Chancen der Digitalisierung für die Energiewende nutzen

Antrag der GRÜNEN im Landtag

Die Digitalisierung hat bereits heute fundamentale Veränderungsprozesse in Gang gesetzt, die für unsere Gesellschaft eine Fülle von Chancen bieten. Die damit verbundene Dynamik nimmt immer mehr an Fahrt auf, wodurch es immer schwieriger für die Politik wird, Rahmenbedingungen anzupassen und damit den Weg der Digitalisierung in den einzelnen Politikfeldern zu gestalten. Deshalb ist es jetzt an der Zeit, die Potentiale der Digitalisierung und die Herausforderungen der Energiewende zusammenführen.

Energiewende ist ohne Digitalisierung nicht vorstellbar

Die Energiewende ist ohne die Digitalisierung nicht möglich. Das alte, fossile Energiesystem basierte auf großen Kraftwerken im Besitz weniger Energieversorger. Die Erzeugung war in diesem System einfach vorherzusagen und dem Verbrauch anzupassen.
Mit der deutlichen Zunahme an Erneuerbaren-Energien-Anlagen veränderte sich die Energiewelt: Die Erzeugungsanlagen wurden zahlreicher, kleiner und dezentraler, aber auch volatiler. Endkundinnen und -kunden sind nicht mehr nur noch Konsumenten sondern erzeugen auch Strom und sind somit Produzenten und Konsumenten zugleich, so genannte Prosumer. Gleiches gilt für Gewerbe, Handel und Landwirtschaft, die insbesondere durch den Verbrauch von Strom aus eigenen Photovoltaik-Anlagen ihre Betriebskosten senken können.
Ohne digitale Netzsteuerung, automatisiertes Einspeisemanagement und immer zuverlässigere Wettervorhersagen wäre die Einbindung von Millionen von Photovoltaikanlagen und tausender Windenergieanlagen auch heute schon nicht möglich. Die Einspeisung einer weiter steigenden Menge erneuerbaren Stroms und das Management der benötigten Flexibilität in den kommenden Jahrzehnten sind schließlich ohne die Digitalisierung nicht vorstellbar.
Bereits heute sind auch nordrhein-westfälische Unternehmen Vorreiter dieser Entwicklung und leisten z.B. über virtuelle Kraftwerke einen Beitrag zur Kosteneffizienz und Versorgungssicherheit im Strommarkt. Auch für den Wärmemarkt bieten zahlreiche Hidden Champions vor allem aus Süd- und Ostwestfalen digitale Lösungen für intelligente Gebäudetechnik.
Die bisher weitgehend getrennten Sektoren Strom, Wärme und Verkehr werden mit voranschreitender Energiewende und steigender Elektromobilität immer mehr miteinander gekoppelt werden, da so Versorgungsengpässe und -überschüsse besser ausgeglichen werden können. Auch diese Sektorenkopplung wäre ohne die Digitalisierung nur schwer realisierbar.

