Die Landesregierung muss einen Plan zur Eindämmung der Corona-Pandemie und ihrer sozialen Folgen vorlegen.

Entschließungsantrag zur Unterrichtung der Landesregierung zur Corona-Pandemie

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022
Portrait Josefine Paul
Mehrdad Mostofizadeh

Zur Unterrichtung der Landesregierung „Verantwortungsvoll und vorausschauend – die Lage und der Ausblick zur Bewältigung der Corona-Pandemie in Nordrhein-Westfalen“
I.        Ausgangslage
Nach den hohen Corona-Infektionszahlen im März und April dieses Jahres konnte im Sommer das öffentliche Leben wieder hochgefahren werden. Die Wissenschaft warnte allerdings, dass in den kälteren Monaten die Anzahl der Neuinfektionen steigen würde. Täglich ist in den Corona-Lageberichten zu beobachten, wie sich die Infektionslage im Land verschärft und die Landkarte roter wird. Daher ist es absolut unverständlich, warum in vielen Bereichen, wie etwa der Schule, nicht ausreichend Maßnahmen zum Infektionsschutz getroffen wurden.
Die zweite Corona-Welle hat Europa ergriffen: In Frankreich, den Niederlanden, in Spanien, Polen und Belgien steigen die Zahlen bedrohlich an. In Deutschland wurden am 10.11. mehr als 15.000 gemeldete Neuinfektionen binnen eines Tages registriert. Bundesweit waren am 9. November 20.970 von 29.351 Intensivbetten belegt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist über die „Explosion“ der Corona-Fallzahlen in Europa besorgt.
Zur Eindämmung der Pandemie haben inzwischen mehrere europäische Länder ihre Maßnah­men verschärft. Darunter auch Deutschland: Mit dem Beschluss der Ministerpräsidentenkon­ferenz (MPK) vom 29.10.2020 und den darauf bezugnehmenden Corona-Schutzverordnungen in den Bundesländern, ist das öffentliche und soziale Leben, insbesondere durch die Schlie­ßung von Gastronomie sowie Freizeit- und Kultureinrichtungen, weitreichend eingeschränkt worden. Wie im März gilt das Prinzip: Zuhause bleiben und die Kontakte weitgehend ein­schränken, damit die Kurve abnimmt. Offen ist jedoch, wie es ab Dezember weitergeht. Die MPK hat zwar einen Beschluss gefasst, dass die Maßnahmen auf vier Wochen begrenzt wer­den, allerdings keine Aussage darüber getroffen, wie damit umgegangen wird, falls die Inzi-denzwerte nicht nennenswert zurückgehen. So kündigte Ministerpräsident Armin Laschet be­reits an, dass die einschränkenden Maßnahmen möglicherweise über den November hinaus gelten müssten. Mit diesen widersprüchlichen Aussagen trägt der Ministerpräsident zur Ver­unsicherung in der Bevölkerung bei.
Anders als im Frühjahr ist es inzwischen politischer Konsens, die Schulen und Kitas nicht zu schließen. Diese Entscheidung ist – zugunsten von Bildungsgerechtigkeit und Kinderschutz – richtig. Allerdings muss die Landesregierung nun endlich Infektionsschutz und Bildungsge­rechtigkeit in Einklang bringen. Das reine Beharren der Schulministerin auf das Durchsetzen des Präsenzunterrichts ist vor diesem Hintergrund unverständlich. Die von Familienminister Stamp ausgerufene Bildungs- und Betreuungsgarantie ist für Kinder und Familien nichts wert, wenn nicht endlich ein Plan B für die Anpassung an das dynamische Infektionsgeschehen seitens des Schul- sowie Familienministeriums vorgelegt wird.
Menschen in Pflegeheimen werden nicht erneut von der Außenwelt getrennt, die emotionale Belastung mit ihren Folgen für die Gesundheit war im März und April zu hoch und ein derart starker Eingriff in das Privatleben – die Verweigerung wichtiger sozialer Kontakte hatte teils traumatische Auswirkungen auf die Bewohnerinnen und Bewohner – darf sich nicht noch einmal wiederholen.
