I. Ausgangslage
180 Jahre lang war der Wolf in Europa ausgestorben. Nun ist er in seine alten Lebensräume zurückgekehrt und auch bei uns in Nordrhein-Westfalen wieder ansässig. Im Jahr 2009 wurde bei uns der erste Wolf nachgewiesen, dauerhafte siedelte sich dann 2018 eine Wölfin aus Niedersachsen in Nordrhein-Westfalen an. Im Monitoringjahr 2023/24 waren in Nordrhein-Westfalen zwei Wolfsrudel, ein Paar und drei Einzeltiere ansässig.1 In der Eifel hat sich 2024 ein weiteres Rudel mit Reproduktionserfolg etabliert. Während sich die Zahl der stationären Revierwölfe zu stabilisieren scheint, nehmen junge wandernde Wölfe, die vornehmlich im Frühjahr ihre Eltern-Rudel vor Geburt der neuen Generation verlassen, zu. Da in den benachbarten Niederlanden und Belgien inzwischen auch eine Reihe von Wolfsrudeln reproduzieren, ist weiterhin mit jungen Wanderwölfen zu rechnen, die landesweit spontan auftreten können und in der Regel nach wenigen Tagen wieder verschwunden sind.
Der Weidewirtschaft als naturnahe Form der Landwirtschaft kommt, vor allem mit Blick auf die Förderung der Biodiversität, aktuell und auch in Zukunft eine wichtige Bedeutung zu. Nicht nur auf Grenzertragsstandorten oder Deichen trägt die Weidetierhaltung zum Erhalt und zur nachhaltigen Nutzung von Lebensräumen bei. Durch Zunahme der Wolfspopulationen kommt es jedoch stellenweise zu Übergriffen von einzelnen Wölfen auf Weidetiere, die zu einer großen Belastung der betroffenen Tierhalterinnen und Tierhalter, einem Mehraufwand durch erforderliche Herdenschutzmaßnahmen, wirtschaftlichen Schäden und auch grundsätzlich zu Akzeptanzproblemen des Wolfes führen können.
Die Landesregierung unterstützt Weidetierhalterinnen und Weidetierhalter mit einer Vielzahl von Maßnahmen, um die Belastungen durch die Rückkehr des Wolfes zu mildern. So führt die Umsetzung von Maßnahmen für einen umfassenden und sicheren Herdenschutz zu einem nicht unerheblichen Mehraufwand für die Tierhalterinnen und Tierhalter. All dies ist mit höheren Kosten verbunden. Die Anschaffung von Herdenschutzzäunen und Herdenschutzhunden wird durch die Landesregierung bereits seit Jahren gefördert. In diesem Zusammenhang bedarf es jedoch der Prüfung, ob eine Förderung laufender Betriebsausgaben zum Schutz vor Schäden durch den Wolf in NRW umgesetzt werden kann. Durch die Ausweisung von neuen Förderkulissen ist bereits in diesem Jahr die Beantragung von Fördermitteln zum Herdenschutz möglich.
Auf der Homepage http://www.wolf.nrw informiert das Land kontinuierlich über aktuelle Entwicklungen und Wolfsnachweise, liefert Kontaktmöglichkeiten und bietet ein Portal, um Wolfssichtungen zu melden. In verschiedenen Formaten steht das Land im regelmäßigen Austausch mit Betroffenen und Verbänden, um die verschiedenen Perspektiven einzubinden und Kompetenzen zu bündeln.
Mittlerweile leisten zudem überall im Land ausgebildete haupt- und ehrenamtliche Wolfsberaterinnen und Wolfsberater eine wichtige Arbeit für die Akzeptanz des Wolfes, fungieren als Ansprechpersonen bei Wolfssichtungen und beraten Tierhalterinnen und Tierhalter im Falle eines Tierrisses. Darüber hinaus sichern die Wolfsberaterinnen und -berater möglichst zeitnah Spuren am Ort von Übergriffen, um eine zügige Bearbeitung von Entschädigungen zu ermöglichen und die genetische Auswertung durch das Senckenberg Forschungsinstitut sicherzustellen.
