Der Bund muss seiner Verantwortung für die Verkehrsinfrastruktur in Nord-rhein-Westfalen nachkommen – Anstatt der Pkw-Maut ist ein rechtssicheres und gerechtes Finanzierungskonzept für NRW notwendig

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

I. Ausgangslage

Nordrhein-Westfalen verfügt über eine umfangreiche und vielfältige Verkehrsinfrastruktur, die das Ergebnis der volkswirtschaftlichen Leistungen vieler Generationen ist. Diese  unverzichtbare Grundausstattung unserer arbeitsteiligen Gesellschaft gilt es zu wahren und weiter zu optimieren. Dabei kommt dem Neubau bis auf wenige Verkehrsnetzschlüsse eine geringe, dem bedarfsgerechten Ausbau eine zunehmend wichtigere und dem Erhalt eine herausragende Bedeutung zu. Gleichzeitig sind durch Verkehrsvermeidung und gezielte Verkehrslenkung die Verkehrskapazitäten auf den vorhandenen Verkehrsträgern zu optimieren.
Eine funktionstüchtige Verkehrsinfrastruktur ist die Voraussetzung für Mobilität von Personen und Gütern sowie Basis der wirtschaftlichen Entwicklung in unserem Land. Sie ist ebenso erforderlich, um die durch Staus oder fehlende Attraktivität von Schiene und Wasserstraße verursachten Treibhausgasemissionen zu reduzieren.
Unsere kommunale, regionale und überregionale Verkehrsinfrastruktur befindet sich vielerorts in einem kritischen Zustand. Dies beeinträchtigt sowohl Nutzer wie Anwohner und wirkt negativ auf den Wohn- und Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen in einer stark globalisierten, extrem arbeitsteilig organisierten und exportorientierten Volkswirtschaft.
Die Bedeutung der Verkehrsinfrastruktur für Nordrhein-Westfalen ist zudem aufgrund seiner zentralen Lage in Europa sowie seiner Bevölkerungsgröße besonders hoch. Beides bedingt vielfältigste Transit-, Ziel- und Quellverkehre in unserem Land, die weit über Nordrhein-Westfalen hinaus wirken.
Ursache für den vielfach Besorgnis erregenden mangelhaften Verkehrsinfrastrukturzustand und die daraus resultierenden Beeinträchtigungen ist eine chronische Unterfinanzierung, obwohl der Verkehrssektor in erheblichem Maße zu den Einnahmen des Staates beiträgt. Der bundesweit festgestellte zusätzliche Finanzbedarf allein für Erhaltung und nachholende Sanierung beträgt auf 15 Jahre gerechnet für die Verkehrsträger Straße, Schiene und Wasserstraße mindestens etwa 7,2 Milliarden Euro jährlich. Die Mittel für den vernachlässigten bedarfsgerechten Ausbau kommen hinzu.
Bezüglich des Erhalts unserer Infrastruktur hat die Bodewig-Kommission eine Fülle von Maßnahmen vorgeschlagen, auf deren Basis die Verkehrsministerkonferenz am 02.10.2013 einstimmig die Umrisse einer Konzeption einer nachhaltigen Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur entwickelt hat. In dem dazugehörigen Stufenplan sind ab 2014 erhöhte Ausgaben aus dem allgemeinen Haushalt von 2,7 Mrd. Euro sowie eine Zweckbindung der Dividenden der DB AG vorgesehen. Ab 2016 sollten zusätzliche Mittel in Höhe von 2,3 Mrd. Euro durch die Ausweitung der Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen hinzukommen.
Die von Seiten der Bundesregierung vorgeschlagenen Erhöhungen der allgemeinen Haushaltsmittel bleiben weit hinter der Bedarfslage und der VMK-Beschlusslage zurück. Sie sind ein richtiger, aber noch nicht ausreichender Schritt. Negativ ins Gewicht fällt die beabsichtigte Absenkung der Lkw-Maut. Die von Seiten des Bundesverkehrsministeriums geplante PKW-Maut trifft auf vielfältige Kritik im Wesentlichen wegen hohen bürokratischen Aufwands und relativ niedrigen Netto-Einnahmen.
Weiter Vorschläge des Bundesverkehrsministers für ein stärkeres Vorantreiben Öffentlich-Privater Partnerschaften (ÖPP) zur Verkehrsinfrastrukturfinanzierung helfen nicht weiter.