Neben der verpflichtenden Testung des Personals, der Bewohnerinnen und Bewohner sowie insbesondere der neu einziehenden Bewohnerinnen und Bewohner sollten auch Besucherin­nen und Besucher regelmäßig mit einem Schnelltest getestet werden, um einen Eintrag des Virus so weit wie möglich ausschließen zu können. Es ist daher völlig unverständlich, dass die Sommermonate nicht zur Entwicklung einer wirksamen Teststrategie genutzt wurden. Zur Durchführung von Schnelltests muss ausreichend qualifiziertes Personal zur Verfügung ste­hen. Dieses wurde weder rekrutiert noch fortgebildet. Auch hierzu sollte das Land Träger und Kommunen unterstützen. Es ist beschämend, dass erst durch die Anweisungen des Bundes hier Bewegung in die Sache gekommen ist. Es steht zu befürchten, dass wünschenswerte Testungen aufgrund mangelnder Vorbereitung ausbleiben.
Klar ist: Bis ein großer Teil der Bevölkerung geimpft ist oder wirksame Therapien entwickelt worden sind, muss die Politik Schutzmaßnahmen ergreifen, um die Bevölkerung vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus zu schützen, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern und die sozialen und wirtschaftlichen Folgen abzufedern. NRW muss es jetzt gelingen, die Anzahl der Neuinfektionen deutlich zu senken. Die Gesundheitsämter müssen wieder in die Lage versetzt werden, die Ansteckungswege nachvollziehen zu können.
Die Verärgerung darüber, dass im Sommer kulturelle Einrichtungen, die Gastronomie und Sportstätten Hygienekonzepte umsetzten und dennoch im November schließen müssen, ist nachvollziehbar. Viele Solo-Selbstständige und Kulturschaffende können seit über acht Monaten nicht regulär oder nur eingeschränkt arbeiten. Viele Betroffene haben existentielle Sorgen. Ein solidarischer Umgang mit der Corona-Pandemie muss deshalb auch bedeuten, diejenigen, die besonders hart von Schließungen betroffen sind, unbürokratisch und schnell zu unterstützen.
Nach acht Monaten Pandemie muss das Parlament wieder der Ort der Debatten über die Pandemiebekämpfung werden. Die weitgehenden Entscheidungen, die getroffen werden, brauchen eine offene, transparente Debatte im Parlament. Nur so stellen wir demokratische Kontrolle sicher und erhöhen die Akzeptanz der Maßnahmen.
II.       Das Infektionsgeschehen muss beherrschbar werden
Krisenmanagement professionalisieren: Krisenstab aktivieren

Ministerpräsident Armin Laschet muss endlich den Krisenstab der Landesregierung aktivieren, um nach mehr als sieben Monaten für eine koordinierte Bewältigung der COVID-19-Pandemie im Land zu sorgen. Vor allem die Kommunen stellt diese Krise seit Monaten vor immense Herausforderungen. Dieser Schritt ist überfällig, da von den 59 Krisenstäben im Land alle ak­tiviert wurden, nur derjenige der Landesregierung nicht. Mit dieser Maßnahme wäre eine ef­fektive Kommunikation mit den Bezirksregierungen, den Kreisen und kreisfreien Städten über das bewährte und eingeübte System der Krisenstäbe möglich und die Entscheidungsfindung auf Landesebene gezielter. Der Krisenstab des Landes kann jederzeit vom Ministerpräsiden­ten aktiviert werden, denn er wird in einem Stand-by-Modus für Krisenfälle im Innenministerium vorgehalten. Dass sich Armin Laschet bis heute nicht der Fachexpertise seiner Beamtinnen und Beamten bedient, steht sinnbildlich für das Krisenmanagement dieser Landesregierung.