Trotz der vielfältigen Präventionsmaßnahmen kommt es immer wieder zu Übergriffen durch Wölfe auf Nutztiere. Wenn es trotz sachgerechter Maßnahmen zu Rissen kommt, werden die Besitzerinnen und Besitzer von Weidetieren landesweit über die „Förderrichtlinien Wolf“ finanziell entschädigt. Um eine schnellere Auszahlung an die Betroffenen zu ermöglichen, hat das Land ab Herbst 2024 die Verursacherfeststellung Wolf auf Basis der Rissdokumentation als Grundlage für das Beantragungsverfahren zugelassen. Das bedeutet, dass nun schon im Vorgriff auf die regelmäßig folgende genetische Analyse durch das Senckenberg-Forschungsinstitut das anschließende Verfahren bei der Landwirtschaftskammer zur Gewährung der Billigkeitsleistung früher beginnen kann. Die geschädigten Weidetierhaltungen profitieren von dieser Neuregelung, da sie früher als bisher ihre Billigkeitsleistung beantragen können.
Neben den Maßnahmen zur Prävention und der Entschädigung spielt auch die Frage nach einer Entnahme von problematischen Wölfen, die immer wieder auffällig werden und Herdenschutzmaßnahmen überwinden, als letztes Mittel eine Rolle. Eine pauschale Abschussmöglichkeit des Wolfes besteht derzeit nicht, denn der Wolf genießt aufgrund der europarechtlichen Vorgaben den höchstmöglichen artenschutzrechtlichen Schutz. Einzelfallregelungen bei verhaltensauffälligen Wölfen bestehen mit einer entsprechenden Ausnahmegenehmigung nach § 45 Bundesnaturschutzgesetz. Diese Möglichkeit soll konsequent genutzt werden. Dies ist im Falle der Wölfin „Gloria“ im vergangenen Jahr durch den Kreis Wesel unter fachlicher Beratung und in enger Begleitung durch das zuständige Ministerium auf den Weg gebracht. Die Entnahme ist jedoch vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf sowie dem Oberverwaltungsgericht NRW erfolgreich beklagt worden.
Die am 23.03.2022 in Kraft getretene Wolfsverordnung Nordrhein-Westfalen (WolfsVO NRW) war ein erster Schritt hin zu einem wirksamen Wolfsmanagement in NRW. Danach kann im Fall von besonderen Ausnahmesituationen auch eine Entnahme erwogen werden.
Der rechtliche Rahmen zur Entnahme eines Wolfes wird durch eine Vielzahl von Regularien auf der bundes- und europarechtlichen Ebene eingegrenzt. Auf Ebene der Umweltminister-Fachkonferenz (UMK) der Länder hatte NRW-Umweltminister und damaliger UMK-Vorsitzen-der Oliver Krischer gemeinsam mit der Bundesumweltministerin Steffi Lemke im Dezember 2023 einen bundesweiten Prozess zur gemeinsamen Überarbeitung des rechtsverbindlichen „Praxisleitfadens Wolf“ angestoßen. So wurden aufgrund neuer Erkenntnisse ein sogenanntes Schnellabschussverfahren zu einer zielgerechten Entnahme von Wölfen in Regionen mit erhöhtem Rissvorkommen vorgeschlagen. Demnach soll der Wolf nach Überwinden des zumutbaren Herdenschutzes und dem Riss eines Weidetieres 21 Tage lang im Umkreis von 1.000 Metern von einer Rissstelle geschossen werden und damit der Verwaltungsaufwand reduziert sowie die Abschussgenehmigung verkürzt werden. Nach Beschluss durch die Umweltministerkonferenz hat eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter Beteiligung des Landes Nordrhein-Westfalen den Praxisleitfaden Wolf umfangreich angepasst, um detaillierte Hinweise zu geben, wie das Schnellabschussverfahren in der Praxis umgesetzt werden kann.
Aktuell ist der Wolf sowohl im „Übereinkommen über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume“ (Berner Konvention) als auch in der seiner Umsetzung in europäisches Recht dienenden Richtlinie 92/43/EWG der Europäischen Union (Fauna-Flora-Habitat-/FFH-Richtlinie) als streng geschützte Art eingestuft. Eine Bejagung streng geschützter Arten kann nur unter den in Artikel 16 der FFH-Richtlinie genannten, eng umrissenen und durch Urteile des Europäischen Gerichtshofs weiter konkretisierten Bedingungen erfolgen.
