Das wird dazu führen, dass sich weniger Menschen testen lassen werden. Um der Gefahr unentdeckter großer Krankheitsausbrüche begegnen zu können, ist es daher wichtig, zum einen die Teststrukturen weitgehend aufrechtzuerhalten und. zum anderen ein gezieltes Abwassermonitoring, als Frühwarnsystem von Krankheitsausbrüchen, in Nordrhein-Westfalen einzuführen und auszubauen.

 

II. Der Landtag stellt fest:

Die Pandemie ist noch nicht vorüber. Wir sind bei der Omikron-Welle noch nicht über den Berg. Die Fallzahlen und Hospitalisierungsinzidenzen sind seit einer Woche in Nordrhein-Westfahlen auf Rekordniveau und steigen weiterhin erkennbar an. Die Zahl der Patientinnen und Patienten in den Krankenhäusern ist so hoch wie zuletzt vor Beginn der Impfkampagne Mitte Januar 2021. Die Lage in den Krankenhäusern ist angespannt. Bestehende Schutzmaßnahmen in NRW dürfen nicht ersatzlos auslaufen. Es muss ein lückenloser und situationsangemessener Schutz der Bevölkerung und des Gesundheitssystems gewährleistet werden. Neben der notwenigen Verlängerung der bestehenden Maßnahmen im Rahmen der Übergangsregelung des IfSG bis zum 2. April 2022 muss darüber hinaus ein schneller Zugriff auf die gesamten Schutzmaßnahmen des neuen § 28a Abs. 8 IfSG gewährleistet werden, um die Infektionslage nicht aus der Hand zu geben und unter Kontrolle zu behalten. Aktuell besteht im gesamten Gebiet des Landes Nordrhein-Westfalen als einer Gebietskörperschaft im Sinne des IfSG eine Gefahr einer sich dynamisch ausbereitenden Infektionslage. Die Ermächtigung der Landesregierung zur Anwendung aller Maßnahmen, die im § 28a Abs. 8 konkret aufgelistet sind, ist notwendig. Ebenfalls ist es von großer Bedeutung, unverzüglich eine breite und offensive Impfaufklärungskampagne zu starten. Zudem muss eine leistungsfähige Testinfrastruktur aufrechterhalten bleiben. Das Abwassermonitoring soll an mehreren Orten in NRW eingeführt werden.

 

III. Der Landtag beschließt:

  1. Das Bestehen einer konkreten Gefahr einer sich dynamisch ausbreitenden Infektionslage im Gesamtgebiet des Landes Nordrhein-Westfalen als einer Gebietskörperschaft im Sinne des § 28a Abs. 8 IfSG wird festgestellt.
  2. Die Anwendung aller in § 28a Abs. 8 S. 1 Nr. 1-4 aufgelisteten konkreten Maßnahmen im Gesamtgebiet des Landes Nordrhein-Westfalen wird festgestellt.

[1] https://www.bundesregierung.de/resource/blob/975196/2011684/2d2e3bae6f897fbc9c48a41a842d630e/8-stellungnahme-die-notwendigkeit-kurzer-reaktionszeiten-zur-bekaempfung-infektioeser-gefahren-data.pdf?download=1 , zuletzt abgerufen am 16.03.22.