Infektionsketten müssen nachverfolgt und die Anzahl der Neuinfektion gesenkt werden
Im Monat November muss es durch die Kontaktbeschränkungen gelingen, die Anzahl der Neu­infizierten zu senken. Die Gesundheitsämter müssen wieder in die Lage versetzt werden, die Kontakte der infizierten Personen nachzuverfolgen. Die Kontaktnachverfolgung ist entschei­dend, um Infektionsketten zu unterbrechen. Sie bietet aber auch die Möglichkeit, mehr über Infektionswege zu erfahren und damit passgenauere Maßnahmen ergreifen zu können.
Entscheidend ist auch, was im Anschluss an die Kontaktnachverfolgung passiert. Manche Wis­senschaftlerinnen und Wissenschaftler schlagen vor, sich stärker auf Quellcluster zu konzent­rieren. Personen, die an einem „Clusterevent“ teilgenommen haben, also in einer Situation waren, in der sie mit vielen Personen in Kontakt waren (z.B. bei einer Feier oder in einer Schul­klasse), sollen sofort und zunächst ohne Testung in Quarantäne kommen, unabhängig davon, ob sie direkten Kontakt mit Infizierten hatten. Nach fünf Tagen sollen sie sich freitesten können. Dadurch hätten die Gesundheitsämter Zeit gewonnen. Ob das eine sinnvolle Möglichkeit zur Unterbrechung der Infektionsketten bei gleichzeitiger Steigerung der Effektivität bei den Ge­sundheitsämtern ist, sollte geprüft werden und sowohl mit Virologinnen und Virologen als auch mit Rechtswissenschaftlerinnen und Rechtswissenschaftlern hinsichtlich der Verhältnismäßig­keit diskutiert und abgewogen werden.
Um die Gesundheitsämter zu stärken, muss die Landesregierung endlich in Kooperation mit den Kommunalen Spitzenverbänden den zwischen Bund und Ländern getroffenen „Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst“ umsetzen, sodass die Ämter personell besser ausgestat­tet werden können. Aus Bundesmitteln sind für Nordrhein-Westfalen rund 1.000 Personalstel­len unterschiedlicher Qualifikationsstufen vorgesehen. Diese tatsächlich zu besetzen, wird eine Herausforderung werden. Auch Gelder für die dringend notwendige Digitalisierung in den Gesundheitsämtern werden bereitgestellt. Bei der Ausgestaltung der Umsetzung ist darauf zu achten, dass der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) nicht nur für die Pandemiesituation, sondern auch darüber hinaus gestärkt wird. Nur so kann die Gesundheit der Bevölkerung lang­fristig geschützt und gefördert werden. Zudem kann der ÖGD durch eine solche Aufwertung zu einem attraktiveren Berufsfeld werden, sodass die Personalgewinnung verbessert wird. Das „Zukunftsforum Public Health“ hat in Kooperation mit den betroffenen Verbänden Emp­fehlungen gegeben. So sollten die wissenschaftlichen Grundlagen (zum Beispiel durch ÖGD-Professuren, regionale Lehr- und Forschungsnetzwerke und die Vereinbarkeit von wissen­schaftlicher Laufbahn und ÖGD-Tätigkeit) verbessert werden. Die Multiprofessionalität und In-terdisziplinarität sollte ausgebaut und die Förderung der gesundheitlichen Chancengleichheit in der Bevölkerung durch einen „Health in all Policies“-Ansatz – also der Berücksichtigung gesundheitlicher Aspekte in allen Politikbereichen – verstärkt werden.