Digitale Weiterentwicklungen zum Nutzen der Energiewende einsetzen

Die Digitalisierung im Energiebereich muss klar auf die Ziele der Energiewende ausgerichtet sein. Dabei müssen faire Leitplanken für den notwendigen Wettbewerb zwischen der etablierten Energiewirtschaft und neuen Marktakteuren wie Startups geschaffen werden, die auf der Suche nach neuen Geschäftsfeldern große Hoffnungen auf die Digitalisierung setzen sowie Bürgerinnen und Bürgern, die beispielsweise mit Photovoltaikanlagen auf ihren Hausdächern zum Gelingen der Energiewende beitragen.
Vordingliche Ziele der Digitalisierung im Energiebereich müssen sein:
·        Die Energieeffizienz von Prozessen zu erhöhen und Privathaushalten und Unternehmen das Energiesparen zu erleichtern.
·        Die Verteilnetze zu intelligenten Netzen (Smart Grids) auszubauen, um mehr Strom aus Erneuerbaren Energien aufnehmen und die dringend benötigte Flexibilität managen zu können
·        Erzeugern Erneuerbarer Energien zu ermöglichen, überschüssige Strommengen möglichst unkompliziert und ohne übermäßige Abgaben im Quartier, in der Kommune oder in der Region zu verkaufen.
So sollte es zum Beispiel möglich sein, eigenen Photovoltaik-Strom in die Nachbarschaft liefern zu können, wenn dieser gerade im eigenen Gebäude nicht benötigt wird. Kürzere Wege verringern die benötigte Netzkapazität und so kann der für die Energiewende benötigte Netzausbau verringert werden. Theoretisch ist ein solcher Direktvertrieb auch heute schon möglich, in der Praxis stehen dem jedoch hohe rechtliche und bürokratische Hürden entgegen. So findet ein Handel zwischen einzelnen Bürgerinnen und Bürgern praktisch nicht statt. Erneuerbarer Strom, der nicht vor Ort vom Erzeuger verbraucht werden kann, wird fast vollständig über spezialisierte Vermarktungsunternehmen an die Strombörse gebracht. Anreize, den Strom in dem Netzgebiet zu verbrauchen, wo er eingespeist wurde, gibt es heute kaum. Dies muss sich fundamental ändern, um das Stromnetz optimal auszunutzen.
Es gibt eine Reihe technologischer Entwicklungen, die eine netzdienliche, dezentrale Umsetzung der Energiewende unterstützen könnten. Die Blockchain-Technologie, bisher vornehmlich bekannt als technische Basis der Kryptowährung Bitcoin, kann als sichere Basis solcher Peer-to-Peer-Transaktionen dienen. Entscheidendes Merkmal der Blockchain- Technologie ist, dass Informationen zu den einzelnen Vorgängen in Blöcken verschlüsselt auf allen Rechnern der Teilnehmer des Systems gespeichert werden. Dadurch wird die Transaktion in hohem Maße fälschungssicher und eine zentrale Instanz, wie ein Energieversorger oder ein Finanzinstitut, könnte theoretisch überflüssig werden.
Die Entwicklung der Blockchain-Technologie ist dabei keineswegs abgeschlossen, eine vielversprechende Weiterentwicklung ist z.B. IOTA, die das Blockchain-System für die Kommunikation zwischen Maschinen optimiert und auch offline funktioniert. Nicht nur die einzelne Abrechnung, auch Vertragsabschlüsse könnten in Zukunft automatisiert erfolgen. „Smart  Contracts“  könnten   auf   der  Basis  zuvor   definierter  Parameter,   beispielsweise Stromverträge abschließen, wenn der Strom vom Nachbarn A gerade günstiger ist, als der von Nachbarin B.
Auch zu einer kosteneffizienten Versorgungssicherheit können Blockchain-Anwendungen Beiträge leisten, wie erste auf der Ethereum-Blockchain programmierte Netzsteuerungen zeigen. Durch die ungleich höhere Effizienz dieser Prozesse werden Geschäftsmodelle möglich, die die Energiewende vorantreiben und die heute wegen viel zu hohem Aufwand noch unmöglich erscheinen. Einen erheblichen energiewirtschaftlichem Nutzen würde beispielsweise eine verursachergerechte Abrechnung der Netzentgelte bringen.

Digitalisierung verändert Energiewirtschaft grundlegend

Gerade die Energiewirtschaft, die mit der Energiewende bereits einen tiefgreifenden Veränderungsprozess durchläuft, wird sich folglich weiterhin durch Digitalisierungsprozesse stark verändern. Auch wenn in der Energiewirtschaft mit ihren langen Investitionszyklen und streng regulierten Prozessen digitale Innovationen langsamer umgesetzt werden als in anderen Branchen, wird die Digitalisierung am Ende auch den Energiesektor vollständig durchdringen und verändern. Dies beginnt mit der Digitalisierung interner Prozesse in den Energieunternehmen, geht über die intelligente Netzsteuerung und virtuelle Kraftwerke bis hin zu intelligenten Messeinrichtungen (Smart Meter) bei Kundinnen und Kunden und dadurch möglich werdende neue Dienstleistungen in Gebäuden.
Kaum absehbar sind die Veränderungen, die sich aus Technologien wie der oben beschriebenen Blockchain ergeben könnten. Doch der Ausschöpfung der Potenziale der Blockchain und verwandter Weiterentwicklungen stehen bisher das Energiewirtschaftsrecht und andere Regularien entgegen. Bei der Änderung dieser Rahmenbedingungen muss es darum gehen, die Potenziale für die Energiewende zu heben, aber gleichzeitig Energieversorger und neue Marktakteure dabei zu unterstützen, ihre Geschäftsmodelle anzupassen beziehungsweise aufzubauen und ihre Leistungen für das Gesamtsystem über neue Mechanismen zu vergüten.