Die Einstufung des Wolfes als streng geschützte Art hat das Bundesnaturschutzgesetz übernommen (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 14 BNatSchG). Im BNatSchG werden eng umrissene Bedingungen für Ausnahmen zugelassen. Im Verwaltungsvollzug orientiert sich die Erteilung arten-schutzrechtlicher Ausnahmen an dem durch eine Bund-/Länder-Arbeitsgruppe erarbeiteten „Praxisleitfaden Wolf“. Eine Änderung des Schutzstatus des Wolfes in der Berner Konvention und nachfolgend in der FFH-Richtlinie könnte die Spielräume für ein regional differenziertes Wolfsmanagement vergrößern. Nach einer Anpassung der europarechtlichen Regelungen soll darauf aufbauend das Wolfsmanagement in Deutschland weiterentwickelt werden.
Das erklärte Ziel der schwarz-grünen Koalition ist es, das Zusammenleben von Weidetieren und Wölfen in NRW durch Finanzierung von Herdenschutzmaßnahmen und Entschädigungszahlungen auf der einen Seite und den konsequenten Abschuss von verhaltensauffälligen Wölfen auf der anderen Seite zu ermöglichen. Wir sehen uns weiterhin in der Pflicht, Weide-tierhalterinnen und -halter in ihrer praktischen Tätigkeit zu unterstützen. Gleichzeitig ist der Wolf eine zurecht streng geschützte Art und ihre Rückkehr ein Erfolg für den Artenschutz in NRW.
II. Beschlussfassung
Der Landtag begrüßt
- das Vorgehen des Umweltministers als Vorsitzender der Umweltministerkonferenz zur Entwicklung von neuen Förder- und Handlungsoptionen auf allen Ebenen,
- den angestoßenen Prozess zur Anpassung des Schutzstatus des Wolfes in der Berner Konvention und der damit angestrebten Änderung der Einstufung des Wolfes in den Anhängen der FFH-Richtlinie,
- die Entwicklung und zukünftige Anwendung des sogenannten Schnellabschussverfahrens zum Abschuss einzelner Problemwölfe in Regionen mit erhöhtem Rissvorkommen,
- das Inkraftsetzen der sogenannten Billigkeitsrichtlinie zur beschleunigten Bearbeitung von Entschädigungszahlungen auf Basis der Rissdokumentation in NRW und
Der Landtag beauftragt die Landesregierung, im Rahmen vorhandener Mittel
- für Herdenschutzmaßnahmen eine Ausweitung der Förderkulisse auf die gesamte Landesfläche zeitnah zu realisieren,
- zu prüfen, inwieweit in die Förderung der Herdenschutzmaßnahmen auch die laufenden Kosten aufgenommen werden können,
- zu prüfen, ob in die Zahlung von Riss-Entschädigungen auch Mutterkühe, Rinder, Herdenschutztiere und Pferde sowie verlammte oder im Nachgang eines Wolfsrisses zu tötende Tiere aufgenommen werden können,
- sicherzustellen, dass eine Rissbegutachtung in der Regel innerhalb von 12 Stunden nach Meldung des Vorfalls erfolgt und die Daten in ein digitales System mit dem Senckenberg-Institut eingepflegt werden können,
- die Zeitabläufe so zu optimieren und insgesamt die Voraussetzungen zu schaffen, dass das sogenannte Schnellabschussverfahren innerhalb der 21-Tage-Frist durchgeführt werden kann,
- das Rissereignis in den besonders betroffenen Regionen weiterhin eng zu beobachten und im Dialog mit den Kreisen und ggfs. notwendige Maßnahmen zu diskutieren. Dabei sollen die Kreise auf Wunsch bei der möglichen Entnahme von Wölfen begleitet werden, sofern die Voraussetzungen für eine Entnahme erfüllt scheinen,
- sich auf Bundesebene für eine rasche Ermittlung des Unterparameters günstige Referenzpopulation für die Beurteilung des günstigen Erhaltungszustands der Art Wolf und zur Weiterentwicklung der übrigen Parameter (Verbreitung, Population, Habitat, Zukunftsaussichten) einzusetzen,
- die Arbeit und das Engagement der Weidetierhaltenden insgesamt zu unterstützen und vor allem den von Blauzungenkrankheit Betroffenen finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen,
- zu prüfen, in welcher Form die Herdenschutzberatung zu einem umfassenden Beratungsinstrument der Nutztierhaltenden ausgebaut werden kann,
- zu prüfen, in welcher Form regelmäßige Lehrgänge für Herdenschutzhundehaltende durch die Herdenschutzberatung sichergestellt werden können und
- das LANUV mit gezielter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zu den Auftretenszeiten der Wanderwölfe zu beauftragen.