Das Gewinnen von Personal durch das Freiwilligen-Register
Mit der im April beschlossenen Änderung des Infektionsschutz- und Befugnisgesetzes NRW wurde die Grundlage geschaffen, in Nordrhein-Westfalen ein Freiwilligen-Register für die Ge­winnung von Personal aus Gesundheits- und Pflegeberufen einzurichten. Noch haben wir trotz der stark steigenden Neuinfektionen ausreichend Betten in den Intensivstationen und auch Beatmungsgeräte. Verschiedene Verbände und Expertinnen und Experten haben aber bereits davor gewarnt, dass es auf den Intensivstationen nicht ausreichend Pflegekräfte geben wird. Deshalb sollte die Landesregierung die Rekrutierung des Personals über das Freiwilligenre-gister deutlich stärker bewerben und fördern. Dazu gehört eine Analyse, inwieweit die zusätz­lich anstehenden Aufgaben im Öffentlichen Gesundheitsdienst, in den Pflegeheimen, Kran­kenhäusern und anderen Bereichen von zusätzlichem Personal direkt übernommen werden können oder wie vorhandenes Personal durch zusätzliche Kräfte aus dem Freiwilligenregister an anderer Stelle entlastet werden kann. Hierzu sollte die Landesregierung intensiver aktiv werden, um Kommunen und Träger unterstützen zu können. Auch für die Umsetzung der kürz­lich vorgelegten Impfstrategie von Bund und Ländern wird viel Personal benötigt werden. Die Landesregierung sollte prüfen, ob neben den Akteuren der bestehenden Versorgungsstruktur ein Einsatz über das Freiwilligen-Register auch für diesen Bereich in Frage kommt.
Zudem sollte das Freiwilligen-Register auf nichtmedizinische Bereiche ausgeweitet werden. Die Pandemie fordert die gesamte Gesellschaft. Nicht nur im medizinischen Bereich kommt es zu Mehrarbeit bis an die Belastungsgrenze. Auch andere Bereiche stehen vor erweiterten Aufgabenfeldern, für die mehr Personal benötigt wird. Dazu zählt beispielsweise die Nachver­folgung von Infektionsketten in den Gesundheitsämtern. Auf der anderen Seite leiden einige Branchen und Personengruppen darunter, dass sie ihrer Arbeit momentan nicht nachgehen können. So haben viele Studierende ihren Nebenjob verloren und das Personal in der Gast­ronomie hat vermehrt keine Beschäftigung mehr. Gerade diese Personen sind aber besonders motiviert, dazu beizutragen, einen möglichst normalen Alltag mit dem Virus zu ermöglichen. Deshalb ist ein Freiwilligenregister sinnvoll, wo sich diese Personen registrieren können.
III. Generationengerechtigkeit sicherstellen
Die Pandemie verlangt der Gesellschaft viel ab. Umso wichtiger ist die Solidarität zwischen den Generationen und der Zusammenhalt aller gesellschaftlichen Gruppen. Es ist richtig, und muss auch weiterhin das Ziel sein, die Schulen und Kitas offen zu halten. Genauso muss die soziale Infrastruktur in anderen Bereichen funktionsfähig bleiben, zum Beispiel zum Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt, zur Unterstützung obdachloser Menschen oder von Men­schen mit Behinderungen. Menschen in Alten-, Pflege- und Behinderteneinrichtungen dürfen nicht zu ihrem gesundheitlichen Schutz sozial isoliert werden, denn auch Einsamkeit ist ge­sundheitsschädlich. Daher müssen hier Personal, Bewohnerinnen und Bewohner sowie Be­sucherinnen und Besucher regelmäßig getestet werden können.
Bildungsgerechtigkeit ermöglichen
Generationengerechtigkeit bedeutet, dass die Zukunftschancen der jungen Generation durch Corona nicht eingeschränkt werden dürfen. Bildungsgerechtigkeit darf nicht unter die Räder kommen, sondern muss mit dem Infektionsschutz in Einklang gebracht werden. Die deutlich gestiegenen Infektionszahlen auch an Schulen fordern weitere Maßnahmen zum Infektions­schutz. Das Robert-Koch-Institut empfiehlt in einem Stufenplan auch kleinere Lerngruppen.
Das erfordert personellen und räumlichen Mehreinsatz sowie eine zeitliche Entzerrung. Die Stadt Solingen hat gemeinsam mit Schulen und Gesundheitsbehörden hierzu ein pädagogi­sches Konzept erarbeitet. Wenn weniger Kinder und Jugendliche gleichzeitig zusammenkom­men – im Unterricht wie im Schulbus – wird das Infektionsrisiko gemindert und eine gegebe­nenfalls notwendige Kontaktpersonennachverfolgung erleichtert.