II. Der Landtag stellt fest:

Die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsprobleme können nur auf Bundesebene gelöst werden. Der Erhalt unserer Verkehrsinfrastruktur benötigt ein deutlich stärkeres finanzielles Engagement des Bundes, sowohl durch Ausweitung der Haushaltsmittel als auch durch Ausweitung der Nutzerfinanzierung.
Wir brauchen eine flexible Verkehrsträger übergreifende und überjährige Nutzung klar definierter finanzieller Ressourcen des Staates zugunsten von Bund, Ländern und Kommunen.
Strukturelle Benachteiligungen des Landes Nordrhein-Westfalen bei der Verteilung verschiedenster Mittel im Verkehrsbereich sind zu beseitigen.
Die notwendigen Sanierungsmittel sind anhand des tatsächlichen Bedarfes und dem größtmöglichen verkehrlichen Nutzen zu verteilen. Die Mittel müssen dahin fließen, wo die Defizite am größten sind und die stärkste Beanspruchung der Infrastruktur besteht.
Der Verkehrsträger Schiene muss so ausgebaut werden, dass er für Personenverkehr attraktiver wird und mindestens seinen heutigen, relativen Anteil an den Güterverkehren beibehalten und somit mit dem zu erwartenden Verkehrswachstum mindestens Schritt halten kann.
Ein wesentlicher Beitrag zur Verkehrsinfrastrukturfinanzierung sollte durch die Ausweitung der Lkw-Maut hinsichtlich der mautpflichtigen Fahrzeuge und der mautpflichtigen Straßen erbracht werden, da diese Fahrzeuge überproportional am Infrastrukturverschleiß mitwirken.
Die vorgeschlagene PKW-Maut ist partei- und länderübergreifend in der Kritik. Auch das Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages sowie die jüngsten Verlautbarungen aus Brüssel machen deutlich, dass ein rechtskonformer Gesetzesentwurf kaum zu erwarten ist. Eine so gestaltete PKW-Maut ist im Rahmen der Debatte um die zukünftige Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur in Deutschland auch nicht zielführend, was ihr mögliches Aufkommen angeht.
Durch diese Pkw-Maut droht ein Rückfall in nationale Kleinstaaterei. Dies passt nicht in ein modernes Europa der Regionen. Zahlreiche grenznahe Kommunen auch in NRW befürchten zu Recht wirtschaftliche Einbußen durch die Maut und protestieren gegen die Pläne. Zudem führt die aktuelle Debatte über mögliche Ausnahmegenehmigungen für grenznahe Regionen das Projekt noch weiter ad absurdum. Diese Pkw-Maut ist sozial ungerecht, verkehrs-, wie wirtschaftspolitisch verfehlt und europapolitisch rückwärtsgewandt.
Die Lärmsanierung an Schiene und Straße muss intensiviert werden – dafür sind entsprechende Mittel durch den Bund bereitzustellen.

III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

sich bei der Bundesregierung dafür zu engagieren, dass die Mittelzuweisungen entsprechend den Empfehlungen der Bodewig-Kommission erhöht und prioritär für den Erhalt von Straßen, Schienen und Wasserstraßen vorgesehen werden.
sich bei der Bundesregierung dafür einzusetzen, dass Benachteiligungen Nordrhein-Westfalens möglichst zeitnah abgebaut werden.
sich bei der Bundesregierung dafür einzusetzen, dass die Ausweitung der Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen und auf alle Fahrzeuge ab 7,5 t so schnell wie möglich  umgesetzt wird und dazu ein effizientes Erhebungssystem zur Verfügung steht.
in einem nächsten Schritt die Ausweitung der Lkw-Maut auf das weitere nachgeordnete Straßennetz – inklusive der Beteiligung von Ländern und Kommunen an den Einnahmen – voranzutreiben. Zudem soll eine Ausweitung der Lkw-Maut auf Fahrzeuge ab 3,5 t geprüft werden.
sich bei der Bundesregierung für eine Wegekostenberechnung der Lkw-Maut einzusetzen, die auch auf dem heute bekannten Sanierungs- und Erhaltungsbedarf, insbesondere bei Brücken, beruht
sich mit Nachdruck gegen die Einführung der vorgeschlagenen Pkw-Maut auszusprechen.
die Bundesregierung dahingehend zu unterstützen, Verkehrsinvestitionen überjährig und verkehrsträgerübergreifend einsetzen zu können und dazu ein Sanierungs-Sondervermögen (Fonds) zu schaffen.
sich auf Bundesebene für eine ausschließlich bedarfsgerechte Verteilung der Sanierungs-, Ausbau- und Neubaumittel unter Beachtung des gesamtverkehrlichen Nutzens einzusetzen.
sich auf Bundesebene für mehr und zeitgemäßen Lärmschutz einzusetzen und Lärmschutzmaßnahmen nicht nur beim Neubau, sondern auch bei hoch belasteten Bestandsstrecken zu ermöglichen.