NRW als digitales Energiewende-Musterland etablieren

Ankündigungen aus dem schwarz-gelben Koalitionsvertrag zur Unterstützung der Potenziale der Digitalisierung im Energiebereich wurden bisher nicht auf den Weg gebracht. Eine Digitalstrategie für NRW hat Digitalminister Pinkwart auch ein Jahr nach Amtsantritt nicht vorgelegt – wenngleich die Erkenntnisse für den Energiebereich darin auch überschaubar sein dürften. Denn wesentliche Hemmnisse zur Umsetzung der Digitalisierungspotenziale für die Energiewende sind die für die alte Energiewelt entwickelten, regulatorischen Rahmenbedingungen, die zum Großteil auf Bundesebene gesetzt werden.
Um den breiten Einsatz von Technologien wie Blockchain oder Smart Contracts möglich zu machen, hat die EU mit ihrer neuen Erneuerbare-Energie-Richtlinie die richtigen Signale gesetzt und will keine Belastung des Eigenverbrauchs mehr zulassen. Überraschend wurde kurzfristig bekannt (Plenarprotokoll 19/41 des Bundestages), dass Deutschland im Nachgang zur Einigung auf EU-Ebene auf wesentliche Einschränkungen bei den Erleichterungen für Prosumer gedrungen hat. Die Landesregierung muss sich für eine zügige und umfassende Umsetzung in nationales Recht einsetzen, welche die Rechte von Prosumern bestmöglich erweitert.
Damit NRW bei den Entwicklungen nicht abgehängt wird, muss die Landesregierung Rahmenbedingungen schaffen, die das Testen von digitalen Energie-Anwendungen ermöglichen und dafür gegebenenfalls auch Ausnahmen von bestehenden regulatorischen Rahmenbedingungen in definierten Testumgebungen zulassen. Nur so kann überprüft werden, ob sich die großen Hoffnungen, die in die einzelnen Technologien gesetzt werden, in der Praxis erfüllen. Besonders dort, wo Bundes- oder EU-Recht angepasst werden müsste, braucht es Gewissheit über die tatsächlichen Vorteile in der Realität.
NRW hat gute Voraussetzungen dafür, die Potenziale der Digitalisierung für die Energiewende erfolgreich zu heben. Unternehmen aus NRW haben bereits jahrelange Erfahrung und treiben die Digitalisierung der Energiewende voran. So zum Beispiel die Next Kraftwerke aus Köln der Smart-Metering-Anbieter Discovergy aus Aachen oder die Wuppertaler Stadtwerke, die mit dem Tal.Markt den nach eigener Aussage ersten kommunalen Marktplatz für erneuerbaren Strom unter Nutzung der Blockchain-Technologie betreiben. Hier können Kundinnen und Kunden aus Wuppertal Erneuerbaren Strom direkt vom Erzeuger aus der Region beziehen. Ein sinnvolles Konzept, für das in Zukunft durch eine Reform der Abgaben und Umlagen stärkere Anreize gesetzt werden sollten.

Noch viele Fragen zu klären

Um das Potenzial der Digitalisierung für die Energiewende ausschöpfen zu können, müssen diverse rechtliche Fragen geklärt und Rahmenbedingungen angepasst werden.
Abgaben und Umlagen im Energiebereich müssen so umgestaltet werden, dass sie gleichzeitig die Klimaziele unterstützen, Prosumer-Ansätze anreizen und verursachergerecht die Kosten des Gesamtsystems verteilen. Es stellen sich zudem Fragen, wie sich Peer-to- Peer-Transaktionen im Energiebereich auf die Verantwortung für Versorgungssicherheit und Bilanzkreisverantwortlichkeiten auswirken. Aber auch aus Verbraucherschutzsicht muss geklärt werden, welche Anforderungen an die Datensicherheit bei Blockchain-Anwendungen gestellt werden müssen und wie sich „Smart Contracts“ mit dem heutigen Vertragsrecht in Einklang bringen lassen.
Allein diese Auswahl an zu klärenden Fragen veranschaulicht, dass sich Deutschland einen energiepolitischen Stillstand, wie er gerade in der Bundesregierung zu beobachten ist, nicht erlauben kann, soll NRW den Anschluss bei der Digitalisierung nicht verlieren.
Nach der Einigung auf EU-Ebene über eine Neufassung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie wird Deutschland überdies vermutlich kurzfristig gezwungen sein, die Rahmenbedingungen für Eigenversorgung, Mieterstrom und regionalen Stromhandel aus Erneuerbaren Energien anzupassen. Besonders die regionale Vermarktung aus kleinen Erneuerbaren-Energien- Anlagen zwischen einzelnen Bürgerinnen und Bürgern ist ohne eine verstärkte Nutzung digitaler Anwendungen kaum vorstellbar. Hier darf die Landesregierung nicht aus Rücksicht auf die konventionelle Energiewirtschaft sinnvolle und notwendige Anpassungen ausbremsen, sondern muss die Änderungen auf Bundesebene forcieren, die die bürgergetragene Energiewende in Zukunft stärker unterstützen werden.

II.  Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

1.     die Digitalisierung im Energiesektor mit Fokus auf den Nutzen für die Energiewende verstärkt voranzutreiben,
2.     kurzfristig Pilotprojekte z.B. für Micro-Grids oder Stromhandel zwischen einzelnen Bürgerinnen und Bürgern zu ermöglichen,
3.     sich auf Bundesebene für eine Entbürokratisierung der energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen einzusetzen, die die Entfesselung der Energiewende sowie von neuen Technologien wie der Blockchain im Energiemarkt erleichtern,
4.     sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass die neue EU-Erneuerbare-Energien-Richtlinie – besonders die Regelungen, die Prosumer betreffen – kurzfristig in nationales Recht umgesetzt wird.