Dafür müssen bestehende Lerngruppen geteilt werden, der Unterricht anders organisiert wer­den, Block- und Schichtunterricht oder rollierende Verfahren sind denkbar. Präsenzunterricht wird mit digitalem Distanzunterricht ergänzt. Solche hybriden Organisationsformen bedürfen eines pädagogischen Konzeptes dahinter. Denn Kinder und Jugendliche bringen unterschied­liche Voraussetzungen mit und leben in unterschiedlichen Verhältnissen. Das betrifft die räum­lichen und sächlichen Umstände wie auch die Möglichkeit der Eltern zur Unterstützung ihrer Kinder.
Kinder, die zu Hause nicht oder nicht gut arbeiten können, brauchen einen stärkeren Zugang zur Schule als andere. Kinder, die eine regelmäßige Schulbegleitung brauchen, müssen auch beim Distanzunterricht unterstützt werden. Die Unterrichtsgarantie muss auch für den Distanz­unterricht gelten. Dazu bedarf es natürlich auch der technischen Ausstattung: mit Endgeräten, einem guten W-Lan-Zugang und dem technischen Support. Wo die technischen und pädago­gischen Voraussetzungen gegeben sind, können die hybriden Konzepte helfen, Bildungsge­rechtigkeit zu sichern und gleichzeitig den Infektionsschutz zu verstärken. Damit kann es ge­lingen, Schulen länger für alle offen zu halten und das zu vermeiden, was vermieden werden soll: die (Teil-)Schließung von Schulen. Hybride Konzepte sind auch hilfreich, wenn ganze Lerngruppen oder einzelne Schülerinnen oder Schüler in Quarantäne geschickt werden. Statt der zweiwöchigen sozialen Isolation und des Unterrichtsausfalls stehen die digitalen Möglich­keiten im Rahmen des Konzepts für die ganze Lerngruppe zur Verfügung. Schulen und Schul­träger müssen dringend bei der Schaffung der technischen Voraussetzung wie bei der Ent­wicklung der pädagogischen Konzepte und der Organisationsentwicklung vom Ministerium für Schule und Bildung NRW unterstützt werden. Stattdessen hat die Landesregierung von Armin Laschet das Konzept der Stadt Solingen verboten.
Auch Studierende sind von der Pandemiesituation stark betroffen. Zum einen müssen sie ihr Studium plötzlich von Zuhause aus absolvieren, zum anderen haben viele von ihnen kein Ein­kommen mehr, weil Gastronomie und andere Arbeitgeber zwischenzeitlich schließen und in der wirtschaftlichen Folge Jobs kündigen mussten. Bundes- und Landesregierung haben in dieser Lage bei Weitem nicht ausreichend geholfen. Die Überbrückungshilfe der Bundesregie­rung kam viel zu spät, reichte in der Höhe nicht aus, war an unverschämte Anforderungen geknüpft und das Antragsbewertungsverfahren war vollkommen intransparent. Viele Studierende, die auch tatsächlich in Not waren, haben deshalb keine Unterstützung erhalten und einige aufgrund dessen ihr Studium abbrechen müssen. Die Hilfen gibt es seit Oktober nicht mehr und die Ankündigung, diese aufgrund der derzeitigen Eindämmungsmaßnahmen wieder zu aktivieren, wurde noch nicht umgesetzt. Erneut kommen Hilfen für Studierende zu spät und sind voraussehbar nicht ausreichend. Wenn der Bund nicht handelt, muss es die Landesregierung machen. Die Landesregierung muss endlich einen Sonderzuschuss für Studierende bereitstellen, der unbürokratisch und schnell hilft.
Die Lehre aus diesem nicht akzeptablen Zustand muss sein, endlich das BAföG zu reformieren und wieder zu einer echten Unterstützung für Studierende werden zu lassen. Die Situation wäre heute eine andere, hätte die Bundesregierung schon vor Jahren das BAföG elternunabhängig ausgestaltet, es soweit erhöht, dass es zum Leben reicht, es bundesweit zügig digitalisiert und die Antragstellung entbürokratisiert. Dann hätte eine zeitweise Öffnung für sonst nicht antragsberechtigte Studierende aufgrund der Pandemiesituation ausgereicht.
Nach den Erfahrungen aus dem Sommersemester, dem ersten Online-Semester aller Hoch­schulen, läuft seit Kurzem der Vorlesungsbetrieb des Wintersemesters wieder in Gänze, aber weiterhin zum weit überwiegenden Teil online. Nicht nur ein Hybrid- oder ein Online-Semester, sondern auch die Zeit nach der Pandemie bedarf einer Weiterentwicklung didaktischer Kon­zepte, eine ausreichend Ausstattung an den Hochschulen mit Systemen, Software und Per­sonal sowie einer entsprechenden Ausstattung an Endgeräten für alle Studierenden.
Ältere Menschen und Menschen mit Behinderung in der Pandemie nicht alleine lassen
Ein anderer Bereich, in dem soziale Rechte und Gesundheitsschutz in Einklang gebracht wer­den müssen, sind Pflegeheime und Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen. Neben den PCR-Tests, die durchgeführt werden, wenn beispielsweise eine Person in ein Pflegeheim zieht, gibt es mittlerweile Antigen-Schnelltests, die für das Personal, die Bewohnerinnen und Bewohner sowie deren Besuch in den Pflegeheimen und in den Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen angeboten werden müssen. Die Tests werden von den Krankenkassen bezahlt und von den Heimen und Einrichtungen durchgeführt. Träger und Verbände haben bereits Bedenken geäußert, nicht ausreichend Personal dafür zu haben. Hier müssen Kon­zepte von Trägern und Landesregierung vorgelegt werden, wie dies personell auch unter dem Fachkräftemangel in der Pflege gewährleistet werden kann. Denn klar ist: Menschen in den Heimen und Einrichtungen dürfen nicht noch einmal isoliert werden, wie es im Frühjahr dieses Jahres der Fall war.
IV.     Parlamentarische Beratungen der Maßnahmen sind die Voraussetzung für weite­res Handeln
Die Einschränkungen des öffentlichen, sozialen und wirtschaftlichen Lebens im Rahmen der Pandemiebekämpfung dienen dem Gesundheitsschutz, stellen allerdings zum Teil tiefe Grundrechtseingriffe, wie etwa in die Berufsfreiheit oder die Bewegungsfreiheit, dar. Deshalb ist es notwendig, dass alle Einschränkungen, die für Privatpersonen, Vereine, öffentliche und private Einrichtungen und Unternehmen gelten, regelmäßig überprüft werden.
Die Parlamente haben im demokratischen Rechtsstaat die Gesetzgebungskompetenz und die Aufgabe, das Handeln der Exekutive zu kontrollieren. Derzeit erlässt jedoch allein die Landes­regierung auf Grundlage der Generalklausel im Infektionsschutzgesetz die Rechtsverordnung „Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2“. Darin sind unter anderem die Abstandsregeln und maximale Personenanzahl für den öffentlichen Raum sowie das Verbot des Betriebs von Clubs und Diskotheken enthalten. Der Erlass von solch umfassenden Maßnahmen, die tiefe Eingriffe in Grundrechte vorsehen, ist jedoch nur kurzzei­tig über eine Generalklausel möglich. Je mehr Erfahrungen es im Umgang mit einer Situation gibt, je mehr eine Maßnahme zum „Standard“ wird, desto klarer müssen die rechtlichen Vorgaben für die Anwendung der Maßnahme werden. Die Schaffung von Ermächtigungsgrundlagen in einem Gesetz ist daher dringend notwendig und würde auch die Rechtssicherheit stärken.
Sämtliche Pandemie-bedingten Einschränkungen müssen ohnehin grundsätzlich zeitlich be­fristet werden. Es bedarf aber darüber hinaus auch einer Perspektive, die einen nachvollzieh­baren und verantwortungsvollen Plan zur teilweisen oder gänzlichen Rücknahme der Ein­schränkungen aufzeigt.
Evaluation und Monitoring verankern
Die Maßnahmen müssen immer wieder bezüglich ihrer Verhältnismäßigkeit, aber auch bezüg­lich ihrer tatsächlichen Wirksamkeit zur Eindämmung der Pandemie überprüft werden. Dazu bedarf es auch einer dauerhaften, unabhängigen, interdisziplinären und öffentlich einsehbaren wissenschaftlichen Begleitevaluation. In Krisenzeiten werden an eine solche Evaluation noch höhere Maßstäbe gesetzt, insbesondere was die rechtliche und epidemische Einschätzung der Maßnahmen betrifft, als auch hinsichtlich der Geschwindigkeit, in der Evaluationsergeb-nisse vorgelegt werden müssen. Das stellt die Wissenschaft vor eine Herausforderung, ist aber gleichwohl eine Notwendigkeit, damit die Politik auf diesen Erkenntnissen ihre Entscheidungen aufbauen kann.
Wissenschaft und Forschung stärken und Pandemie bekämpfen
Insgesamt müssen systematisch Konsequenzen aus den Erkenntnissen der Pandemie gezo­gen werden. Dazu gehört sicherlich eine Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, aber auch eine Stärkung medizinscher Zentren, um eine möglichst hochwertige Behandlung im Falle einer schwerwiegenden Erkrankung sicherstellen zu können.
Gleichzeitig muss auch technisch möglichst alles getan werden, um tiefe Einschnitte in das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben zu vermeiden. Hierzu sind Wege zu erkunden, die die Infektionswahrscheinlichkeiten senken. Es sind Risikokataster zu erarbeiten, auf Basis derer je nach Risikolage mit höheren Schutzmaßnahmen zu reagieren ist. So kann die Verwendung von FFP 2 Masken in bestimmten Bereichen genauso angeordnet werden.
Dafür gilt es deutlich mehr Geld für die Erforschung des Virus bereitzustellen, aber auch – nicht nur in den Schulen – z.B. Gebäude mit leistungsfähigen Lüftungsanlagen auszustatten, die regelmäßig für Frischluft sorgen. Dies dient auch insgesamt zur Bekämpfung von Infektionen. Gleichzeitig müssen auch andere Bereiche des öffentlichen Lebens und des Arbeitsschutzes tiefer erforscht werden, um auch dauerhaft Ansteckungsgefahren technisch reduzieren zu können.
Gemeinsam die Krise bewältigen: Bürgerräte stärken den Entscheidungsprozess
Der ganz überwiegende Teil der Bevölkerung befürwortet die notwendigen Maßnahmen zum Schutz vor der Corona-Pandemie. Diese Maßnahmen verlangen der Bevölkerung viel ab und stellen die Einigkeit auf die Probe. Gerade in einer Krisenzeit müssen die Bürgerinnen und Bürger stärker beteiligt und mehr Transparenz geschaffen werden. Denn ein hohes Akzeptanzniveau bleibt nur mit einer Politik des Gehörtwerdens erhalten.
Weitere Debatten zum Umgang mit der Pandemie sollten durch unterschiedliche Beteiligungs­formate wie Online-Konsultationen, lokale Bürgerforen (auch mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern) und Nachbarschaftsgespräche flankiert werden. Diese Beteiligungsverfah­ren müssen durch die Landesregierung koordiniert und unterstützt werden.
Die Landesregierung hat erkennbar keinen Plan, der über den Tag hinausreicht. Um die Er­fahrungen, Perspektiven und Lebenswelten der Bürgerinnen und Bürger in die Maßnahmen rund um Corona einzubeziehen, sollte das Land einen Corona-Bürgerrat einrichten. Bei einem Bürgerrat erhalten ausgeloste, für die Bevölkerung repräsentative Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit, Pläne und Maßnahmen zu diskutieren und abzuwägen. Am Ende steht ein für weite Teile der Bevölkerung tragfähiges Ergebnis, das dann durch die Politik umgesetzt wer­den kann.
Gerade im Kampf gegen Verschwörungsmythen ist Transparenz entscheidend. Solange es kein allgemeines Informationszugangsgesetz gibt, ist die Landesregierung aufgefordert, ein Corona-Transparenzgesetz vorzulegen. Dieses soll die Behörden verpflichten, alle Daten, In­formationen, Modelle und Studien, die als Grundlage für die Corona-Politik des Landes dienen, zu veröffentlichen. Ebenso muss die Landesregierung Transparenz darüber schaffen, von wel­chen Expertinnen und Experten sie beraten wird, um etwaige Interessenkonflikte frühzeitig zu vermeiden.
V.      Der Landtag stellt fest:
·         Es muss gelingen, die Neuinfektionen einzudämmen, um eine Überlastung des Ge­sundheitssystems zu vermeiden.
·         Die Pandemiesituation bedeutet für die Gesellschaft ein Leben mit großen Einschrän­kungen. Umso wichtiger ist es, dass die Einschränkungen im Parlament diskutiert werden.
·         Die Landesregierung muss Konzepte vorlegen, die das öffentliche, soziale und wirt­schaftliche Leben weitgehend unter Wahrung des Infektionsschutzes ermöglichen. In regelmäßigen Abständen weitreichende Einschränkungen durchzuführen, wäre eine Zumutung für die Gesellschaft.
VI.     Der Landtag fordert die Landesregierung auf:
1.    Den Krisenstab der Landeregierung zu aktivieren;
2.    Das Freiwilligen-Register für Gesundheits- und Pflegeberufe zur Personalrekrutierung stärker zu bewerben;
3.    Konzepte zu erarbeiten, wie zusätzliches Personal aus nicht-medizinischen Berufen zur Unterstützung in den Gesundheitsämtern sinnvoll eingesetzt werden kann, z.B. über eine Erweiterung des Freiwilligen-Registers;
4.    Zügig den Pakt zur Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes umzusetzen;
5.    die Umsetzung der Impfstrategie von Bund und Ländern mit allen relevanten Akteuren voranzutreiben und die Personalrekrutierung frühzeitig anzugehen;
6.    Gemeinsam mit den Trägern und Verbänden Konzepte zu erarbeiten, wie der Perso­nalbedarf zur Durchführung von Antigen-Schnelltests in Pflegeheimen und Einrichtun­gen für Menschen mit Behinderungen gedeckt werden kann;
7.    Kommunen die Möglichkeit zur modellhaften Erprobung lageangepasster Konzepte für den Schulunterricht unter Pandemiebedingungen zu eröffnen;
8.    Schulen und Schulträger bei der Schaffung der technischen Voraussetzung, bei der Organisationsentwicklung und bei der Entwicklung pädagogischer Konzepte für die Kombination von Präsenz- und Distanzunterricht zu unterstützen;
9.    Die räumlichen und personellen Voraussetzungen für die Schulen zu schaffen, um Lerngruppen trennen und die Empfehlungen des Robert-Koch-Institut umsetzen zu können;
10.  Die Schulbegleitung für den Distanzunterricht zu ermöglichen;
11.  Eine „NRW-Soforthilfe für Studierende 2020“ in Form eines bedarfsdeckenden Zu­schusses aufzulegen, den Studierende unbürokratisch und schnell erhalten können, die in der Pandemie finanzielle Probleme haben, ihren Lebensunterhalt für mehrere Monate zu sichern;
12.  Eine Ausschreibung zur Durchführung einer dauerhaften, unabhängigen, interdiszipli­nären und öffentlich einsehbaren wissenschaftlichen Begleitevaluation der Pandemie-Maßnahmen herauszugeben;
13.  Beteiligungsformate für mehr Bürgerbeteiligung zu erproben sowie Bürgerräte zu grün­den, die für eine stärkere Einbindung der Bevölkerung in den Entscheidungsprozess über pandemiebedingte Maßnahmen sorgen und in denen langfristige Strategien ent­worfen werden können;
14.  Einen Entwurf für ein Corona-Transparenzgesetz vorzulegen.